Der bürokratische Kampf einer Mutter um das Leben ihrer Söhne

Vermutlich kennt jeder den preisgekrönten Film „Der Soldat James Ryan“ von Steven Spielberg aus dem Jahr 1998, der eigentlich auf das Schicksal der Niland-Brüder zurückgeht. Aufgrund der sogenannten „Sole Survivor Policy“ wurden amerikanische Soldaten von der kämpfenden Front in die USA zurückgeschickt, wenn sie die letzten Überlebenden von Soldatenbrüdern einer Familie waren. Bis 2008 handelte es sich hierbei nicht um ein Gesetz, sondern lediglich um ein internes militärisches Regelwerk seit den amerikanischen Sezessionskriegen. Dies änderte sich erst im August 2008 mit dem „Hubbard Act“, einem Gesetz, welches auf die „Sole Survivor Policy“ Bezug nimmt. Heute gilt es auch für Soldatinnen.

Gab es für die Deutsche Wehrmacht ein ähnliches Regelwerk oder sogar ein Gesetz?

Ja. Auch für Soldaten der Wehrmacht gab es eine ähnliche Verfügung, die im Juni 1940 veröffentlicht wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Westfeldzug erfolgreich abgeschlossen und die Verluste im Verhältnis zum später beginnenden Ostfeldzug geringer. Heutige Schätzungen gehen von rund 27.000 gefallenen Soldaten aus, die während der Westoffensive gefallen waren. Dementsprechend waren Soldaten aus der kämpfenden Truppe eher verzichtbar und konnten an weniger gefährdete Stellen der Front oder in die Heimat versetzt werden.

Allgemeine Heeresmitteilungen vom 21. Juni 1940, Blatt 14, Seite 317, Nr. 713

Anmerkung zum Artikel: Zu diesem Zeitpunkt wurde der 2. Weltkrieg noch nicht als solcher benannt, daher wird der 1. Weltkrieg hier als „Weltkrieg“ erwähnt.

Im Jahr 1942 wurde diese Regelung nochmalig ergänzt bzw. erweitert, wenn der Soldat der letzte überlebende Sohn einer Familie war.

Marburger Zeitung vom 6. Februar 1942, Seite 6

Während des weiteren Verlaufes des Zweiten Weltkrieges, insbesondere nach Beginn des Russlandfeldzuges und den damit verbundenen sehr stark ansteigenden hohen Verlusten, wurden die Befreiungsvorschriften immer mehr ausgesetzt bzw. gestrichen. Im September 1943 wurden die Schutzbestimmungen für einzige und letzte Söhne vollends aufgehoben. Lediglich Väter mit fünf noch lebenden, unversorgten Kindern bzw. Familien mit fünf und mehr im Wehrdienst stehenden Söhnen konnten sich noch auf die Schutzbestimmungen berufen.

Heeres-Verordnungsblatt vom 27. September 1943, Teil B, Blatt 19, Seite 269, Nr. 525

In Grevenbroich ereignete sich ein besonders tragischer Fall, der sowohl die Verzweiflung einer Mutter zeigt, ihre Söhne oder zumindest einen ihrer Söhne retten zu wollen, als auch ihren Mut, immer wieder neue Anträge beim Bürgermeister von Wevelinghoven zu stellen.

Das Netzwerk „Kriegstote in Grevenbroich“ ist bei Recherchen zufällig auf die Akte der Familie Düxmann aus Langwaden gestoßen und hat sich daher entschlossen, dieses Thema zu beleuchten. Unter Beachtung des Datenschutzes nach dem Personenstandsgesetz werden hier bis auf wenige Ausnahmen auch die Namen und Daten aller Familienmitglieder genannt. Sollten sich Nachkommen in dieser Familie wiederfinden, würden wir uns sehr über eine Kontaktaufnahme freuen, um weitere Informationen bzw. Bilder/Totenzettel zu erhalten, damit die Opfer dieses Krieges endlich ein „Gesicht“ bekommen.

Wer war die Familie Düxmann aus Langwaden und welche Schicksale musste sie während des Zweiten Weltkrieges ertragen?

Die Familie von Wilhelm Düxmann (*1879, +1935) und Anna Steins (*1879, +1947) hatte insgesamt 8 Kinder (6 Söhne und 2 Töchter). Alle 6 Söhne wurden während des Krieges zur Wehrmacht eingezogen.

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1308

Am 10. August 1941 um 14.30 Uhr starb der Sohn Wilhelm Düxmann (*1915, +1941) im Alter von 26 Jahren bei Rodnja (bzw. Rudnja oder Rodiga) in Russland. Er war Obergefreiter des Panzer Stab Artillerie Regiments Nr. 103 und starb an den Verletzungen durch einen Granatsplitter im Hinterkopf. In der Verlustkartei für Wehrmachtsangehörige wurde als Grablage die Ortsstraße in Ssokolowka angegeben. Eine Überführung auf einen Soldatenfriedhof hat bisher nicht stattgefunden.

Nur einen Monat später, am 12. September 1941, starb der Sohn Anton Düxmann (*1917, +1941) im Alter von 24 Jahren in Michajlowsskaja bei dem Angriff bzw. der Belagerung von Leningrad (heute: St. Petersburg). Laut dem Volksbund befindet sich sein Grab noch immer in Iwanowka-Ropscha in Russland. Eine Umbettung auf einen Soldatenfriedhof hat bisher nicht stattgefunden.

Mit dem Tod ihrer o. g. Söhne Wilhelm und Anton im August bzw. September 1941 stellte die Mutter Anna Düxmann geb. Steins unter Bezugnahme auf den Führererlass einen Antrag, ihren jüngsten Sohn Michael Düxmann (*1920) vom Einsatz in der kämpfenden Truppe zu befreien und ihn in ein Ersatz-Bataillon zu versetzen.

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1308

Die Entscheidung oder die Beweggründe der Mutter, für den einen oder anderen Sohn einen Antrag zu stellen, können wir aufgrund der Aktenlage leider nicht beurteilen. Es muss aber für eine Mutter herzzerreißend gewesen sein, sich für nur ein Kind entscheiden zu müssen. Wir können auch nicht beurteilen, welchen Repressalien sie mit ihren Anträgen beim Bürgermeisteramt oder auch in der Nachbarschaft ausgesetzt war.

Dieser Antrag hatte aber Erfolg, denn bereits am 2. November 1942 stellte die Mutter einen erneuten Antrag. Diesmal, um selbigen Sohn Michael Düxmann nun vollständig aus dem Wehrdienst herauszuholen. Begründet wurde der Antrag damit, dass Michael der Haupternährer der Familie sei und bereits zwei andere Söhne gefallen waren. Laut der u. g. Feldpost Nr. 25494 muss Michael zum Infanterie-Ersatz-Regiment 216 gehört haben, welches in Hameln stationiert war. Im Oktober 1942 wurde das Regiment zum Reserve-Infanterie-Regiment 216 umgegliedert und nach Belgien verlegt. Im November 1942 wurde das Regiment zum Reserve-Grenadier-Regiment 216 umbenannt und kam danach bei Dixmuiden in Belgien zum Einsatz.

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1308

Dieser Antrag hatte aber wohl keinen Erfolg, da sie bereits 10 Monate später einen wiederholenden Antrag stellte. Gemäß der nun genannten Feldpost Nr. 57524 gehörte Michael dem Regimentsstab-Infanterie- (bzw. Grenadier-) Regiment 891 an. Dieses wurde am 20. Mai 1943 als bodenständiges Regiment in Belgien aufgestellt.

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1308

Vermutlich kam es in den nächsten 6 Wochen noch zu einer Verschlimmerung für ihren Sohn Michael, denn seine Truppe gehörte nach dieser Zeit wieder zu den kämpfenden Einheiten. Das Regiment 891 wurde im Oktober 1943 nach Kroatien verlegt. Daraufhin stellte seine Mutter bereits am 1. November 1943 einen erneuten Antrag, ihren Sohn aus der kämpfenden Truppe zurückzuziehen und denselben im Heimatkriegsgebiet verwenden zu wollen.

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1308

Wie verzweifelt muss die Mutter wohl gewesen sein, denn wie bereits am Anfang beschrieben, wurden im September 1943 de facto alle Schutzbestimmungen für kämpfende Soldaten aufgehoben. Entsprechend wurde der Antrag der Mutter nicht genehmigt. Ihr jüngster Sohn, der Unteroffizier Michael Düxmann (*1920, +1943), ist im Alter von nur 23 Jahren in Zara im Balkan gefallen. Laut dem Volksbund ist er vermutlich als unbekannter Soldat auf die Kriegsgräberstätte Split überführt worden. Sein Regiment 891 wurde im Dezember 1944 vollends vernichtet.

Dennoch begab sich Anna Düxmann am 26. Januar 1944, vermutlich unbeirrt oder verzweifelt und mit viel Mut, erneut zum Bürgermeister nach Wevelinghoven. Und das zu einer Zeit, als die Wehrmacht bereits überall auf dem Rückzug war und die letzten noch wehrfähigen Männer im Reichsgebiet zum Kriegseinsatz eingezogen wurden.

An diesem Tag stellte sie einen Antrag, ihren ältesten Sohn Hermann Düxmann aus den kämpfenden Truppen zurückzuziehen, der erst am 28. August 1943 einberufen wurde und sich zu diesem Zeitpunkt in Modlin/Südostpreußen befand. Vermutlich war er dort in der Garnison Modlin, einer der größten polnischen Festungen, stationiert. Die Festung beheimatete neben einer Division auch ein Rekrutenausbildungszentrum der Wehrmacht und einen Nachschubstützpunkt für die Ostfront. Die äußeren Forts wurden u. a. auch für ein Durchgangslager und ein Konzentrationslager genutzt. 1945 wurde die Festung von der Roten Armee befreit.

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1308

Hermann Düxmann überlebte den Krieg. Vermutlich wurde er nicht aus der kämpfenden Truppe versetzt. Ob er in russische Gefangenschaft geriet oder sich rechtzeitig in Richtung Westen „absetzen“ konnte, ist aus den vorliegenden Unterlagen leider nicht zu ersehen. Jetzt würde man sich wünschen, dass er mit seiner Frau Gertrud Bodewein noch viele glückliche und zufriedene Jahrzehnte hätte verbringen dürfen. Doch dies blieb ihm nicht vergönnt, denn er starb am 13. Juli 1949 durch einen Verkehrsunfall im Grevenbroicher Krankenhaus. Das Schicksal kann manchmal sehr grausam sein.

StA Grevenbroich, Sterberegister Grevenbroich, Nr. 81/1949

Der zweitgeborene Sohn Johann Düxmann (*1908, +1964) überlebte den Krieg ebenfalls. Er starb am 17. September 1964 in Grevenbroich. Laut seiner Feldpost Nr. 13751 E gehörte Johann zu diesem Zeitpunkt wohl zur 4. Kompanie des Stellungsbau-Pionier-Bataillon Nr. 788. Das Bataillon wurde im September 1943 nach Italien verlegt und war noch bis 1945 im Raum Udine unter der 10. Armee eingesetzt. Weitere Informationen sind zurzeit nicht bekannt.

Der drittgeborene Sohn Adam Düxmann (*1913, +1981) überlebte auch den Krieg. Er starb am 3. Januar 1981 in Grevenbroich. Laut seiner Feldpost Nr. 24799 C gehörte er zur 8. Batterie des Artillerie-Regiments Nr. 306. Dieses wurde im Januar 1945 gestrichen. Vermutlich gehörte seine Einheit zur Heeresgruppe Südukraine. Ein eindeutiger Standort lässt sich zurzeit jedoch nicht identifizieren. Weitere Informationen sind leider zurzeit auch nicht bekannt.

Für die Eindrücklichkeit solch erschütternder Ereignisse können auch die amtlichen Anträge und Eintragungen stehen – trotz Bürokratie fast spielfilmreif.

Stefan Rosellen und Stefan Faßbender für das Netzwerk „Kriegstote in Grevenbroich“, 2024

Schüsse in der Nacht

Wirtssohn des Dycker Weinhauses überrascht Einbrecher

In der Neusser Zeitung vom 8. Juni 1938 wird von einem Vorfall aus Damm in der Nähe von Schloss Dyck berichtet:

Bericht in der Neusser Zeitung (8.6.1938)[i]

Dort heißt es:
Schüsse in der Nacht – Nächtlicher Kampf mit Einbrechern – Damm bei Schloß Dyck.
Ein Erlebnis mit Einbrechern, das einen tragischen Ausgang hätte nehmen können, hatte in der Nacht zu Pfingstsonntag der Sohn des Inhabers des Dycker Weinhauses. Der Sohn hörte plötzlich in der Nacht in den unteren Räumen verdächtige Geräusche. Er begab sich sofort nach unten, nahm aber zur Vorsicht ein Jagdgewehr mit. Als er in der Wirtschaft das Licht einschalten wollte, gingen plötzlich Schüsse los und die Kugeln pfiffen ihm um den Kopf. Er ließ sich von den Einbrechern unbemerkt sofort hinfallen. Diese feuerten in seiner Richtung noch weitere Schüsse ab. Dann ergriffen die Täter die Flucht, wobei sie ihre Beute im Stich ließen. Auf der Flucht sandte der Wirtssohn ihnen noch einige Schüsse aus dem Jagdgewehr nach. Aber es gelang den Einbrechern, in einem bereitstehenden Kraftwagen zu entkommen. Sie hatten bereits erheblich Mengen Wein, Liköre und Tabakwaren in Kisten verpackt, um diese in dem Kraftwagen mitzunehmen. Durch die Wachsamkeit und den Mut des Wirtssohnes wurde ihr Vorhaben verhindert. Später wurden insgesamt acht Kugeleinschläge festgestellt. Der junge Mann selbst wurde nicht verletzt. Ein Kugeleinschlag wurde in seiner Hose ermittelt.“[ii]

Das Dycker Weinhaus[iii]

Beim Wirtssohn wird es sich vermutlich um den 1910 geborenen August Breuer, Sohn der Eheleute Adam Breuer und seiner Frau Sibilla Gertrud Baurmann, gehandelt haben.[iv] Der Vater hatte 1903 das Dycker Weinhaus übernommen.[v] Der Vater wird auch im Einwohner-Adressbuch für den Kreis Grevenbroich-Neuß als Landwirt unter der Anschrift Damm 2 geführt und in standesamtlichen Urkunden als Land- und Gastwirt bezeichnet wird. Ob die Einbrecher gefasst wurden, ließ sich bislang nicht ermitteln.

Michael Salmann für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2024

 [i] https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/20653255 (1.5.2024, 17.03 Uhr) 
[ii] https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/20653255 (1.5.2024, 17.03 Uhr)
[iii] Digitale Sammlung Michael Salmann
[iv] Genius
[v] Bremer, Die Reichsunmittelbare Herrschaft Dyck, 1959, S. 140

Tödlicher Unglücksfall am Alten Schloss

In der Neusser Zeitung aus dem Jahr 1938 wird von einem tragischen Unglücksfall berichtet:

Zeitungsbericht zum Unglücksfall in der Neusser Zeitung vom 10. Februar 1938[i]

“Aus der Kreisstadt – Im Pullover erstickt – Tragischer Unglücksfall am Alten Schloß
Ein tragischer Unglücksfall ereignete sich am Dienstagnachmittag in der Nähe des Alten Schlosses. Als am Nachmittag eine größere Gruppe Schulkinder am Schloß vorbei auf den Sportplatz marschierte, bat der vierjährige einzige Sohn des Schloßeigentümers, Peter Settels, seine Mutter, dem Spiel der Schuljugend zugschauen dürfen. Die Mutter gestattete ihm das auch. Der Junge war, um einen besseren Blick auf den Sportplatz zu haben, auf einen unter einem Schuppen stehenden Karren geklettert. Als er wieder herunterklettern wollte, blieb er mit dem Pullover in einem seitlich in dem Holz des Karrens angebrachten Nagel hängen. Das geschah als der Junge schon keinen festen Boden mehr unter den Füßen hatte. Durch das Gewicht des Jungen zog sich der Pullover am Halse zu, so daß das bedauernswerte Kind nicht um Hilfe rufen konnte. In dieser Lage ist es dann erstickt. Der Junge wurde von einem der auf dem Sportplatz spielenden Schüler gesehen, der den Lehrer auf den Vorfall aufmerksam machte. Besonders war aufgefallen, daß der Kleine sich nicht bewegte. Der Lehrer begab sich zu dem Schuppen und mußte feststellen, daß es sich um einen Unglücksfall handelte. Die sofort mit Hilfe eines Arztes angewandten Wiederbelebungsversuche warenohne Erfolg. – Das Mitgefühl mit der hart betroffenen Familie ist allgemein.”

Die Vorderfront des „Alten Schlosses“ (Neusser Zeitung, 17.2.1938)[ii]

Beim verunglückten Kind handelt es sich um Heinz Richard Settels, der um 1934 geboren wurde und am 8. Februar 1938 durch das tragische Unglück verstarb. Seine Eltern waren der Eigentümer des Schlosses, Peter Settels, und dessen Frau Maria Houben. Die Mutter, am 18.11.1890 in Köln-Weiler geboren, war allerdings zum Zeitpunkt des Unglücksfalls bereits tot. Sie war ein gutes Jahr vor dem Unfall am 22.10.1936 im Alter von 45 Jahren verstorben. Der Vater Peter Franz Xaver Settels hingegen stammte aus Wuppertal-Elberfeld und wurde dort am 11.2.1900 geboren. Die Eltern hatten am 7.5.1928 in Grevenbroich geheiratet. Peter Settels heiratete wenige Monate nach dem Tod seiner ersten Frau am 1.2.1937 Luise Maaßen aus Neuenhausen.[iii] Daher wird die im Zeitungsartikel vom 10. Februar genannte Mutter die Stiefmutter gewesen sein. Das Kind wurde drei Tage nach dem Unglück, am 11. Februar, auf dem Grevenbroicher Friedhof beigesetzt.

In der Neusser Zeitung vom 12. Februar 1938 wird kurz dazu berichtet[iv]:

 “Der verunglückte Junge zu Grabe getragen. Unter großer Beteiligung wurde gestern vormittag der vor einigen Tagen auf tragische Weise ums Leben gekommene Richard Settels zur letzten Ruhe geleitet. Der Sarg des Jungen wurde vom Alten Schloß bis an die Gruft getragen. In dem Trauergefolge bemerkte man auch eine Abordnung von Schülern der Schule, die den tragischen Vorfall vom Sportplatz aus beobachtet und den Lehrer veranlaßt hatten, zu Hilfe zu eilen, die jedoch leider zu spät kam. Am Grabe hielt Pfarrer Schütz eine Ansprache, in der er des traurigen Ereignisses gedachte und für die Eltern Worte des Trostes fand.”

Fünf Tage nach der Beerdigung des Jungen verkaufte Peter Settels das Alte Schloss an die Stadt Grevenbroich für 40.500 Reichsmark. Die Stadt hatte sich laut Zeitungsbericht in der Neusser Zeitung vom 17. Februar 1938 schon länger um einen Erwerb des ehemaligen Adelssitzes bemüht. Die Vorburg besaßt die Stadt bereits seit 1926 und beherbergte unter anderem das Heimatmuseum. Veranlasste der Tod des Jungen den Vater dazu, den Verkauf des Schlosses mit den dazugehörigen 20 Morgen Gelände zu beschleunigen? Dies erscheint möglich, der Zeitungsbericht gibt dazu allerdings keinen näheren Hinweis.[v]

Michael Salmann für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2024

[i] https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/20651950 (21.4.2024, 19.34 Uhr)
[ii] https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/20652025 (25.4.2024, 22.16 Uhr)
[iii] Genius
[iv] https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/20651966 (25.4.2024, 22.46 Uhr)
[v] https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/20652025 (25.4.2024, 22.16 Uhr)

“Ne kölsche Jong!” Erinnerung an Jakob Goldstein

Lehrer aus Überzeugung und lebenslustiger Roter Funke
Jakob Goldstein war über Jahrzehnte jüdischer Lehrer in Grevenbroich, Mitgründer Mitglied im Vorstand der jüdischen Lehrerkonferenz Krefeld und dem späteren Verband der israelitischen Lehrer für Rheinland und Westfalen.
 
Vor allem war er aber auch ein lebensfroher Mensch und Mitglied bei den Kölner Roten Funken. So bestritt Goldstein in Grevenbroich beispielsweise mit dem Gesangverein „Liederkranz“ Grevenbroich Anfang der 1860 an Karnevalssonntag und Rosenmontag eine abendfüllende musikalische Soiree mit anschließendem Maskenball.  „Große carnevalistische Wallungen und ergötzliche Abendunterhaltung“ in Grevenbroich, so titelte die Grevenbroicher Zeitung seinerzeit.
Am Sonntag jährt sich sein 125. Todestag und der Geschichtsverein will mit Kooperationspartnern in einer heiter-besinnlichen Gedenkstunde Jakob Goldstein auf dem jüdischen Friedhof an seinem Grab würdigen. Mit dabei auch eine Abordnung der Roten Funken! Musikalisch wird das Gedenken untermalt von den „Fidelen Granufinken“ um Peter Lys, Peter Kempermann und Josef Holzapfel. Inhaltlich gestaltet wird die Erinnerung an Goldstein von Schülern von „KKG gegen das Vergessen“, die eine Patenschaft über den jüdischen Friedhof übernommen haben, ebenso wie Schülern des Erasmusgymnasiums, zu deren Schulgründern vor über 150Jahren Jacob Goldstein gehörte. Niederrheinische Texte kommen von Stefan Pelzer-Florack und die Geistlichkeit ist durch Berufsschulpfarrer Christoph Borries vertreten.
 
Die integrative Kraft des Karnevals hat immer schon gesellschaftliche, kulturelle und auch religiöse Grenzen überwinden können. Und Jakob Goldsteins Vorbild wirkte. Beim „Närrischer Sprötztrupp Gustorf“ war lange Jahre der Gustorfer Moses Löwenthal, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, im Vorstand aktiv.
 
Treffpunkt Jüdischer Friedhof an der Montanusstraße
(Zugang über Jakob-Dickers-Weg)
41515 Grevenbroich Stadtmitte
Sonntag, 25. Mai 2025, ab 11.30
 
Männliche Teilnehmer werden gebeten, eine Kopfbedeckung zu tragen!
 
Hier geht es zum Programmablauf: 2025 05.25 Kölsche Jong Jacob Goldstein

Vor 80 Jahren: Bedburdycker Dorfpfarrer geht den anrückenden Amerikanern entgegen – Pfarrer Walter Schönheit rettet drei Dörfer vor größerer Zerstörung

Es ist der 28. Februar 1945. Die Amerikaner rücken vor und beschießen Bedburdyck, Gierath und Stessen, weil sie dort deutsche Truppen vermuten. Der Bedburdycker Pfarrer Walter Schönheit geht den feindlichen Truppen mit einer weißen Fahne entgegen und überzeugt den Kommandeur, das Feuer einzustellen.

Was im Vorfeld geschah: Im fünften Jahr des Zweiten Weltkrieges waren die Alliierten am 6. Juni 1944 im Rahmen der Operation Overlord an der Küste der Normandie gelandet. Im Laufe der folgenden acht Monate kämpften sich die Alliierten in verlustreichen Kämpfen gegen die Überreste der Wehrmacht durch Frankreich und Belgien, hatten den Westwall überwunden und standen nun im Februar 1945 an der Rur.

Am 22. Februar begannen sie die „Operation Grenade“ [„Unternehmen Granate“]. Dies war der Name einer Militäroperation der 9. US-Armee, in deren Verlauf die amerikanischen Truppen erfolgreich die Rur überquerten und bis zum Rhein zwischen Neuss und Rheinberg vorstießen.[i] Bei dieser Militäroperation standen den schätzungsweise 54.000 deutschen Verteidigern mit 180 Panzern rund 381.000 amerikanische Soldaten mit 2.010 Panzern gegenüber.[ii]

Ausschnitt aus einem Report zur Operation Grenade[iii]

Die deutsche 11. Panzerdivision hatte beim Beginn des amerikanischen Großangriffs am 22.2. ihren Divisionsgefechtsstand in Gubberath.[iv]

Ausschnitt aus der militärischen Lagekarte der US-Armee vom 28.2.1945 – Die 2. US-Panzerdivision, die 29. und 30. US-Infanteriedivision halten sich zum Vorstoß auf den Rhein bereit, die 83. US-Inf.Div. fehlt, steht auf dieser Karte noch bei Aachen, nimmt aber tatsächlich am Vorstoß teil.[v]

Ausschnitt aus der militärischen Lagekarte der US-Armee vom 1.3.1945 – Die 2. US-Panzerdivision und 83. US-Infanteriedivision stoßen am 28.2.1945 über Bedburdyck nach Nordosten vor.[vi]

In den folgenden Tagen stießen die 5. US-Panzerarmee mit der 102. US-Infanteriedivision im westlichen Frontabschnitt bis nach Erkelenz vor, während der Vormarsch der 29. und 30. US-Infanteriedivision bei Titz ins Stocken geriet. Daraufhin wurde die 2. US-Panzerarmee aus dem Raum Aachen und die 83. US-Infanteriedivision aus der Gegend von Lüttich zur Unterstützung angefordert.

Während nun das 116. Infanterieregiment der 29. US-Infanteriedivision von Jülich kommend über Welldorf, Serrest, Güsten, Immerath, Lützerath und Pesch das heutige Jüchener Stadtgebiet erreichte und über Spenrath, Hochneukirch, Hackhausen und Mongshof nach Sasserath weiterzog[vii], sicherte die 30. US-Infanteriedivision, die Garzweiler und Königshoven eingenommen hatte, zwischen Jülich und Jüchen die rechte Flanke zur Erft hin ab. Die Truppen der 2. US-Panzerdivision beabsichtigten durch Jüchen, Gierath und Bedburdyck in nordöstliche Richtung vorzurücken. Die 83. Infanteriedivision zog über Garzweiler, Elfgen und Elsen und stand gegen 16 Uhr entlang der Bahnlinie, um Gierath, Stessen und Bedburdyck von deutschen Truppen zu säubern.

Die Amerikaner gingen davon aus, dass sich deutsche Truppen in den Dörfern verschanzt hatten, denn aufgrund der Luftaufklärung wusste man, dass die Deutschen ab Herbst 1944 in dem Gebiet Verteidigungsanlagen errichtet hatten. Sie hatten drei Linien geschaffen. Die erste Verteidigungslinie war am Ostufer der Rur, die zweite sechs und die dritte elf Kilometer dahinter. Die dritte Linie war mit der Erft verbunden, die sogenannte Erft-Stellung. Im Wesentlichen waren es Schützengräben bzw. -wälle in einem Zickzackmuster mit Ausgängen an den Dörfern und Städten. Die Amerikaner hielten das Verteidigungsnetzwerk für gut geplant und organisiert und mussten daher davon ausgehen, dass der Bereich zwischen dem südlichen Rand der heutigen Stadt Mönchengladbach und der Erft bei Grevenbroich in den Dörfern ebenfalls gut gesichert war. Alle Anzeichen deuteten aber darauf hin, dass die Wehrmacht viel zu wenig Truppen hatte, um die Linien bemannen zu können. Das stützte die Annahme, dass die Verteidigung sich auf Schwerpunkte in Städten und Dörfern konzentrieren würde.[viii]

Darstellung über ungefähre Truppenbewegungen und Angriff der Amerikaner auf Gierath, Bedburdyck und Stessen.[ix]

Von den amerikanischen Einheiten, die vom Jüchener Hahnerhof in Richtung der „Hohen Eiche“ in Gubberath fuhren, wurde bei der „Hohen Eiche“ ein Panzer von deutschen Truppenresten abgeschossen. Daraufhin eröffneten die Amerikaner das Feuer auf Gierath, Bedburdyck und Stessen.

Aus Bedburdyck berichtet der Chronist der Bedburdycker Schulchronik, Robert Lingen „Die Front rückt näher. Aus dem Roertale ist zeitweise Geschützdonner zu hören. Die Spannung ist groß und aufregend. Evakuierungsmaßnahmen sind im Gange. Das ganze Gebiet (Kreis) soll ins bergische Land. Doch von Seiten des Amtes und der Schule wird die Bevölkerung im Stillen aufgeklärt und ihr anheimgegeben, hier zu bleiben und alles über sich ergehen zu lassen. Die feindliche Front wird schnell über unser Gebiet gehen, da hierselbst kein Widerstand ist und auch nicht unternommen wird, und zum Rheine eilen. Die Bevölkerung ist standhaft. Niemand verläßt die Heimat. Alle halten aus und harren der Dinge, die nun kommen werden.“

US-Panzer des 67. Panzerregiments (l.) und das 41. Gepanzerte Infanterie Bataillon (r.) der 2. US-Panzerdivision in Priesterath auf dem Weg nach Jüchen (28.2.1945) [x]

US-Truppen und die auf dem Jüchener Markt zusammengetriebene Jüchener Bevölkerung (28.2.1945) [xi]

Weiter heißt es: „Am 28. Februar gegen Mittag bei herrlichem Wetter rückt der feindliche Geschützdonner recht nahe heran. Es wird verlautet, daß amerik. Truppen vor Jüchen seien. Ich spähe draußen aus und sehe nach kurzer Zeit einige unserer Truppen in verschiedenen Abständen (darunter einer an der Hand verwundet) an den Häusern vorbeischleichen. Nach Erkundigungen bei ihnen erfahre ich, daß amerik. Panzer vor Jüchen auffahren. Kurz danach vernimmt man schon deutlich Einschläge. Auf der Straße treffe ich Heister Adam und Broich Josef und beschließen wir die weiße Fahne auf dem Kirchturm zu zeigen. Hompesch Jean schließt sich uns an. Wir gehen zum Pfarrhaus und machen den Herrn Pastor auf die nahen Gefahren aufmerksam. Er ist sofort entschlossen, die Fahne zu zeigen und steigt selbst mit zum Turm hinauf. Kurz vorher erfolgte ein Einschlag in den Turm und ein Einschlag auf Wolffs Feldscheune, die sofort lichterloh niederbrannte. Einige Treffer waren zur gleichen Zeit erfolgt bei Spielhagen, Theodor Broich (Hotel) und in der Kaplanei.[xii]

Die Amerikaner beschossen zunächst exponierte Punkte in Gierath, Bedburdyck und Stessen, an denen sie feindliche Truppen glaubten. Dazu gehörte der Bedburdycker Kirchturm, die errichteten Panzersperren an den Ortseingängen, vermutete Standorte von Flak-Geschützen sowie einzelnstehende Gebäude, wie unter anderem die evangelische Schule in Gierath, die Stessener Mühle und zwei Häuser außerhalb der Ortsbebauung jeweils an der Gierather und Grevenbroicher Straße in Bedburdyck. Durch den Beschuss kamen in Stessen auf der Kreuzstraße zwei Zivilisten ums Leben.

Darstellung über ungefähre Truppenbewegungen bis Pfarrer Schönheit den amerikanischen Truppen entgegenging.[xiii]

Die Bedburdycker Schulchronik berichtet hierzu: „Nachdem die weiße Fahne wehte, hörte der Geschützdonner auf. Herr Pastor ging danach mit einer weißen Fahne in Richtung der amerik. Panzerstellung und erklärte dem führenden Offizier, daß hierselbst keine Truppen lägen u. die letzten heute früh in Richtung Neuß hinter den Rhein marschiert seien. Die Häuser u. Bunker zeigten alle die weiße Fahne. Auf das Schulgebäude habe ich [Lehrer Lingen] selber [eine Fahne] gehißt. Gegen Abend rollen die Panzer unaufhörlich durch unser Dorf [Bedburdyck] in Richtung Aldenhoven.“[xiv]

Einer mündlichen Überlieferung zufolge sollen die Amerikaner Pastor Schönheit mit der weißen Fahne auf den ersten Panzer gesetzt und gedroht haben, den Ort dem Boden gleich zu machen, sollte nur ein Schuss fallen.

Pfarrer Walter Schönheit[xv]

Pfarrer Schönheit war am Tag vor dem amerikanischen Einmarsch 60 Jahre alt geworden.

Schönheit wurde am 27. Februar 1885 in Wesel geboren und verstarb am 11. Januar 1953 in Essen-Werden. Begraben wurde er auf seinen eigenen Wunsch hin in Bedburdyck. Sein Grab befindet sich inmitten eines Rondells mit Ehrengräbern gefallener Soldaten.

Wegen des Einsatzes von Pfarrer Schönheit zur Rettung der Dörfer Bedburdyck, Gierath und Stessen beim Einmarsch der Amerikaner benannte man in Bedburdyck eine Straße nach ihm, und in Gierath wurde nach dem Krieg ihm zu Ehren eine Gedenkplatte am Kriegerdenkmal eingeweiht – wenn auch mit dem vermutlich fehlerhaften Datum 27. Februar.

[i] https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Grenade (31.3.2020, 19.19 Uhr)
[ii] https://en.wikipedia.org/wiki/Operation_Grenade (30.6.2020, 19.30 Uhr)
[iii] Armor in Operation Grenade (2d Armd Div), A search report, prepared at THE ARMORED SCHOOL Fort Knox Kentucky, 1949-1950
[iv] Weiss, Westfront `45, 11. Panzer-Division, Zwischen Roer und Rhein, 2013, S. 22
[v] www.loc.gov/resource/g5701sm.gct00021/?sp=269&r=0.557,0.176,0.156,0.078,0 22.10.2021, 19.13 Uhr)
[vi] www.loc.gov/resource/g5701sm.gct00021/?sp=269&r=0.557,0.176,0.156,0.078,0 22.10.2021, 19.13 Uhr)
[vii] 29 Let’s Go!: A History of the 29th Infantry Division in World War II, 1986; http://www.lonesentry.com/gi_stories_booklets/29thinfantry/index.html (25.2.2023, 14.29 Uhr)
[viii] https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Grenade (20.10.2021, 19.44 Uhr)
[ix] Tim-Online, graphische Darstellung Michael Salmann
[x] Facebook: 2nd Armored Ordnance Maintenance Battalion (20.9.2021, 20.36 Uhr)
[xi] Armor in Operation Grenade (2d Armd Div), A search report, prepared at THE ARMORED SCHOOL Fort Knox Kentucky, 1949-1950
[xii] Stadtarchiv Jüchen, Bedburdycker Schulchronik
[xiii] Tim-Online, graphische Darstellung Michael Salmann
[xiv] Stadtarchiv Jüchen, Bedburdycker Schulchronik
[xv] Digitale Sammlung, Salmann

Gab es Grevenbroicher in der französischen Fremdenlegion?

Ja, die gab es wirklich! Der Geschichtsverein Grevenbroich konnte bisher drei Personen ausmachen, die in den 1920er und 1930er Jahren in dieser bis heute mit sehr vielen Mythen beschriebenen Elitearmee dienten. Die Fremdenlegion oder auch „Légion étrangère“ wurde am 9. März 1831 durch König Louis Philippe von Frankreich ins Leben gerufen. Sie durfte per Dekret lediglich außerhalb von Europa, insbesondere in den Kolonialstaaten, eingesetzt werden. Bis heute besteht diese Einheit fast ausnahmslos aus Soldaten, die nicht Franzosen sind. Über 100 Jahre lang stellten Deutsche den größten Anteil der Legionäre.

Privatsammlung – Abzeichen der 13. Halbbrigade in Fremdenlegion

Seit jeher besteht der Mythos, dass sich deutsche Straftäter der Gerichtsbarkeit entziehen wollten und dies das Hauptmotiv für den Eintritt in die Fremdenlegion gewesen sei. Heutige Untersuchungen belegen jedoch, dass dies nicht richtig ist. Vielmehr führten eine schlechte Ausbildung, Arbeitslosigkeit und Armut die jungen Männer auf den Weg in die Legion.

Privatsammlung – Bandspange eines Offiziers oder Piloten in der Fremdenlegion

Vermutlich bedingt durch die sogenannte „Erbfeindschaft“ mit Frankreich hatte die Fremdenlegion in Deutschland kein gutes Ansehen. Immer wieder wurde von menschenunwürdigen Behandlungen und Strafen berichtet. Es wurden sogar Anti-Legionsvereine gegründet, um Deutsche vor dem Eintritt in die Fremdenlegion zu beschützen, und es wurde sehr viel „Aufklärungsarbeit“ geleistet, um insbesondere Schulabgänger davor zu warnen. So auch geschehen in Grevenbroich, wie folgendes Fundstück aus dem Stadtarchiv Grevenbroich zeigt.

StA Grevenbroich, Bestand Elsen, Nr. 1842

Aber nicht nur durch die Anwerbetätigkeit vieler Vereine „Ehemaliger Fremdenlegionäre“, sondern auch durch diese Aufklärungsarbeit wurden viele junge Männer erst auf die Fremdenlegion aufmerksam und sahen darin unter Umständen die Chance, ein „Abenteurerleben“ führen zu können.

StA Grevenbroich, Bestand Elsen, Nr. 1842
StA Grevenbroich, Bestand Elsen, Nr. 1840

1) Der Legionär Peter Baas
Peter Baas wurde am 3. November 1910 als Sohn des Güterbodenarbeiters (Arbeiter im Güterschuppen einer Bahnanlage) Joseph Baas und der Wilhelmine Wüst in Münchrath geboren. Vermutlich hat Peter lediglich eine kurze Nachricht im elterlichen Haus hinterlassen, wie die nachfolgende Suchanzeige der Eltern vom 28. August 1929 zeigt. In dieser wurde lediglich hinterlassen, dass er nach Hamburg will.

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1747

Bereits am 16. September 1929 wurde die Suche nach Peter Baas eingestellt, da bekannt wurde, dass er in die französische Fremdenlegion eingetreten war. Über seine Dienstzeit, seine Einsatzorte und seine Rückkehr nach Deutschland oder ob die Eltern versucht haben, ihn aus der Fremdenlegion herauszuholen, ist leider nichts bekannt. Laut einem Randvermerk auf seiner Geburtsurkunde starb er 1949 im Alter von ca. 39 Jahren in Neuss. Nachfolgend der relativ nüchterne Beleg, dass die Suche nach ihm als erledigt angesehen werden konnte.

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1747

2) Der Legionär Peter Bättgen
Peter Bättgen wurde am 14. Dezember 1907 in Frauwuellesheim im Kreis Düren geboren. Er heiratete am 23. April 1927 Elisabeth Hoffmann in Wevelinghoven und lebte danach auch noch dort. Seine „spannende“ Geschichte ist aus dem ausführlichen noch erhaltenen Schriftverkehr zwischen den Behörden sehr gut lesbar. Peter erschien am 20. April 1933 im Deutschen Generalkonsulat für Spanien in Barcelona. Dort stellte einen Antrag auf Heimschaffung über Genua, da er der Fremdenlegion entwichen sei und keine Mittel zur Heimreise besäße. Beigetreten war er der Fremdenlegion am 29. Oktober 1931.

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1719

Bereits am 24. April 1933 sendete der Bürgermeister Widmann ein Schreiben nach Spanien, in dem er die Angaben bestätigte und sowohl die Ausstellung eines Reisepasses als auch die Heimschaffung befürwortete.

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1719

Innerhalb der nächsten vier Wochen muss Peter Bättgen gemäß dem Düsseldorfer Polizeipräsidium wieder in Deutschland eingereist sein und sich auf den Weg zu seiner Ehefrau nach Wevelinghoven gemacht haben.

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1719
StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1719

Ob Peter Bättgen wie oben beschrieben infolge von Arbeitslosigkeit freiwillig oder nur zur Vermeidung einer Haftstrafe (Verurteilung wegen Schmuggelns) der Fremdenlegion beigetreten ist, kann nur vermutet werden. Auffällig ist jedoch seine Flucht aus der Fremdenlegion Anfang 1933, nachdem am 20. Dezember 1932 allen Straftätern mit dem sogenannten „Schleicher-Amnestie-Gesetz“ die Straffreiheit bei politischen Straftaten sowie die Straffreiheit bei Straftaten aus wirtschaftlicher Not gewährt wurde. Zudem wurde er nach seiner Rückkehr weiterhin durch die Polizeibehörde überwacht. Was es mit dem Foto von Heinrich Dehlen im oben gezeigten Brief auf sich hatte, konnte bisher nicht geklärt werden, da weder das Foto noch ein weiterer Hinweis dazu im Archiv zu finden ist.

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1719

Peter Bättgen überlebte ebenfalls den Zweiten Weltkrieg. Seine Spuren verlieren sich Ende der 1950er Jahre als er ein zweites Mal heiratete.

3) Der Legionär Heinrich Faßbender
Der Dreher Heinrich Faßbender wurde am 26. Februar 1905 als Sohn des Tagelöhners Conrad Hubert genannt Gerhard Faßbender und der Anna Maria Becker in Orken geboren. Seine „Geschichte“ beginnt am 11. April 1929 in Hamburg, wo er von der Hamburger Polizeibehörde aufgegriffen und verhaftet wurde. Im Grevenbroicher Stadtarchiv ist das Vernehmungsprotokoll der Hamburger Polizei vom 11. April 1929 erhalten geblieben. Danach war Heinrich im Mai 1928 freiwillig in die Fremdenlegion eingetreten. Seine Arbeitslosigkeit war der Grund seines Eintritts.

StA Grevenbroich, Bestand Elsen, Nr. 1840

Lesehilfe zu 8d):
„d) ist in der Verpflichtungserklärung ein Vermerk enthalten, wonach der Angeworbene bestätigt, in seiner Landessprache von dem Inhalte seiner Verpflichtung Kenntnis genommen zu haben.“

Am 17. Juni 1928 hatte er seine Verpflichtungserklärung in Metz abgegeben. Von dort ging es per Bahn nach Marseille. Dort bestieg er ein Schiff, welches ihn nach Oran brachte. Oran ist eine Küstenstadt im Westen von Algerien. Laut seinen Angaben desertierte er bereits neun Monate später. Er floh von Arzew, eine Hafenstadt in Algerien, die etwa 40 km von Oran entfernt liegt. Von dort reiste er zunächst mit dem englischen Dampfer „Holwood“ nach Leith, einem Stadtteil der schottischen Hauptstadt Edinburgh. Seine weitere Reise führte ihn mit dem englischen Dampfer „Breslau“ nach Hamburg.

StA Grevenbroich, Bestand Elsen, Nr. 1840

Bereits am 13. April 1929 erreichte eine Anfrage die Ortspolizeibehörde in Elsen. Mit dieser wurde darum gebeten zu bestätigen, dass die von Heinrich angegebenen Daten stimmen und ob gegen ihn etwas vorliegt. Inwieweit man die Hamburger Polizeibehörde auf die enthaltenen Fehler aufmerksam machte, ist leider nicht dokumentiert. In der Anfrage wird mit dem 28. Februar 1905 ein falsches Geburtsdatum genannt. Ebenso wird nicht seine leibliche Mutter, sondern seine Stiefmutter genannt.

StA Grevenbroich, Bestand Elsen, Nr. 1841

Besonders beeindruckend sind die in der oben gezeigten Anfrage erhalten gebliebenen Fotos der Polizeibehörde Hamburg, die den nur 24jährigen Heinrich Faßbender zeigen.

StA Grevenbroich, Bestand Elsen, Nr. 1841

Zur Feststellung seiner Persönlichkeit war er vom 11. April 1929 bis zum 15. April 1929 in Polizeihaft, wie nachfolgende Bescheinigung zeigt. Da zwischen dem Eingang der Anfrage und der Entlassung nur zwei Tage lagen, ist davon auszugehen, dass die Polizeibehörde Elsen umgehend ein Telegramm mit der Bestätigung nach Hamburg sandte.

StA Grevenbroich, Bestand Elsen, Nr. 1840

Wie akribisch die Geschichte von Heinrich Faßbender festgehalten wurde und wem Meldung gemacht wurde, zeigt ein Brief an den Landrat in Grevenbroich, in dem auch darauf verwiesen wurde, dass man die Landeskriminalpolizeistelle in Düsseldorf informiert hatte.

StA Grevenbroich, Bestand Elsen, Nr. 1840

„[…] Gestern meldete sich beim hiesigen Meldebüro der Dreher Heinrich Faßbender, geboren am 26. Februar 1905 zu Orken, preuß. Staatsangehöriger, ledig, hier Elsen, Kaiserstr. 2, an. Faßbender ist als angeblicher Flüchtling aus der französischen Fremdenlegion am 11. d. Mts. in Hamburg auf dem englischen Dampfer „Breslau“ eingetroffen. Vom 11. bis 15. d. Mts. befand er sich zur Feststellung seiner Persönlichkeit in Polizeihaft in Hamburg. Die Polizeibehörde in Hamburg, Abteilung II, (Kriminal- und Staatspolizei) hat Faßbender nach seiner Angabe vernommen, weshalb hier von seiner nochmaligen Vernehmung abgesehen worden ist.
Dem Polizeipräsidenten (Landeskriminalpolizeistelle) in Düsseldorf habe ich von der Rückkehr des Faßbender Nachricht gegeben.“

Der Polizeipräsident in Düsseldorf forderte den Grevenbroicher Landrat mit Schreiben vom 10. Mai 1929 auf, den zurückgekehrten Heinrich Faßbender unter Beobachtung zu nehmen. Leider konnte nicht recherchiert werden, wie und wie lange diese Beobachtung erfolgte.

StA Grevenbroich, Bestand Elsen, Nr. 1841

Der mittlerweile als Eisendreher arbeitende Heinrich Faßbender heiratete am 8. Juli 1932 die Christine Thomaßen im Standesamt Grevenbroich. Damit endet seine Geschichte aber noch nicht, denn nur wenige Jahre später holte ihn der Militärdienst wieder ein.

Heinrich Faßbender war im 2. Weltkrieg Panzergrenadier in der 2. Kompanie des Grenadier Regiments 5. Er erlag seinen schweren Verwundungen durch einen Bauchschuss und starb am 22. Dezember 1942 um 5 Uhr im Feldlazarett in Tatewo (Ostfront). Sein Grab befindet sich auf dem Heldenfriedhof bei Schloss Tatewo.

StA Grevenbroich, Sammlung Grevenbroicher Kriegstote, Stefan Faßbender

Heinrich Faßbender ist einer der mehr als 2.000 Grevenbroicher Kriegstoten, zu denen seit Januar 2024 im Stadtarchiv Grevenbroich in einer Sammlung recherchiert werden kann.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2024

Grevenbroicher Karneval anno dazumal…

„Große carnevalistische Wallungen und ergötzliche Abendunterhaltung“ vor 165 Jahren in Grevenbroich!

Er war nicht nur Lehrer aus Überzeugung, sondern auch ein lebensbejahender Mensch und Karnevalist: Der Grevenbroicher jüdische Lehrer Jacob Goldstein (1824-1900) war Mitglied der Kölsche Funke rut-wieß vun 1823 e.V. und bestritt in Grevenbroich beispielsweise mit dem Gesangverein „Liederkranz“ Grevenbroich Anfang der 1860 an Karnevalssonntsg und Rosenmontag eine abendfüllende musikalische Soiree mit anschließendem Maskenball.

Jacob Goldstein schrieb einen ausführlichen Bericht darüber, wie unser Vorsitzender Ulrich Herlitz bei seinen biographischen Recherchen zu Goldstein herausfand…

Jacob Goldsteins Todestag jährt sich 2025 im Mai zum 125. Mal.

…Goldsteins Vorbild machte auch nach seinem Tod Schule! So gehörte der Gustorfer Händler Moses Löwenthal dem Närrischer Sprötztrupp Gustorf an und war sogar Vizepräsident des Gustorfer Traditionsvereins!

Anzeigen Liederkranz und Bericht Jacob Goldstein in den Februarausgaben des Grevenbroicher Kreisblattes – nachzulesen im Zeitungsportal NRW


 

 

Weihnachten anno dazumal…

…so feierten die Grevenbroicher Weihnachten 1926!
Grevenbroicehr Zeitung – Ausgabe vom 24. Dezember 2024 (nachkoloriert)

Natürlich wurde Weihnachten auch in Grevenbroich zu Hause, im Kreis der Familie, gefeiert. Ein Hauch der Goldenen Zwanziger lag in der Luft, das hoffnungsvolle Gesicht der Weimarer Republik war ein wenig aus dem Schatten der Nachkriegszeit getreten. Auch wenn der Erste Weltkrieg und seine Folgen immer noch nachwirkten: Oft herrschte noch Wohnungsnot in der Stadt, Heizen war immer noch ein Problem und manch eine Familie war darum bemüht, Ihren Kindern in diesen Tagen eine wenn auch noch so kleine Freude zu bereiten. Da das Weihnachtsfest oft die einzige Gelegenheit war, wo sich die gesamte Familie traf, boten die Festtage vielen Paaren die Möglichkeit, ihre Verlobung im Kreis ihrer Lieben bekannt zu geben…

Ein Blick in die Grevenbroicher Zeitung aus dem Jahr 1926 und vor allem den Dezemberausgaben zeigt uns dies.

Viele Kinder und Eltern drückten sich die Scheiben am jüdischen Kaufhaus Bachrach platt und bestaunten die angebotenen Kinderspielsachen wie Kindereisenbahn, Schaukelpferd, Puppen oder Trommel.

Das Traditionshaus Friedrich Hömberg am Marktplatz bot seine Weihnachtsangebote ebenfalls in großflächigen Anzeigen an.

Es herrschte das Bedürfnis einer ganzen Generation, die den Krieg erlebt hatte, jahrelange Entbehrungen der Nachkriegszeit, harte Jahre der Inflation in fröhlicher, sorglos stimmender Gemeinsamkeit ein bisschen vergessen zu machen und befreit das Weihnachtsfest zu feiern. Jahrtausendfeier der Rheinlande und Befreiung von der belgischen Besatzung waren DIE Themen des Jahres gewesen.

Die Grevenbroicher konnten sich jedenfalls wieder einen Weihnachtsbaum auf dem Tisch leisten. Christbaumschmuck gab es bei W. Sommer Nachfahren zu kaufen. Kuchen und Torten gab es natürlich besonders zu Weihnachten in den Cafés wie Deden, Schall, der Dampfbäckerei Bremer oder Poser.

Natürlich wurde auch zuhause eifrig gebacken, da Butter noch teuer und rar war, sorgte in vielen Haushalten die gute Margarine von „Rama“ dafür, dass Kuchen am Gabentisch genossen werden konnte. Vor den Festtagen gab es zwei verkaufsoffene Sonntage, die aber nicht ganz so rege besucht wurden wie erhofft, spielte doch das Wetter nicht mit und war erst Anfang Dezember eine überaus erfolgreiche „Werbewoche“ des Grevenbroicher Handels zu Ende gegangen.

Solidarität im Verein

Vereine spielten im Alltag der Grevenbroicher vor allem als Ort zwischenmenschlicher Solidarität eine wichtige Rolle. Besonders beliebt war die Weihnachtsfeier des BSV Grevenbroich. Hier fand man gesellschaftlichen Anschluss und Anerkennung. Auf der Weihnachtsfeier des 1920 von vielen Vereinen und ehemaligen Schützen neugegründeten Bürger-Schützenvereins stellte der Vereinspräsident Jean Plum ein weihnachtliches Programm zusammen.

Sie fand im Saal des Vereinslokals „Hotel Lersch“, auch genannt „Zur Traube“, statt. Plum hatte seine Töchter gewinnen können, in einem „Melodram“ das deutsche Weihnachtslied „Stille Nacht“ vorzutragen, es folgte ein von Kindern der Vereinsmitglieder vorgetragenes Weihnachtsspiel „Am Eigelstein“. Höhepunkt und heiß ersehnt war zum Abschluss des offiziellen Teils vor allem die große Weihnachtsverlosung. Je nach Los sorgte sie für „hochbeglückte“, oder aber „zerknitterte“ Mienen. Den Abschluss bildeten frohe Stunden der Geselligkeit und Tanz „nach neuesten oder veralterten Tanzmoden“, musikalisch gestaltet durch die Kreisfeuerwehrkapelle Skibba.

Traditionelle Formen

In den Vereinen wurde Weihnachten meist in herkömmlicher Weise gefeiert. In den großen Sälen der zahlreichen Gaststätten der Stadt wurde oft und gerne gefeiert. Alleine in der Innenstadt gab es sage und schreibe 15 Gaststätten. In Zeiten, in denen noch Wohnungsnot herrschte, Wohnungen oft klein und selbst die guten Stuben manchesmal nicht geheizt waren, sorgten die Lokale mit ihren Sälen für Abwechslung, Unterhaltung und Zerstreuung vom harten Alltag. Allerdings hatte sich die Wirtevereinigung in diesem Jahr abgesprochen, zu Weihnachten und am ersten Feiertag geschlossen zu bleiben, ihr Motto: „Auch wir wollen Weihnachten in unseren Familien feiern!“

Drei nicht der Vereinigung angehörende Wirte öffneten allerdings ihre Türen, unter anderem auch das Gasthaus von Joseph Portz. Sie wollten Weihnachten „wie üblich mit ihren Gästen“ feiern…

Es gab in Zeiten, in denen es außer der Zeitung und wenigen Radios kein Fernsehen, kaum Fernsprecher, sprich Telefone, gab, eine rege Vereinslandschaft. Neben dem Bürgerschützenverein gab es auch den Fußballclub von 1911, aus dem der TUS hervorging, außerdem den Männergesangverein, die freiwillige Feuerwehr, das DRK oder den Schwimmverein, der die Badeanstalt an der Erft im Sommer rege nutzte. Auch ein Motorsportclub hatte sich gegründet. Aber auch das Vereinswesen stand immer noch zu einem großen Teil unter den Vorzeichen der Nachkriegszeit. Es gab mit Marineverein, Artillerieverein, Gardeverein, Kriegerverein und dem Bund der Kriegsbeschädigten zahlreiche Kameraden- und Ehemaligenvereine, hatte der Versailler Friedensvertrag doch das Reichsheer drastisch auf 100.000 Mann reduziert.

Der mit dem Kürzel “L” beschriftete Leserbrief stammte vermutlich vom jüdischen Kantor und Lehrer der Grevenbroicher Synagogengemeinde Alexander Löwenstein, der selbst hochdekorierter Frontkämpfer war.

Im Sommer hatte sich auch eine Ortsgruppe des Frontkämpferbundes „Stahlhelm“ gegründet. Dies stieß jedoch auf Widerstand, lehnte dieser doch die Weimarer Republik ebenso wie jüdische Mitglieder ab. So gründete sich bald darauf in Grevenbroich die Ortsgruppe des republikanischen „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ und die zahlreichen jüdischen Frontkämpfer aus Grevenbroich protestierten und wurden im „Bund Jüdischer Frontsoldaten“ Mitglied! Noch spielten die Nationalsozialisten vor Ort keine Rolle, aber der Kampf um die Republik wurde mit unnachgiebiger Härte auch in Grevenbroich geführt. In den Dezembertagen des Jahres 1926 herrschte jedoch ein gewisser „Weihnachtsfrieden“. Da gab es bei den Weihnachtsfeiern keine Unterschiede zwischen militärisch ausgerichteten, anti-demokratischen, bürgerlichen oder sozialistischen Vereinen. Aber es gab auch Vereine, die Nichtmitgliedern den Zutritt zur Weihnachtsfeier ausdrücklich verwehrten. Die Lustbarkeitssteuer, die auf jede Eintrittskarte erhoben wurde, ärgerte jedoch ohne Unterschied die Kassenwarte, denn sie schmälerte Einnahmen, die zur Finanzierung des Vereinsjahres dringend gebraucht wurden.

An den Weihnachtsfeiertagen selbst gab es eine Fülle von Freizeitangeboten: vor allem die beiden Grevenbroicher Kinos, das „Lichtspielhaus“ auf der Breitestraße 21 und die „Lichtspiele“ im Rheinischen Hof boten Vergnügen. Kassenschlager waren zum Beispiel der neue „Blockbuster“ von Buster Keaton, Regina Ralli oder Reginald Deny. Die Veranstaltungen wurden vielfach als „Amerikanisierung“ des Alltags kritisiert, hatte sich doch nicht nur in den Gaststätten mit der Jazz-Musik neue Unterhaltungsangebote etabliert. Sie waren aber auch geeignet, immer noch stark ausgeprägte Klassengegensätze zu überwinden, denn ihre Besucher sangen dieselben Schlager, die sie in den neuen Medien Kino und Radio kennenlernten. Ein wichtiges Argument für den Besuch des Silvesterballs waren deshalb auch „garantiert erstklassige Schlager“.

Die Kirchen

Für die überwiegend christliche Bevölkerung waren die Weihnachtsgottesdienste natürlich der Höhepunkt des Festes. In der evangelischen Kirche ebenso wie der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul wurden Gottesdienste abgehalten. Die Christmette in St. Peter und Paul wurde durch den Pfarrchor „Cäcilia“ mit seinem neuen Knabenchor „in prächtiger Weise mit wirkungsvoller Orgelbegleitung“ gestaltet und trug so dazu bei, „die Weihnachtsstimmung zu mehren und die Herzen empfänglich zu machen für der Weihnacht Gnade und Zauber“, wie die Zeitung berichtete. In der Synagoge Grevenbroichs auf der Kölnerstraße 26 wurde natürlich kein Weihnachten gefeiert, aber am 8. Dezember war das Lichterfest Chanukka zu Ende gegangen…

Im Alltag zurück

Ein Bericht im Lokalteil holte die Leser des „Grevenbroicher Zeitung“ aber wieder in den harten Alltag zurück:

das Wohlfahrtsamt Grevenbroichs hatte mit der städtischen Wohlfahrtskommission „mit einer Reihe Damen der Stadt“ zu Spenden für arme Mitbürger aufgerufen und die „Armen und Hilfsbedürftigen“ dank des „in unserer Stadt herrschenden Opfersinns aller Schichten“ „praktische und schöne Gegenstände“ sowie Briketts, Braunkohlen und Koks ausgegeben. Ebenfalls Geldgeschenke für diejenigen, die sich ein Weihnachtsfest aus eigenen Mitteln nicht leisten konnten…

Ulrich Herlitz/Vorsitzender Geschichtsverein
Eine einzigartige Quelle bieten digital zugängliche Geschichtsquellen. Darunter auch die Online-Ausgabe der Grevenbroicher Zeitung aus dem Jahr 1926, die in diesem Jahr online gegangen ist. Der Geschichtsverein Grevenbroich hat das Online-Portal zeit.punkt NRW und das dazugehörige Zeitungs-Projekt vorgestellt, aus dem auch die hier abgebildeten Anzeigen stammen! 

Das Titelbild ist eine mittels KI kolorierte Anzeige aus der Weihnachtsausgabe der Grevenbroicher Zeitung vom 24. Dezember 1926.

Die Adventszeit im Jahr 1944

Auch wenn die Adventszeit 2024 von vielen Konflikten in der Welt geprägt war, nutzten viele Menschen diese Zeit, um sich auf das Wesentliche zu besinnen. Im Vordergrund stand Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen und sich auf die Feiertrage vorzubereiten. Ein Teil dieser besonderen Zeit der Vorfreude und Besinnung waren auch die damit verbundenen Bräuche, wie das Singen von Weihnachtsliedern und das Backen von Plätzchen, insbesondere dann, wenn noch kleine Kinder zum Haushalt gehörten.

Im Gegensatz dazu war die Adventszeit im Jahr 1944 eine besonders schwierige und belastende Zeit, geprägt von den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs. In vielen Teilen Europas litten die Menschen unter den Folgen von Krieg, Hunger und Zerstörung. In Deutschland und anderen von den Nationalsozialisten besetzten Gebieten war die Stimmung oft von Angst und Unsicherheit geprägt.

Trotz der widrigen Umstände versuchten viele Menschen, die Traditionen der Adventszeit aufrechtzuerhalten, um ein wenig Hoffnung und Licht in ihren Alltag zu bringen. Adventskränze, Kerzen und Weihnachtsmärkte waren in vielen Städten zu finden, auch wenn sie oft von den Schrecken des Krieges überschattet wurden. Die Adventszeit 1944 war also eine Zeit des Wartens und der Besinnung, aber auch eine Zeit, in der der Wunsch nach Frieden und Normalität besonders stark ausgeprägt war.

Wie mag es wohl Josef Kratz in der Adventszeit 1944 ergangen sein? Er hatte am 21.11.1935 Cilly (Cäcilia Margarete) Schmitz aus Grevenbroich geheiratet. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder, Hanns Joachim und Marlene, hervor.

© Anne Kiefer: Cilly Schmitz und Josef Kratz vermutlich bei ihrer Verlobung im Jahr 1934.

Obwohl in allen Urkunden der Wohnsitz mit Zeppelinstraße (heute Orkener Straße) in Grevenbroich angegeben wurde, lebte er mit seiner Familie zu dieser Zeit in Friedberg/Hessen. Er arbeitete in einem städtischen Wehrmachtsdepot (Wartturm Kaserne) von Friedberg.

Wartturm Kaserne (Ray Barracks) im Jahr 1950 – gemeinfreies Bild

Friedberg war wie Grevenbroich und viele andere Städte in Deutschland, von den verheerenden Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs betroffen. Zu dieser Zeit fanden in vielen Regionen Luftangriffe statt, die Zerstörung und Leid mit sich brachten. Friedberg erlebte während des Krieges mehrere Bombenangriffe, die sowohl zivile als auch militärische Ziele ins Visier nahmen.

Friedberg in Hessen erlebte bis März 1945 insgesamt drei schwere Luftangriffe, der zweite fand am 4. Dezember 1944 statt. Auf den Stadtteil Fauerbach und das Bahngelände fielen vier Bombenteppiche, bei denen 90 Friedberger starben. Da die Bomben aus 9.000 Meter Höhe abgeworfen wurden und dadurch tief ins Erdreich eindrangen, schützte kein Kellerraum vor dem Unheil. 119 Bomber der USAAF griffen den strategisch wichtigen Rangierbahnhof in Friedberg an. Die abgeworfene Bombenlast von rund 330 Tonnen richtete enorme Schäden an.

Luftaufnahme während des Bombenabwurfes am 4. Dezember 1944 – gemeinfreies Bild
Zerstörungen am Rangierbahnhof im Frühjahr 1945 – gemeinfreies Bild

Die Ereignisse dieses und der nachfolgenden Tage wurden in mehreren Briefen von Josef Kratz an seine Familie festgehalten und geben uns heute einen seltenen und dramatischen Einblick in jene Zeit. Für uns stellen sie aber auch ein Mahnmal dar, warum Kriege verachtet und unterbunden werden müssen.

Ein Brief vom 11. Dezember 1944 von Josef Kratz an die Großeltern von Hanns Joachim und Marlene:

© Anne Kiefer: Brief vom 11. Dezember 1944 – Seite 1
© Anne Kiefer: Brief vom 11. Dezember 1944 – Seite 2
© Anne Kiefer: Cilly Kratz mit Hanns Joachim (8 Jahre) im rechten Arm und Marlene (4 Jahre) im linken Arm.
© Anne Kiefer: Brief vom 11. Dezember 1944 – Seite 3

Cilly Kratz starb im Alter von nur 32 Jahren durch den Fliegerangriff wie aus dem nachfolgenden Auszug der Sterbeurkunde ersichtlich ist.

Quelle: Auszug Sterberegister Friedberg, Nr. 61/1945

„Die Cäcilia Margarete Kratz, geborene Schmitz, katholisch, wohnhaft in Grevenbroich, Zeppelinstraße 86, ist am 4. Dezember 1944 zwischen 13 – 14 Uhr in Friedberg durch feindlichen Fliegerangriff gefallen. Die Verstorbene war geboren am 22. Dezember 1911 in Grevenbroich.“

© Anne Kiefer: Cilly Kratz, geb. Schmitz in jüngeren Jahren.

Hanns Joachim Kratz, geboren am 18. November 1936, wurde nur acht Jahre alt. Seine Schwester Marlene, geb. am 28. Februar 1940, wurde noch keine fünf Jahre alt.

© Anne Kiefer: Hanns Joachim Kratz
© Anne Kiefer: Marlene Kratz
© Anne Kiefer: Marlene und Hanns Joachim Kratz

Wie den weiteren Unterlagen zu entnehmen ist, ließ sich Josef Kratz in der Zeit danach nicht beurlauben, sondern ging seinem Dienst pflichtgemäß nach. „[…] Ich weiss, dass ich Euch vieles zu sagen habe, was man brieflich nicht kann, [Anmerkung: Vermutlich auch der allgemeinen Zensur geschuldet.] aber dennoch habe ich bis heute noch keinen Urlaub beantragt, weil ich mit bestem Willen noch nicht kann. Ich bin seelisch so krank, dass ich es nicht übers Herz bringe, heute schon zu Euch zu kommen, denn ich muss ja ohne Cilly und meine lieben Kinder kommen. Ich hoffe, dass Du mich als Mutter verstehst. Ich kann im Augenblick noch keinen Tag vergehen lassen, ohne meine Liebsten auf dem Friedhof zu besuchen. Es hat mir eine Wunde geschlagen, die nie zuheilen kann, ich bin auch heute noch nicht soweit, dass ich das alles fassen kann. […]“

Obwohl Josef Kratz den Kessel von Stalingrad überlebte, war er nicht davor geschützt, weiteres Unheil von sich und seiner Familie abzuwenden. Eine „Geschichte“, die viele Familien in der NS-Diktatur erleiden mussten.

Josef Kratz überlebte zwar den Zweiten Weltkrieg, starb aber am 4. Oktober 1945 in Sore in französischer Gefangenschaft an einer Krankheit. Sein Grab befindet sich heute auf der Kriegsgräberstätte Berneuil, etwa 100 km nördlich von Bordeaux. Auf dem 1967 eingeweihten Friedhof ruhen die Überreste von mehr als 8.300 deutschen Soldaten. Seine Grabanlage befindet sich in Block 6, Reihe 10, Grab 441.

© Anne Kiefer: Josef Kratz (Passfoto für seinen Wehrmachtsführerschein)
© Anne Kiefer: Totenzettel von Josef Kratz

Die Bilder, Briefe und sonstigen Dokumente wurden zur Verfügung gestellt von Anne Kiefer geb. Cames, Tochter von Margarete Cames geb. Schmitz, Schwester von Cilly Kratz geb. Schmitz, sofern nichts anderes angegeben ist. Die vorliegenden Informationen wurden durch eigene Recherchen des „Netzwerkes Grevenbroicher Kriegstote“ ergänzt und vervollständigt.

Das Netzwerk Grevenbroicher Kriegstote möchte mit dem Schicksal dieser Grevenbroicher Familie an die Schrecken des Krieges erinnern und deutlich machen, wie wertvoll eine friedliche Adventszeit und ein friedliches Weihnachtsfest im Kreise der Familie ist.

Wir wünschen allen Menschen friedliche und besinnliche Festtage.

“Wiederentdeckter” Pfarrpatron St. Hubertus in Grevenbroich

Zum Patronatstag fand eine Hubertusmesse zu Ehren des Heiligen Hubertus in der Pfarrkirche „Peter und Paul“. Hubertus hat seit 1854 das zweite Patrozinium in der Stadtmitte-Kirche inne…

Den Schluss-Segen spendete Pfarrer Meik Schirpenbach mit der pfarreigenen Reliquie des Heiligen Hubertus, deren Authentizität durch den Kölner Generalvikar Joannes Antonius Fredericus Baudri bestätigt wurde. Daraufhin wurde durch päpstliches Dekret des damaligen Papstes Pius am 4. August 1854 den Gläubigen von Grevenbroich ein vollkommener Ablass am Fest des Heilligen Hubertus beziehungsweise an dem Sonntag, der auf den 3. November folgt, gewährt.

GVZ 7.11.1925

Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst in beeindruckender Weise vom Korps der Jagdhornbläser Zons unter der Leitung von Erich Segschneider. 

Und auch der BSV Grevenbroich beteiligte sich anlässlich des 175-jährigen Vereins-Jubiläums mit Regimentsstandarte und einer Abordnung und BSV-Königspaar, ebenso wie eine Fahnenabordnung des Jägerzuges St. Hubertus, der in diesem Jahr seinen 125 Gründungstag feiert.


Ulrich Herlitz, Vorsitzender des Geschichtsvereins, hatte die Geschichte des Pfarrpatroziniums des Hl. Hubertus recherchiert und die Reliquie nebst Hubertusfahne wieder in Erinnerung gerufen sowie die Hubertusmesse im Zuge des BSV-Jubiläums und des Patronatsfestes angeregt.

Bericht zu St. Hubertus von Ulrich Herlitz in der
2024 10 Wir hier in GV Hubertus Artikel UH

Bericht in der RP/NGZ vom 7.11.2024 – Christian Kandzorra
“Heiliger Hubertus ist “wiederentdeckter” Pfarrpatron der City-Pfarrkirche”

Bericht in Erftkurier online vom 15.11.2024 – Gerhard Müller
Grevenbroich: Die Reliquie des heiligen Hubertus

Fotonachweis: Ulrich Herlitz/2024 & Jutta Wosnitza/BSV-Gruppenbild