Der 25. Juli 1917 –

Ein Unglückstag im Grevenbroicher Erftwerk oder

Wie ein Teil eines alten Fotobestandes im Stadtarchiv historisch neu eingeordnet werden kann.

© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 4, Nr. 021 – Umformerhaus nach Fertigstellung

Manchmal führen auch Sterbeurkunden aus dem Stadtarchiv zu einer interessanten aber auch gleichzeitig traurigen „Stadtgeschichte“, die heute vorgestellt wird.

Viele Grevenbroicher Bürger kennen das Erftwerk oder haben sogar über Generationen hinweg dort gearbeitet. Es wurde aufgrund der Aluminiumknappheit im Ersten Weltkrieg gebaut. Im Spätsommer 1916 schlossen sich daher das RWE, die Firma Gebrüder Giulini und das Deutsche Reich zu einem Syndikat zusammen, um in Allrath (das Gelände gehört zur Gemarkung Allrath) zwischen der B 59 und der Bahnlinie Köln – Mönchengladbach auf dem Grundstück einer damals noch vorhandenen Ziegelei eine Produktionsstätte für Aluminium zu errichten. Die Grundsteinlegung erfolgte unmittelbar danach.

In bisherigen Veröffentlichungen über das Erftwerk wurde der Bau in der Regel als ein sehr geheimes Ereignis eingestuft und auch dargestellt. Durch die Geheimhaltung sollte den Kriegsgegnern ein mögliches Angriffsziel nicht offengelegt werden. Umso verwunderlich ist, dass bei den Recherchen zu diesem Beitrag eine Vielzahl von Stellenanzeigen für den Bau des Erftwerkes und später auch für die Produktion von Aluminiumerzeugnissen sowie den Bereich der Verwaltung gefunden wurden.

„Tüchtige Maurer und Bauhilfsarbeiter werden eingestellt für längere Beschäftigung für die Baustelle Erftwerk in Grevenbroich. Bauunternehmung Heinr. Stöcker, Köln-Mühlheim.“

Westdeutsche Landeszeitung Nr. 210 vom 9.9.1916

Bei der nächsten Stellenanzeige sind besonders die Vergütungsbestandteile hervorzuheben:

1) Reichliche gute Verpflegung vorhanden.

2) Reise und Fahrgeld wird vergütet.

Rhein- und Ruhrzeitung Nr. 535 vom 18.10.1916
© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 1, Nr. 020 – Baustand vom 15. Juni 1917

Nachfolgend ein Foto des Umformerhauses vom 5. Juli 1917, also nur 20 Tage vor dem Unglückstag. Hierbei sollte das Augenmerk auf die Konstruktion der Halle und insbesondere die obere „freischwebende“ Wand rechts im Bild gelegt werden. Anscheinend wurde zunächst eine Eisenkonstruktion erstellt und anschließend die Wände ausgemauert. Dies alles in einer rasanten Zeit wie der Vergleich der Fotos vom 15. Juni 1917 (Bild oben) und 5. Juli 1917 (Bild unten) zeigt.

© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 1, Nr. 036 – Baustand vom 5. Juli 1917

Aufgrund einer Anfrage eines auswärtigen Ahnenforschers, warum Ende Juli 1917 in den Sterberegistern von Grevenbroich acht Sterbefälle zeitgleich vermerkt wurden, die alle von der Polizeibehörde Grevenbroich gemeldet wurden, wandte sich das Stadtarchiv Grevenbroich an den Arbeitskreis Familienforschung im Geschichtsverein Grevenbroich, um diesem Rätsel auf die Spur zu kommen. Die Urkunden selbst boten dabei keine große Hilfe, da als Sterbeorte lediglich Allrath bzw. Grevenbroich angegeben wurden. Da alle Opfer von Beruf Maurer oder Hilfsarbeiter waren, wurde vermutet, dass es sich wohl um eine Baustelle rund um Allrath handeln musste. Aber weder die Schulchronik Allrath noch sonstige Unterlagen im Stadtarchiv gaben einen Hinweis auf einen möglichen Unglücksfall. Daher drängte sich schnell der Verdacht auf, dass es sich evtl. um einen Luftangriff während des Ersten Weltkrieges handeln musste und dieser Angriff einfach nicht dokumentiert wurde.

[Hinweis: Viele Bürger wissen nicht, dass es bereits im Ersten Weltkrieg zu Luftangriffen auf Grevenbroich kam und diese zum Teil auch erhebliche Schäden anrichteten. Zu diesem Thema wird der Geschichtsverein Grevenbroich im Herbst/Winter 2023 einen umfangreichen Beitrag veröffentlichen, der diese Ereignisse dann in den einzelnen Stadtteilen und den Luftkrieg im Ersten Weltkrieg im Allgemeinen beschreibt. Material in Form von Feldpostbriefen oder Fotos wird gerne noch entgegengenommen.]

Zur Klärung der großen Anzahl an Toten wurden die Opferlisten des Ersten Weltkrieges auf mögliche Namensgleichheit hin überprüft. Die Recherchen blieben jedoch erfolglos und konnten keinen Bezug zu möglichen Kriegseinflüssen herstellen. Als letzte Möglichkeit blieben nur noch die Sterbeeinträge (in lateinischer Sprache) in den Kirchenbüchern als Quelle übrig, da einige Opfer aus Grevenbroich und seiner Umgebung kamen. Letztendlich gaben zwei Einträge in der Genius Datenbank des Arbeitskreises Familienforschung den entscheidenden Hinweis:

Quelle: Genius – Arbeitskreis Familienforschung
Quelle: Kirchenbuch Bedburdyck – St. Martinus
Quelle: Kirchenbuch Jüchen – St. Jacobus der Ältere

Durch den entscheidenden Hinweis „durch ein schwankendes Gebäude in der Fabrik Erftwerk getötet“ konnte nun gezielt der Aktenbestand zum Erftwerk im Stadtarchiv Grevenbroich durchsucht werden. Dort fand sich aber lediglich ein Schriftstück zu dem Unglücksfall, welches nachfolgend abgebildet ist. Zumindest wurde damit klar, dass die acht Personen Opfer eines Unglücks im Erftwerk wurden. Weder Unfallhergang noch -ursache wurde aber irgendwo vermerkt, so dass an dieser Stelle nur spekuliert werden kann.

StA Grevenbroich, Bestand Erftwerk, Nr. 382

In den Unterlagen konnte allerdings eine Bauzeichnung des Umformerhauses gefunden werden. Ursprünglich wurde diese Zeichnung im Dezember 1916 erstellt und dann handschriftlich auf den 3. März 1917 geändert. Warum die Zeichnung am 3. März 1921 nochmals mit einem Stempel der Erftwerk Aktien-Gesellschaft und zwei Unterschriften versehen wurde, erschließt sich zurzeit nicht.

Vielleicht wurde das Erftwerk wirklich sehr kurzfristig und schnell während der Kriegszeit geplant bzw. gebaut, und dies alles ohne umfangreiche Baupläne und Genehmigungsverfahren. Unter Umständen könnte dies auch der Grund dafür sein, warum die Wände des Umformerhauses im Juli 1917 einstürzten und acht Bauarbeiter unter sich begruben. Vielleicht wurden die Genehmigungen auch erst im Jahr 1921 rückwirkend gewährt, da die Produktion von Aluminium nach Kriegsende zunächst (unter Umständen auch zwangsweise wegen der Besatzungsmächte) für einige Jahre stillgelegt wurde.

© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 1, Nr. 038

Nachfolgend noch eine Beschreibung, in der sehr gut dargestellt wurde, worum es sich bei diesen Gebäuden handelte:

StA Grevenbroich, Bestand Erftwerk, Nr. 801

Gesichert ist, dass folgende Personen beim Einsturz der Wände des Umformerhauses erschlagen bzw. begraben und zum Teil erst Tage später gefunden wurden:

1) Maurer Peter Josef Lennartz, 46 Jahre alt, wohnhaft in Hetzerath wurde am 25.7.1917 um 19.15 Uhr tot aufgefunden.

2) Hilfsarbeiter Michael Coenen, 18 Jahre alt, wohnhaft in Gustorf wurde am 25.7.1917 um 19.30 Uhr tot aufgefunden.

3) Maurer Heinrich Creutz, 49 Jahre alt, wohnhaft in Gubberath starb am 27.7.1917 um 19.00 Uhr im Krankenhaus Grevenbroich.

4) Hilfsarbeiter Wilhelm Heister, 27 Jahre alt, wohnhaft in Stessen wurde am 27.7.1917 um 8.00 Uhr tot aufgefunden.

5) Hilfsarbeiter Theodor Görtz, 17 Jahre alt, wohnhaft in Jüchen wurde am 27.7.1917 um 17.00 Uhr tot aufgefunden.

6) Maurer Josef Nießen, 39 Jahre alt, wohnhaft in Düren wurde am 26.7.1917 um 3.00 Uhr tot aufgefunden.

7) Maurer Josef Herold, 39 Jahre alt, wohnhaft in Oberfell wurde am 27.7.1917 um 11.00 Uhr tot aufgefunden.

8) Hilfsarbeiter Hermann Nüchter, 23 Jahre alt, wohnhaft zu Gustorf wurde am 28.7.1917 um 10.00 Uhr tot aufgefunden.

Laut den Sterbeurkunden sind alle Opfer „am fünf und zwanzigsten Juli dieses Jahres nachmittags sieben Uhr zuletzt lebend gesehen worden“.

Warum es bis zu drei Tage dauerte, alle Leichen unter den Trümmern der eingestürzten Wände zu finden, veranschaulichen auf sehr erschreckende Weise die nachfolgenden Fotos. Diese wurden in einem bisher nicht beschrifteten und zuordnungsbaren Fotobestand zum Erftwerk gefunden. Niemand konnte diese Fotos bisher auf das Ereignis bezogen einordnen, da bis auf das oben beschriebene einzige Schriftstück keinerlei Informationen zu einem schweren Unglücksfall im Gesamtbestand des Stadtarchives Grevenbroich jemals gesichtet wurde. Bei den beiden folgenden Fotos sollte unbedingt auf die Höhe der Türöffnung zum Boden hin geachtet werden. Dies lässt die Vermutung zu, dass die Trümmer bis zu 5 – 6 Meter hoch lagen.

© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 4, Nr. 034
© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 4, Nr. 026
© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 4, Nr. 030
© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 4, Nr. 033

Auch wenn bisher nicht alle Geschehnisse rund um diesen Unglücksfall geklärt werden konnten, freuen wir uns zusammen mit dem Stadtarchiv Grevenbroich zumindest die Ursache für den Tod von acht, zum Teil sehr jungen Männern und die Einordnung des Ereignisses auf den Fotos herausgefunden zu haben. Außerdem wird hierdurch auch die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen Heimatforschern, dem Geschichtsverein Grevenbroich und dem Stadtarchiv Grevenbroich deutlich. Manche Rätsel lassen sich eben nur interinstitutionell oder gemeinsam lösen.

Ein großer Dank gebührt Frau Cornelia Schulte vom Stadtarchiv Grevenbroich, die unermüdlich schwere Kartons aus dem Keller geholt und zur Verfügung gestellt hat, um irgendeinen Hinweis zu dem Unglücksfall finden zu können. Ebenso für die Hilfe, die historischen Fotos mit den noch vorhandenen Bauplänen aus jener Zeit bis ins kleinste Detail zu vergleichen, damit sichergestellt ist, dass hier die dargestellten Bilder mit dem Ereignis übereinstimmen.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

3 Gedanken zu „Der 25. Juli 1917 –“

  1. sehr interessanter Bericht. Und einmal mehr zeigt es, dass sich solche tragischen Ereignisse zu dieser Zeit noch sehr gut vertuschen ließen.

    1. Danke für die ausführliche Recherche. Ein Verunglückter ist ein Cousin meiner Großmutter. Ich hatte lediglich die Information, dass er im Grevenbroicher Krankenhaus verstorben ist. Die Umstände seines Todes sind nun durch Sie aufgeklärt worden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert