In den Akten des Bestandes Wevelinghoven wurde von Cornelia Schulte, Mitarbeiterin im Stadtarchiv Grevenbroich, nachfolgender Brief gefunden. Da dieser Brief weder den Namen der Mutter trägt noch handschriftlich von Heß unterschrieben wurde, ist davon auszugehen, dass es sich um einen Musterbrief an alle unverheirateten Mütter handelt, deren Verlobte im Krieg gefallen waren. Dieser Musterbrief muss bereits aus der Zeit vor 1941 stammen, da Rudolf Heß am 10. Mai 1941 nach einem bis heute nicht eindeutig begründbaren Flug nach Großbritannien dort gefangen genommen wurde.
Der Brief zeigt in perfider Weise wie gedanklich mit dem Gut „Menschen“ während der NS-Zeit umgegangen wurde. Der Geschichtsverein Grevenbroich möchte daher in diesem Kurzbeitrag, das eheliche Instrument der nachträglichen Ehe (auch Leichen- bzw. Totentrauung genannt) darstellen. Die Ferntrauung, die Totenscheidung oder der Umgang mit Personen in Mischehen (Arier/Juden) werden hierbei absichtlich außen vorgelassen, da dies den Rahmen dieses Artikels „sprengen“ würde.
Da die Ferntrauung (Ehemann war zum Zeitpunkt der Eheschließung im Felde) nicht die Fälle abdeckte, in denen die Soldaten nicht mehr zur Niederschrift ihres Willens vor dem Bataillonskommandeur erscheinen konnten, da sie bereits gefallen waren, fehlte ein rechtliches Instrument, auch diejenigen Frauen sozial abzusichern und uneheliche Kinder zu legitimieren, deren Männer bzw. Väter als „Helden des Vaterlandes“ an der Front umgekommen waren.
Anfangs wurden Anträge zur Genehmigung einer nachträglichen und auch wirksamen Eheschließung unmittelbar und direkt von Adolf Hitler begutachtet und wohl als „Gnadenakt“ genehmigt. Da die Zahl der gefallenen Soldaten im Laufe des Krieges immer mehr zunahm, war dies durch Einzelfallregelungen nicht mehr zu bewältigen. Schätzungen gehen von ca. 25.000 Anträgen aus, die an das Reichsministerium des Innern gerichtet wurden. (1)
Aus diesem Grund unterschrieben Adolf Hitler, Hans Heinrich Lammers (Chef der Reichskanzlei) und Wilhelm Keitel (Chef des Oberkommandos der Wehrmacht) am 06. November 1941 einen entsprechenden Geheimerlass, der dieses Problem übergreifend und effektiv lösen sollte. Da eine Veröffentlichung der Anordnung zu unterbleiben hatte und verboten wurde, ist es dem Autor bisher nicht gelungen eine Abschrift dieses Erlasses einsehen zu können. Der Erlass wurde nach Internetrecherche wohl lediglich einmal mit einem Gerichtsurteil aus dem Jahr 1947 abgedruckt. Leider ist auch dieses Urteil nicht zugänglich.
Mit dieser Ermächtigung wurde es dem Reichsminister Frick ermöglicht, die nachträgliche Eheschließung von Frauen mit gefallenen oder im Felde verstorbenen Angehörigen der Wehrmacht anzuordnen, wenn die ernstliche Eheschließungsabsicht erwiesen war und bis zum Tode bestanden hatte.
Am 25. März 1942 gab das Reichsinnenministerium den Wortlaut der Ermächtigung innerhalb der Verwaltung bekannt. (2) Da dieser Geheimerlass nun doch nicht so geheim war wie gewollt, verbreitete sich unter der Bevölkerung schnell der Begriff der „Leichentrauung“. Trotzdem wurden die Standesämter erst am 15. Juni 1943 – noch immer vertraulich – vom Reichsminister des Innern (Wilhelm Frick) über die Existenz des Geheimerlasses und die Richtlinien zur Bearbeitung solcher Anträge informiert.
Dokumentiert wurden nachträgliche Ehen (Leichen- bzw. Toten-Ehen) im Standesamt wie folgt. Die Namen der Betroffenen wurden geschwärzt, auch wenn die Urkunden mittlerweile öffentlich zugänglich sind und von jedem eingesehen werden können.
Transkription der Heiratsurkunde als Fließtext:
„Gustorf, den 25. November 1942. Die Kontoristin Anna XXXX, katholisch, geboren am 19. Januar 1924 in Orken (Standesamt Elsen jetzt Grevenbroich Nr. 8), wohnhaft in Gindorf, Göringstraße erschien heute vor dem unterzeichneten Standesbeamten zum Zwecke der nachträglichen Eheschließung mit dem am 24. Mai 1942 verstorbenen Obergefreiten Robert Franz Walter XXXX, evangelisch, geboren am 11. Mai 1919 in Neumühle (Standesamt Heerwegen Nr. 20), wohnhaft gewesen in Neumühle.
Der Standesbeamte fragte die erschienene Verlobte, ob sie nachträglich die Ehe mit dem verstorbenen Robert Franz Walter XXXX eingehen wolle. Die Verlobte bejahte die Frage. Der Standesbeamte sprach im Namen des Reiches und auf Anordnung des vom Führer hierzu besonders ermächtigten Reichsministers des Innern aus, daß die Ehe hiermit nachträglich geschlossen werde, daß Anna XXXX geborene XXXX demnach die rechtmäßig verbundene Ehefrau des am 24. Mai 1942 verstorbenen Robert Franz Walter XXXX geworden sei und zwar nachträglich mit Wirkung von dem Tage ab, der dem Sterbetag des Ehemannes vorausgegangen ist.“
Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023
(1) Cornelia Essner und Edouard Conte: „Fernehe“, „Leichentrauung und Toten-Scheidung“, Metamorphosen des Eherechts im Dritten Reich, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. Jahrgang 44 (1996), Heft 2, S. 201 – 227, S. 214
(2) Cornelia Essner und Edouard Conte: „Fernehe“, „Leichentrauung und Toten-Scheidung“, Metamorphosen des Eherechts im Dritten Reich, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. Jahrgang 44 (1996), Heft 2, S. 201 – 227, S. 213