Ein Luftschutzraum in Grevenbroich Stadtmitte.

Vor einigen Tagen konnte der Verein Luftschutzanlagen Rhein Kreis Neuss e. V. einen privaten Schutzraum in der Grevenbroicher Stadtmitte dokumentieren, der insbesondere im Rahmen unseres gemeinsamen Projektes “Netzwerk Kriegstote” interessant ist.

Der kleine unterirdische Raum wurde sehr wahrscheinlich im Jahr 1943 in Eigenleistung von den Bewohnern des Doppelhauses errichtet. Er liegt im Garten, direkt an der Grundstücksgrenze der beiden Haushälften und ist über den Keller zugänglich.

Am Nachbarhaus wurde ein Durchbruch geschaffen, von dem man ebenfalls aus dem Keller direkt zum Treppenabgang gelangen konnte. Heute ist der schmale Durchbruch zugemauert.

Vom Keller führen 11 Stufen gerade herunter zum Schutzraum.

Auffällig ist, dass es keine Schikane gibt, die Splitter oder Druckwellen brechen könnte. Auch verfügt die Luftschutzanlage über keine Gasschleuse, wie sie eigentlich vorgeschrieben war. Lediglich eine Gasschutztür befindet sich vor dem ca. 6 m² kleinen Schutzraum. Durch die Raumhöhe von 180 cm passt die Gasschutztür gerade so herein. Im Inneren erkennt man, dass die Wände geziegelt und die Betondecke mit Eisenträgern verstärkt ist. Am Ende des Schutzraums liegt der Notausstieg, der ebenfalls mit einer kleinen Gasschutztüre verschlossen werden konnte.

Die Luftschutzanlage an sich war nicht sehr spektakulär, aber die Geschichte dahinter macht ihn für uns mehr als interessant. Über das Schicksal, dass sich im Februar 1945 dort abgespielt hat, berichten wir nachfolgend in einem weiteren Beitrag.

 

Lehrer dürfen züchtigen…

Kinder dürfen auch außerhalb der Schule von ihren Lehrern gezüchtigt werden! Blutunterlaufungen, blaue Flecken und Striemen gehören nicht unbedingt zu einer merklichen Verletzung!

So zumindest nach den Aufzeichnungen des Lehrers in der Noithausener Schulchronik aus dem Oktober 1889.

StA Grevenbroich, Schulchronik Noithausen, Sig. 513

Transkription: „Erkenntnis des Oberverwaltungsgerichts über das Züchtigungsrecht der Lehrer: Der Lehrer ist zur Vornahme empfindlicher körperlicher Züchtigung berechtigt. Eine merkliche Verletzung ist eine solche, durch welche Gesundheit und Leben der Schüler gefährdet erscheint. Blutunterlaufungen, blaue Flecken, Striemen für sich allein gehören nicht hierzu, denn jede empfindliche Züchtigung, und zu einer solchen ist der Lehrer berechtigt, lässt derartige Erscheinungen zurück. So ist der Lehrer ebenfalls nicht straffällig, wenn er einen Schüler, der einer anderen Klasse angehört, züchtigt, auch kann die Züchtigung des Schülers außerhalb des Schullokals stattfinden. Das Verhalten des Schülers außerhalb der Schule unterliegt ebenfalls der Schulzucht, was so oft von den Eltern gerade bestritten wird. Dasselbe Züchtigungsrecht hat auch der Geistliche bei Erteilung des Religions-Unterrichtes. Die Schulzucht kann nur dann Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens werden, wenn eine wirkliche Verletzung des Schülers stattgefunden hat.“ (Hervorhebungen durch den Autor)

Entnommen wurde der Text vermutlich einer Tageszeitung im Oktober 1889, denn der o. a. Text entspricht dem nachfolgenden Zeitungsartikel bis auf den Einleitungssatz in voller Gänze. Die hervorgehobene Textstelle soll jedoch die Ansichten damaliger Zeit noch einmal ausdrücklich darstellen.

Rheinisches Volksblatt Nr. 123 vom Samstag, den 19. Oktober 1889

Bereits einem Artikel im Rheinischen Volksblatt Nr. 123 vom Dienstag, den 23. Oktober 1883 ist zu entnehmen, dass Eltern immer wieder versucht haben, gegen die Züchtigung außerhalb der Schule zu protestieren. Die Zeitung führte hierzu aus: „[…] als enthielte das Einschreiten des Lehrers einen Eingriff in das elterliche Erziehungs- und Züchtigungsrecht. Dass Letzteres jedoch nicht der Fall, der Lehrer vielmehr verpflichtet ist, gegen die von den Kindern außerhalb der Schule begangenen Ungezogenheiten einzuschreiten, führt der Ministerialerlass vom 28. März 1872 aus, in welchem es heißt, dass die außerhalb der Schule von den Kindern begangenen und straflos gebliebenen Übertretungen von der Schulzucht nicht ausgeschlossen sind; die Schule daher den Beruf hat, derartige Handlungen der Kinder nach der ihr zustehenden Diziplinargewalt in einer den Zwecken der Erziehung entsprechenden Weise zu ahnden.“

Aus heutiger Sicht dürfte auch ein Urteil des BGH vom 23. Oktober 1957 auf uns ziemlich befremdlich wirken, wonach zwar der Tatbestand der Körperverletzung durch die körperliche Züchtigung der Schüler durch den Lehrer erfüllt ist. Aber ihre Strafbarkeit entfällt, wenn der Lehrer zur Züchtigung rechtlich befugt ist und sich innerhalb der Grenzen dieser Befugnis hält. Das Gewohnheitsrecht bestimmt die Grenzen der Züchtigungsbefugnis nach Anlass, Zweck und Maß. Jede quälerische, gesundheitsschädliche, das Anstands- und Sittlichkeitsgefühl verletzende, nicht dem Erziehungszweck dienende Züchtigung ist verboten. Den Umkehrschluss aus dem letzten Satz überlassen wir dem Leser!

Honnefer Volkszeitung Nr. 248 vom Donnerstag, den 24. Oktober 1957
Honnefer Volkszeitung Nr. 248 vom Donnerstag, den 24. Oktober 1957

In Westdeutschland wurden die Züchtigung und Prügelstrafe in den meisten Bundesländern erst im Jahr 1973 untersagt. Ausnahmen bildeten Bayern, welches erst im Jahr 1983 ein Verbot aussprach und Nordrhein-Westfalen, welches bereits durch einen Runderlass vom 22. Juni 1971 das Züchtigungsverbot für unzulässig erklärte. Erst im Jahr 2000 beschloss der Bundestag das „Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung“. Gemäß § 1631 Abs. 2 BGB haben Kinder seit dem 2. November 2000 ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Wie wurde das Jahr 1963 im Jahr 1938 gesehen?

Zwar tragen wir heute immer noch keine unverbrennbare Kleidung aus Zellulose oder gesponnenem Glas. Aber wenigstens können wir, wenn wir es wollen, in hermetisch abgeschlossenen Häusern leben und das Raumklima über Heizung und Klimaanlage an unsere Bedürfnisse anpassen. Der Wetterbericht noch die Überseepost werden uns heute von Raketen überliefert, aber dafür haben wir Wettersatelliten im Weltall und Glasfaserkabel, die auf dem Boden des Atlantiks liegen. Wie uns die Corona Pandemie gezeigt hat, können wir auch immer noch keine Infektionskrankheiten mit ultraviolettem Licht verhindern.

Was fällt euch noch ein? Welche Prophezeiungen sind in Erfüllung gegangen oder gehen bald in Erfüllung? Schreibt eure Meinung gerne in die Kommentare!

Transkription des Zeitungsartikels: „Die Welt in 25 Jahren. New York, im April. Vor einem Auditorium von 900 Ingenieuren und Technikern unternahm dieser Tage eine Gelehrtengruppe den hochinteressanten Versuch, ein Bild der Welt im Jahre 1963 zu entwerfen. Nach ihren Ausführungen können diejenigen von uns, die noch 25 Jahre zu leben gedenken, sich auf allerhand grundlegende Änderungen gefasst machen. Wie die Gelehrten nämlich berichten, wird der Mensch in 25 Jahren unverbrennbare Kleidung aus Zellulose oder gesponnenem Glase tragen und sie säubern, indem er sie in einen elektrischen Ofen wirft, er wird in von der Außenwelt hermetisch abgeschlossenen Häusern leben, die elektrisch erleuchtet, geheizt, gekühlt und mit jedem gewünschten Klima versehen werden; er wir Bazillen und Mikroben nicht mehr kennen, ebenso wenig wie Infektionskrankheiten, nachdem diese unsichtbaren Lebewesen durch ultraviolettes Licht längst vernichtet sein werden. Er wird weiterhin Kraft und Licht direkt von der Sonne beziehen; seine Bibliothek wird aus winzigen Filmspulen vom Umfang einer Taschenuhr bestehen, und er wird diese „Bücher“ mit Hilfe von Projektionsapparaten lesen, die noch nicht einmal den Umfang eines Tischtelefons haben werden. Seine Wetterberichte wird er auf Grund von Raketenerkundungen in der Stratosphäre erhalten, und seine Überseepost durch automatisch gesteuerte Raketen, die den Atlantik in wenigen Stunden überqueren werden. Überhaupt wird er in einer Welt leben, einer Welt, in der Dürre, Hagel, Frost, schädliche Insekten und Pflanzenkrankheiten keine Bedeutung mehr besitzen, weil die traditionelle Landwirtschaft durch die neuen „Äcker ohne Boden“ abgelöst sein wird, nämlich durch die sogenannten Tankfarmen, in denen Getreide- und Gemüsepflanzen direkt in einer Nährlösung unter Dach und Fach gedeihen und hundertfache Erträge liefern. Und wenn diese Prophezeiungen tatsächlich in Erfüllung gehen, dürfte es sich doch lohnen, noch 25 Jahre auszuhalten.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Neukirchen, Sig. 494

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023.

Ein unterirdischer Gang in Allrath?

Der Geschichte auf der Spur. Von Rolf Esser, Allrath, 2022.

Angestoßen zu diesem Artikel wurde ich durch eine Rückfrage von Dr. Schmitz, Vorsitzender des Geschichtsverein Grevenbroich. Er wollte Näheres wissen zu dem „unterirdischen Gang nach Vollrath und zur Allrather Kirche“ auf einem Foto in der Festschrift zur 475-Jahr-Feier der St. Sebastianus-Bruderschaft Allrath im Jahr 2008. Also bin ich dieser interessanten Aussage einmal nachgegangen.

Ich hatte auch schon einmal von Erzählungen älterer Dorfbewohner gehört, die von einem von der Kirche Allrath aus zum Gut Vollrath und weiter zum Kloster Welchenberg führenden unterirdischen Gang sprachen. Einzelheiten oder Beweise dafür lagen aber nicht vor.

Meine Recherchen begannen bei den beiden letzten Brudermeistern der St. Sebastianus-Bruderschaft Allrath, Willi Kremer und Ulrich Hassels, die aber keine konkreten Beweise beisteuern konnten. Ulrich Hassels erinnerte sich, dass der bereits in den 1980er-Jahren verstorbene Brudermeister Peter Brosch (geboren 1899, Brudermeister von 1948-1981) des öfteren von solch einem Gang erzählte, der von der Allrather Kirche über das obige Haus (ca. 50 m von der Kirche entfernt) zu einem Ein-  und Ausstieg im Gut Vollrath führte. Er soll schon im Mittelalter angelegt und im Lauf der Jahre immer weiter ausgebaut und befestigt worden sein. Reste davon sollen auch bei der Aufschüttung der Vollrather Höhe (1956 bis 1967), bei der auch das bereits 1300 urkundlich erwähnte Gut Vollrath unter dem Abraum verschwand, gefunden worden sein. Im Archiv von Rheinbraun/ RWE konnte ich hierzu jedoch keine Angaben finden.

Danach habe ich Kontakt zu Ralf Nitschke aufgenommen, der von Jugend an in diesem Haus wohnt. Wie auf einer in die Hofwand eingelassenen Tafel zu lesen ist, haben Godefridus Hamecher und Cadarina Caufmans das Haus 1787 gebaut.

[Ergänzung durch den Arbeitskreis Familienforschung: Gottfried Hamacher, *ca. 1724 in Allrath, +29.04.1812 in Allrath, Beruf: Bauer und Catharina Kaufmann, *ca. 1732 in Allrath, +09.07.1800 in Allrath. Das Ehepaar hatte 14 Kinder, die zwischen 1754 und 1779 geboren wurden.]

Ralfs Großvater hat es später gekauft. Auch seine Mutter Gertrud Nitschke geb. Glasmacher (1928-2017) hat ihm mehrfach von diesem Gang erzählt. Auf den noch vorliegenden Plänen und Dokumenten gibt es allerdings keinen Hinweis hierauf.

Im Keller zeigte Ralf mir in ca. 3 Meter Tiefe den Beginn eines möglichen Gangs. Das Foto davon habe ich am 3. April 2018 aufgenommen.

Keller Haus Nitschke. Foto: (c) Rolf Esser, 2008.

Dieser Gang („Durchgang, Aus-/Eingang“) ist nur ca. 1 Meter lang und von Ralf bereits vor Jahren zugemauert worden, da dahinter nur feste Erde war. War das möglicherweise der Anfang eines wie immer gearteten Gangs in Richtung Gut Vollrath? Nach einer Katasterkarte von 1810 gab es jedenfalls noch kein Nachbarhaus Richtung Vollrath, sondern nur freies Feld. Eine weitere Öffnung o.ä. in Richtung der nur ca. 50 m entfernten Allrather Kirche gibt es im Keller dieses Hauses nicht.

Darüber hinaus konnten sowohl Ralf Nitschke als auch ich keine weiteren konkreten Beweise für einen Gang oder Tunnel ausfindig machen.

Bei allen Recherchen bleibt aber die Frage nach Sinn und Zweck eines solchen Gangs. Es könnte eigentlich nur ein Fluchtweg in unruhigen Zeiten des Mittelalters oder später gewesen sein. Allrath hatte 1767 nur 221 Einwohner.

Auf jeden Fall hätte das Ausschachten eines solch langen Gangs erhebliche Mühen bereitet, neben der Arbeit auch die Beseitigung des Aushubs. Von der Kirche bzw. dem Haus Nitschke bis zum Gut Vollrath waren es immerhin ca. 1850 m, von da weiter bis zum Kloster Welchenberg ca. 1050 m, also eine Gesamtstrecke von ca. 2900 m. Ist ein Gang vielleicht doch nur von der Allrather Kirche aus bis zum Haus Nitschke gegangen? Oder sind entgegen allen Erzählungen die Arbeiten zur  Weiterführung bis zum Gut Vollrath aus irgendwelchen Gründen eingestellt worden?

Ausschnitt aus der Tranchotkarte 1807/08 mit Gut Vollrath und Welchenberg

Fragen über Fragen, die sich leider nicht mehr fundiert nachweisen lassen. Ist alles nur eine Legende, die von Generation zu Generation weitererzählt wurde? Trotz allem ist es aber immer wieder interessant, dass und wie sich solche Erzählungen über Jahre gehalten haben.

Wer war Theodor Litzkendorf?

Ein mysteriöser Grabsteinfund in Gustorf!

Ein in Gustorf gefundener Grabstein gibt dem Arbeitskreis Familienforschung im Geschichtsverein Grevenbroich große Rätsel auf!

Foto: (c) Heinz-Willi Herwagen

Zeichnung: (c) Heinz-Willi Herwagen

Der Grabstein wurde im Frühjahr 2014 bei Gartenarbeiten von Walter und Torsten Wilke in Gustorf gefunden. Nach eigenen, aber ergebnislosen, Nachforschungen im Dorf und bei den ehemaligen Bewohnern des Hauses, wandte sich die Familie Wilke im Herbst 2022 an den Arbeitskreis Familienforschung, um etwas über den wundersamen Fund im eigenen Garten herauszufinden.

Wer war Theodor Litzkendorf? Warum wurde sein Grabstein in einem Garten in Gustorf vergraben? Gibt es noch Familienangehörige in Grevenbroich? Was macht man mit dem gefundenen Grabstein? Warum ist der Name im ganzen Ort absolut unbekannt? Stand der Grabstein vielleicht einmal auf dem alten Friedhof an der Gustorfer Kirche?

Für den Arbeitskreis sollte dies doch eigentlich eine leichte Aufgabe sein?! Immerhin wurde in den letzten Jahren eine umfangreiche Datenbank mit mehreren Millionen Einträgen aus noch vorhandenen Kirchenbüchern und Personenstandsregistern im Großraum um Grevenbroich erstellt. So war die Vorstellung der Mitglieder im Arbeitskreis, die davon ausgingen, dass es sich um einen ehemaligen Grabstein vom Gustorfer Friedhof handelte. In den Millionen Einträgen wurde der Name „Litzkendorf“ jedoch nicht ein einziges Mal gefunden.

Das „Nichtvorhandensein“ irgendeiner Information, veranlasste die Mitglieder Heinz-Willi Herwagen, Manfred Kasper und Stefan Faßbender auf weitere Spurensuche zu gehen. Hierzu wurden sowohl nationale wie auch internationale Datenbanken durchsucht, um der Familie Wilke überhaupt irgendeine Information geben zu können.

Die erste Spur fand sich in den Geburtsregistern des Standesamtes Oschersleben.

Auszug aus der Geburtsurkunde von Theodor Litzkendorf.[1]

Oschersleben befindet sich im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt und ist ungefähr 450 km von Grevenbroich entfernt. Diese Entfernung zwischen Geburts- und Sterbeort ist für Ahnen- und Familienforscher nichts Außergewöhnliches, denn auch viele unsere Vorfahren mussten sich bereits sowohl den politischen als auch wirtschaftlichen Verhältnissen ihrer Zeit anpassen und durchaus auch einmal den Mittelpunkt ihres Lebens in andere Regionen verlegen.

Mit der Erforschung der eigenen Familie lässt sich in vielen Fällen durch die Angabe der Berufe in Urkunden auch eine regelrechte „Wanderbewegung“ der Vorfahren erkennen. Diese „Wanderungen“ waren der Weiterentwicklung der Industrialisierung und der Konzentration bestimmter Berufsgruppen auf einzelne Gebiete geschuldet. So kann man dies z. B. bei dem Beruf des Webers nachvollziehen, denn im 19. Jahrhundert konzentrierte sich dieser Berufsstand in unserer Gegend besonders im Raum Mönchengladbach. Mönchengladbach galt damals als das Zentrum der Baumwollindustrie in Westdeutschland und wurde als das „rheinisches Manchester“ bezeichnet. So lässt sich z. B. im Stammbaum von Stefan Faßbender nachweisen, dass die Vorfahren, die als Weber arbeiteten, vermutlich bedingt durch Arbeitssuche und fehlende öffentliche Verkehrsmittel, im Laufe der Jahrzehnte aus dem Bedburger Gebiet über Grevenbroich immer mehr in den Mönchengladbacher Raum übersiedelten.

Nach dem Fund der Geburtsurkunde stellte sich für die Ahnenforscher nun die Frage, wie sie eine Brücke nach Grevenbroich und insbesondere Gustorf darstellen können. Ein sogenannter Randvermerk über eine Heirat, den Tod oder Wegzug, welcher auf Grevenbroich hindeuten könnte, war auf der Urkunde nicht zu finden. Auch der Beruf des Vaters, Robert Litzkendorf, ein Schlosser, ergab zunächst keinen Hinweis darauf, dass es ein berufsbedingter Umzug in unsere Gegend gewesen sein konnte. Ebenso blieben die Recherchen im Stadtarchiv Grevenbroich, die von der Stadtarchivarin Frau Schulte intensiv unterstützt wurden, erfolglos.

Damit blieb nur noch die Möglichkeit, sich internationaler Datenbanken zu bedienen, um den Weg der Familie Litzkendorf von Oschersleben nach Grevenbroich nachvollziehen zu können. Die zunächst spontanen und nicht mit großer Hoffnung verbundenen Recherchen brachten jedoch nach kurzer Zeit den gewünschten Erfolg. Das Ergebnis war ziemlich erstaunlich und ungewöhnlich, denn die nächste Spur fand sich im holländischen Steenbergen.

Steenbergen liegt in der Provinz Noord-Brabant und grenzt an Zeeland und Zuid-Holland. Der Ort ist durch die Landwirtschaft (Viehzucht und Ackerbau) geprägt. Hier ist insbesondere der Anbau von Zuckerrüben zu nennen. Die Industrie spiegelt sich bedingt durch den Zuckerrübenanbau in einer großen, heute noch vorhandenen, Zuckerrübenfabrik wider.

Gemäß der oben gezeigten Bevölkerungsliste zog die Familie Litzkendorf am 27. April 1894 in die Gemeinde Steenbergen und verließ sie am 29. März 1897 wieder. Die Familie bestand aus folgenden Personen:

  1. Vater Robert Litzkendorf, *4. Februar 1857 in Hockeborn [richtig: Hakeborn], Mechaniker
  2. Mutter Maria Fausten, *13. März 1853 in Neuss
  3. Kind Robert Litzkendorf, *26. Juni 1880 in Bleckendorf
  4. Kind Otto Litzkendorf, *20. August 1885 in Egeln
  5. Kind Theodor Litzkendorf, *20. Februar 1888 in Oschersleben
  6. Kind Maria Litzkendorf, *10. Mai 1890 in Oschersleben

Nach weiteren Recherchen in den Niederlanden wurden die Familienforscher im „Wijkregister Steenbergen“ (Bezirksregister) fündig. Danach wohnte bereits 1889 ein R. Litzkendorf (vermutlich der Vater Robert Litzkendorf) schon mal in Steenbergen. Er war in Kade, ein Stadtteil von Steenbergen, in dem Haus Nr. A85 registriert. Eigentümer war die „Van Loon de Ram & Co.“, die gleichzeitig auch die Betreiberin der Zuckerrübenfabrik war.[2] Die erste Zuckerrübenfabrik wurde 1871 in Steenbergen gebaut.[3]

Bevölkerungsliste aus Steenbergen

Ob der Vater, Robert Litzkendorf, wirklich als Schlosser bzw. Mechaniker in der Zuckerrübenfabrik in Steenbergen beschäftigt war, lässt sich zurzeit nicht abschließend verifizieren. Die bisher gefundenen Hinweise lassen diese Vermutung jedoch zu. Eine andere Möglichkeit wäre auch, dass er als Monteur einer deutschen Firma immer wieder zu Reparatur- bzw. Bauarbeiten ins Ausland geschickt wurde. Dies würde zumindest erklären, warum die oben gezeigte Bevölkerungsliste lediglich den Zeitraum von 1894 bis 1897 darstellt und er bereits 1889 schon mal dort lebte. Der Beruf der weiteren oben aufgeführten Personen, Johann Sonneborn und Chr. J. Köcker, war ebenfalls Maschinist. Johann Sonneborn stammte aus Magdeburg und Chr. J. Köcke aus Schermcke bei Oschersleben. Der gemeinsame Wohnort in den Niederlanden als auch die Heimatstädte lassen die Vermutung zu, dass sie gemeinsam als Monteure nach Steenbergen kamen.

Eine Postkarte, die die Zuckerrübenfabrik in Steenbergen im Jahr 1903 darstellt, ist unter nachfolgendem Link zu finden. Aus rechtlichen Gründen darf diese hier nicht direkt abgebildet werden.

https://westbrabantsarchief.nl/collectie/beeldbank/detail/cec216c8-3fb4-44c6-98d2-c548f4dd7523/media/2840e79c-d495-4041-a0ce-0f0fa6b3bf58;

Die erste von Deutschen in Steenbergen gebaute Zuckerfabrik lässt sich erst im Jahr 1911 durch die Braunschweiger Maschinenbauanstalt[4] nachweisen. Im gleichen Jahr wurden von ihr auch die Zuckerfabriken in unserer Gegend – Dormagen, Jülich und Elsdorf – erbaut. Allerdings wurden von ihr und der Vorgängergesellschaft „Seele & Co.“ bereits bis zum Ende des Geschäftsjahres 1894/1895 insgesamt 71 Zuckerfabriken weltweit errichtet.[5] Ob die im Jahr 1871 erbaute Zuckerrübenfabrik in Steenbergen auch dazu gehört, bleibt zurzeit offen., wurde aber im niederländischen Archiv angefragt. Nach Auskunft des Vorstandes der heutigen BMA Braunschweiger Maschinenanstalt AG sind weder Bauunterlagen noch Personallisten aus der Zeit bis Ende des 19. Jahrhunderts vorhanden. Allerdings konnte bestätigt werden, dass seit den 1860er Jahren bereits ganze Zuckerrübenfabriken sowohl national und international gebaut wurden. Dazu wurden deutsche Monteure auch schon zur damaligen Zeit ins Ausland geschickt, was die oben geäußerten Vermutungen bestärken würde.

Noch interessanter war mit Neuss der Geburtsort der Mutter Maria Fausten, der nun auch den näheren Bezug zu Grevenbroich darstellte. Die Recherchen im Stadtarchiv Neuss führten zu folgenden Ergebnissen:

1) Anna Maria Fausten wurde am 13. März 1853 als Kind von Jacob Leonhard Fausten und Christina Henriette Cremer in Neuss geboren. Sie starb im Alter von 60 Jahren am 30. September 1913 in Neuss. Anzeigender des Sterbefalls war ihr Ehemann Robert Litzkendorf. Im Jahr 1913 lebten sie auf der Industriestraße 12. Eine Heiratsurkunde zwischen Robert Litzkendorf und Anna Maria Fausten wurde in den Standesamtsregistern Neuss leider nicht gefunden.

2) Robert Adolf Karl Litzkendorf, *28. Juni 1880 in Bleckendorf (Kreis Wanzleben), heiratete am 3. August 1908 Anna Maria Hüsgen im Standesamt Neuss.

3) Otto Leonhard Litzkendorf, *20. August 1885 in Egeln (Kreis Wanzleben), heiratete am 19. Juni 1908 Elisa Antonetta Schmitter im Standesamt Neuss.

4) Der oben auf dem Grabstein genannte Theodor Litzkendorf starb im Alter von nur 27 Jahren am 12. November 1915 in Neuss. Sein Tod wurde leider ohne Todesursache im Standesamt Neuss dokumentiert. In den Verlustlisten des Ersten Weltkriegs ist Theodor nicht genannt. Er war auch nicht verheiratet.

Auszug aus der Sterbeurkunde von Theodor Litzkendorf[6]

5) Über den Verbleib von Maria Litzkendorf, *10. Mai 1890 in Oschersleben (Landkreis Börde), kann zurzeit nichts berichtet werden. Allerdings war ihr richtiger Vorname laut Geburtsurkunde Elisabeth Minna Marie.

Um noch etwas mehr über diesen wohl sehr ungewöhnlichen Fall zu erfahren, möchte sich der Arbeitskreis Familienforschung im Geschichtsverein Grevenbroich und Umgebung e. V. nun an alle Grevenbroicher und Neusser Einwohner*innen wenden. Vielleicht gibt es noch Nachkommen aus den oben genannten Familien im Rhein-Kreis Neuss oder der näheren Umgebung und es können uns weitere Umstände zu dieser doch sehr ungewöhnlichen „Reise“ der Familie Litzkendorf berichtet werden.
Über eine Kontaktaufnahme, insbesondere im Namen der Familie Wilke, würde sich der Arbeitskreis Familienforschung sehr freuen. Eine selbstverständlich vertrauliche Kontaktaufnahme kann unter nachfolgender Mailanschrift erfolgen:
familienforschung-grevenbroich@t-online.de 

 

[1]             https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61713/images/48823_oschrlb%5Ea%5E1888-00081?treeid=&personid=&rc=&usePUB=true&_phsrc=uuJ391&_phstart=successSource&pId=1009

[2]              https://www.wijkregistersteenbergen.nl/index.php?do=go_search&keyword=Fabrieksdijk%202

[3]             https://www.wijkregistersteenbergen.nl/index.php?do=details&id=14

[4]              heute: BMA Braunschweiger Maschinenbauanstalt AG

[5]              http://www.albert-gieseler.de/dampf_de/firmen0/firmadet538.shtml

[6]             Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, R_PA_3103_22034_0140.jpg

Abschlussfahrten der Elfgener Schulklassen

Wohin gingen die Abschlussfahrten der Oberklassen in den 1920er und 1930er Jahre der Elfgener Kinder?

Heute war ich mal auf den Spuren der vielen Schulklassen unterwegs, die über Jahrzehnte den „mühsamen“ Aufstieg zum Drachenfels auf sich nehmen mussten.

Was heute für uns ein kleiner Tages- oder Wochenendausflug bedeutet, war in damaliger Zeit für viele Kinder sicherlich ein großes Abenteuer, wie den Einträgen der Elfgener Schulchronik zu entnehmen ist.

 

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 2, Sig. 215, S. 156

„22.7.26 Schulausflug zum Siebengebirge.

Die Oberklasse machte unter Führung der Lehrpersonen einen Schulausflug zum Siebengebirge. Von den 40

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 2, Sig. 215, S. 157

Kindern hatten nur etwa 5 den Rhein gesehen. In Köln waren 4 gewesen. Einen Berg gesehen oder gar erstiegen hatte kein Kind. Daraus ist ersichtlich, wie wertvoll für den Unterricht und auch für die Pflege der Heimatliebe solche größeren Ausflüge sind. Die Unkosten betrugen für jedes Kind etwa 3 Mark. Dafür konnte folgendes gesehen bez. erlebt werden: Eisenbahnfahrt nach Mehlem, dort bot sich ein Motorbootbesitzer an, für 30 Pfg. pro Kind eine einstündige Bootsfahrt auf dem Rhein zu machen. Die Fahrt ging bis Rolandseck um Nonnenwerth. In Königswinter an Land gesetzt, erstiegen wir den Drachenfels, ließen von der Höhe aus eine mitgenommene Brieftaube Grüße zur Heimat bringen und stiegen dann ab um den Petersberg als neues Ziel zu nehmen. Nachdem wir auch vom Petersberg aus, das rheinische Land bewundert hatten, ging es nach Heisterbach. Auf dem Rückwege nach Königswinter wurde eine angenehme Waldrast mit Stärkung gemacht. 3.14 brachte uns der Zug auf Köln zu, wo wir gegen 5 Uhr eintrafen.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 3, Sig. 216, S. 73

„Fahrt nach Stieldorf 25.9.29

Die Oberklasse machte eine Fahrt nach Stieldorf im Siebengebirge. Dort führt die Bevölkerung nach dem Muster von Oberammergau Passionsspiele auf. Abfahrt 6 Uhr in einem großen Auto. Fahrt über Köln (Stadtwald – Rehbestand) nach Bonn. (Poppelsdofer Schloß, Münster, Beethovendenkmal, Beethovenhaus, Universität, Simockdenkmal, Arndtdenkmal, Alter Zoll, Rheinbrücke). Das Auto wartete in Beuel und brachte uns dann nach Königswinter. (Ersteigung des Drachenfels) Dann Fahrt nach Stieldorf. Das Passionsspiel machte auf die Kinder einen tiefen Eindruck. Der Gewinn der Fahrt war groß. Wochenlang geben die Erlebnisse und Eindrücke den Konzentrationsstoff für den Unterricht ab. (Das) Der Preis für die Fahrt betrug 3 RM.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, Sig. 217, S. 108

„26.3.36 Fahrt der Oberklasse.

26 Kinder machten zum Schluß des Schuljahres eine Omnibusfahrt an den Rhein. 2 Stunden verweilten wir im Kölner Flughafen, wo uns große Verkehrsflugzeuge gezeigt wurden. Wir lernten die Steuerung eines Flugzeuges kennen und sahen Übungen einer Kampfstaffel. Gegen Mittag erstiegen wir den Drachenfels, machten eine einstündige Bootsfahrt auf dem Rhein von Königswinter aus um Nonnenwerth, besichtigten auf der Heimfahrt die Obstanlage Schmitz – Hübsch in Merten und lauschten von 17 – 18 ½ Uhr dem Kölner Hänneschen.“

Da in den Schulchroniken dazu leider kein Bildmaterial vorhanden ist, führte mich ein Ausflug an diesen geschichtsträchtigen Ort, wo sicherlich Tausende von Schülern von ihren Lehrern „hochgetrieben“ wurden.

Drachenfels, Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

Drachenfels. Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

Drachenfels. Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

Drachenfels. Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

Und wer einmal dort ist, sollte unbedingt die Ausstellung der Konrad-Adenauer-Stiftung als auch das Wohnhaus unseres ersten Bundeskanzlers besichtigen. Der Besuch ist sehr empfehlenswert.

Ausstellung Konrad-Adenauer-Stiftung, Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

Ausstellung Konrad-Adenauer-Stiftung, Anstellungsurkunde Oberbürgermeister, Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

Wohnzimmer Konrad Adenauer Haus, Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

In dem Wohnzimmer weilte auch schon Charles de Gaulle. Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

Wohnhaus Konrad Adenauer, Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

Der Stammbaum von Carl Oberbach.

Carl Joseph Hubert Oberbach, wie er eigentlich richtig hieß, wurde am 3. August 1869 in Grevenbroich geboren. Er starb am 29. April 1939 ebenfalls in Grevenbroich. Ihm hat die Stadt Grevenbroich unzählige Zeichnungen und Bilder historischer Stadtansichten zu verdanken. Sein Leben wird ausführlich in dem u. a. Buch anhand seiner selbst geschriebenen Chronik dargestellt und ist sehr empfehlenswert, da die Chronik nicht nur familieninterne Vorkommnisse beschreibt, sondern auch lokale und nationale Ereignisse reflektiert.

(Bitte auf das Bild klicken, dann öffnet sich ein weiteres Fenster in dem der Stammbau vergrößert werden kann!)

Inspiriert durch eine Anfrage einer Ahnenforscherin aus dem Ruhrgebiet, die auf der Suche nach noch lebenden Nachkommen der Familie Oberbach war, habe ich mich auf die Suche nach diesen gemacht. Mit Hilfe von Ulrike und Bernhard Oberbach konnte ich einen direkten Nachkommen von Carl Joseph Hubert Oberbach im Raum Bergisch Gladbach ausfindig machen und einen Kontakt der beiden Personen herstellen. Die Familie Ulrike und Bernhard Oberbach kannte jedoch keinerlei Verwandtschaftsverhältnis zu Carl Joseph Hubert Oberbach, da sie selbst über einen eigenen, sehr umfangreichen Stammbaum verfügt und noch nie eine Verbindung feststellen konnte.

Um das u. a. Buch zu ergänzen und allen “Carl Oberbach Freunden” bzw. Namensverwandten eine kleine Freude zu machen, wurde der Stammbaum von Carl Joseph Hubert Oberbach erstellt. Vielleicht findet der ein oder andere ja auch ein Verwandtschaftsverhältnis zu der dargestellten Familie Oberbach.

Weitere Nachforschungen können jederzeit in der monatlichen familiengenealogischen Sprechstunde (in Grevenbroich an jedem 1. Donnerstag im Monat) des Arbeitskreis Familienforschung betrieben werden.

Durch einen Abgleich der Stammbäume – der Familie Ulrike und Bernhard Oberbach und dem dargestellten Carl Joseph Hubert Oberbach – konnte mittlerweile auch eine Verbindung herausgefunden werden. Der erste gemeinsame Urahn findet sich drei Generationen weiter zurück in der Person von Jakob Oberbach (gelbes Feld).

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich.

Ein Gedenkkreuz in der Gemeinde Kreuzweingarten bei Euskirchen

Warum berichtet der Geschichtsverein Grevenbroich über ein Wegekreuz in Kreuzweingarten?

Weil sich dahinter eine spannende, aber auch traurige Geschichte verbirgt.

Als unser Mitglied Stefan Faßbender, Familien- und Heimatforscher im Arbeitskreis Familienforschung, im Jahr 2021 bei der Transkription aller Elfgener Schulchroniken von 1873 bis 1950 auf einen Sterbeeintrag stieß, wuchs in ihm der Gedanke, das Leben und die Geschichte des verstorbenen Philipp Repper in einer Kurzbiografie darzustellen.

Philipp Repper wurde am 21. Juli 1891 als Sohn von Johann Repper und Maria Catharina Böling in Elfgen geboren. Seine Taufe fand am 26. Juli 1891 in der Pfarrkirche St. Georg zu Elfgen statt.

Geburtsurkunde von Philipp Repper, © Stadtarchiv Grevenbroich

In welchem Jahr Philipp eingeschult wurde, lässt sich nicht genau feststellen, da zum Ende der 1890er Jahre in den Elfgener Schulchroniken darüber noch keine namentlichen Aufstellungen geführt wurden. Vermutlich startete seine schulische Laufbahn um 1897/1898 in der zweiklassigen Volksschule in Elfgen.

Am 10. April 1904 war er einer der 14 Schüler*innen aus Elfgen, der am Weißen Sonntag in Elfgen zur ersten heiligen Kommunion ging. Bereits ein Jahr später, am 27. März 1905, wurde Philipp Repper aus der Schule entlassen. Die Entlassungsprüfung legte er vor dem Pfarrer Mainz ab. Er wurde dafür mit folgenden Schulleistungen belohnt:

– Betragen: befriedigend, – Fleiß: befriedigend, – Kenntnisse: befriedigend

Der nächste Eintrag in den Schulchroniken Elfgen findet sich im Jahr 1914. „Repper Philipp aus Elfgen, Dragoner im Dragoner-Regiment Nr. 7 hat am 14. Oktober 1914 das Eiserne Kreuz erhalten.“ Bei Dragonern handelt sich um eine berittene Infanterieeinheit, die ihre Pferde zum Transport, aber nicht im Kampf verwendeten. Vermutlich handelte es sich um das „Westfälische Dragoner Regiment Nr. 7“, welches 1917 in das „Dragoner-Regiment General-Feldmarschall Prinz Leopold von Bayern (Westfälisches) Nr. 7“ umbenannt wurde. Ein Hinweis, wofür Philipp Repper das Eiserne Kreuz verliehen wurde, ist zurzeit leider nicht zu finden.

Am 28. Dezember 1917 heiratete der „Gefreite beim Stab der 113. Infanterie Division Fuhrknecht“ Philipp Repper die Maria Gertrud Schiffer (*26. Oktober 1891) aus Elfgen. Die 113. Infanterie Division war ein Großverband in der Preußischen Armee, welcher 1915 bei Sedan zusammengestellt wurde und ausschließlich an der Westfront eingesetzt wurde.

Heiratsurkunde von Philipp Repper und Maria Gertrud Schiffer, © Stadtarchiv Grevenbroich

Aus dieser Ehe gingen folgende Kinder hervor, die aus sehr vielen verschiedenen Quellen ermittelt werden konnten. Aus Datenschutzgründen wird hierbei allerdings auf die Nennung der Vornamen verzichtet.

1) „Weiblich“ Repper (Zwilling), *17. August 1918

2) „Weiblich“ Repper (Zwilling), *17. August 1918

3) „Weiblich“ Repper, *6. Dezember 1919

4) „Männlich“ Repper, *21. Oktober 1921

5) „Männlich“ Repper, *18. November 1924

6) Wilhelm Repper, *30. August 1926, +21. Dezember 1927

7) „Weiblich“ Repper, *16. Februar 1928

Am 12. Juli 1931 kam es dann zu dem tragischen Tod von Philipp Repper in Kreuzweingarten bei Euskirchen. Der Eintrag in der Elfgener Schulchronik wird nachfolgend parallel zur Transkription dargestellt, um ein problemloses Lesen zu ermöglichen.

Eintrag Schulchronik Elfgen zum Tod von Philipp Repper, © Stadtarchiv Grevenbroich
Sterbeurkunde von Philipp Repper, © Stadtarchiv Mechernich

Dank des Stadtarchivs Euskirchen, welches sich interessiert, kompetent und ebenso begeisterungsfähig um eine Recherche in ihren Archiven kümmerte, konnte ein Artikel aus der Euskirchener Zeitung vom 13. Juli 1931 gefunden werden, der den tragischen Tod von Philipp Repper beschreibt. Weitere Unterlagen sind dort leider nicht zu finden.

Artikel in der Euskirchener Zeitung, © Stadtarchiv Euskirchen

Wie oben erwähnt, war die Ehefrau von Philipp Repper bei dem Tod mit dem 7. bzw. 8. Kind gesegnet. Dieses weibliche Kind wurde leider am 18. November 1931 tot geboren und hat daher auch keinen Namen erhalten.

Sterbeurkunde von dem totgeborenen Mädchen, © Stadtarchiv Grevenbroich

Wie sehr dieser tragische Tod das Elfgener Dorf erschüttert hat, lässt sich aus den nächsten Eintragungen der Elfgener Schulchronik entnehmen, denn auch 1931 war es nicht üblich für jeden Verstorbenen ein Wegekreuz errichten zu lassen und dieses anschließend auch noch zu besuchen.

„24.4.32               Aufstellung eines Gedenkkreuzes in Kreuzweingarten.

Der Schreiber besuchte mit dem Vorsitzer des Kriegervereins, Adam Breiden, den Pfarrer von Kreuzweingarten. Es soll an der Stelle, wo unser Philipp Repper am 12.7.31 plötzlich verschied, ein Gedenkkreuz errichtet werden. Wir gaben ein Eisenkreuz in Auftrag mit der Inschrift: Hier verschied plötzlich Philipp Repper aus Elfgen am 12.7.1931. Betet für seine Seele! Kriegerverein Elfgen.“

 „10.7.32               Eifelfahrt des Kriegervereins

unter Führung des Schreibers in 2 Omnibussen mit 38 Teilnehmern, die erste Pause war in Kreuzweingarten mit Besuch der hl. Messe für den im vergangenen Jahre plötzlich verstorbenen Philipp Repper. Danach stiegen wir die Höhe hinauf und besuchten das Gedenkkreuz. Nach dem Kaffeetrinken im Jugendheim besuchten wir noch Münstereifel, die Erftquelle, Blankenheim mit Ahrquelle. Die Mittagsrast war in Altenahr, danach Wanderung über den Ahrweg nach Mayschoß. Dann Fahrt bis Ahrweiler zu einer letzten Weinprobe. Gegen 19 Uhr waren wir am Rhein und unternahmen eine Bootsfahrt um Nonnenwerth nach Mehlem. Gegen 23 Uhr gelangten wir zu Hause an. Solche Fahrten sind eine Erholung und Erfrischung für unsere, das Jahr hindurch schwer schaffenden Landleute. Fahrpreis 4,30 RM.“

Gedenkkreuz in Kreuzweingarten, © Stadtarchiv Grevenbroich

Inschrift: „Plötzlich starb hier Philipp Repper aus Elfgen am 12.7.1931. Betet für seine Seele.“

Trotz intensiver Recherchen durch Frau Dünnwald vom Stadtarchiv Euskirchen und Forschern des dortigen Heimatvereines ist der Standort des Kreuzes nicht mehr aufzufinden. Vermutlich ist dieses schon seit langer Zeit nicht mehr vorhanden, denn niemand aus Kreuzweingarten kann sich an das Kreuz bzw. dessen Standort erinnern.

Leider ist es uns bisher auch nicht gelungen, ein Bild von Philipp Repper zu finden. Ein Bild von ihm würde diese Kurzbiographie wunderbar ergänzen. Sollte sich eine Grevenbroicher Familie in diesem Beitrag wiederfinden oder die Familie Repper kennen, würde sich der Geschichtsverein Grevenbroich über eine Kontaktaufnahme sehr freuen. Diese Biographie könnte so noch um weitere Informationen bzw. um ein Bild ergänzt werden.

Wir vom Geschichtsverein Grevenbroich und insbesondere unser Heimatforscher Stefan Faßbender möchten uns herzlichst bei den Stadtarchiven Euskirchen, Mechernich, Grevenbroich und allen weiteren Beteiligten für die intensive und uneingeschränkte Unterstützung bei der Erstellung dieser kurzen Biografie eines Elfgener Bürgers bedanken. Selbstverständlich werden den Stadtarchiven Euskirchen und Mechernich alle Informationen, Daten, Bilder etc. zur Verfügung gestellt, da es sich ja auch um ein Stück Heimatgeschichte von Kreuzweingarten handelt.

Grevenbroich – Der Zweite Weltkrieg in Auszügen aus den Schulchroniken

Es ist so weit!

Das Buch „Grevenbroich – Der Zweite Weltkrieg in Auszügen aus den Schulchroniken“ ist ab sofort erhältlich.
 
Ihr bekommt das Buch über den Geschichtsverein Grevenbroich, die Mayersche in Grevenbroich und die Genussfaktur in Wevelinghoven. Das Stadtarchiv Grevenbroich und das Museum in Grevenbroich werden es in den nächsten Tagen auch vorrätig haben.
 
Wir wünschen euch interessante und aufschlussreiche Momente beim Lesen und freuen uns schon jetzt auf eure Reaktionen.

1. April 1874 – der Jüchener Friedensrichter erschießt einen Verwandten

„Am 1. April erschießt der Friedensrichter Dahmen von Jüchen in Jüchen einen Verwandten, Köllges mit Namen.“ (StA Grevenbroich: Best GV 12, Schulchronik Elfgen, Band 1, Nr. 214, S. 44)

Dieser Zufallsfund hat unseren Heimatforscher Stefan Faßbender dazu bewegt, etwas mehr über diese Tat und Friedensgerichte im Allgemeinen herauszufinden. Hierbei gilt ein besonderer Dank an Michael Salmann, ebenfalls Mitglied im Geschichtsverein GV und ein ausgesprochener „Jüchen-Experte“, der sowohl beim Zusammentragen der biographischen Daten als auch mit den Zeitungsartikeln große Hilfestellung leistete.

Das Friedensgericht:

Friedensgerichte gehen auf die Zeit der französischen Besetzung des linksrheinischen Rheinlandes zurück. Bereits 1794 wurde die französische Gerichtsbarkeit auf das Gebiet des Rheinlandes übertragen. Mit einer Neuorganisation im Jahre 1798 wurden alle bisherigen Gerichte aufgehoben und eine neue Gerichtsverfassung geschaffen. Wesentliche Aspekte dieser Neuordnung waren folgende Grundsätze:

  • Trennung der Verwaltung von der Justiz
  • vor dem Gesetz sind alle Bürger gleich
  • Gerichtsverhandlungen und die Urteilverkündigungen sind öffentlich
  • die französische Sprache ist die Gerichtssprache

Ein Teil dieser französischen Gerichtsbarkeit waren die Friedensgerichte. Sie waren sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen zuständig. Hierzu wurden mehrere Bürgermeistereien (Mairien) zu Verwaltungs- und Gerichtsbezirken (Kantone) zusammengefasst. Somit gab es in jedem Kanton einen Friedensrichter, der eher die Aufgabe hatte, zu vermitteln und zu schlichten als zu urteilen, also die Beilegung von Streitigkeiten im täglichen Leben durch einen versöhnlichen Ansatz. In Strafsachen waren ihre Befugnisse daher auf Polizeivergehen von geringerer Art beschränkt, die höchstens mit einer Freiheitsstrafe von drei Tagen zu ahnden waren.

Der Friedensrichter Dahmen:

Der Jüchener Friedensrichter Carl Philipp Theodor Hubert Dahmen wurde am 9. Januar 1806 in Jülich als Sohn des Kaufmanns Johann Dahmen und seiner Frau Franziska Horneth geboren. Er war mit Amalia Helena Merkens verheiratet, die bereits am 29. Januar 1869 in Jüchen starb. Der Friedensrichter Dahmen starb am 17. Februar 1880 in Jülich. Zeuge war der „Rechtsconsultant“ Otto Dahmen.

Die Tat:

Am Samstag, den 4. April 1874 war folgender Artikel in der Neusser Zeitung zu lesen: „Jüchen, 30. März. Ein erschütternder Vorfall hat unsern stillen Ort in die größte Bestürzung versetzt. Der Sohn des hiesigen schon bejahrten und durchaus geachteten Friedensrichters lebte in Uneinigkeit mit seinem Schwager, der allgemein als ein Mann von heftiger Gemüthsart geschildert wird. In dem Hause des Sohnes, wo auch der Vater (der Friedensrichter) gerade anwesend war, entspann sich ein heftiger Wortwechsel zwischen dem Sohne und seinem Schwager, wobei unverhofft der Letztere einen Revolver hervorzog und auf seinen Gegner anlegte. Da sprang der alte Vater, ebenfalls mit einer Schußwaffe versehen, dem Sohne zur Hülfe, schoß ab und traf den Andern so unglücklich, daß er tödtlich getroffen niedersank und gleich verendete. Der Thäter, welcher vorgibt, sich im Falle der Nothwehr befunden zu haben, hat sich bereits freiwillig bei der Staatsanwaltschaft gestellt.“

Bereits am Mittwoch, den 8. April 1874 war ebenfalls in der Neusser Zeitung folgende Korrektur zu finden: „§ Jüchen, 3. April. Ueber den bereits erwähnten Vorfall in der Familie des hiesigen Friedensrichters geht uns ein zweiter Bericht zu, welchen wir zur Ergänzung resp. Berichtigung unseres ersten hier folgen lassen: Vorgestern begab sich hier in Folge der Trunksucht ein beklagenswerthes Unglück. Ein dem Trunke ergebener junger Mann, Köllges mit Namen, hatte sich gegen seine Eltern derart betragen, daß sie bei hiesigen Verwandten im Hause des Friedensrichters Dahmen Schutz suchten, wohin sie der Wütherich verfolgte. Kaum vermochte der Polizeidiener und mehrere starke Männer dieselben vor Mißhandlungen zu schützen. Um so gefährlicher war der Angreifer, weil er mit einem Doppelpistol [Pistol = veraltet für Pistole] bewaffnet war. Nachdem er von seinen Eltern abgelassen hatte, griff er unsern Friedensrichter an, der sich aber zurückzog und eben das Haus verlassen wollte, sich aber mit einem Terzerol [= kleine Vorderladerpistole] versehen hatte, als der Wüthende auf ihn eindrang. Der Herr Richter, immer noch zurückweichend, mahnte vom Angriff ab, indem er erklärte, bewaffnet zu sein – worauf K. zu seiner Waffe griff, der zur Nothwehr gedrängte Herr Richter aber das Schlimmste nicht abwartete, sondern den Störenfried niederschoß. Der Schuß durchdrang die Brust, und liegt der Getroffene schwer darnieder. Man fürchtet für sein Leben.“

Wie nahe Heinrich Köllges dem Tod stand, zeigt seine Sterbeurkunde aus dem Standesamtsregister Jüchen, Nr. 31/1874, denn er starb am 15. April 1874. Bemerkenswert und erwähnenswert dürfte hierbei aber ebenso Otto Dahmen, Schwager des Verstorbenen und Sohn des Täters als erster Deklarant sein.

Die Gladbacher Zeitung vom Dienstag des 21. April 1874 berichtet wie folgt:

Bereits drei Monate später wurde der Fall vor dem Düsseldorfer Schwurgericht verhandelt. Die Deutsche Reichs-Zeitung vom Donnerstag, den 23. Juli 1874, würdigte dieser Tat und dem Urteil nur wenige Zeilen ohne auf weitgehende Details einzugehen.

Die Kölnische Zeitung, das Solinger Kreis-Intelligenzblatt [Intelligenzblatt = amtliches Mitteilungsblatt nach englischem Vorbild], das Rheinische Volksblatt sowie die Rhein- und Ruhrzeitung berichteten aber sehr umfangreich und ausführlich über den Prozess und die Tat. Diese sind allerdings bis auf kleinere Bemerkungen alle identisch. (Markante Textstellen wurden vom Autor gekennzeichnet.)

„Düsseldorf, 19. Juli. (Ein ungerathender Sohn von einem Friedensrichter erschossen.) Bekanntlich ereignete sich vor Kurzem eine solche Mordgeschichte in Jüchen bei Grevenbroich. Dieser Fall gestern vor den hiesigen Assisen [= Schwurgericht] zur Verhandlung, und berichtet die „D.B.“ darüber: Der Angeklagte war der Friedensrichter zu Jüchen, 68 Jahre alt. Der Getödtete war der (etwa 24jährige) Ackerer Heinrich Köllges aus Hoppers, der nach gegenwärtiger Erziehungsmethode schon als Kind mit seinem Herrn Vater die Wirthshäuser besuchte, wo dieser denn von seinem hoffungsvollen Sohne rühmte, wie er „schon so viel vertragen könne und so stark sei.“ Heinrich war 11 Jahre alt, als er schon „Stärke“ fühlte und gegen seinen Lehrer anging. Als der Lehrer dem Vater dieses sagte, wurde derselbe grob. Heinrich wurde später Soldat und verbrauchte natürlich viel Geld, diente auch dafür 6 Monate länger, d. h. auf Festung, wegen eines Insubordinationsvergehens [= Verweigerung des Gehorsams gegen militärischen Vorgesetzten]. Im Januar d. J. kam er zurück. Angangs ging Alles gut, dann forderte er immer viel Geld, trank den Branntwein aus Milchtöpfen und ritt zu seinem Vergnügen mit dem Pferde in die Stube. Besondere Liebhaberei hatte er am Schießen. Er schoß mit einem Pistol ganze Nächte lang auf dem Hofe zuletzt in der Stube, und als er eines Tages von Odenkirchen zurückkam, sagte er nach dem Essen: „Adieu Vater, adieu Mutter!“ ging auf sein Schlafzimmer und feuerte zweimal ein Pistol ab. Dann kam er in die Stube zurück, feuerte aus einem Nebenzimmer einen Schuß über die Köpfe seiner Eltern ab, daß 30 Schrotkörner in die Zimmerdecke drangen. Die Eltern flüchteten sich nun voll Angst zu ihrer Tochter nach Jüchen, die dort an Otto Dahmen, den Sohn des Friedensrichters, verheirathet ist. Am andern Morgen, den 31. März, begab sich der alte Köllges mit seinem Schwager nach dem Bürgermeister von Jüchen, um mit diesem zu überlegen, was gegen das wüste Betragen seines Sohnes zu thun sein und bat ihn, denselben zu sich kommen zu lassen, um ihm sein rüdes Betragen vorzuhalten, forderte auch zugleich den Bürgermeister auf, einen Revolver neben sich zu legen und wenn der Junge einen Schritt auf ihn zumache, ihn nieder zu schießen, der Vater würde darüber nicht böse sein. Heinrich Köllges sagte an diesem Morgen zu seinem Nachbar Blankertz, dieser möge mit ihm nach Jüchen fahren, er wolle seine Eltern wieder holen.

In Jüchen angekommen, ging Heinrich in das Haus seines Schwagers und fand seinen Vater in der Stube sitzen. Er ging auf diesen zu, riß ihm die Pfeife aus dem Munde mit den Worten: „Die Pfeife gehört mir.“ Der alte Köllges erwiderte: „Noch gehört sie mir; wenn ich nicht mehr bin, dann sollst du sie erben.“ Auf die Ermahnung des Blankertz gab er seinem Vater die Pfeife zurück und fragte nach seiner Mutter. Auf die Antwort des Vaters, die Mutter sei nicht zu Hause, sagte der Junge: „Ich weiß, wo sie ist, sie ist oben“, ging dann die Treppe hinauf und fand seine Mutter auf einem Zimmer. Weil diese ahnte, er habe wieder ein Pistol in der Tasche, so war sie bemüht, ihm dasselbe abzunehmen und wurde darin von mehreren anderen Personen, jedoch ohne Erfolg unterstützt, weil er so stark gewesen sein soll, daß ihn 3 bis 4 Männer nicht zu überwältigen vermochten. Der Friedensrichter, der bei seinem Sohne im Hause wohnte, war mittlerweile zur Polizei gegangen, fand diese jedoch nicht. Nachdem an den jungen Köllges oben wieder frei gelassen, ging derselbe in die Küche, wo der eben angekommene Polizeidiener anwesend war, der zu ihm sagte: „Herr Köllges, bedenken Sie doch, daß Sie sich im Hause Ihrer Verwandten befinden, betragen Sie sich ordentlich!“ Köllges faßte hierauf den Beamten an, und als ihm der alte Friedensrichter zurief: „Heinrich, vergreife Dich nicht an der Polizei!“ lief er auf diesen zu. Der Friedensrichter ging auf den Hof, wohin auch Köllges und einige andere Personen nachfolgten, welche hiernochmals mit ihm rangen, um ihm das Pistol abzunehmen. Dieses hatte ihm aber vorher, ohne daß es Jemand gemerkt hatte, der Polizeidiener aus der Tasche genommen. Jetzt ging Heinrich wieder auf den Friedensrichter los, der ihm einen Revolver entgegenhielt und rief: „Heinrich bleib zurück oder ich schieße!“ Heinrich drehte sich um, lachte höhnisch und griff in die Tasche. In diesem Augenblick feuerte der Friedensrichter, Heinrich schlug die Hände über die Brust und fiel. Man trug ihn nach Hause und am 15. April starb er. Bei der Obduction fand man die Kugel in der Brusthöhle. Während seiner Krankheit scheint doch ein milderer Sinn über ihn gekommen zu sein, denn er äußerte, er müsse sterben, aber er vergebe dem Friedensrichter; es könne möglich sein, daß dieser in seinem Rechte gehandelt habe. Bei seiner gerichtlichen Vernehmung auf dem Sterbebette sprach er auch den Wunsch aus, der Friedensrichter möge nicht zur Bestrafung gezogen werden. Nach vollbrachter That stellte sich der Friedensrichter Dahmen der Behörde, doch war es wohl im Voraus abzusehen, daß nach Lage der Sache die Freisprechung erfolgen müsse. Die Geschworenen nahmen denn auch an, daß der Friedensrichter sich im Stande der Nothwehr befunden habe, und erklärten ihn für nichtschuldig.“

Literatur:

  • Bergische Zeitung: Ausgabe Nr. 43 vom 14. April 1874
  • Deutsche Reichs-Zeitung: Ausgabe Nr. 99 vom 11. April 1874
  • Deutsche Reichs-Zeitung: Ausgabe Nr. 200 vom 23. Juli 1874
  • Echo der Gegenwart: Ausgabe Nr. 87 vom 9. April 1874
  • Gladbacher Volkszeitung: Ausgabe Nr. 43 vom 21. April 1874
  • Gladbacher Zeitung: Ausgabe Nr. 39 vom 11. April 1874
  • Kölnische Zeitung: Ausgabe Nr. 203 vom 24. Juli 1874
  • Neusser Zeitung: Ausgabe Nr. 75 vom 4. April 1874
  • Neusser Zeitung: Ausgabe Nr. 77 vom 8. April 1874
  • Neusser Zeitung: Ausgabe Nr. 85 vom 17. April 1874
  • Portal Rheinische Geschichte: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Epochen/1794-bis-1815—aufbruch-in-die-moderne.-die-%22franzosenzeit%22/DE-2086/lido/57ab23d29508f8.06009224, Abruf am 29. August 2022
  • Ratinger Zeitung: Ausgabe Nr. 58 vom 22. Juli 1874
  • Rheinisches Volksblatt: Ausgabe Nr. 87 vom 28. Juli 1874
  • Rhein- und Ruhrzeitung: Ausgabe Nr. 168 vom 22. Juli 1874
  • Solinger Kreis-Intelligenzblatt: Ausgabe Nr. 87 vom 24. Juli 1874
  • Solinger Zeitung: Ausgabe Nr. 41 vom 8. April 1874
  • Solinger Zeitung: Ausgabe Nr. 43 vom 13. April 1874
  • Solinger Zeitung: Ausgabe Nr. 85 vom 22. Juli 1874
  • Strauch, Dieter: Rheinische Gerichte Einst und Jetzt, 2019, https://kups.ub.uni-koeln.de/10191/2/01JohlenVortragGaram.pdf, Abruf am 29. August 2022