1923 – Als 1 Milliarde Mark noch nicht einmal für ein Brot reichte

© Privatsammlung – Notgeld-Gutschein des Landkreis Grevenbroich vom 5. Oktober 1923

Vor genau 100 Jahren, am 19. November 1923, kostete ein Brot 233 Milliarden Mark, für ein Kilogramm Rindfleisch mussten 4,8 Billionen Mark bezahlt werden. Das Porto für einen Brief war gerade erst von 10 Milliarden auf 20 Milliarden Mark erhöht worden. Die Löhne wurden täglich ausgezahlt: Die Frauen standen dann immer jeden Tag am Werkstor und holten sich die Lohntüten ihrer Ehemänner ab, um damit sofort loszulaufen, um einzukaufen – wenn es denn etwas gab: Denn viele Waren wurden zurückgehalten, weil das Geld, das jeden Tag immens wertloser wurde, gar nicht mehr akzeptiert wurde. Der Schwarzmarkt blühte, und häufig konnte sich man sich häufig nur dann noch seinen Hunger stillen, wenn man Sachwerte hatte, die man verkaufen konnte.

Wie war es dazu gekommen? Das Deutsche Reich hatte 1918 den 1. Weltkrieg verloren und die Kosten des Krieges waren überwiegend auf Pump finanziert worden, auch weil insgesamt 9 Kriegsanleihen mit einem Volumen von fast 100 Milliarden Mark nicht mehr vollständig von der Bevölkerung gekauft worden waren, und so die Reichsbank über das Drucken von neuem Geld einspringen musste. Man hatte eigentlich bei Beginn des Krieges 1914 mit einer nur kurzen Dauer gerechnet, aber das Kriegsleid zog sich über 4 lange Jahre hin. Anschließend mussten den Soldatenwitwen Renten gezahlt werden und insbesondere die hohen Reparationsleistungen an das Ausland verschlangen Unsummen von Geld, das man sich auch wieder über die Notenpresse holte. So wuchs in den vier Jahren 1919 bis 1923 die Geldmenge immer weiter an und alles wurde teurer.

© Privatsammlung – Notgeld-Gutschein der Maschinenfabrik Grevenbroich vom 8. September 1922

Da war die Welt fast noch „in Ordnung“: Notgeld-Gutschein über 1.000 Reichsmark im September 1922. Die Rückseite zeigt als Werbung für die Firma das gesamte Werksareal mit der damaligen Bebauung auf der Lindenstraße. Hergestellt bei der Grevenbroicher Druckerei Bochum. Der Schein sollte einige Wochen später gegen Reichsbank-Noten in Grevenbroich beim Schaafhausen’schen Bankverein umgetauscht werden. Die Ausgabe dieses Notgeldes war schon zu dieser Zeit nötig, weil Geldscheine fehlten, denn die Arbeiter in den Druckereien hatten im Sommer 1922 die günstige Gelegenheit genutzt, um für höhere Löhne zu streiken.

© Privatsammlung – Notgeld-Gutschein der Maschinenfabrik Grevenbroich vom 8. September 1922

Anfang 1923 kam die Regierung mit den Reparationsleistungen in Rückstand, was die alliierten Siegermächte sofort mit einer Besetzung des Ruhrgebietes beantworteten. Die Regierung rief daraufhin zum „passiven Widerstand“ auf, dem friedlichen Niederlegen der Arbeit. Aber die Löhne mussten ja weitergezahlt werden, wieder wurden neue Geldscheine gedruckt, mit immer höheren Werten.

Und obwohl dann im Sommer 1923 über 100 Druckereien nur damit beschäftigt waren, neues Geld zu drucken, ganze Güterzüge mit Geldscheinen quer durch Deutschland rollten, und die Summen auf den Geldscheinen immer höher wurden, reichte das Geld dann bei den Firmen nicht mehr aus, um die Löhne zu bezahlen. Und so druckten viele Städte und Firmen ihr eigenes Geld in Form von Notgeld-Gutscheinen, die – so hoffte man – nach einigen Wochen wieder in „richtiges Geld“, nämlich Reichsmarknoten, umgetauscht werden sollten.

Zum Beispiel druckte auch das Erftwerk Grevenbroich im August 1923 Notgeldscheine im Nominalwert zwischen 500.000 Mark und fünf Millionen Mark. Auch die Firma Pfeiffer und Langen konnte sich nicht anders behelfen. Kleingeld gab es schon lange nicht mehr: Gold- und Silbermünzen waren gleich nach Kriegsbeginn in den Schubladen der Bürger verschwunden, und Kupfer und Nickel waren auch während des Krieges zur Produktion von Waffen und Munition eingeschmolzen worden. Aber noch nicht einmal das hatte ausgereicht, und so mussten im Krieg viele Kirchen ihre Kirchenglocken an den Staat abgeben, der aus den Glocken dann auch wieder Rüstungsgüter machte. Schlussendlich ging man ab Sommer 1923 mit großen Taschen voller Geldscheine einkaufen, die fast stündlich an Wert verloren. Konnte man morgens noch mit einer Geldsumme ein Brot kaufen, bekam man am Nachmittag dafür noch nicht einmal mehr ein Brötchen.

© Privatsammlung – Notgeld-Gutschein des Erftwerk Grevenbroich über 2 Millionen Mark vom 23. August 1923

Die Not in der Bevölkerung wuchs, es kam zu Unruhen mit Toten und zu Plünderungen; auch in Noithausen plünderten rund 1.000 Arbeiter insgesamt 10 Morgen Weizen. Dieser Aufruhr konnte nur dadurch friedlich beendet werden, weil die Bauern versprachen, den Arbeitern aus ihrer Ernte den Hunger zu stillen. Auch die Selbstmordrate stieg an, weil zum Beispiel viele Leute sich für ihr Alter Ersparnisse zugelegt hatten, aus denen sie dann ihren Lebensunterhalt bestreiten wollten, was nun nicht mehr möglich war, weil das Geld wertlos geworden war.

Immer rasanter lief die Geldentwertung ab: Aus Millionen wurden Milliarden und aus Milliarden wurden binnen weniger Wochen Billionen. Ende Oktober musste schließlich von den Landkreisen Krefeld, Gladbach, Grevenbroich, Kempen und Neuss ein Notgeld-Gutschein mit der fast unvorstellbaren Summe von 20 Billionen Mark gedruckt werden. Die Nullen auf den Geldscheinen waren da längst von den Geldscheinen verschwunden, es wären zu viele gewesen.

© Privatsammlung – Notgeld-Gutschein über 10 Billionen Reichsmark vom 1. November 1923

Am 20. November 1923 war schließlich der Spuk vorbei: Aus 1 Billion Reichsmark wurde eine Rentenmark, der man wieder Vertrauen entgegenbrachte. 12 Nullen auf den Geldscheinen wurden gestrichen. Alle Sparer hatten ihr Vermögen verloren, und der Staat war auf diese Weise schuldenfrei geworden. Die ganzen Kriegsanleihen aus dem 1. Weltkrieg von rd. 100 Milliarden Reichsmark waren jetzt gerade noch 10 Pfennige wert.

Auch heute noch haben wir Angst vor der Inflation, die sich aktuell wieder in unseren Geldbörsen bemerkbar macht, aber nicht in dem Ausmaß der Hyperinflation von damals: Aber diese Angst ist jetzt eben schon 100 Jahre alt.  

Achim Kühnel für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Ein Gedanke zu „1923 – Als 1 Milliarde Mark noch nicht einmal für ein Brot reichte“

  1. Hallo Achim,
    danke für den interessanten Vortrag von dir. Dass es ein spannender und interessanter Vortrag war, konnte man an der regen Diskussion merken! Ich kann mir die schwierige Situation der Menschen in Deutschland in diesen Jahren nur annähernd vorstellen.
    Vielen Dank für deinen Vortrag und deine Mühe.

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