Luftschiffe über Grevenbroich

Die Geschichte der Luftschifffahrt „spielte“ sich auch über Grevenbroich und ihren Stadtteilen ab. Heute sprechen wir in der Regel von Zeppelinen, die nach seinem Erfinder Ferdinand Adolph Heinrich August von Zeppelin (1838-1917) benannt sind. Allerdings gab es noch einen weiteren Luftschiffbauer namens August von Parseval (1861-1942), der die Epoche der Luftschifffahrt vorantrieb und prägte, aber heute weitestgehend vergessen ist.

Bereits im Jahr 1909 flog das erste Luftschiff über Grevenbroich und erregte damit sehr großes Aufsehen in unserer Region. Und dies war kein Luftschiff namens Zeppelin, sondern das Luftschiff „Parseval 3“, welches das erste lenkbare Luftschiff seiner Zeit war.

StA Grevenbroich, Schulchronik Noithausen, Sig. 513

„Noithausen, den 31. Oktober 1909. Heute, 8.10 Uhr morgens überflog das erste lenkbare Luftschiff unseren Ort. Durch dasselbe wurde das ganze Dorf in Aufregung gebracht. Das Luftschiff flog in der Richtung Neuss – Jülich und hieß „Parseval 3“. Überall wurde dasselbe mit lautem Jubel begrüßt. In den nächsten Tagen manövrierten mehrmals die in Köln stationierten Reichsluftschiffe über Grevenbroich und dessen südlicher Umgebung.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Gustorf, Sig. 329

„Ein lenkbares Luftschiff über hiesiger Gegend. Parsevall war von der Kölner Luftschiffhalle kam zwischen 2 ½ Uhr bis über Grevenbroich, wandte sich in elegantem Bogen und führ mit großer Schnelligkeit wieder zurück.“

(Anmerkung: Wer sich besonders für die Kölner Luftfahrt interessiert, empfehle ich die Webseite „http://www.luftfahrtarchiv-koeln.de“ zu besuchen, die großartige Fotos zeigt und die Luftfahrt allgemein beschreibt.)

Obwohl in den nächsten Jahren intensiv an Luftschiffen geforscht wurde und eine stete Verbesserung – auch im Hinblick auf die Nutzung im Ersten Weltkrieg – zu erkennen war, wurde in den Schulchroniken fast 20 Jahre lang nicht mehr davon berichtet. Erst im Oktober 1928 fanden Luftschiffe wieder Erwähnung, dies jedoch in gewaltigem Umfang.

So schreibt der Noithausener Schulchronist: „Am 15. Oktober 1928 fand aus Anlass der denkwürdigen Überfahrt des Luftschiffes „Graf Zeppelin“ nach Amerika eine vaterländische Feier statt, wobei die Kinder auf die hohe nationale Bedeutung dieses Ereignisses hingewiesen, und die tapferen Ozeanbezwinger in gebührender Weise geehrt wurden. Die letzte Unterrichtsstunde war schulfrei.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Noithausen, Sig. 513)

Der Lehrer Brass schrieb dazu: „10. Oktober 28. Abflug des Luftschiffes „Graf Zeppelin“ nach Amerika. Das ganze deutsche Volk verfolgt mit Stolz und Teilnahme den Flug des Luftschiffes nach Amerika. Zeitungen und Radio stehen ganz im Dienste der Berichterstattung. Nebenstehend: Bericht der „Kölnischen Volkszeitung“ über den Flug und die Ankunft in Amerika.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 3, Seite 42, Sig. 216)

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 3, Seite 43, Sig. 216

Gemäß der Anordnung von Herrn Kreisschulrat Scheuten, die in Elfgener Schulchronik erhalten geblieben ist, dürften nicht nur die Schulen Elfgen und Noithausen eine vaterländische Feier abgehalten haben und die letzte Schulstunde freigegeben haben, sondern alle Schulen im damaligen Kreis.

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 3, Seite 44, Sig. 216

„1. November 1928. Rückkehr des Luftschiffes „Graf Zeppelin“. Das Luftschiff „Graf Zeppelin“ ist verhältnismäßig rasch und wohlbehalten aus Amerika nach Friedrichshafen zurückgekehrt. Soeben hörte ich am Radio die Empfangsfeierlichkeiten in Friedrichshafen. Nach vielen Begrüßungen und Glückwünschen nahm als Letzter Dr. Eckener das Wort. Er wies die Ehrungen zurück und wollte sie nur für seine Besatzung angebracht wissen. Er schilderte die großen Schwierigkeiten, besonders der Rückfahrt. Seine Ausführungen gipfelten in dem Urteil: „Der Ozean ist in der Luft noch nicht bezwungen. Es muss am Schiff, seiner Motorenstärke und seiner Stabilität noch viel verbessert werden, bis man einigermaßen Herr der Elemente und der Tücken ist.“ Der Empfang war äußerst klar und die Übertragung so gut, dass man die Feierstunde miterlebte.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 3, Seite 46f., Sig. 216)

Im Hinblick auf den verlorenen Ersten Weltkrieg und den damit verbundenen schweren Schicksalsjahren (z. B. Reparationszahlungen, Hungersnöte etc.) stellt die nachfolgende Abschrift aus der Elfgener Schulchronik die Einstellung der Deutschen, wohl in nicht nur in unserem Kreis, dar.

„28.8.29. Das Luftschiff „Graf Zeppelin“ ist auf einer Weltreise. Die Fahrt geht durch Deutschland, Russland, Sibirien nach Japan. Von dort aus über den Stillen Ozean nach Nordamerika. Augenblicklich befindet er sich auf der Fahrt über die Vereinigten Staaten. Es ist eine Triumphfahrt deutschen Geistes und deutscher Arbeit. – Vor einigen Wochen holte sich die „Bremen“, ein neuer Dampfer des Norddeutschen Lloyd, das „blaue Band des Ozeans“ – Diese Leistungen deutscher Arbeit sind, die solche einzigen vaterländischen Symbole, in denen sich unser Volk zusammenfindet, – die uns blieben. Im Haag sitzen die Außenminister der „Sieger“ mit unseren Vertretern und können sich nicht einig werden über die Geldfragen. Alle fürchten, sie könnten zu kurz kommen. Wir haben bitterwenig zu sagen. Es ist doch hart, so ganz dem Siegerwillen ausgeliefert zu sein! – Aber Gott gibt uns den „Zeppelin“ und die „Bremen“, damit wir unseren Mut behalten.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 3, Seite 70)

Begründet im Wesen der NS-Zeit, blühte das Thema Luftschiffe insbesondere im Hinblick auf die Propaganda der NSDAP vollends wieder auf. Über jeden Flug eines Zeppelins wurde sowohl in Presse als auch im Radio berichtet. So blieb „glücklicherweise“ auch die Elfgener Schulchronik davon nicht „verschont“ und kann uns heute einen sehr guten Einblick in die damalige Zeit geben.

„29.3.1936. Nach der Frühmesse am Sonntag zog das Luftschiff L.Z. 127 „Graf Zeppelin“ von Rheydt [Heimatort von Goebbels] nach Aachen fliegend, am westlichen Himmel vorbei. Gegen 8 ½ Uhr hörte ich am Rundfunk die Unterhaltung zwischen L.Z. 129 „Hindenburg“ und dem Reichssender Köln. „Hindenburg“ meldete, dass es soeben Rheydt verlasse. Ich eilte zum Küchenfenster und sah den Riesen über Belmen blinken.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, Seite 217)

Weihnachtsbaumschmuck LZ 127 aus den 1930er. Sammlung André Rasch
Niederrheinische Volkszeitung Nr. 90 vom 30. März 1936
StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, Seite 110, Sig. 217

„31. März 1936. Dieser erste Flug des neuen Zeppelin L.Z. 129 „Hindenburg“ führte auch über Elfgen. Der Luftriese kam aus Richtung Grevenbroich und überquerte Elfgen in Richtung Otzenrath. Sehr deutlich waren Namen, Hakenkreuz und Flugkabinen zu erkennen, ebenso die Propeller. Die Leute eilten auf die Straße. Begeisterung und Stolz erfüllt uns ob dieses neuen Beweises deutscher Kraft und Tüchtigkeit.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, Seite 110, Sig. 217)

„7.5.36.„Zeppeline“ überfliegen Elfgen. Heute Nacht, 1 Uhr überflog das Luftschiff „Hindenburg“ auf seiner ersten Nordatlantikfahrt unseren Ort. Soeben, 21 Uhr kehrte der „Graf Zeppelin“, hell erleuchtet, aus Südamerika zurück.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, Seite 114, Sig. 217)

„17.5.36. Zweite Nordatlantikfahrt des „Hindenburg“. Es ist Sonntagmorgen, 7 Uhr. Die Leute eilen zur Frühmesse. Da nähert sich das Zeppelinluftschiff „Hindenburg“, mit leichtem Gebrumme aus der Richtung Gustorf kommend und überfliegt, silbern glänzend, in majestätischem Fluge unsere Kirche. Er kommt von Frankfurt a. M. und macht seine zweite Fahrt über den Nordatlantik. Es scheint, dass die Fahrten stets über unsere Gegend führen. Das freut uns sehr. Der Anblick des herrlichen Luftschiffes erfreut immer wieder. Stolze Freude ist es, die alle erfüllt ob dieser prachtvollen deutschen Leistung.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, Seite 115, Sig. 217)

„25.5.36. L.Z. 129 „Hindenburg“. kam um 22.30, von Frankfurt kommend und nach Südamerika fahrend, hell erleuchtet, über Elfgen daher. Immer wieder verlassen wir in Zeppelinbegeisterung die Ruhelager und können die Freude nicht fassen, dass unser Dorf in der Fahrtroute des stolzen Luftschiffes liegt.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, Seite 117, Sig. 217)

„Sept. 36. Das Zeppelinluftschiff „Hindenburg“ passiert auf seinen Amerikafahrten immer wieder unseren Ort.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, Seite 125, Sig. 217)

Wie kritisch man mit Berichten aus den 1930er Jahren umgehen sollte, zeigt nachfolgender Eintrag. Über jeden Überflug eines Zeppelins wurde voller Begeisterung geschrieben und dieser entsprechend auch in Schulchroniken oder Presse festgehalten. Über das tragische Unglück des Absturzes in Lakehurst wurde jedoch in der Schulchronik nur in einem Nebensatz in Klammern berichtet (Hervorhebungen erfolgten durch den Autor dieses Beitrages).

„3.5.37. Das Zeppelinluftschiff „Hindenburg“ kam gegen ½ 10 Uhr abends auf seiner ersten diesjährigen Nordatlantikfahrt wieder hellerleuchtet über unseren Ort. (Verbrannte bei der Landung in Lakehurst am 6.5.37) (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, Seite 147, Sig. 217)

Annener Zeitung Nr. 105 vom 8. Mai 1937
Bochumer Anzeiger Nr. 106 vom 8. Mai 1937

Nach dem Absturz der „Hindenburg“ wurde im September 1938 das Schwesterschiff, die LZ 130, auf den Namen „Graf Zeppelin“ getauft und in Betrieb genommen. Die Fotos wurden vermutlich im Kreis Neuss aufgenommen, da sie aus dem Fotoalbum eines Meerbuscher Bürgers stammen.

LZ 130 „Graf Zeppelin“ um 1938/1939. Sammlung André Rasch
LZ 130 „Graf Zeppelin“ um 1938/1939. Sammlung André Rasch

Ein herzliches und großes DANKESCHÖN an André Rasch, der dem Geschichtsverein die Abbildungen der Luftschiffe und des Weihnachtsschmucks für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt hat und ihn dadurch enorm bereichert hat.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

 

Wenn es damals schon TikTok oder Facebook gegeben hätte…

Etwas Kurioses aus der Elfgener Schulchronik.

„18. September 1939: Die Rekord- und Sensationssucht unserer Zeit treibt ihre Blüten. Dafür seien untenstehende Dokumente als Beweis beigefügt. Ganz Elfgen war auf den Beinen, als die beiden Athleten den schweren Wagen „mit den Zähnen“ den Jüchener Berg hinaufzogen.“ [Hinweis: Also drei Wochen nach Beginn des Zweiten Weltkriegs.]

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 3, Seite 72, Sig. 216
StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 3, Seite 72, Sig. 216

Laut einem Wandkalender aus dem Jahr 2016 aus Walsum sollte der Reinertrag für die Zwecke der Jugendpflege in der Heimat dienen. Leider wurde bisher kein Nachweis gefunden, ob die Brüder Franz und Adolf Kuhlmann den Weg vollständig schafften.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Der Mob zieht durch Noithausen und plündert…

Mehr als 1.000 Menschen aus Noithausen, Orken und Elsen versammelten sich am 11. August 1923 am Kreuz auf der Provinzial-Landstraße mit Ziehwagen und Schubkarren, um das gemähte Getreide auf Noithausens Feldern zu plündern.

„Gegen die hiesigen Besitzer, die zum Schutze ihres gemähten Getreides mit Polizei und Gendarm erschienen waren, nahm die Menge eine drohende Haltung ein. Plötzlich stürmte die wilde Schar auf die Getreidefelder los, und in kurzer Zeit hatte man den Gutsbesitzern Schiffer und Brünglinghaus je zehn Morgen [1 Morgen = ca. 2.500 m²] Weizen geplündert. Die Polizei war gegen die Menge machtlos.“ StA Grevenbroich, Schulchronik Noithausen, Sig. 513

Erntewagen Gut Brünglinghaus in den 1920er. © Sammlung Brünglinghaus

Grund für die Plünderungen war die allgemeine Not im „Vaterland“ im Jahr 1923. Infolge der Lebensmittelknappheit hat sich die Lage derart zugespitzt, dass es an vielen Orten im Kreis und auch Städten zu wilden Plünderungen und unbeschreiblichen Vorgängen kam. So berichten viele Zeitungen im August 1923 darüber, dass große Scharen von Männern und Frauen auf das Land ziehen, um von der Landbevölkerung die Herausgabe von Kartoffeln und Getreide zu erzwingen.

Westdeutsche Landeszeitung Nr. 187 vom 23. August 1923

Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, fand man in Noithausen eine einfache Lösung, denn langfristig hätten sich die unkontrollierten Plünderungen noch mehr auf die Versorgungslage der Bevölkerung im Herbst 1923 und auch auf die Bauern ausgewirkt. So schreibt der Chronist: „Einmütig wurde daher in einer Versammlung von Landwirten und Arbeitern beschlossen, dass die Landwirte für die dringendsten Lebensbedürfnisse aller Gemeindeeingesessenen aufzukommen, andererseits die Arbeiter mit für Ruhe und Ordnung innerhalb der Gemeinde zu sorgen hätten.“

Erntewagen Gut Brünglinghaus in den 1920er. © Sammlung Brünglinghaus

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

 

 

Das Schicksal der Familie Daners.

Der 1886 in Düren geborene Tierarzt Dr. Peter Daners lebte mit seiner Frau und den vier Kindern in einem Haus in der Grevenbroicher Stadtmitte. Im Verlauf des Krieges legte er in seinem Garten einen Luftschutzraum an, in dem seine Familie und die Nachbarn während der alliierten Luftangriffe Schutz fanden. Wobei seine beiden ältesten Söhne Hubert und Walter als Soldaten im Felde standen.

Hubert Daners wurde im August 1943 zur Wehrmacht eingezogen und nach sechs monatiger Ausbildung an die Ostfront versetzt. Nach nur drei Monaten wurde er am 22. Juni 1944 schwer verwundet, woraufhin er drei Tage später auf einem Hauptverbandplatz seiner schweren Verletzung erlag. Er wurde nur 19 Jahre alt.

Sein älterer Bruder Walter diente bereits seit Beginn des Krieges in der Wehrmacht. Er nahm an den Feldzügen in Polen, Frankreich und Russland teil, wo er im Juli 1941 schwer verwundet wurde. Bedingt durch seine Verletzung wurde er vorerst vom Wehrdienst freigestellt und konnte sich zwei Jahre seiner Berufsausbildung zum Apotheker widmen. Im April 1944 begann er ein Studium, doch schon einen Monat später erhielt er erneut seine Einberufung zum Wehrdienst. Nach nur dreiwöchigem Abwehrkampf bei Grodno, im heutigen Belarus, traf ihn ein Artilleriegeschoss wodurch er am 24. Juli 1944 im Alter von 24 Jahren starb.

Das Familienoberhaupt Dr. Peter Daners erlebte den sogenannten „Heldentod“ seiner beiden Söhne noch, bevor er selbst nach kurzer schwerer Krankheit am 5. September 1944 in einem Düsseldorfer Krankenhaus verstarb.

Im Wohnhaus in der Grevenbroich Stadtmitte blieben seine zweite Ehefrau, seine 25-jährigen Tochter Irmgard und der jüngste Sohn zurück. Doch der Krieg sollte noch ein letztes Mal erbarmungslos zuschlagen. Bei einem der schwersten Luftangriffe, wurde das Haus der Familie Daners am 14. Februar 1945 um 16:30 Uhr vollständig zerstört. Während die Mutter, der jüngste Bruder und die Nachbarn bereits im Schutzraum saßen, schaffte Irmgard es nicht mehr rechtzeitig hinein. Durch die Explosion erlitt sie eine Zertrümmerung des rechten Unterschenkels durch Bombensplitter und wurde ins Dormagener Krankenhaus gebracht, wo sie am 6. März 1945 um 21:00 Uhr an den Folgen ihrer Verletzung und einer Lungenentzündung verstarb.

Tragisch ist zudem, dass am 6. März mit Zons die letzte Gemeinde im heutigen Rhein-Kreis Neuss von den Amerikanern erobert wurde und der Krieg für seine Bewohner faktisch zu Ende war.

Zum Jahrestag des Todes der Studentin Irmgard Daners möchte das Netzwerk Kriegstote an das Schicksal dieser drei sehr jungen Menschen aus Grevenbroich erinnern und ihnen ein Gesicht geben, da auch sie zu Opfern der nationalsozialistischen Herrschaft während des Zweiten Weltkrieges wurden.

Ein Luftschutzraum in Grevenbroich Stadtmitte.

Vor einigen Tagen konnte der Verein Luftschutzanlagen Rhein Kreis Neuss e. V. einen privaten Schutzraum in der Grevenbroicher Stadtmitte dokumentieren, der insbesondere im Rahmen unseres gemeinsamen Projektes “Netzwerk Kriegstote” interessant ist.

Der kleine unterirdische Raum wurde sehr wahrscheinlich im Jahr 1943 in Eigenleistung von den Bewohnern des Doppelhauses errichtet. Er liegt im Garten, direkt an der Grundstücksgrenze der beiden Haushälften und ist über den Keller zugänglich.

Am Nachbarhaus wurde ein Durchbruch geschaffen, von dem man ebenfalls aus dem Keller direkt zum Treppenabgang gelangen konnte. Heute ist der schmale Durchbruch zugemauert.

Vom Keller führen 11 Stufen gerade herunter zum Schutzraum.

Auffällig ist, dass es keine Schikane gibt, die Splitter oder Druckwellen brechen könnte. Auch verfügt die Luftschutzanlage über keine Gasschleuse, wie sie eigentlich vorgeschrieben war. Lediglich eine Gasschutztür befindet sich vor dem ca. 6 m² kleinen Schutzraum. Durch die Raumhöhe von 180 cm passt die Gasschutztür gerade so herein. Im Inneren erkennt man, dass die Wände geziegelt und die Betondecke mit Eisenträgern verstärkt ist. Am Ende des Schutzraums liegt der Notausstieg, der ebenfalls mit einer kleinen Gasschutztüre verschlossen werden konnte.

Die Luftschutzanlage an sich war nicht sehr spektakulär, aber die Geschichte dahinter macht ihn für uns mehr als interessant. Über das Schicksal, dass sich im Februar 1945 dort abgespielt hat, berichten wir nachfolgend in einem weiteren Beitrag.

 

Lehrer dürfen züchtigen…

Kinder dürfen auch außerhalb der Schule von ihren Lehrern gezüchtigt werden! Blutunterlaufungen, blaue Flecken und Striemen gehören nicht unbedingt zu einer merklichen Verletzung!

So zumindest nach den Aufzeichnungen des Lehrers in der Noithausener Schulchronik aus dem Oktober 1889.

StA Grevenbroich, Schulchronik Noithausen, Sig. 513

Transkription: „Erkenntnis des Oberverwaltungsgerichts über das Züchtigungsrecht der Lehrer: Der Lehrer ist zur Vornahme empfindlicher körperlicher Züchtigung berechtigt. Eine merkliche Verletzung ist eine solche, durch welche Gesundheit und Leben der Schüler gefährdet erscheint. Blutunterlaufungen, blaue Flecken, Striemen für sich allein gehören nicht hierzu, denn jede empfindliche Züchtigung, und zu einer solchen ist der Lehrer berechtigt, lässt derartige Erscheinungen zurück. So ist der Lehrer ebenfalls nicht straffällig, wenn er einen Schüler, der einer anderen Klasse angehört, züchtigt, auch kann die Züchtigung des Schülers außerhalb des Schullokals stattfinden. Das Verhalten des Schülers außerhalb der Schule unterliegt ebenfalls der Schulzucht, was so oft von den Eltern gerade bestritten wird. Dasselbe Züchtigungsrecht hat auch der Geistliche bei Erteilung des Religions-Unterrichtes. Die Schulzucht kann nur dann Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens werden, wenn eine wirkliche Verletzung des Schülers stattgefunden hat.“ (Hervorhebungen durch den Autor)

Entnommen wurde der Text vermutlich einer Tageszeitung im Oktober 1889, denn der o. a. Text entspricht dem nachfolgenden Zeitungsartikel bis auf den Einleitungssatz in voller Gänze. Die hervorgehobene Textstelle soll jedoch die Ansichten damaliger Zeit noch einmal ausdrücklich darstellen.

Rheinisches Volksblatt Nr. 123 vom Samstag, den 19. Oktober 1889

Bereits einem Artikel im Rheinischen Volksblatt Nr. 123 vom Dienstag, den 23. Oktober 1883 ist zu entnehmen, dass Eltern immer wieder versucht haben, gegen die Züchtigung außerhalb der Schule zu protestieren. Die Zeitung führte hierzu aus: „[…] als enthielte das Einschreiten des Lehrers einen Eingriff in das elterliche Erziehungs- und Züchtigungsrecht. Dass Letzteres jedoch nicht der Fall, der Lehrer vielmehr verpflichtet ist, gegen die von den Kindern außerhalb der Schule begangenen Ungezogenheiten einzuschreiten, führt der Ministerialerlass vom 28. März 1872 aus, in welchem es heißt, dass die außerhalb der Schule von den Kindern begangenen und straflos gebliebenen Übertretungen von der Schulzucht nicht ausgeschlossen sind; die Schule daher den Beruf hat, derartige Handlungen der Kinder nach der ihr zustehenden Diziplinargewalt in einer den Zwecken der Erziehung entsprechenden Weise zu ahnden.“

Aus heutiger Sicht dürfte auch ein Urteil des BGH vom 23. Oktober 1957 auf uns ziemlich befremdlich wirken, wonach zwar der Tatbestand der Körperverletzung durch die körperliche Züchtigung der Schüler durch den Lehrer erfüllt ist. Aber ihre Strafbarkeit entfällt, wenn der Lehrer zur Züchtigung rechtlich befugt ist und sich innerhalb der Grenzen dieser Befugnis hält. Das Gewohnheitsrecht bestimmt die Grenzen der Züchtigungsbefugnis nach Anlass, Zweck und Maß. Jede quälerische, gesundheitsschädliche, das Anstands- und Sittlichkeitsgefühl verletzende, nicht dem Erziehungszweck dienende Züchtigung ist verboten. Den Umkehrschluss aus dem letzten Satz überlassen wir dem Leser!

Honnefer Volkszeitung Nr. 248 vom Donnerstag, den 24. Oktober 1957
Honnefer Volkszeitung Nr. 248 vom Donnerstag, den 24. Oktober 1957

In Westdeutschland wurden die Züchtigung und Prügelstrafe in den meisten Bundesländern erst im Jahr 1973 untersagt. Ausnahmen bildeten Bayern, welches erst im Jahr 1983 ein Verbot aussprach und Nordrhein-Westfalen, welches bereits durch einen Runderlass vom 22. Juni 1971 das Züchtigungsverbot für unzulässig erklärte. Erst im Jahr 2000 beschloss der Bundestag das „Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung“. Gemäß § 1631 Abs. 2 BGB haben Kinder seit dem 2. November 2000 ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Wie wurde das Jahr 1963 im Jahr 1938 gesehen?

Zwar tragen wir heute immer noch keine unverbrennbare Kleidung aus Zellulose oder gesponnenem Glas. Aber wenigstens können wir, wenn wir es wollen, in hermetisch abgeschlossenen Häusern leben und das Raumklima über Heizung und Klimaanlage an unsere Bedürfnisse anpassen. Der Wetterbericht noch die Überseepost werden uns heute von Raketen überliefert, aber dafür haben wir Wettersatelliten im Weltall und Glasfaserkabel, die auf dem Boden des Atlantiks liegen. Wie uns die Corona Pandemie gezeigt hat, können wir auch immer noch keine Infektionskrankheiten mit ultraviolettem Licht verhindern.

Was fällt euch noch ein? Welche Prophezeiungen sind in Erfüllung gegangen oder gehen bald in Erfüllung? Schreibt eure Meinung gerne in die Kommentare!

Transkription des Zeitungsartikels: „Die Welt in 25 Jahren. New York, im April. Vor einem Auditorium von 900 Ingenieuren und Technikern unternahm dieser Tage eine Gelehrtengruppe den hochinteressanten Versuch, ein Bild der Welt im Jahre 1963 zu entwerfen. Nach ihren Ausführungen können diejenigen von uns, die noch 25 Jahre zu leben gedenken, sich auf allerhand grundlegende Änderungen gefasst machen. Wie die Gelehrten nämlich berichten, wird der Mensch in 25 Jahren unverbrennbare Kleidung aus Zellulose oder gesponnenem Glase tragen und sie säubern, indem er sie in einen elektrischen Ofen wirft, er wird in von der Außenwelt hermetisch abgeschlossenen Häusern leben, die elektrisch erleuchtet, geheizt, gekühlt und mit jedem gewünschten Klima versehen werden; er wir Bazillen und Mikroben nicht mehr kennen, ebenso wenig wie Infektionskrankheiten, nachdem diese unsichtbaren Lebewesen durch ultraviolettes Licht längst vernichtet sein werden. Er wird weiterhin Kraft und Licht direkt von der Sonne beziehen; seine Bibliothek wird aus winzigen Filmspulen vom Umfang einer Taschenuhr bestehen, und er wird diese „Bücher“ mit Hilfe von Projektionsapparaten lesen, die noch nicht einmal den Umfang eines Tischtelefons haben werden. Seine Wetterberichte wird er auf Grund von Raketenerkundungen in der Stratosphäre erhalten, und seine Überseepost durch automatisch gesteuerte Raketen, die den Atlantik in wenigen Stunden überqueren werden. Überhaupt wird er in einer Welt leben, einer Welt, in der Dürre, Hagel, Frost, schädliche Insekten und Pflanzenkrankheiten keine Bedeutung mehr besitzen, weil die traditionelle Landwirtschaft durch die neuen „Äcker ohne Boden“ abgelöst sein wird, nämlich durch die sogenannten Tankfarmen, in denen Getreide- und Gemüsepflanzen direkt in einer Nährlösung unter Dach und Fach gedeihen und hundertfache Erträge liefern. Und wenn diese Prophezeiungen tatsächlich in Erfüllung gehen, dürfte es sich doch lohnen, noch 25 Jahre auszuhalten.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Neukirchen, Sig. 494

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023.

Ein unterirdischer Gang in Allrath?

Der Geschichte auf der Spur. Von Rolf Esser, Allrath, 2022.

Angestoßen zu diesem Artikel wurde ich durch eine Rückfrage von Dr. Schmitz, Vorsitzender des Geschichtsverein Grevenbroich. Er wollte Näheres wissen zu dem „unterirdischen Gang nach Vollrath und zur Allrather Kirche“ auf einem Foto in der Festschrift zur 475-Jahr-Feier der St. Sebastianus-Bruderschaft Allrath im Jahr 2008. Also bin ich dieser interessanten Aussage einmal nachgegangen.

Ich hatte auch schon einmal von Erzählungen älterer Dorfbewohner gehört, die von einem von der Kirche Allrath aus zum Gut Vollrath und weiter zum Kloster Welchenberg führenden unterirdischen Gang sprachen. Einzelheiten oder Beweise dafür lagen aber nicht vor.

Meine Recherchen begannen bei den beiden letzten Brudermeistern der St. Sebastianus-Bruderschaft Allrath, Willi Kremer und Ulrich Hassels, die aber keine konkreten Beweise beisteuern konnten. Ulrich Hassels erinnerte sich, dass der bereits in den 1980er-Jahren verstorbene Brudermeister Peter Brosch (geboren 1899, Brudermeister von 1948-1981) des öfteren von solch einem Gang erzählte, der von der Allrather Kirche über das obige Haus (ca. 50 m von der Kirche entfernt) zu einem Ein-  und Ausstieg im Gut Vollrath führte. Er soll schon im Mittelalter angelegt und im Lauf der Jahre immer weiter ausgebaut und befestigt worden sein. Reste davon sollen auch bei der Aufschüttung der Vollrather Höhe (1956 bis 1967), bei der auch das bereits 1300 urkundlich erwähnte Gut Vollrath unter dem Abraum verschwand, gefunden worden sein. Im Archiv von Rheinbraun/ RWE konnte ich hierzu jedoch keine Angaben finden.

Danach habe ich Kontakt zu Ralf Nitschke aufgenommen, der von Jugend an in diesem Haus wohnt. Wie auf einer in die Hofwand eingelassenen Tafel zu lesen ist, haben Godefridus Hamecher und Cadarina Caufmans das Haus 1787 gebaut.

[Ergänzung durch den Arbeitskreis Familienforschung: Gottfried Hamacher, *ca. 1724 in Allrath, +29.04.1812 in Allrath, Beruf: Bauer und Catharina Kaufmann, *ca. 1732 in Allrath, +09.07.1800 in Allrath. Das Ehepaar hatte 14 Kinder, die zwischen 1754 und 1779 geboren wurden.]

Ralfs Großvater hat es später gekauft. Auch seine Mutter Gertrud Nitschke geb. Glasmacher (1928-2017) hat ihm mehrfach von diesem Gang erzählt. Auf den noch vorliegenden Plänen und Dokumenten gibt es allerdings keinen Hinweis hierauf.

Im Keller zeigte Ralf mir in ca. 3 Meter Tiefe den Beginn eines möglichen Gangs. Das Foto davon habe ich am 3. April 2018 aufgenommen.

Keller Haus Nitschke. Foto: (c) Rolf Esser, 2008.

Dieser Gang („Durchgang, Aus-/Eingang“) ist nur ca. 1 Meter lang und von Ralf bereits vor Jahren zugemauert worden, da dahinter nur feste Erde war. War das möglicherweise der Anfang eines wie immer gearteten Gangs in Richtung Gut Vollrath? Nach einer Katasterkarte von 1810 gab es jedenfalls noch kein Nachbarhaus Richtung Vollrath, sondern nur freies Feld. Eine weitere Öffnung o.ä. in Richtung der nur ca. 50 m entfernten Allrather Kirche gibt es im Keller dieses Hauses nicht.

Darüber hinaus konnten sowohl Ralf Nitschke als auch ich keine weiteren konkreten Beweise für einen Gang oder Tunnel ausfindig machen.

Bei allen Recherchen bleibt aber die Frage nach Sinn und Zweck eines solchen Gangs. Es könnte eigentlich nur ein Fluchtweg in unruhigen Zeiten des Mittelalters oder später gewesen sein. Allrath hatte 1767 nur 221 Einwohner.

Auf jeden Fall hätte das Ausschachten eines solch langen Gangs erhebliche Mühen bereitet, neben der Arbeit auch die Beseitigung des Aushubs. Von der Kirche bzw. dem Haus Nitschke bis zum Gut Vollrath waren es immerhin ca. 1850 m, von da weiter bis zum Kloster Welchenberg ca. 1050 m, also eine Gesamtstrecke von ca. 2900 m. Ist ein Gang vielleicht doch nur von der Allrather Kirche aus bis zum Haus Nitschke gegangen? Oder sind entgegen allen Erzählungen die Arbeiten zur  Weiterführung bis zum Gut Vollrath aus irgendwelchen Gründen eingestellt worden?

Ausschnitt aus der Tranchotkarte 1807/08 mit Gut Vollrath und Welchenberg

Fragen über Fragen, die sich leider nicht mehr fundiert nachweisen lassen. Ist alles nur eine Legende, die von Generation zu Generation weitererzählt wurde? Trotz allem ist es aber immer wieder interessant, dass und wie sich solche Erzählungen über Jahre gehalten haben.

Wer war Theodor Litzkendorf?

Ein mysteriöser Grabsteinfund in Gustorf!

Ein in Gustorf gefundener Grabstein gibt dem Arbeitskreis Familienforschung im Geschichtsverein Grevenbroich große Rätsel auf!

Foto: (c) Heinz-Willi Herwagen

Zeichnung: (c) Heinz-Willi Herwagen

Der Grabstein wurde im Sommer 2014 bei Gartenarbeiten von Walter und Torsten Wilke in Gustorf gefunden. Nach eigenen, aber ergebnislosen, Nachforschungen im Dorf und bei den ehemaligen Bewohnern des Hauses, wandte sich die Familie Wilke im Herbst 2022 an den Arbeitskreis Familienforschung, um etwas über den wundersamen Fund im eigenen Garten herauszufinden.

Wer war Theodor Litzkendorf? Warum wurde sein Grabstein in einem Garten in Gustorf vergraben? Gibt es noch Familienangehörige in Grevenbroich? Was macht man mit dem gefundenen Grabstein? Warum ist der Name im ganzen Ort absolut unbekannt? Stand der Grabstein vielleicht einmal auf dem alten Friedhof an der Gustorfer Kirche?

Für den Arbeitskreis sollte dies doch eigentlich eine leichte Aufgabe sein?! Immerhin wurde in den letzten Jahren eine umfangreiche Datenbank mit mehreren Millionen Einträgen aus noch vorhandenen Kirchenbüchern und Personenstandsregistern im Großraum um Grevenbroich erstellt. So war die Vorstellung der Mitglieder im Arbeitskreis, die davon ausgingen, dass es sich um einen ehemaligen Grabstein vom Gustorfer Friedhof handelte. In den Millionen Einträgen wurde der Name „Litzkendorf“ jedoch nicht ein einziges Mal gefunden.

Das „Nichtvorhandensein“ irgendeiner Information, veranlasste die Mitglieder Heinz-Willi Herwagen, Manfred Kasper und Stefan Faßbender auf weitere Spurensuche zu gehen. Hierzu wurden sowohl nationale wie auch internationale Datenbanken durchsucht, um der Familie Wilke überhaupt irgendeine Information geben zu können.

Die erste Spur fand sich in den Geburtsregistern des Standesamtes Oschersleben.

Auszug aus der Geburtsurkunde von Theodor Litzkendorf.[1]

Oschersleben befindet sich im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt und ist ungefähr 450 km von Grevenbroich entfernt. Diese Entfernung zwischen Geburts- und Sterbeort ist für Ahnen- und Familienforscher nichts Außergewöhnliches, denn auch viele unsere Vorfahren mussten sich bereits sowohl den politischen als auch wirtschaftlichen Verhältnissen ihrer Zeit anpassen und durchaus auch einmal den Mittelpunkt ihres Lebens in andere Regionen verlegen.

Mit der Erforschung der eigenen Familie lässt sich in vielen Fällen durch die Angabe der Berufe in Urkunden auch eine regelrechte „Wanderbewegung“ der Vorfahren erkennen. Diese „Wanderungen“ waren der Weiterentwicklung der Industrialisierung und der Konzentration bestimmter Berufsgruppen auf einzelne Gebiete geschuldet. So kann man dies z. B. bei dem Beruf des Webers nachvollziehen, denn im 19. Jahrhundert konzentrierte sich dieser Berufsstand in unserer Gegend besonders im Raum Mönchengladbach. Mönchengladbach galt damals als das Zentrum der Baumwollindustrie in Westdeutschland und wurde als das „rheinisches Manchester“ bezeichnet. So lässt sich z. B. im Stammbaum von Stefan Faßbender nachweisen, dass die Vorfahren, die als Weber arbeiteten, vermutlich bedingt durch Arbeitssuche und fehlende öffentliche Verkehrsmittel, im Laufe der Jahrzehnte aus dem Bedburger Gebiet über Grevenbroich immer mehr in den Mönchengladbacher Raum übersiedelten.

Nach dem Fund der Geburtsurkunde stellte sich für die Ahnenforscher nun die Frage, wie sie eine Brücke nach Grevenbroich und insbesondere Gustorf darstellen können. Ein sogenannter Randvermerk über eine Heirat, den Tod oder Wegzug, welcher auf Grevenbroich hindeuten könnte, war auf der Urkunde nicht zu finden. Auch der Beruf des Vaters, Robert Litzkendorf, ein Schlosser, ergab zunächst keinen Hinweis darauf, dass es ein berufsbedingter Umzug in unsere Gegend gewesen sein konnte. Ebenso blieben die Recherchen im Stadtarchiv Grevenbroich, die von der Stadtarchivarin Frau Schulte intensiv unterstützt wurden, erfolglos.

Damit blieb nur noch die Möglichkeit, sich internationaler Datenbanken zu bedienen, um den Weg der Familie Litzkendorf von Oschersleben nach Grevenbroich nachvollziehen zu können. Die zunächst spontanen und nicht mit großer Hoffnung verbundenen Recherchen brachten jedoch nach kurzer Zeit den gewünschten Erfolg. Das Ergebnis war ziemlich erstaunlich und ungewöhnlich, denn die nächste Spur fand sich im holländischen Steenbergen.

Steenbergen liegt in der Provinz Noord-Brabant und grenzt an Zeeland und Zuid-Holland. Der Ort ist durch die Landwirtschaft (Viehzucht und Ackerbau) geprägt. Hier ist insbesondere der Anbau von Zuckerrüben zu nennen. Die Industrie spiegelt sich bedingt durch den Zuckerrübenanbau in einer großen, heute noch vorhandenen, Zuckerrübenfabrik wider.

Gemäß der oben gezeigten Bevölkerungsliste zog die Familie Litzkendorf am 27. April 1894 in die Gemeinde Steenbergen und verließ sie am 29. März 1897 wieder. Die Familie bestand aus folgenden Personen:

  1. Vater Robert Litzkendorf, *4. Februar 1857 in Hockeborn, Mechaniker
  2. Mutter Maria Fausten, *13. März 1853 in Neuss
  3. Kind Robert Litzkendorf, *26. Juni 1880 in Bleckendorf
  4. Kind Otto Litzkendorf, *20. August 1885 in Egeln
  5. Kind Theodor Litzkendorf, *20. Februar 1888 in Oschersleben
  6. Kind Maria Litzkendorf, *10. Mai 1890 in Oschersleben

Nach weiteren Recherchen in den Niederlanden wurden die Familienforscher im „Wijkregister Steenbergen“ (Bezirksregister) fündig. Danach wohnte bereits 1889 ein R. Litzkendorf (vermutlich der Vater Robert Litzkendorf) schon mal in Steenbergen. Er war in Kade, ein Stadtteil von Steenbergen, in dem Haus Nr. A85 registriert. Eigentümer war die „Van Loon de Ram & Co.“, die gleichzeitig auch die Betreiberin der Zuckerrübenfabrik war.[2] Die erste Zuckerrübenfabrik wurde 1871 in Steenbergen gebaut.[3]

Bevölkerungsliste aus Steenbergen

Ob der Vater, Robert Litzkendorf, wirklich als Schlosser bzw. Mechaniker in der Zuckerrübenfabrik in Steenbergen beschäftigt war, lässt sich zurzeit nicht abschließend verifizieren. Die bisher gefundenen Hinweise lassen diese Vermutung jedoch zu. Eine andere Möglichkeit wäre auch, dass er als Monteur einer deutschen Firma immer wieder zu Reparatur- bzw. Bauarbeiten ins Ausland geschickt wurde. Dies würde zumindest erklären, warum die oben gezeigte Bevölkerungsliste lediglich den Zeitraum von 1894 bis 1897 darstellt und er bereits 1889 schon mal dort lebte. Der Beruf der weiteren oben aufgeführten Personen, Johann Sonneborn und Chr. J. Köcker, war ebenfalls Maschinist. Johann Sonneborn stammte aus Magdeburg und Chr. J. Köcke aus Schermcke bei Oschersleben. Der gemeinsame Wohnort in den Niederlanden als auch die Heimatstädte lassen die Vermutung zu, dass sie gemeinsam als Monteure nach Steenbergen kamen.

Eine Postkarte, die die Zuckerrübenfabrik in Steenbergen im Jahr 1903 darstellt, ist unter nachfolgendem Link zu finden. Aus rechtlichen Gründen darf diese hier nicht direkt abgebildet werden.

https://westbrabantsarchief.nl/collectie/beeldbank/detail/cec216c8-3fb4-44c6-98d2-c548f4dd7523/media/2840e79c-d495-4041-a0ce-0f0fa6b3bf58;

Die erste von Deutschen in Steenbergen gebaute Zuckerfabrik lässt sich erst im Jahr 1911 durch die Braunschweiger Maschinenbauanstalt[4] nachweisen. Im gleichen Jahr wurden von ihr auch die Zuckerfabriken in unserer Gegend – Dormagen, Jülich und Elsdorf – erbaut. Allerdings wurden von ihr und der Vorgängergesellschaft „Seele & Co.“ bereits bis zum Ende des Geschäftsjahres 1894/1895 insgesamt 71 Zuckerfabriken weltweit errichtet.[5] Ob die im Jahr 1871 erbaute Zuckerrübenfabrik in Steenbergen auch dazu gehört, bleibt zurzeit offen., wurde aber im niederländischen Archiv angefragt. Nach Auskunft des Vorstandes der heutigen BMA Braunschweiger Maschinenanstalt AG sind weder Bauunterlagen noch Personallisten aus der Zeit bis Ende des 19. Jahrhunderts vorhanden. Allerdings konnte bestätigt werden, dass seit den 1860er Jahren bereits ganze Zuckerrübenfabriken sowohl national und international gebaut wurden. Dazu wurden deutsche Monteure auch schon zur damaligen Zeit ins Ausland geschickt, was die oben geäußerten Vermutungen bestärken würde.

Noch interessanter war mit Neuss der Geburtsort der Mutter Maria Fausten, der nun auch den näheren Bezug zu Grevenbroich darstellte. Die Recherchen im Stadtarchiv Neuss führten zu folgenden Ergebnissen:

1) Anna Maria Fausten wurde am 13. März 1853 als Kind von Jacob Leonhard Fausten und Christina Henriette Cremer in Neuss geboren. Sie starb im Alter von 60 Jahren am 30. September 1913 in Neuss. Anzeigender des Sterbefalls war ihr Ehemann Robert Litzkendorf. Im Jahr 1913 lebten sie auf der Industriestraße 12. Eine Heiratsurkunde zwischen Robert Litzkendorf und Anna Maria Fausten wurde in den Standesamtsregistern Neuss leider nicht gefunden.

2) Robert Adolf Karl Litzkendorf, *28. Juni 1880 in Bleckendorf (Kreis Wanzleben), heiratete am 3. August 1908 Anna Maria Hüsgen im Standesamt Neuss.

3) Otto Leonhard Litzkendorf, *20. August 1885 in Egeln (Kreis Wanzleben), heiratete am 19. Juni 1908 Elisa Antonetta Schmitter im Standesamt Neuss.

4) Der oben auf dem Grabstein genannte Theodor Litzkendorf starb im Alter von nur 27 Jahren am 12. November 1915 in Neuss. Sein Tod wurde leider ohne Todesursache im Standesamt Neuss dokumentiert. In den Verlustlisten des Ersten Weltkriegs ist Theodor nicht genannt. Er war auch nicht verheiratet.

Auszug aus der Sterbeurkunde von Theodor Litzkendorf[6]

5) Über den Verbleib von Maria Litzkendorf, *10. Mai 1890 in Oschersleben (Landkreis Börde), kann zurzeit nichts berichtet werden. Allerdings war ihr richtiger Vorname laut Geburtsurkunde Elisabeth Minna Marie.

Um noch etwas mehr über diesen wohl sehr ungewöhnlichen Fall zu erfahren, möchte sich der Arbeitskreis Familienforschung im Geschichtsverein Grevenbroich und Umgebung e. V. nun an alle Grevenbroicher und Neusser Einwohner*innen wenden. Vielleicht gibt es noch Nachkommen aus den oben genannten Familien im Rhein-Kreis Neuss oder der näheren Umgebung und es können uns weitere Umstände zu dieser doch sehr ungewöhnlichen „Reise“ der Familie Litzkendorf berichtet werden.
Über eine Kontaktaufnahme, insbesondere im Namen der Familie Wilke, würde sich der Arbeitskreis Familienforschung sehr freuen. Eine selbstverständlich vertrauliche Kontaktaufnahme kann unter nachfolgender Mailanschrift erfolgen:
familienforschung-grevenbroich@t-online.de 

 

[1]             https://www.ancestry.de/imageviewer/collections/61713/images/48823_oschrlb%5Ea%5E1888-00081?treeid=&personid=&rc=&usePUB=true&_phsrc=uuJ391&_phstart=successSource&pId=1009

[2]              https://www.wijkregistersteenbergen.nl/index.php?do=go_search&keyword=Fabrieksdijk%202

[3]             https://www.wijkregistersteenbergen.nl/index.php?do=details&id=14

[4]              heute: BMA Braunschweiger Maschinenbauanstalt AG

[5]              http://www.albert-gieseler.de/dampf_de/firmen0/firmadet538.shtml

[6]             Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, R_PA_3103_22034_0140.jpg

Abschlussfahrten der Elfgener Schulklassen

Wohin gingen die Abschlussfahrten der Oberklassen in den 1920er und 1930er Jahre der Elfgener Kinder?

Heute war ich mal auf den Spuren der vielen Schulklassen unterwegs, die über Jahrzehnte den „mühsamen“ Aufstieg zum Drachenfels auf sich nehmen mussten.

Was heute für uns ein kleiner Tages- oder Wochenendausflug bedeutet, war in damaliger Zeit für viele Kinder sicherlich ein großes Abenteuer, wie den Einträgen der Elfgener Schulchronik zu entnehmen ist.

 

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 2, Sig. 215, S. 156

„22.7.26 Schulausflug zum Siebengebirge.

Die Oberklasse machte unter Führung der Lehrpersonen einen Schulausflug zum Siebengebirge. Von den 40

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 2, Sig. 215, S. 157

Kindern hatten nur etwa 5 den Rhein gesehen. In Köln waren 4 gewesen. Einen Berg gesehen oder gar erstiegen hatte kein Kind. Daraus ist ersichtlich, wie wertvoll für den Unterricht und auch für die Pflege der Heimatliebe solche größeren Ausflüge sind. Die Unkosten betrugen für jedes Kind etwa 3 Mark. Dafür konnte folgendes gesehen bez. erlebt werden: Eisenbahnfahrt nach Mehlem, dort bot sich ein Motorbootbesitzer an, für 30 Pfg. pro Kind eine einstündige Bootsfahrt auf dem Rhein zu machen. Die Fahrt ging bis Rolandseck um Nonnenwerth. In Königswinter an Land gesetzt, erstiegen wir den Drachenfels, ließen von der Höhe aus eine mitgenommene Brieftaube Grüße zur Heimat bringen und stiegen dann ab um den Petersberg als neues Ziel zu nehmen. Nachdem wir auch vom Petersberg aus, das rheinische Land bewundert hatten, ging es nach Heisterbach. Auf dem Rückwege nach Königswinter wurde eine angenehme Waldrast mit Stärkung gemacht. 3.14 brachte uns der Zug auf Köln zu, wo wir gegen 5 Uhr eintrafen.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 3, Sig. 216, S. 73

„Fahrt nach Stieldorf 25.9.29

Die Oberklasse machte eine Fahrt nach Stieldorf im Siebengebirge. Dort führt die Bevölkerung nach dem Muster von Oberammergau Passionsspiele auf. Abfahrt 6 Uhr in einem großen Auto. Fahrt über Köln (Stadtwald – Rehbestand) nach Bonn. (Poppelsdofer Schloß, Münster, Beethovendenkmal, Beethovenhaus, Universität, Simockdenkmal, Arndtdenkmal, Alter Zoll, Rheinbrücke). Das Auto wartete in Beuel und brachte uns dann nach Königswinter. (Ersteigung des Drachenfels) Dann Fahrt nach Stieldorf. Das Passionsspiel machte auf die Kinder einen tiefen Eindruck. Der Gewinn der Fahrt war groß. Wochenlang geben die Erlebnisse und Eindrücke den Konzentrationsstoff für den Unterricht ab. (Das) Der Preis für die Fahrt betrug 3 RM.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, Sig. 217, S. 108

„26.3.36 Fahrt der Oberklasse.

26 Kinder machten zum Schluß des Schuljahres eine Omnibusfahrt an den Rhein. 2 Stunden verweilten wir im Kölner Flughafen, wo uns große Verkehrsflugzeuge gezeigt wurden. Wir lernten die Steuerung eines Flugzeuges kennen und sahen Übungen einer Kampfstaffel. Gegen Mittag erstiegen wir den Drachenfels, machten eine einstündige Bootsfahrt auf dem Rhein von Königswinter aus um Nonnenwerth, besichtigten auf der Heimfahrt die Obstanlage Schmitz – Hübsch in Merten und lauschten von 17 – 18 ½ Uhr dem Kölner Hänneschen.“

Da in den Schulchroniken dazu leider kein Bildmaterial vorhanden ist, führte mich ein Ausflug an diesen geschichtsträchtigen Ort, wo sicherlich Tausende von Schülern von ihren Lehrern „hochgetrieben“ wurden.

Drachenfels, Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

Drachenfels. Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

Drachenfels. Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

Drachenfels. Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

Und wer einmal dort ist, sollte unbedingt die Ausstellung der Konrad-Adenauer-Stiftung als auch das Wohnhaus unseres ersten Bundeskanzlers besichtigen. Der Besuch ist sehr empfehlenswert.

Ausstellung Konrad-Adenauer-Stiftung, Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

Ausstellung Konrad-Adenauer-Stiftung, Anstellungsurkunde Oberbürgermeister, Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

Wohnzimmer Konrad Adenauer Haus, Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

In dem Wohnzimmer weilte auch schon Charles de Gaulle. Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023

 

Wohnhaus Konrad Adenauer, Foto: (c) Stefan Faßbender, 2023