Grevenbroich an Heiligabend im Jahr 1944

Die Besatzungen der britischen Bomberflotte wurden aus allen Teilen des Commonwealth rekrutiert. So flogen z. B. neuseeländische Soldaten ihre Einsätze 18.000 km von ihrer Heimat entfernt über Deutschland.

Am 24. Dezember 1944 flog die Royal Air Force mit 104 Bombern einen strategischen Angriff auf den Flugplatz Bonn/Hangelar. Unter den vom britischen Flugplatz in Mildenhall gestarteten Maschinen war auch die Avro Lancaster Mk1 – NF 915 der 622 Squadron. Zur siebenköpfigen Besatzung gehörten u. a. der 29-jährige Neuseeländer Grant Wallace Browne, der 34-jährige Schotte Thomas Durward Mitchell sowie die beiden Kanadier William Paterson (27) und Robert Nelson Perdue (26).

Quelle: Royal Canadian Air Force History and Heritage Command; Astra, ON; RCAF Crash Cards 1939-1945

Sicher waren sie in Gedanken bei ihren Lieben, als sie am frühen Nachmittag des Heiligabends zu ihrem Einsatz aufbrachen. Dabei dürften die Gedanken der bunt zusammengewürfelten Besatzung sehr unterschiedlich gewesen sein. Denn in Neuseeland feierte die Familie von Browne Weihnachten für gewöhnlich bei 25 °C am Strand von Auckland. Während die Familien in Kanada bei Schnee und eisigen Temperaturen die Festtage vor dem lodernden Kamin verbrachten. Doch so unterschiedlich die Erinnerungen der jungen Männer an die Feiertage vermutlich auch waren, so einte sie doch der innige Wunsch, bald wieder zu ihren Familien zurückzukehren. Leider blieb den vier o. g. Besatzungsmitgliedern dieser Wunsch unerfüllt, als ein deutscher Nachtjäger mit dem Hauptmann Werner Baake an Bord die Lancaster abschoss.

Quelle: Royal Canadian Air Force History and Heritage Command; Astra, ON; RCAF Crash Cards 1939-1945

Der viermotorige Bomber stürzte auf einem Feld unweit der heutigen Südstadt ab.

© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 1940, erstellt mit tim-online.nrw.de

Ein Zeitzeuge schilderte die Situation an Heiligabend so: „Am Heiligabend 1944 gegen 19:30 Uhr sah ich aus südöstlicher Richtung ein in Flammen gehülltes viermotoriges Flugzeug. Einige Soldaten konnten sich noch mit dem Fallschirm retten, bevor der Bomber auf dem Feld aufprallte und sofort explodierte. Das Wrack brannte 10 Stunden lang. Ich war einer der Ersten am Unfallort und half zwei Leichen aus dem brennenden Flugzeug zu bergen. Auf der Schulter der einen Leiche war der Schriftzug „New Zealand“ zu lesen, von der anderen war nur noch die untere Hälfte des Rumpfes übrig.“

Normalerweise wurden alle Wrackteile sofort zu einem Sammelplatz im Erftwerk gebracht, um dort eingeschmolzen zu werden und so neues Aluminium für die Kriegsproduktion zu gewinnen. Das tief im Boden liegende Wrack wurde jedoch trotz seiner Nähe zum Erftwerk nicht abtransportiert, sondern mit mehreren Lkw-Ladungen Erde zugeschüttet. Erst auf Anordnung der britischen Militärregierung wurde das Wrack im August 1946 wieder freigelegt und geborgen.

Unmittelbar nach dem Absturz wurden die verkohlten Überreste von vier Leichen gefunden, die zwei Tage später ohne Särge zusammen in den Gräbern 76 und 77 auf dem Grevenbroicher Friedhof beigesetzt wurden. Bis zu ihrer Exhumierung im Jahr 1949 erinnerten lediglich zwei Kreuze mit der Ausschrift „Unbekannter Engl. Flieger“ an die vier Soldaten, die ihr Leben Heiligabend 1944 in Grevenbroich verloren hatten.

Quelle: Arolsen-Archives, ITS_5.3.5 6.31_101103737

Heute befinden sich Ihre Gräber auf dem britischen Soldatenfriedhof im Reichswald bei Kleve, wo sie mit mehr als 7.650 weiteren Kameraden ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.

© Christian Kandzorra
© Christian Kandzorra

Die übrigen Besatzungsmitglieder, welche sich mit dem Fallschirm retten konnten, gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft, wo sie das Kriegsende herbeisehnten.

© Christian Kandzorra

Heute, 79 Jahre später, erleben wieder unzählige Familien auf der ganzen Welt Weihnachten im Krieg, auf der Flucht oder in Gefangenschaft. Wieder sind viele Familien Tausende von Kilometern voneinander entfernt und wieder hoffen sie, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Und wieder wird dieser Wunsch nicht für alle in Erfüllung gehen.

© Christian Kandzorra

Das Netzwerk Kriegstote möchte mit den Schicksalen der vier britischen Soldaten an die Schrecken des Krieges erinnern und deutlich machen, wie wertvoll ein friedliches Weihnachtsfest im Kreise der Familie ist.

© Christian Kandzorra

Stefan Rosellen und Stefan Faßbender für das Netzwerk Kriegstote, 2023

Ein Gedanke zu „Grevenbroich an Heiligabend im Jahr 1944“

  1. Hallo Stefan und Stefan,
    ich danke Euch für diesen bewegenden Bericht über das Schicksal der Besatzung der Avro Lancaster Mk1 – NF 915, die am Heiligabend 1944 abgeschossen wurde. Es ist wichtig, an die Opfer des Krieges zu erinnern, die ihr Leben für die Freiheit und den Frieden der Welt gegeben haben. Die Geschichte dieser mutigen Männer aus verschiedenen Teilen des Commonwealth zeigt, wie eng die Verbundenheit zwischen den Ländern war, die gegen das nationalsozialistische Regime kämpften. Es ist auch erschütternd, wie sie an einem Tag, der für viele Menschen ein Fest der Liebe und der Familie ist, ihr Leben verloren haben. Ich bin beeindruckt von dem Zeugnis des Augenzeugen, der die dramatischen Ereignisse schildert und den Toten die letzte Ehre erwies. Ich finde es auch bemerkenswert, dass das Wrack erst zwei Jahre nach dem Absturz geborgen wurde, was zeigt, wie lange die Spuren des Krieges noch sichtbar waren. Ich Danke euch nochmals für diesen interessanten und wie immer akribisch recherchierten Bericht, der ein Stück der Geschichte von Grevenbroich wieder lebendig macht. Leider wiederholen sich bestimmte Ereignisse in der Geschichte immer wieder! Die Menschen lernen nur nichts daraus. Heinrich Mindt.

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