Jeder, der sich schon einmal auf die Suche nach Spuren seiner Vorfahren gemacht hat, wird irgendwann in alte Kirchenbücher schauen, um seine Ahnenreihe zu vervollständigen. Gelegentlich wird er dabei auch auf Randvermerke, wie z. B. „Nottaufe“ oder „Nottaufe durch Hebamme“ stoßen.
KB Kapellen – Sterbeeintrag vom 30.04.1838 mit dem Vermerk der Nottaufe durch die HebammeKB Frimmersdorf – Taufeintrag vom 3.12.1796 mit dem Vermerk der Nottaufe durch die HebammeKB Gustorf – Taufeintrag vom Oktober 1917 mit dem Vermerk der Nottaufe durch die HebammeKB Bedburdyck – Taufeintrag vom 13.02.1754 mit einer weiteren Anmerkung
Verkürzte Transkription: „[…] in großer Todesgefahr im Haus der Hebamme Clara Wintzen getauft, am 14. des Monats Februar zur Kirche gebracht, wo ich selbst das heilige Sakrament und Gebete angewendet habe […]“
Was haben diese Randvermerke nun zu bedeuten? Die Nottaufe oder auch „Taufe in der Not“ genannt, ist in vielen Religionen und Konfessionen erlaubt. Normalerweise dürfen Taufen nur von einem Geistlichen vorgenommen werden. Besteht jedoch Lebensgefahr für einen Täufling, dürfen diese Nottaufen auch von einem Laien vorgenommen werden. Zwar unterscheiden sich die Regelungen zur Nottaufe in den verschiedenen Konfessionen, aber grundsätzlich ist sie durchzuführen, wenn ein Geistlicher nicht mehr rechtzeitig herbeigeholt werden kann.
Die EKD schreibt hierzu: „Wenn ein Ungetaufter sehr krank ist und zu sterben droht, wird eine Nottaufe vorgenommen. Die Taufe kann jeder Christ und jede Christin ausführen.“ Die katholische Kirche geht sogar noch einen Schritt weiter, indem sie ausführt: „Diese Taufe kann von jedem Katholiken und sogar von jedem Menschen guten Willens, immer, überall und ohne Einschränkung gespendet werden.“
Seit Jahrhunderten übernehmen die Hebammen die Aufgaben eines Taufspenders, wenn Kinder bei der Geburt bereits in Lebensgefahr schweben und kein Geistlicher rechtzeitig hinzugerufen werden kann.
Da es sich bei einer Taufe um ein Sakrament handelt, sind die wesentlichen Bestandteile (Taufformel und Wasser) zu berücksichtigen. Während der Taufe soll dreimal etwas Wasser über die Stirn des Täuflings gegossen werden und dabei die Formel „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“ gesprochen werden. Da diese Taufen seit Jahrhunderten als gültig anerkannt werden, werden sie auch in den Kirchenbüchern erfasst. Oft wurden Nottaufen auch nur im Sterberegister der jeweiligen Kirche vermerkt, wenn der Täufling tatsächlich während der Geburt oder noch im Mutterleib verstarb.
Wie war aber nun zu verfahren, wenn das ungeborene Kind für die taufenden Hände der Hebamme noch nicht sicher erreichbar war? Hierzu entdeckte der Autor im Deutschen Hygiene Museum in Dresden eine sogenannte Taufspritze, die ihm und auch vielen anderen Ahnenforschern bis zu diesem Zeitpunkt gänzlich unbekannt war.
Bereits das Reformkonzil im Jahr 1310 in Trier schrieb den Hebammen vor, dem sterbenden Kind Wasser über den Kopf zu gießen und somit eine Nottaufe vorzunehmen. Die erstmalige Erwähnung einer Taufspritze lässt sich bereits im Jahr 1480 in Brixen/Südtirol finden. Zur Taufe war zwar kein geweihtes Wasser notwendig, allerdings sollte es zumindest von reiner Güte sein. Inwieweit sauberes Wasser zu dieser Zeit überhaupt verfügbar war, lässt sich heute nur noch erahnen. Des Weiteren stellt sich hier die Frage, wie viele Mütter, die eine Nottaufe im Mutterleib über sich ergehen lassen mussten, anschließend wegen nur bedingt sauberen Wassers an möglichen Infektionen starben.
Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023
Adjutant des Fürsten erschießt dessen Stieftochter und sich selbst
Was nach einer Schlagzeile eines Boulevardblattes klingt, fand tatsächlich im Jahr 1820 statt. Wie kam es dazu? Werfen wir dazu einen Blick auf die Situation im Schloss Dyck in jenem Jahr.
Wir befinden uns einige Jahre nach Ende der Franzosenzeit. Als Franzosenzeit wird die Epoche der französischen Herrschaft über große Teile Europas zwischen 1792 und 1815 bezeichnet.[1] Auf Dyck herrscht Joseph Graf von Salm-Reifferscheidt-Dyck.
Der berühmte Botaniker Graf Joseph, später Fürst Joseph, der unter anderem den Park von Schloss Dyck und die Kastanienallee hatte anlegen lassen, hatte sich während der Franzosenzeit von seiner ersten Frau in deren Abwesenheit auf dem Standesamt in Bedburdyck scheiden lassen.
Seine Ehe mit Marie Therese Gräfin zu Hatzfeld (1776 – 1838) wurde 1801 nach 10-jähriger Ehe geschieden. Zu diesem Zeitpunkt waren die beiden aus der Verbindung hervorgegangenen Kinder bereits verstorben.[2]
1803 heiratet er die 1767 im französischen Nantes geborene französische Dichterin und Schriftstellerin Constance Marie de Théis.[3] Auch sie war zum zweiten Mal verheiratet. In ihrer zweiten Ehe mit Graf Joseph nannte sie sich ab 1803 Gräfin, ab 1816 Konstanze Fürstin zu Salm-Reifferscheidt-Dyck.[4] Das Paar verbrachte die Wintermonate für die kommenden 20 Jahre in Paris.[5]
Portrait von Constance Pipelet (1797), Gemälde von Jean-Baptiste François Desoria[6]
In die Ehe mit Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck brachte Constance de Théis ihre Tochter, Agathe Clémence Pipelet (1790 – 1820) – genannt “Minette” – mit, die aus ihrer ersten Ehe mit dem Chirurgen Jean-Baptiste Pipelet stammte. Der Kontakt zu Minettes leiblichem Vater war nach der Scheidung der Eltern im Jahr 1800 wohl auf Initiative Constances, die einen negativen Einfluss des Vaters befürchtete, abgebrochen worden, sodass Minette im Rheinland in der Person des Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck womöglich eine Art Vaterfigur fand. Das junge Mädchen lernte auf Schloss Dyck Deutsch und empfand die Gegend schon bald als ihre Heimat. Im Jahre 1813 heiratete sie den 1766 geborenen französischen Offizier Louis-Bernard de Francq, “Baron d’Empire” ab 1810. Das Paar wohnte nach der Hochzeit in Paris und auf dem Lande unweit der französischen Hauptstadt. Die Ehe brachte drei Söhne hervor: Constant, Alexandre und Félix.
Minettes Ehemann verstarb jedoch schon im Jahr 1819, vermutlich an Tuberkulose. Die junge Witwe zog daraufhin zu ihrer Mutter und ihrem Stiefvater nach Dyck zurück. Es ist zu vermuten, dass sie dort den jungen Leutnant Althoff, seinerzeit Adjutant Fürst Josephs als Kommandeur des lokalen Landwehrbataillons, kennenlernte, der für sie schon bald „unangemessene“ Gefühle empfand.
Für Fürst Joseph war ein fähiger Adjutant, der stets eine Schlüsselstellung zwischen ihm und den Subalternoffizieren seiner Einheit einnahm, sehr wichtig. Der Adjutant hatte seinen Bataillonschef bei der aufwendigen und zeitraubenden Verwaltung zu entlasten. Ganze Stapel von Stärkemeldungen, Übungs- und Appellberichten, Personal- und Bestandslisten, Abrechnungen und Manöverplänen mussten zumeist vom jeweiligen Adjutanten angefertigt oder vorbereitet werden. Mit Leutnant Althoff, dem Sohn des Krefelder Bürgermeisters[7] Johann Karl Timotheus Althoff (geb. um 1745 in Bielefeld, gest. 1807; 1766 – 1794 Erster Bürgermeister in Krefeld)[8] und seiner Frau Margarethe Bruckhaus, verfügte Fürst Joseph zunächst über eine gerade in den Anfangsjahren seiner Landwehrzeit wichtige Hilfskraft.[9]
Der Name des jungen Leutnants konnte bislang nicht herausgefunden werden. Als Söhne der Eheleute Althoff sind bekannt Johann Friedrich Gerhard (*1790, +um 1790/1), Johann Friedrich Gerhard (*1791), Jacob Heinrich (*1793), Carl August (*1795) und Franz Wilhelm (*1797).[10] Welcher Sohn nun der besagte Leutnant war, ließ sich bislang nicht klären.
Den zeitgenössischen Quellen zufolge muss es sich bei Althoff aber auch um einen psychisch schwer gestörten Menschen gehandelt haben: Am 11. Juni 1820 warnte Landwehr-Major Peter Georg von Prondsinski, der zeitweilige Vorgesetzte Althoffs, den Fürsten vor dem “Wahnsinn” des “räthselhaft(en)” jungen Mannes, von dem ein “Excess” zu befürchten sei.
Drei Tage nach Prondsinskis besorgtem Schreiben trat die befürchtete Katastrophe ein: Am 14. Juni 1820 zog Althoff bei seinem Abschiedsbesuch auf Schloss Dyck plötzlich seine Pistolen aus der Tasche, um erst Minette und dann sich selbst zu töten. Die Katastrophe erschütterte das ganze Haus zutiefst und erregte zugleich öffentliches Aufsehen. Berichte und Zeitungsartikel lieferten ganz unterschiedliche Schilderungen der Tat, die teilweise sogar als doppelter Selbstmord interpretiert wurde, der von den beiden Liebenden als letzter verzweifelter Ausweg aus einer nicht standesgemäßen Liaison – die Constance de Salm verhindern wolle – gesehen worden sei. Darüber hinaus veröffentlichte der Kurator der Gräfin von Hatzfeld, der ersten Frau Josephs zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, ein gewisser Karl Bouton, einen Artikel. In diesem behauptete er, Minette komme getreu den Lehren der katholischen Kirche die ehrenvolle Bezeichnung einer Tochter der Fürstin zu Salm gar nicht zu, da Maria Theresia von Hatzfeld immer noch die rechtmäßige Fürstin sei. Die nach französischem Recht vorgenommene Scheidung war nach Boutons Argumentation ebenso wenig gültig wie die Zivilehe zwischen Joseph und Constance.
Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, 1854 gemalt von Julius Roeting[11]
Constance de Salm stürzte infolge der Ereignisse in eine tiefe Depression. Ihr Gatte war ihr in dieser schweren Zeit ein starker und umsichtiger Partner, der den Kontakt mit ihren Briefpartnern aufrechterhielt, solange Constance nicht in der Lage war, selber zu schreiben und ihre Gedanken zu ordnen. Auch kümmerte er sich um die drei Kinder der Minette, nun Vollwaisen, die er von nun an gemeinsam mit Constance erzog. Die Kinder nannten ihn “cher papa” = „lieber Papa“. Die Familie setzte sich erfolgreich gegen Bouton zur Wehr: Am 29. Juli 1820 wurde auf ihren Wunsch eine Gegendarstellung in der “Gazette officielle” veröffentlicht. Nach einem Prozess, in dem ihm Verleumdung vorgeworfen wurde, wurde Bouton im Juli 1821 zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.[12] Auch der Bedburdycker Bürgermeister [Johann Heinrich[13]] Sartorius ließ zusammen mit dem Friedensrichter im Kanton Elsen[14], [Ferdinand Joseph von[15]] Klein, ein Schreiben zu dem tragischen Vorfall veröffentlichen.[16] Constance de Salm trug sich offenbar mit Plänen, einen eigenen “wahren Bericht” über die Ereignisse auf Dyck in [Charles Louis] Lesurs “Annuaire historique universel” zu verfassen. Im Mai 1821 nahm sie allerdings von diesem Vorhaben Abstand, das die furchtbaren Umstände der Tat nur erneut in Erinnerung gerufen hätten. Letztlich druckte Lesur lediglich eine kurze Notiz über den Vorfall ab, in der die Namen der handelnden Personen anonym blieben. Obwohl Constance de Salm stets beteuert hatte, dass in den ihr vorliegenden Briefen und Tagebüchern Minettes kein Hinweis auf eine Liebesbeziehung zu Leutnant Althoff zu finden sei, wurde noch in der jüngeren Literatur die Theorie eines doppelten Selbstmords vertreten.
Ein Quellenfund aus dem Frühjahr 2013 scheint in diesem Fall nun endlich Klarheit zu schaffen und Constance de Salms Darstellung zu bestätigen. In einem Pariser Antiquariat wurden neben hunderten von bisher unbekannten Briefen Constances auch zahlreiche weitere Dokumente aus dem Familienkreis entdeckt, darunter Briefe und Tagebucheintragungen Minettes aus den Jahren 1819/20, die deren Abneigung gegen Althoff deutlich zum Ausdruck bringen. Diesen Zeugnissen zufolge hatte die junge Witwe den ebenfalls noch jungen Leutnant Althoff auf Schloss Dyck kennengelernt. Althoff war offenbar recht bald davon überzeugt, dass Minette eindeutige Gefühle für ihn hege. Er versuchte sie nicht zuletzt mit allerlei Drohungen zur Einwilligung in eine Eheschließung mit ihm zu zwingen. Sie allerdings blieb ihm gegenüber auf Distanz, wie aus einem an ihn gerichteten Brief vom Dezember 1819 hervorgeht. Aus der gleichen Akte (Tagebucheinträge) geht außerdem hervor, dass Minette ihre Mutter und ihren Stiefvater über den Vorfall nicht informierte, um sie einerseits nicht zu beunruhigen, und andererseits Althoff nicht in Schwierigkeiten zu bringen, da sie dachte, sie könne die Lage alleine meistern. Diese irrtümliche Annahme wurde ihr zum Verhängnis.[17]
Schloss Dyck – zeitgenössische Darstellung (zwischen 1857 und 1883) [18]
Der weitere Verlauf ist bekannt: Als Althoff sich bei ihr für ein “letztes klärendes Gespräch und adieu” am 14. Juni 1820 auf Schloss Dyck einstellte, erschoss er die junge Frau unweit von ihren Kindern. Zwei Tage nach der Tat wurde Minette in der Familiengruft der Salm-Reifferscheidt-Dyck[19] im Nikolauskloster beigesetzt.[20]
Der Adjutant Althoff fand seine Ruhestätte in Gierath. Im katholischen Kirchenbuch von Bedburdyck findet sich hierzu der Eintrag „sicarius jacet in caemeterio parochia Gierath, religionis acit confessionis calviniensis erat“ „Der Mörder liegt auf dem Friedhof der Pfarrei Gierath, er war calvinistischer Konfession“. Im Kirchenbuch der evangelischen Kirchengemeinde Jüchen ist seine Bestattung nicht eingetragen.[21]
Sterbeeintrag von Baronin Clementina geb. Pipelet im Kirchenbuch von Bedburdyck[22]
Die Söhne der Minette betrachtete Fürst Joseph als seine Kinder. Von diesen starb Constant Maria am 9. März 1835 in Aachen. Alexander wurde Oberst eines französischen Kavallerieregimentes in Algier. [23] In Algerien soll er am 21. März 1865 in Miliana in der Provinz Ain Defla gestorben sein.[24] Sein Bruder Felix Adolf trat 1838 bei der Nationalgarde zu Pferde ein, starb 1861 in Pau im Südwesten Frankreichs.[25]
Michael Salmann für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023
[3]Gudrun Gersmann, Von der Bergung und Bewahrung eines kulturhistorischen Schatzes, Die Korrespondenz der Constance de Salm, in: Bibliotheken: Innovation aus Tradition, Berlin 2014, S. 631-640.
[11] Rechte: Familie von Wolff Metternich zur Gracht, auf: https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_zu_Salm-Reifferscheidt-Dyck#/media/Datei:Julius_Amatus_Roeting_-_Portr%C3%A4t_des_F%C3%BCrsten_und_Altgrafen_Joseph_zu_Salm-Reifferscheidt-Dyck.jpg (16.7.2023, 19.57 Uhr)
[12] Florence de Peyronnet-Dryden, Ein Todesfall, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Minette (Datum des letzten Besuchs). https://mapublishing-focus.uni-koeln.de/netzbiographie/preussische-zeit/minette (Abruf 10.7.2023, 19.23 Uhr)
[17] Florence de Peyronnet-Dryden, Ein Todesfall, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Minette (Datum des letzten Besuchs). https://mapublishing-focus.uni-koeln.de/netzbiographie/preussische-zeit/minette (Abruf 10.7.2023, 19.23 Uhr)
[18] Schloss Dyck – Lithographie aus Alexander Duncker: Die ländlichen Wohnsitze, Schlösser und Residenzen der ritterschaftlichen Grundbesitzer in der preußischen Monarchie nebst den Königlichen Familien-, Haus-Fideikomiss- und Schatullgütern in naturgetreuen, künstlerisch ausgeführten, farbigen Darstellungen nebst begleitendem Text. Berlin: Duncker 1857-1883, auf: https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_zu_Salm-Reifferscheidt-Dyck#/media/Datei:Schloss_dyck_duncker.JPG (16.7.2023, 20.02 Uhr)
[19] Florence de Peyronnet-Dryden, Ein Todesfall, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Minette (Datum des letzten Besuchs). https://mapublishing-focus.uni-koeln.de/netzbiographie/preussische-zeit/minette (Abruf 10.7.2023, 19.23 Uhr)
[20] Bremer, Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck, 1959, S. 199
[21] Mailauskunft des Evangelischen Gemeindeamtes Jüchen vom 31.8.2023
Vor genau 100 Jahren, am 19. November 1923, kostete ein Brot 233 Milliarden Mark, für ein Kilogramm Rindfleisch mussten 4,8 Billionen Mark bezahlt werden. Das Porto für einen Brief war gerade erst von 10 Milliarden auf 20 Milliarden Mark erhöht worden. Die Löhne wurden täglich ausgezahlt: Die Frauen standen dann immer jeden Tag am Werkstor und holten sich die Lohntüten ihrer Ehemänner ab, um damit sofort loszulaufen, um einzukaufen – wenn es denn etwas gab: Denn viele Waren wurden zurückgehalten, weil das Geld, das jeden Tag immens wertloser wurde, gar nicht mehr akzeptiert wurde. Der Schwarzmarkt blühte, und häufig konnte sich man sich häufig nur dann noch seinen Hunger stillen, wenn man Sachwerte hatte, die man verkaufen konnte.
Wie war es dazu gekommen? Das Deutsche Reich hatte 1918 den 1. Weltkrieg verloren und die Kosten des Krieges waren überwiegend auf Pump finanziert worden, auch weil insgesamt 9 Kriegsanleihen mit einem Volumen von fast 100 Milliarden Mark nicht mehr vollständig von der Bevölkerung gekauft worden waren, und so die Reichsbank über das Drucken von neuem Geld einspringen musste. Man hatte eigentlich bei Beginn des Krieges 1914 mit einer nur kurzen Dauer gerechnet, aber das Kriegsleid zog sich über 4 lange Jahre hin. Anschließend mussten den Soldatenwitwen Renten gezahlt werden und insbesondere die hohen Reparationsleistungen an das Ausland verschlangen Unsummen von Geld, das man sich auch wieder über die Notenpresse holte. So wuchs in den vier Jahren 1919 bis 1923 die Geldmenge immer weiter an und alles wurde teurer.
Da war die Welt fast noch „in Ordnung“: Notgeld-Gutschein über 1.000 Reichsmark im September 1922. Die Rückseite zeigt als Werbung für die Firma das gesamte Werksareal mit der damaligen Bebauung auf der Lindenstraße. Hergestellt bei der Grevenbroicher Druckerei Bochum. Der Schein sollte einige Wochen später gegen Reichsbank-Noten in Grevenbroich beim Schaafhausen’schen Bankverein umgetauscht werden. Die Ausgabe dieses Notgeldes war schon zu dieser Zeit nötig, weil Geldscheine fehlten, denn die Arbeiter in den Druckereien hatten im Sommer 1922 die günstige Gelegenheit genutzt, um für höhere Löhne zu streiken.
Anfang 1923 kam die Regierung mit den Reparationsleistungen in Rückstand, was die alliierten Siegermächte sofort mit einer Besetzung des Ruhrgebietes beantworteten. Die Regierung rief daraufhin zum „passiven Widerstand“ auf, dem friedlichen Niederlegen der Arbeit. Aber die Löhne mussten ja weitergezahlt werden, wieder wurden neue Geldscheine gedruckt, mit immer höheren Werten.
Und obwohl dann im Sommer 1923 über 100 Druckereien nur damit beschäftigt waren, neues Geld zu drucken, ganze Güterzüge mit Geldscheinen quer durch Deutschland rollten, und die Summen auf den Geldscheinen immer höher wurden, reichte das Geld dann bei den Firmen nicht mehr aus, um die Löhne zu bezahlen. Und so druckten viele Städte und Firmen ihr eigenes Geld in Form von Notgeld-Gutscheinen, die – so hoffte man – nach einigen Wochen wieder in „richtiges Geld“, nämlich Reichsmarknoten, umgetauscht werden sollten.
Zum Beispiel druckte auch das Erftwerk Grevenbroich im August 1923 Notgeldscheine im Nominalwert zwischen 500.000 Mark und fünf Millionen Mark. Auch die Firma Pfeiffer und Langen konnte sich nicht anders behelfen. Kleingeld gab es schon lange nicht mehr: Gold- und Silbermünzen waren gleich nach Kriegsbeginn in den Schubladen der Bürger verschwunden, und Kupfer und Nickel waren auch während des Krieges zur Produktion von Waffen und Munition eingeschmolzen worden. Aber noch nicht einmal das hatte ausgereicht, und so mussten im Krieg viele Kirchen ihre Kirchenglocken an den Staat abgeben, der aus den Glocken dann auch wieder Rüstungsgüter machte. Schlussendlich ging man ab Sommer 1923 mit großen Taschen voller Geldscheine einkaufen, die fast stündlich an Wert verloren. Konnte man morgens noch mit einer Geldsumme ein Brot kaufen, bekam man am Nachmittag dafür noch nicht einmal mehr ein Brötchen.
Die Not in der Bevölkerung wuchs, es kam zu Unruhen mit Toten und zu Plünderungen; auch in Noithausen plünderten rund 1.000 Arbeiter insgesamt 10 Morgen Weizen. Dieser Aufruhr konnte nur dadurch friedlich beendet werden, weil die Bauern versprachen, den Arbeitern aus ihrer Ernte den Hunger zu stillen. Auch die Selbstmordrate stieg an, weil zum Beispiel viele Leute sich für ihr Alter Ersparnisse zugelegt hatten, aus denen sie dann ihren Lebensunterhalt bestreiten wollten, was nun nicht mehr möglich war, weil das Geld wertlos geworden war.
Immer rasanter lief die Geldentwertung ab: Aus Millionen wurden Milliarden und aus Milliarden wurden binnen weniger Wochen Billionen. Ende Oktober musste schließlich von den Landkreisen Krefeld, Gladbach, Grevenbroich, Kempen und Neuss ein Notgeld-Gutschein mit der fast unvorstellbaren Summe von 20 Billionen Mark gedruckt werden. Die Nullen auf den Geldscheinen waren da längst von den Geldscheinen verschwunden, es wären zu viele gewesen.
Am 20. November 1923 war schließlich der Spuk vorbei: Aus 1 Billion Reichsmark wurde eine Rentenmark, der man wieder Vertrauen entgegenbrachte. 12 Nullen auf den Geldscheinen wurden gestrichen. Alle Sparer hatten ihr Vermögen verloren, und der Staat war auf diese Weise schuldenfrei geworden. Die ganzen Kriegsanleihen aus dem 1. Weltkrieg von rd. 100 Milliarden Reichsmark waren jetzt gerade noch 10 Pfennige wert.
Auch heute noch haben wir Angst vor der Inflation, die sich aktuell wieder in unseren Geldbörsen bemerkbar macht, aber nicht in dem Ausmaß der Hyperinflation von damals: Aber diese Angst ist jetzt eben schon 100 Jahre alt.
Achim Kühnel für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023
Im dritten Teil meiner Recherche zu Bahnübergängen in Grevenbroich möchte ich noch über einen längst verschwundenen „Bahnübergang“ einer weiteren Werksbahn in Grevenbroich berichten. Abweichend von den bisherigen Darstellungen enthält dieser Teil auch einen noch vorhandenen Bahnübergang in Gustorf, da rund um diesen einige Besonderheiten entdeckt wurden. Abschließen möchte ich diese Beitragsreihe mit den Werksbahnen des RWE Frimmersdorf und Neurath, ohne auf die vermutlich unendliche Anzahl von „Bahnübergängen“ dieser Bahn einzugehen.
Bahnübergang Werksbahn Metallhütte Kayser/Grönland Elsen – Am Hammerwerk:
Von den oben in türkiser Farbe dargestellten Werksbahnen der Metallhütte C.W. Kayser und der Konservenfabrik Grönland sind heute keine Spuren mehr auf dem Gelände zu finden. Im Zuge der gewaltigen Umgestaltung des „Grönlandgeländes“ sowie des Gebietes „Am Hammerwerk“ sind meines Wissens alle Anlagen beseitigt worden. Daher können nur noch historische Aufnahmen von diesen Werksbahnanlagen berichten. Diese geben aber bei genauer Betrachtung sehr viele kleine Details und Informationen wieder.
Beginnen möchte ich mit einem Bild der Metallhütte C.W. Kayser. Bei der Vergrößerung der Luftaufnahme konnte ich insgesamt fünf Gleise entdecken, die über die Straße führten. Die beiden rechten Gleise kommen aus der Konservenfabrik Grönland, die auf diesem Bild nicht zu sehen ist. Die übrigen Gleise kommen aus den Werkshallen der Metallhütte (heute Fliesen Max) und enden nach der Überquerung der Straße. Ich vermute, dass diese bereits zu dem Zeitpunkt durch die Neugestaltung des gesamten Gebietes beseitigt waren, denn die Trassen der Gleise sind noch gut zu erkennen. Hier gab es weder Schranken noch eine Signalanlage, wenn die Züge die Straße überquerten. Lediglich ein Andreaskreuz (kurz vor dem letzten linken Gleis) machte auf möglichen Schienenverkehr aufmerksam.
Auf den beiden nachfolgenden Bildern ist die Werksbahn der Konservenfabrik Grönland wunderbar aus verschiedenen Perspektiven um 1960 zu sehen. Auf dem ersten Bild sind die Gleise zu erkennen, die neben der Metallhütte C.W. Kayser die Straße Am Hammerwerk überquerten und dann bis zum Güterbahnhof auf der Rheydter Straße bzw. Merkatorstraße verliefen. Auf beiden Bildern sind die Rheydter Straße sowie die Königsstraße gut zu sehen. Sie dienen als Anhaltspunkt, um zu erkennen, wo sich das Fabrikgelände damals befand, denn das Gelände hat sich auch dort in den letzten Jahrzehnten radikal verändert. Dies ist besonders auf den weiteren Bildern zu erkennen, in denen ich die Gleisstrecken auf einer historischen und einer aktuellen Karte eingezeichnet habe.
Auf den nachfolgenden Abbildungen aus drei unterschiedlichen Jahrzehnten wird dieses Gebiet nochmals dargestellt, um zu zeigen, wie sehr sich das Umfeld dort innerhalb der letzten 80 Jahren verändert hat.
Nachfolgend möchte ich noch einen Bahnübergang aus Gustorf zeigen, auch wenn er heute noch vorhanden ist. Aber ein Foto, welches mir von Heinz Mindt freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde, enthält neben dem Bahnübergang auch noch einige andere längst in Vergessenheit geratene Details. Direkt am Bahnübergang ist die ehemalige Firma Lüngen (Gießereiprodukte) zu erkennen, die seit den 1920er Jahren zur Herstellung ihrer Produkte Quarzsand direkt von der Welchenberger Sandgrube mit einer Drahtseilbahn bekam. Im Hintergrund ist das RWE Frimmersdorf zu erkennen. Damals noch ohne die in den Jahren 1986 bis 1988 erbaute Rauchgasentschwefelungsanlage, die in einem aktuellen Bild von mir deutlich zu erkennen ist. Da der Bahnhof Gustorf auch als Güterbahnhof genutzt wurde, ist auf dem ersten historischen Bild auch noch ein breiter Streifen zu erkennen, auf welchem eventuell LKWs parken konnten, um Ware zu laden bzw. zu entladen.
Die beiden nachstehenden Luftaufnahmen zeigen den Bahnübergang aus verschiedenen Perspektiven. Auf der zweiten Aufnahme erkennt man sehr gut, wie nah der Tagebau in der Vergangenheit schon an Gustorf rückte.
Bekanntlich liegt dieser Bahnübergang an der Strecke Neuss – Düren (rote Strichlinie). Dies ist schon mehr als 100 Jahre so. Vielen dürfte jedoch nicht bewusst sein, dass die Bahnlinie, die Erft und die Landstraße nach Morken (heute Bedburg) Mitte der 1970er Jahre wegen des Tagebaus um einige Kilometer nach Osten verlegt wurden. Dies geschah auf einer Länge von fast 10 Kilometern. Die alte Bahnlinie ist in den nachfolgenden Bildern als rote Punktlinie dargestellt und vermittelt in eindrucksvoller Weise den gewaltigen Eingriff in Umwelt und Natur.
In diesem letzten Absatz des Beitrages verzichte ich auf die Darstellung von „Bahnübergängen“ (daher auch keine weiteren Nummernbezeichnungen) dieser Werksbahnen, da dies wohl ein nicht endendes Unterfangen wäre. Da die Werksbahnen jedoch ein gewaltiges Ausmaß hatten und in den letzten 100 Jahren immer wieder großen Veränderungen unterworfen wurden, ist eine kurze Darstellung meines Erachtens unerlässlich. Die beiden nachfolgenden Luftaufnahmen zeigen die gewaltigen Ausmaße der Werksbahn am RWE Frimmersdorf.
Die Strecken dieser Werksbahnen sind in beiger Farbe dargestellt. Der Bahnübergang in Gustorf an der Provinzstraße wurde in diesen Abbildungen bewusst nicht eingezeichnet, um den Verlauf der Strecken noch besser darzustellen. Die Karte um 1990 muss auf zwei Abbildungen aufgeteilt werden, da der Maßstab es erforderlich macht, den Teil um Gustorf, Frimmersdorf und Neurath separat darzustellen. Die punktierte Linie stellt die Strecke um 1940 dar und ist heute nicht mehr vorhanden. Die gestrichelte Linie stellt den Stand heute dar. Sie wurde jedoch ebenso auf den alten Karten abgebildet, um zu verdeutlichen, welche Veränderungen der Bau für das gesamte Gebiet mit sich brachte.
Hiermit endet meine „kleine“ Recherche zu „(Längst) vergessenen Bahnübergängen“. Mir ist bewusst, dass es sich hierbei nur um einen kurzen Abriss handelt, der aber insbesondere den jüngeren Menschen ein Bild der enormen Veränderungen innerhalb der letzten 100 Jahre in unserer Heimatstadt aufzeigt. Ich hoffe, jeder Leser hat genauso viel Spaß wie ich ihn bei meinen Recherchen hatte.
Das Thema „Bahn“ ist hiermit jedoch noch nicht beendet, denn ich konnte Herrn Jürgen Larisch gewinnen, zusammen mit mir das Thema „Bahn“ mit einem anderen Schwerpunkt nochmals zu beleuchten und in naher Zukunft zu veröffentlichen.
Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023
Im zweiten Teil meiner Recherche zu Bahnübergängen in Grevenbroich möchte ich über die „Bahnübergänge“ der großen Fabriken berichten, die in der Regel Kleinbahnen besaßen bzw. über Gleisanschlüsse mit den Hauptlinien verbunden waren.
Die nachfolgenden Karten enthalten neben den heute dargestellten „Bahnübergängen“ auch noch die Angaben aus dem Teil 1 dieser Beitragsreihe. Zum besseren Verständnis und zur Übersichtlichkeit daher nochmals eine kurze Erläuterung dazu. 1. bis 4. in blauer Farbe stellen die bisher beschriebenen Bahnübergänge Rheydter Straße, Graf-Kessel-Straße, Auf der Schanze und Lindenstraße dar. Die gelbe Linie stellt die Bahnstrecke Mönchengladbach – Köln dar und die rote Linie die Bahnstrecke Neuss – Düren. Die „Bahnübergänge“ der Werksbahnen werden ebenfalls in blauer Farbe dargestellt und haben die Nummern 5 bis 9. Der zweite Teil beschreibt die Nummern 5 bis 8. Die Nummer 9 und weitere “Überraschungen” folgen im dritten und letzten Teil dieser Beitragsreihe.
Die Werksbahn der Zuckerfabrik Wevelinghoven, welche in grüner Farbe dargestellt wurde, führte vom Werksgelände in südlicher Richtung. Sie endete nach einem Zusammenschluss mit der Werksbahn der Maschinenfabrik Buckau Wolf und Überquerung des „Bahnübergangs“ auf der Zeppelinstraße in Höhe des Erftwerkes auf der Hauptlinie Köln – Mönchengladbach.
Die beiden nachfolgenden Fotos zeigen diesen „Bahnübergang“ und die Gleise auf dem Werksgelände um das Jahr 1960 in eindrucksvoller Weise. Meines Wissens war er aber nie beschrankt, sondern lediglich durch Lichtsignale gesichert.
Die Schienen der Werksbahn sind heute noch auf der Fahrbahn der Nordstraße erhalten und zu sehen. Allerdings „enden“ sie im „Nirgendwo“, wie auf den Fotos zu erkennen ist. Auf dem heutigen Werksgelände der Firma Intersnack sind die ehemaligen Gleise zum Teil noch zu finden, wenn auch nicht mehr nutzbar. In die Gleisbetten wurden z. B. Pflastersteine verlegt und dienen heute den Angestellten als Fußwege.
Bahnübergang Werksbahn Maschinenfabrik Buckau Wolf – Nordstraße:
Die Werksbahn der Maschinenfabrik Buckau Wolf führte vom Werksgelände in südlicher Richtung. Sie endete nach einem Zusammenschluss mit der Werksbahn der Zuckerfabrik Wevelinghoven und Überquerung des „Bahnübergangs“ auf der Zeppelinstraße Höhe des Erftwerkes auf der Hauptlinie Köln – Mönchengladbach. Zu beachten sind auch die sehr umfangreichen Gleisanlagen auf dem ursprünglichen Firmengelände, die von mir in den Abbildungen unter Nr. 5 in pinker Farbe dargestellt wurden.
Das nachfolgende Bild zeigt zunächst die Gleise auf dem Gelände der ehemaligen Maschinenfabrik Buckau Wolf auf der Nordstraße, welches ich dankenswerterweise für diesen Beitrag fotografieren durfte. Bei genauer Betrachtung sind noch drei ehemalige Gleisstrecken zu erkennen, die aus den einzelnen Hallen in einem Gleis an der Ausfahrt auf der Nordstraße endeten.
Der Streckenabschnitt auf der Fahrbahn der Nordstraße ist heute beseitigt. Im gezeigten Grünstreifen verlief das Gleis in Richtung Erftwerk und der Hauptstrecke Köln – Mönchengladbach. Das Gleis ist dort nur noch in Teilabschnitten zu finden. Hinweisen möchte ich auch noch auf die Überbleibsel einer vermutlichen Signalanlage für die Lokomotivführer vor der Hauswand rechts im Bild. Auf der Nordstraße gab es meines Wissens keine Schranken. Ob dort Signalanlagen oder lediglich Andreaskreuze für die Sicherheit des übrigen Straßenverkehrs standen, konnte ich bisher nicht herausfinden.
Bahnübergang Maschinenfabrik Buckau Wolf und Gasanstalt – Lindenstraße:
An dieser Stelle möchte ich noch auf einen „Bahnübergang“ auf der Lindenstraße hinweisen, den ich durch Zufall bei der Sichtung des Kartenmaterials entdeckt habe. Die Stelle wurde auf der Originalkarte mit einem Pfeil versehen. Diese Gleise führen eindeutig vom Buckau Wolf Gelände über die Lindenstraße auf die gegenüberliegende Seite. Hierzu sind leider keinerlei Informationen oder Fotos im Stadtarchiv zu finden. Auch die hiesigen Heimatforscher konnten mir bisher nicht beantworten, welchen Zweck dieser Streckenteil hatte. Ich selbst vermute, dass es Gleise zu der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gasanstalt auf der heutigen Zedernstraße waren und man so über die Werksgleise der Maschinenfabrik Buckau Wolf auch einen Zugang zu der Hauptstrecke Köln – Mönchengladbach hatte. In der Gasanstalt verwendete man die Technik der Kohledestillation, um aus Steinkohle Gas herzustellen. Die benötigten Kohlevorräte wurden sicherlich nicht per Fuhrwerk oder Lastkraftwagen zu dieser Fabrik gebracht. Sollte jemand Informationen oder sogar Bilder dazu haben, würde ich mich sehr freuen, wenn man Kontakt zu mir oder auch dem Stadtarchiv aufnehmen würde.
Wie oben bereits beschrieben, wurden die Anschlussgleise der Zuckerfabrik Wevelinghoven und der Maschinenfabrik Buckau Wolf kurz vor der früheren Zeppelinstraße zusammengeführt. Bedingt durch die zur Verfügung stehenden Freiflächen wurde zur Beseitigung des Bahnübergangs Lindenstraße (Nr. 4) keine „unterirdische“ Streckenführung für Autos erstellt, sondern man baute eine Art „Hochstraße mit Brücken“. Allerdings kann ich mich nicht daran erinnern, dass nach dem Bau der Brücke dort jemals Züge aus der Maschinenfabrik Buckau Wolf oder Zuckerfabrik Wevelinghoven verkehrt sind. Heute kann man nur noch Reste dieser Bahngleise finden. Auf der heute zugewucherten Fläche wurden die Gleise zusammengeführt.
Im weiteren Verlauf führte das zusammengeführte Gleis über den „Bahnübergang“ der alten Zeppelinstraße in Richtung Erftwerk. Dort war sie dann mit der Hauptlinie Köln – Mönchengladbach verbunden. Auch hier gab es keinen richtigen Bahnübergang, sondern lediglich eine Signalanlage (Reste, rechts im ersten Bild), die bei Bedarf den Verkehr stoppte. Zwischen der oben gezeigten und der nachfolgenden Brücke ist die Gleisanlage noch vorhanden. Sie endet jedoch abrupt unter der zweiten Brücke wie man auf den Bildern sehen kann.
Der heutige Beitrag richtet sich vorrangig an die Generation 1990+, die mehr als nur ein verändertes Bild ihrer Heimatstadt vorfinden als jene Generationen, die zuvor aufgewachsen sind. Natürlich dürfen sich aber auch die Älteren an den Bildern und dem Text erfreuen und viele Erinnerungen wachrufen lassen. Früher sagte man: „In Grevenbroich kann man keinen Banküberfall ausführen, da Grevenbroich innerhalb von Minuten durch die Schließung der Bahnübergänge absolut abgeriegelt wäre. Hier kommt niemand mehr rein oder raus!“. Dies galt allerdings nur – eingeschränkt – bis Ende der 1970er Jahre, da es eine „Fluchtmöglichkeit“ über Wevelinghoven gab. Dort allerdings nur, wenn man sich gut auskannte, denn eine Umfahrung von Wevelinghoven über die K 10 (Bau Ende der 1970er Jahre) und L 361 (Bau Ende der 1980er Jahre) war erst nach Fertigstellung dieser Straßen möglich.
Bis zur Mitte der 1990er Jahre mussten sich Autofahrer, Fahrradfahrer und auch Fußgänger in Geduld üben, wenn sie die Innenstadt besuchen bzw. verlassen wollten. Obwohl die Verkehrsbelastung in diesem Jahrzehnt sicherlich nicht so hoch war wie heute, hatte jeder das Gefühl, ständig und immer vor irgendeinem Bahnübergang zu stehen. Gerade zu den Stoßzeiten war jeder der großen Bahnübergänge auf der Lindenstraße, Rheydter Straße und Auf der Schanze eine Geduldsprobe für jeden Grevenbroicher.
Dieter Schlangen schrieb 1997 hierzu: „Nachdem die Todeskurve an der Unterführung Düsseldorfer Straße entschärft und die Brücke im Jahre 1990 durch einen Neubau ersetzt worden war, setzten die Verantwortlichen in Rat und Verwaltung der Stadt Grevenbroich auf die Beseitigung der schienengleichen Übergänge B 59, Rheydter Straße und Auf der Schanze. Am 5. Dezember 1991 z. B. – es war ein normaler Wochentag – musste die Bahnschranke in 24 Stunden 145-mal geschlossen werden. Im Schnitt blieb der Bahnübergang Rheydter Straße pro Stunde für 20 Minuten geschlossen, in der Rush-Hour gar 30 Minuten. Die Folge war zwangsläufig lange Fahrzeugschlangen, wartende und ihren Unmut äußernde Fußgänger und Radfahrer.“ (Dieter Schlangen, Die eiserne Bahn, Grevenbroich-Elsen, 1997, S. 235)
Die nachfolgenden Karten aus den verschiedenen Jahrzehnten zeigen sowohl die Bahnstrecken (gelb = Mönchengladbach – Köln; rot = Neuss – Düren), die vier nicht mehr vorhandenen Bahnübergänge (blaue Punkte) und das Straßenbild rund um die Stadt Grevenbroich. [Hinweis: Die ursprüngliche Strecke Neuss – Düren gibt es heute nicht mehr. Der Personenverkehr auf dem 21 km langen Abschnitt zwischen Düren und Bedburg wurde 1995 eingestellt. In den Jahren 1996 und 1997 wurde dieser Abschnitt stillgelegt und wegen des Tagebaus Hambach abgebaut.] Alle Bilder dieser Beitragsreihe lassen sich in einem separaten Fenster öffnen und entsprechend vergrößern.
Beginnen möchte ich mit dem größten und ältesten Bahnübergang auf der Rheydter Straße. Dieser Bahnübergang prägte mehr als 100 Jahre das Leben zwischen Elsen und der Grevenbroicher Innenstadt. Der Bahnübergang und der Bahnhof lagen über Jahrzehnte auf dem Gebiet der damals noch selbstständigen Gemeinde Elsen. Erst mit der Eingemeindung des Bahnhofviertels zum 1. Juli 1898 gelangte Grevenbroich in den Besitz eines Bahnhofes mit dem dazugehörigen Bahnübergang. In der Elsener Schulchronik ist dazu folgender Absatz zu finden: „Mit dem 1. Juli ist endlich die lang schwebende Eingemeindungs-Angelegenheit zum Abschluss gekommen. Darnach gehört fortan zu Grevenbroich: die Elsener Mühle, der Bahnhof, soweit das Eigentum der Eisenbahn reicht, ferner alle Häuser zwischen Grevenbroich und dem Übergang der Eisenbahn. Grevenbroich hat der Gemeinde Elsen dafür eine Entschädigung von 8000 M jährlich zehn Jahre lang zu zahlen, eine Kleinigkeit, wenn man bedenkt, dass Elsen bisher aus dem abgetretenen Gebiet mehr als das Doppelte an Gemeindesteuer bezog.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elsen, Nr. 222, S. 109)
Nachfolgend werden Bilder vom Bahnübergang Rheydter Straße in Richtung Innenstadt aus den unterschiedlichen Jahrzehnten dargestellt. Die Schlange der wartenden Autos zog sich in der Regel mehrere hundert Meter (manchmal bis zur heutigen Esso-Tankstelle) die Straße hinauf. Oft traf einen das „Übel“, auf die Öffnung der Schranken zu warten, auch zweimal, da die Züge aus Mönchengladbach bzw. Köln wegen Verspätung auch noch mit einer unterschiedlichen Taktung fuhren. Ich danke Herrn Nieveler für das einzigartige Bild, welches die Stausituation im zweiten Bild eindrucksvoll darstellt. Zu dieser Zeit war auch der ÖPNV keine Hilfe, wie der wartende Linienbus auf dem gleichen Bild zeigt.
Das älteste gefundene Foto des Bahnüberganges aus Grevenbroicher Sicht in Richtung Elsen stammt aus den Jahren des Ersten Weltkrieges und wurde mir dankenswerterweise von Herr Jürgen Larisch zur Verfügung gestellt. Es stellt „Potze Jupp“ dar. Vermutlich war er ein zur Bahnwache abgestellter, auswärtiger Soldat, denn in den zugänglichen Standesamtsregistern ist bisher keine Person mit diesem Namen zu finden. Ein großer Dank geht auch an Herrn Heinz Mindt, der mir ein Foto aus den 1980er Jahren zur Verfügung stellte, das den Bahnübergang aus fast gleicher Perspektive darstellt. Die Luftaufnahme zeigt in beeindruckender Weise den Bahnübergang, die enorme Anzahl von Gleisen des Güterbahnhofes, den Silo der Firma Quäker und die 1877 von Heinrich Uhlhorn errichtete Dampfwalzenmühle. Die Stausituation in Richtung Elsen ist nochmals auf dem Foto von Michael Reuter zu sehen.
Wie die Bahnübergänge auf der Lindenstraße und Auf der Schanze wurde dieser Bahnübergang im Rahmen der Neugestaltung der Stadt Grevenbroich zur Landesgartenschau 1995 beseitigt. Nach Eröffnung des Elsbachtunnels im Jahr 1994 wurde der Bahnübergang in den nächsten zwei Jahren durch einen Fußgängertunnel ersetzt. Übrigens war dort bereits in den 1960er Jahren eine sogenannte „Hochstraße“ ähnlich dem mittlerweile abgerissenen „Tausendfüßler“ in Düsseldorf geplant. Dieses Vorhaben stieß jedoch auf breite Ablehnung in der Bevölkerung und bei den Gewerbetreibenden in Grevenbroich.
Der heutige Elsbachtunnel ist in den 1990er Jahren entstanden und ermöglicht ein schnelles Erreichen der Innenstadt, wenn er nicht wegen sintflutartiger Regenfälle geschlossen werden muss und man „wieder mal“ vor geschlossener „Schranke“ stehen muss 😉. Die nachfolgenden Abbildungen zeigen den Verlauf (grün) des Elsbachtunnels anhand von zwei Karten aus den 1990er Jahren und dem Jahr 2023. Bis zur Erstellung dieses Beitrages war mir vollkommen entfallen, welche ungeheuerlichen baulichen Maßnahmen vorgenommen werden mussten, um dieses gewaltige Projekt zur Vollendung bringen zu können.
Einen kleinen, aber den meisten Grevenbroichern wohl nicht mehr bekannten und längst beseitigten Bahnübergang, möchte ich nachfolgend zeigen. Obwohl ich mit einigen, auch ehemaligen Anwohnern gesprochen habe, kann mir niemand genau sagen, in welchem Jahr dieser Bahnübergang beseitigt wurde. Die Schätzungen gingen von Ende der 1970er bis in die 1990er Jahre. Er war wohl einfach irgendwann mal weg?! Dieser befand sich am Ende der Graf-Kessel-Straße, wo diese heute mit einem Wendekreis endet.
Von dieser Straßenseite sind leider keine historischen Aufnahmen zu finden, aber nachfolgende Bilder zeigen den kleinen und „unbedeutsamen“ Bahnübergang von der anderen Seite in Richtung Graf-Kessel-Straße. Auch hier danke ich Herrn Jürgen Larisch für die Zurverfügungstellung dieser einmaligen Aufnahme, auf der man sogar noch Häuser auf dem Schweidweg sehen kann. Heute ist eine solche Sicht nicht mehr möglich, da zum einen eine Schallschutzmauer die Sicht versperrt als auch jeglicher Baumbestand in den letzten 70 Jahren deutlich in die Höhe gewachsen ist. Ob dieser Weg nur von Fußgängern oder auch von Autos benutzt wurde, ist leider nicht bekannt. Auf dieser Seite befinden sich heute nur wenige Häuser und das Pascal-Gymnasium.
Von dem ehemaligen Bahnübergang Auf der Schanze konnte ich bisher lediglich eine Luftaufnahme und ein Foto in Nahaufnahme ausfindig machen. Die Nahaufnahme wurde mir freundlicherweise von Herrn Christian Nies zur Veröffentlichung überlassen, der sie in den 1960er Jahren fotografiert hatte. Auch wenn am Bahnübergang Rheydter Straße zusätzlich der Zugverkehr zwischen Neuss und Düren verkehrte, dürfte die Anzahl der Schrankenschließungen Auf der Schanze ähnlich hoch gewesen sein, da dort sowie am Bahnübergang Lindenstraße (B 59) der Zugverkehr zwischen Köln und Mönchengladbach verkehrte. Die neue Unterführung wurde im Jahr 1993 feierlich eröffnet.
Der letzte nicht mehr vorhandene Bahnübergang war auf der Lindenstraße (B 59) zu finden. Gerade zu Zeiten des Schichtwechsels beim Aluminiumwerk Erftwerk und Aluminiumwalzwerk Blattmetall bildeten sich dort oft Staus, die manchmal bis zu diesen Betrieben reichten. Umgekehrt reichten die Staus auf der Lindenstraße auch schon mal bis zur Polizeiwache. Auch hier war es ein „Glücksspiel“, ungehindert in die Innenstadt zu fahren oder diese zu verlassen. Im Gegensatz zu Auf der Schanze wurde dort lediglich eine Fußgängerunterführung gebaut. Bedingt durch die zur Verfügung stehenden Freiflächen wurde keine „unterirdische“ Streckenführung wie auf der Rheydter Straße (Elsbachtunnel) für die Autos erstellt, sondern man baute eine Art „Hochstraße mit Brücken“.
Zu diesem Bahnübergang sind Bilder aus drei Jahrzehnten erhalten geblieben und geben einen sehr guten Eindruck zu diesem Bahnübergang. Zu dieser Zeit stand das „Bahnwärterhaus“ (eine Blechhütte) noch auf der anderen Seite bevor es Ende der 1960er Jahre einem Neubau auf der anderen Straßenseite weichen musste.
Heute findet man ein absolut verändertes Bild in diesem Bereich vor. Vielen Bürgern ist nicht mehr bewusst, dass es hier einen Bahnübergang gab. Lediglich auswärtige Autofahrer, die sehr veraltete Navigationsgeräte benutzen, „verirren“ sich manchmal noch dorthin und suchen vergeblich die Durchfahrt, die ihnen angezeigt wird. Bis vor wenigen Jahren stellten sowohl Papier- als auch Onlinekarten die Straßenführung in diesem Bereich noch falsch dar.
Die Michaelskapelle gibt es auch gar nicht mehr. Wo sie früher stand, finden wir heute in unmittelbarer Nähe zu Schloss Dyck ein altes steinernes Wegkreuz. An dieser Stelle kreuzen sich heute die Landstraße 32, die von Steinforth/Rubbelrath in Richtung Damm und Nikolauskloster führt, mit dem früheren Weg vom Schloss zum Nikolauskloster. Hier am ehemaligen Eingang zur alten Kastanienallee steht das Wegekreuz. Meist unbeachtet verbergen sich hinter diesem Ort jedoch einige interessante geschichtliche Details.
Betrachtet man das Kreuz genauer, liest man als Inschrift “Constantia, comitissa in Salm-Dyck, hanc crucem posuit anno 1809”. Übersetzt heißt dies „Constantia, Gräfin von Salm-Dyck, errichtet dieses Kreuz im Jahr 1809“.[1]
Constance Marie zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, 1767 als Constance de Théis im französischen Nantes geboren und 1845 in Paris verstorben, war eine französische Dichterin und Schriftstellerin. Während ihrer ersten Ehe (1789-1802) hieß sie Constance de Pipelet, durch ihre zweite Ehe mit Graf Joseph 1803 Gräfin, seit 1816 Fürstin zu Salm-Reifferscheidt-Dyck.[2]
Der Grund für die Errichtung des Kreuzes ist nicht bekannt. Möglicherweise war das Wegekreuz als Ersatz gedacht. Denn bis dahin hatte an dieser Stelle eine Kapelle gestanden, die sogenannte Michaelskapelle.[3]
1645 hatte Ernst Salentin von Salm-Reifferscheidt-Dyck die Herrschaft Dyck übernommen. Unter ihm begann noch in der Endphase des 30-jährigen Krieges eine eifrige Bautätigkeit. So entstanden unter anderem 1647 eine neue Scheune, 1650 eine neue Reitbahn, 1653 ein neuer Reitstall, eine Wachstube und ein Bräuhaus, von 1656 bis 1667 das Herrenhaus und von 1656 bis 1657 die Michaelskapelle.[4] Es wird berichtet, dass Ernst Salentin „frommen Sinnes vor dem Schlosse bei den 7 Bäumen die ansehnliche Michaels-Kapelle errichten ließ“.[5] Erst am 3. Februar 1680 wurde die erste heilige Messe in der Kapelle gefeiert. Die Kapelle erhielt reiche Stiftungen, wie u. a. alle Renten der Sebastianusbruderschaft oder die Renten der „ruinierten“ Kapelle in Neuenhoven. Die in der Herrschaft Dyck ausgestellten Testamente waren ungültig, wenn nicht gleichzeitig eine finanzielle Zuwendung an die Kapelle erfolgte.[6]
Über 140 Jahre wurde die Kapelle durch die Herrschaft Dyck begünstigt. Graf Joseph, später Fürst Joseph, der ein angesehener Botaniker war und den Park von Schloss Dyck und die berühmte Kastanienallee anlegte, beantragte 1795, die Michaelskapelle wegen Baufälligkeit abzubrechen.[7] Nach Angaben des Heimatforschers Jakob Bremer wurde die Kapelle vom 20. bis 22. Februar 1800 niedergelegt. Josephs damalige kritische Einstellung zur Religion war stark durch den Zeitgeist der Aufklärung und die Französische Revolution beeinflusst. Es heißt, dass Fürst Joseph sowohl die Michaelskapelle als auch die Fußfälle (Wegekreuze bzw. Kreuzwegstationen) im Geiste der französischen Säkularisierung zuerst verkommen[8] und 1802 wohl auch die meisten der sieben Fußfälle entfernen ließ. Diese wurden offenbar durch Linden mit angehefteten Kreuzen ersetzt.[9] Warum in Bedburdyck und Stessen jedoch insgesamt drei Fußfälle erhalten blieben, ist nicht bekannt.
Die Kapelle war früher auch Station einer durch das Dycker Ländchen führenden Bittprozession. In der Woche des Festes Christi Himmelfahrt fanden traditionell die meisten Bittprozessionen statt.[10] Eine Prozession führte morgens kurz nach 4 Uhr von Bedburdyck aus, über Stessen am Dycker Hahnerhof vorbei nach Neuenhoven. Dort wurde eine heilige Messe gefeiert. Nach der Einnahme eines kleinen Frühstücks zog man weiter über die Alte Landstraße, die sogenannte Brabanter Heerstraße, bis zum 1667 errichteten Schlicher Fußfall[11] und weiter zur Michaelskapelle. An der Michaelskapelle wurde erneut eine Messe durch einen der Patres des Nikolausklosters zelebriert.[12] Hier erreichte die Prozession, so ein historischer Bericht, ihren Höhepunkt. Die in der Nähe aufgefahrenen 12 Kanonen des Schlosses donnerten durch zwölf Schüsse dem Heiland in der Prozession ihren Salut entgegen, während gleichzeitig die Glocken des Nikolausklosters feierlich läuteten. Nach dem sakramentalen Segen zog die Prozession weiter über Damm, am Fußfall an der Dycker Windmühle vorbei, der vom Pächter des nahegelegenen Becherhofes festlich geschmückt wurde, zurück nach Bedburdyck.
Nach Abriss der Michaelskapelle um 1800 trat im Jahr 1812 der Bedburdycker Katharinenaltar der gleichnamigen Vikarie an die rechtliche Stelle der Kapelle. Dieser Vikarie wurden Eigentum, Pacht oder Abgaben zugeordnet, aus deren Einkünften die Bezahlung des jeweiligen Vikars und der Unterhalt des Altars bestritten wurden. Zwischen dem Kirchenvorstand von Bedburdyck und dem Grafenhaus wurde eine Vereinbarung getroffen, dass die zum Altar gehörigen Erbpächte als Eigentum des altgräflichen Hauses Salm-Reifferscheidt-Dyck anerkannt werden. Faktisch waren die Inhaber der Katharinenvikarie die Schlosskapläne von Dyck, was aber dazu führte, dass die Vikare ihre Tätigkeit in der Pfarrkirche häufig zugunsten der Tätigkeit bei Hofe vernachlässigten. Ab 1878 übernahm dann wieder die Bedburdycker Pfarrgeistlichkeit das Feiern der Gottesdienste in der Schlosskapelle. Später übernahmen die Patres vom Nikolauskloster den Messdienst in der Schlosskapelle.[13]
Michael Salmann für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023
Fragen, die sich der Autor spontan bei der Sichtung von altem Super-8-Film-Material seines Großvaters stellte. Zum Glück ist dergleichen nicht passiert. Es handelte sich lediglich um eine Segelflieger-Taufe, wie die genaue Betrachtung des Filmausschnittes ergab.
Da in dem Film auch das Datum genannt war, konnten mit Hilfe des „Archiv im Rhein-Kreis Neuss“ in Zons, welches eine hervorragende Zeitungssammlung besitzt, die entsprechenden Veröffentlichungen schnell gefunden werden.
Danach wurde ein Segelflugzeug vom Typ „Rhönlerche“ seiner Bestimmung übergeben. Der im Jahr 1957 gegründete Luftsportverein „Erftland“ ehrte damit den bekannten Grevenbroicher Luftsportförderer Theodor Vinken (*1893 in Mönchengladbach, †1935 in Grevenbroich). Mit einer symbolischen Enthüllung durch seine Ehefrau Theresia (geb. Linnartz) erhielt der Segelflieger den Namen „Theo Vinken Grevenbroich I“. Der damalige Luftsportverein „Erftland“ findet sich heute im Aero-Club Grevenbroich e. V. wieder.
Auch wenn die NGZ von einer kleinen Feier spricht, dürfte eine Vielzahl von Grevenbroicher Bürgerinnen und Bürgern zu dem Ereignis anwesend gewesen sein, wie in dem Filmausschnitt zu sehen ist. Daneben sind auch das Haus Portz und die Bebauung am heutigen Standort des Bürgerbüros sehr gut zu erkennen. Vielleicht finden sich auch einzelne Personen oder Familien auf dem Film am Ende dieses Beitrages wieder. Auf jeden Fall wünsche ich viel Spaß bei der Zeitreise zurück in das Jahr 1959. Eine vollständige Zuordnung der einzelnen Festredner, konnte bisher nicht vorgenommen werden, da dem Autor vergleichbares Bildmaterial derzeit nicht vorliegt. Das Stadtarchiv Grevenbroich, der Geschichtsverein Grevenbroich und der Autor würden sich aber sehr über Rückmeldungen freuen.
Eigentlich sollte das hier gezeigte Fundstück aus dem Stadtarchiv Grevenbroich bei den Lesern nur ein Lächeln und Schmunzeln hervorrufen, da es den Konflikt darstellt, der auch heute noch oft zwischen Jugendlichen (die ihre Freiheit und Erfahrungen suchen) und Erwachsenen (die kein Verständnis für diese Lebensweise haben) besteht.
Nach mehrmaligem Lesen traten jedoch Zweifel, Unbehagen und eine gewisse Art Nachdenklichkeit zu Tage, so dass sich der Geschichtsverein Grevenbroich dazu entschloss, gerade dieses Schriftstück auch ein wenig kritischer zu betrachten, ohne dabei Personen oder insbesondere die Lehrerschaft angreifen zu wollen.
Die von Schulrat Leines (vor 1945 Lehrer in Sinsteden; vgl. Schulchronik Elfgen, Nr. 218, Seite 250) beschriebenen „halbwüchsigen Burschen und Mädchen“ dürften im Jahr 1945 vermutlich 15 bis 16 Jahre alt gewesen sein. Die meisten Schüler verließen in jener Zeit die Volksschule bereits mit 14 Jahren. Bis zu diesem Zeitpunkt kannten sie das Leben nur unter der Diktatur des NS-Regimes. Ebenso war ihre Jugend von den schrecklichen Ereignissen des Krieges bestimmt. Vermutlich hatten viele auch einen persönlichen Verlust durch den Tod des Soldatenvaters oder durch Bombenangriffe erlitten.
Gerade im Hinblick auf die ideologische Ausrichtung von großen Teilen der Lehrerschaft während der NS-Zeit stellt sich für den Geschichtsverein Grevenbroich daher die Frage, ob der damalige Schulrat Leines eigentlich in der „Position“ war, so über die jungen Menschen zu urteilen. Waren es nicht auch Lehrer, städtische bzw. politische Amtsträger sowie Millionen von sogenannten „Mitläufern“, die dieses NS-System unterstützten und förderten? Und in welcher Weise hätten sich die Halbwüchsigen angesichts ihres Alters „schuldig“ gemacht haben können. Ein Zusammenhang zu den hunderttausenden Soldaten in Gefangenschaft oder den Millionen vertriebenen Menschen aus den Ostgebieten ist sicherlich an anderer Stelle zu suchen.
Viele Untersuchungen und Veröffentlichungen verdeutlichen heute, dass eine Vielzahl der Lehrer und Lehrerinnen bei der Indoktrinierung der Schülerschaft involviert war. Durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 mussten jüdische, pazifistische, sozialistische und kommunistische Lehrerinnen und Lehrer ihren Beruf aufgeben. In der Folgezeit traten 97% der Lehrerschaft dem NSLB (Nationalsozialistischen Lehrerbund) bei. Eine große Anzahl von Lehrerinnen und Lehrern wurde sogar Mitglied in der NSDAP.
In einem Interview mit Saskia Müller (Mitautorin von „Die ideologische Ausrichtung der Lehrerkräfte 1933 – 1945“ aus dem Jahr 2016) heißt es: „Die große Mehrheit der Lehrkräfte hatte eine enge Bindung an den Staat. Bereits in den 70er- und 80er-Jahren wurde festgestellt, dass diese Berufsgruppe nicht aufgrund von Arglosigkeit und Verführung zum NS überlief, sondern weil sie mehrheitlich das Interesse teilte, mit den Nazis einen starken Staat zu errichten.“[1]
Inwieweit es auch viele Lehrerinnen und Lehrer gab, die diese Haltung nicht teilten und – wenn auch „versteckt“ – Widerstand gegen das NS-Regime leisteten, ist leider bisher nicht erforscht. Hierzu noch ein Auszug aus dem gleichen Interview:
„Niemand musste Mitglied im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) werden. Welche Formen des Widerstands oder der Verweigerung waren Lehrkräften möglich, die sich nicht im NSLB organisierten?
Saskia Müller: Es gab abweichendes Verhalten und Widerstand Einzelner im Alltag. 1937 waren nur 3 Prozent der Lehrkräfte nicht Mitglied im NSLB. Es ist nicht erforscht, ob einzelne oppositionelle Lehrkräfte trotzdem eine NSLB-Mitgliedschaft besaßen. Im Alltag boykottierten sie Vorschriften, wehrten sich gegen ideologische Schulungen und gegen die rassistische und antisemitische Durchdringung des Schulwesens. Sie schützten jüdische Schülerinnen und Schüler, unterstützten oppositionelle Jugendliche oder zeigten sich solidarisch mit verfolgten Kolleginnen und Kollegen. Lutz van Dijk kam in seiner Untersuchung von Biografien oppositioneller Lehrkräfte auf zwei Aspekte, die die befragten Personen – im Gegensatz zu vielen anderen – gemein hatten: Fähigkeit zur Empathie und Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln trotz möglicher persönlicher Nachteile.“[2]
Das seit vier Jahrzehnten sehr umstrittene, oft auch fehlinterpretierte bzw. missbrauchte Zitat „Gnade der späten Geburt“ spiegelt sich genau in diesem Beitrag wider. Der Geschichtsverein Grevenbroich vertritt die Ansicht, dass diese Kinder keine Schuld auf sich geladen haben. Dies schließt jedoch nicht aus, dass sie Verantwortung dafür übernehmen sollten bzw. müssen, dass von deutschem Boden solche Gewaltverbrechen niemals mehr ausgehen dürfen. Viele Grevenbroicher Schüler und Schülerinnen zeigen eben dies in unzähligen Projekten zur NS-Zeit, ohne dabei etwas zu verharmlosen oder geschönt darzustellen. „Erinnerungskultur zu pflegen und zu fördern, darf nicht bedeuten sich schuldig zu fühlen bzw. die Schuld auf sich zu nehmen.“
Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023
[1] https://www.gew-bayern.de/aktuelles/detailseite/lehrkraefte-im-nationalsozialismus; Abruf am 8. Juni 2023 um 14:50 Uhr
[2] https://www.gew-bayern.de/aktuelles/detailseite/lehrkraefte-im-nationalsozialismus, Abruf am 8. Juni 2023 um 15.03 Uhr
Kaum ein anderes Ereignis hat die Geschichte auch unserer Gegend so nachhaltig geprägt wie die Französische Revolution von 1789. Die anschließende, von 1794 bis 1814 erfolgte Besetzung der linksrheinischen Gebiete durch das napoleonische Frankreich hat gravierende Veränderungen mit sich gebracht.
Gemeinfreies Bild von WikiImages auf Pixabay; Abruf am 11.09.2023 um 16.56 Uhr – Napoleon Bonaparte
Nach mehreren siegreichen Schlachten im seit 1792 andauernden 1. Koalitionskrieg der Franzosen gegen einen europäischen Staatenverbund mit u. a. Österreich und Preußen annektierte die französische Armee im Oktober 1794 die Gebiete links des Rheins. Ohne Rücksicht auf die politischen Grenzen wurde 1798 dieses Gebiet in vier Départements (Bezirke) eingeteilt: Roer (Rur), Saare (Saar), Rhin-et-Moselle (Rhein-Mosel) und Mont-Tonnerre (Donnersberg) mit den jeweiligen Hauptorten Aachen, Trier, Koblenz und Mainz. 1801 wurden die eroberten Gebiete völkerrechtlich von Frankreich einverleibt und die Einwohner waren damit plötzlich französische Staatsbürger. Die knapp 20 Jahre andauernde Zugehörigkeit des linken Rheinufers zu Frankreich erst als besetztes Gebiet, dann als Teil der Republik Frankreich und ab 1804 des Kaiserreichs von Napoleon veränderte auch unsere Grevenbroicher Welt grundlegend entsprechend der französischen Verwaltungsstruktur. Die Départements bestanden aus mehreren Kantonen und diese beinhalteten die Mairien (Bürgermeistereien).
Wie alle anderen bis dahin bestehenden Ämter wurde auch das Amt Grevenbroich aufgelöst. Die seit Jahrhunderten bestehende politische Einheit der Stadt Grevenbroich mit den Landgemeinden Allrath, Barrenstein und Neuenhausen wurde jetzt auf französisch „Mairie“ (Bürgermeisterei) genannt und existierte nur auf unterer Ebene weiter. Die nächsthöhere Ebene ging wegen ihrer verkehrsgünstigen Lage am Schnittpunkt der Straßen Köln – Venlo – Neuss – Jülich an Elsen, das damit Hauptort des neu eingerichteten Kantons Elsen wurde. Innerhalb der neuen Gebietsstrukturen hieß z. B. Allrath nun „Aldenrath“, Mairie de Grevenbroich, Canton d’Elsen, Département de la Roer (= Regierungsbezirk Rur) mit Hauptsitz in Aachen. Nach einem Bericht des Grevenbroicher Stadthistorikers J. H. Dickers wurden bei den Umstrukturierungen die Städte von „der eingesetzten französischen Regierung mit der äußersten Missachtung behandelt“.
Nachfolgend einige Urkundenbeispiele aus dem Grevenbroicher Stadtarchiv, die neben den Veränderungen auch die Zeitrechnung nach dem französischen Revolutionskalender aufzeigen. Der französische Revolutionskalender galt von 1792 bis 1805 und hatte 12 Monate zu 30 Tagen mit jeweils 3 Dekaden von 10 Tagen.
Einer chaotischen Anfangs- und Übergangszeit folgte erst 1800 eine Kommunalreform Napoleons, die wieder eine gewisse Ordnung herstellte. Dabei wurden auch erstmalig Volkszählungen durchgeführt. Grevenbroich hatte danach im Jahr 1801 nur 518 Einwohner und war damit kleiner als manches Dorf in der Umgebung. Einige Jahre später, schon in preußischer Zeit des Jahres 1816, zählte Allrath 597 Einwohner, während in Grevenbroich nur 574 Einwohner lebten.
Die durch Tranchot und von Müffling von 1801 – 1828 durchgeführten exakten Landvermessungen ergeben durch die dabei erstellten Kartenaufnahmen der Rheinlande (die sog. Tranchotkarten) ein genaues Bild. Unsere Gegend wurde mit den Karten 59 und 60 in den Jahren 1807/08 erfasst.
Die 1794 erfolgte französische Eroberung und Herrschaft Napoleons brachte ab 1799 in den Verwaltungsbereichen der linksrheinischen Gebiete einen gewaltigen Modernisierungsschub von bis dahin nicht gekannten Ausmaßen mit sich. Noch heute wirkt sich dies zusammen mit den nachfolgenden Einflüssen der preußischen Zeit ab 1815 in vielen Bereichen aus.
Die französische Sprache
Nach der Errichtung des Roer-Départements 1798 schrieb der französische Justizminister: „Der erste Schritt, um dieses Land der Sklaverei seiner alten Einrichtungen zu entreißen, wird die Förderung der französischen Sprache sein.“ So wurden von der Zivilverwaltung der Ersten Französischen Republik die ersten Standesämter in Deutschland im linksrheinischen Gebiet eingerichtet, die alle Urkunden in französischer Sprache ausstellten. Die Geburtsurkunde hieß „Acte de naissance“, bei der Heirat gab es die „Acte de marriage“ und die Sterbeurkunde war die „Acte de décès“. Die Familiennamen wurden beibehalten, die Vornamen jedoch französisch übersetzt. Und so wurde aus dem Johann ein Jean (bis heute noch Schäng), aus Friedrich wurde „Frédéric“ und aus Heinrich „Henri“, während die Maria Katherina nun „Marie Catherine“ hieß. Auch die Berufsbezeichnungen wurden übersetzt. So wurde aus dem braven Ackerer ein „agriculteur“ oder „cultivateur“, der Tagelöhner war ein „journalier“. Aus Untertanen wurden so verwaltete Bürger. Eingefügt ist die Geburtsurkunde des Urgroßvaters des Verfassers, Jean (Johann) Eßer.
Die Notare waren „notaire imperial“, also kaiserlich, ihre Urkunden wurden z. B. 1809 eingeleitet mit: „Napoleon, par la grace de Dieu et les constitutions de l’Empire, Empereur des Francais et Roi d’Italie“, 1812 zusätzlich noch mit “Protecteur de la Confédération de Rhin et Médiateur de la Confédération Suisse“ versehen, zu übersetzen mit „Napoleon, durch Gottes Gnade und die Verfassung des Kaiserreichs, Kaiser der Franzosen und König von Italien, Beschützer des Rheinbundes und Vermittler des Schweizer Bundes“. Ein mächtiger Mann und Selbstdarsteller, der da über unsere Vorfahren herrschte, und der das auch nach außen zu dokumentieren wusste.
Man stelle sich vor, was dies für die einfache Bevölkerung bedeutete. Es hat aber offensichtlich funktioniert, wie einem Reisebericht von 1813/14 des Barons de Ladoucette, dem Präfekten des Roer-Departements, zu entnehmen ist. Diese Reise führte ihn auch durch Grevenbroich. Er spricht in seinem Reisebericht von der schnellen Verbreitung der französischen Sprache vor allem durch die Vorgaben bei Gesetzen, Urteilen und Urkunden sowie im geschäftlichen und militärischen Bereich. Weiter: „Ich war überrascht und angetan, als ich während meiner Reisen in den Dörfern nach dem Wege fragte und die Kinder sich die größte Mühe gaben, ihn mir in Französisch zu erklären.“ Über ihre Freude daran ist allerdings genauso wenig bekannt wie über die Qualität des Französischen. Auf diese Weise wurden nach und nach auch französische Begriffe in den Alltagssprachgebrauch übernommen. Man wusste, dass die Landstraße nun „chaussee“ hieß und der Schirm „parapluie“. Zum Einkaufen nahm man das „portemonnaie“ mit statt der bis dahin üblichen Geldbörse. Ein Fläschchen Kölnisch Wasser war zum „Eau de Cologne“ geworden und vom Nachbarn verabschiedete man sich nun mit „à dieu“ (Adieu), was „mit Gott“ bedeutete. Davon zeugt noch bis heute ganz einfach unser rheinisches „tschö“ oder das noch saloppere „tschüss“. Viele andere französische Worte haben sich – teilweise ohne dass wir es noch wissen – bis heute erhalten oder sogar alte deutsche Begriffe ersetzt.
Kirchen, Klöster, Säkularisation
Auch die alte kirchliche Ordnung wurde 1802/1803 mit der Säkularisation beseitigt: Köln verlor zugunsten von Aachen seinen Bischofssitz, an Stelle der Dekanate traten die Kantone. Die örtlichen Kirchen waren nur noch Hilfspfarreien, die der Aufsicht des Pfarrers im Kantonsort unterstanden, in unserem Falle also Elsen.
Die Franzosen gingen noch weiter, indem sie die Überführung von Kirchengütern in staatlichen Besitz anordneten und auch vollzogen. Davon betroffen waren im hiesigen Bereich das Kloster Welchenberg, das Wilhelmitenkloster in Grevenbroich und das Kloster Langwaden, die 1802 aufgehoben und mit den sich darin befindenden Kirchenschätzen veräußert wurden. Auf diese Weise gelangten die Kanzel von Kloster Langwaden und der Altar aus der Klosterkirche in Grevenbroich in die erst kurz zuvor (1792) in Allrath neu erbaute Kirche.
Kriege bis zum Untergang
Die ständigen napoleonischen Kriege und Auseinandersetzungen an fast allen Fronten forderten auch in unserer Region viele Menschenleben. Das Rheinland wurde neben seiner wirtschaftlichen Bedeutung auch gebraucht, um den Franzosen den Nachschub an Soldaten zu sichern. So blieb z. B. unser „Departement de la Roer“ bei der Rekrutierung nicht verschont, als Napoleon 1812 seine „Grande Armee“ für den Russlandfeldzug zusammenstellte. 200.000 der 650.000 Mann stammten allein aus dem Rheinland. Bei diesem Kriegszug bis vor die Tore Moskaus starben über 95 % der Truppen. Napoleon kam geschlagen und nach ungeheuren Verlusten mit nur ca. 10.000 Mann nach Paris zurück.
Durch diese Niederlage war auch der Untergang Napoleons und seines Kaiserreichs eingeläutet. Mit dem Abzug der letzten Truppen im Januar 1814 und der Unterzeichnung des Friedens von Paris im Mai 1814 endete nach fast 20 Jahren die französische Herrschaft im Rheinland. Frankreich wurde zur Rückkehr in die Grenzen von 1792 gezwungen. Auf dem Wiener Kongress 1815 wurde das gesamte Rheinland Preußen zugesprochen und wir Rheinländer für längere Zeit preußische Staatsbürger.
Rolf Esser für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023