Lehrer dürfen züchtigen…

Kinder dürfen auch außerhalb der Schule von ihren Lehrern gezüchtigt werden! Blutunterlaufungen, blaue Flecken und Striemen gehören nicht unbedingt zu einer merklichen Verletzung!

So zumindest nach den Aufzeichnungen des Lehrers in der Noithausener Schulchronik aus dem Oktober 1889.

StA Grevenbroich, Schulchronik Noithausen, Sig. 513

Transkription: „Erkenntnis des Oberverwaltungsgerichts über das Züchtigungsrecht der Lehrer: Der Lehrer ist zur Vornahme empfindlicher körperlicher Züchtigung berechtigt. Eine merkliche Verletzung ist eine solche, durch welche Gesundheit und Leben der Schüler gefährdet erscheint. Blutunterlaufungen, blaue Flecken, Striemen für sich allein gehören nicht hierzu, denn jede empfindliche Züchtigung, und zu einer solchen ist der Lehrer berechtigt, lässt derartige Erscheinungen zurück. So ist der Lehrer ebenfalls nicht straffällig, wenn er einen Schüler, der einer anderen Klasse angehört, züchtigt, auch kann die Züchtigung des Schülers außerhalb des Schullokals stattfinden. Das Verhalten des Schülers außerhalb der Schule unterliegt ebenfalls der Schulzucht, was so oft von den Eltern gerade bestritten wird. Dasselbe Züchtigungsrecht hat auch der Geistliche bei Erteilung des Religions-Unterrichtes. Die Schulzucht kann nur dann Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens werden, wenn eine wirkliche Verletzung des Schülers stattgefunden hat.“ (Hervorhebungen durch den Autor)

Entnommen wurde der Text vermutlich einer Tageszeitung im Oktober 1889, denn der o. a. Text entspricht dem nachfolgenden Zeitungsartikel bis auf den Einleitungssatz in voller Gänze. Die hervorgehobene Textstelle soll jedoch die Ansichten damaliger Zeit noch einmal ausdrücklich darstellen.

Rheinisches Volksblatt Nr. 123 vom Samstag, den 19. Oktober 1889

Bereits einem Artikel im Rheinischen Volksblatt Nr. 123 vom Dienstag, den 23. Oktober 1883 ist zu entnehmen, dass Eltern immer wieder versucht haben, gegen die Züchtigung außerhalb der Schule zu protestieren. Die Zeitung führte hierzu aus: „[…] als enthielte das Einschreiten des Lehrers einen Eingriff in das elterliche Erziehungs- und Züchtigungsrecht. Dass Letzteres jedoch nicht der Fall, der Lehrer vielmehr verpflichtet ist, gegen die von den Kindern außerhalb der Schule begangenen Ungezogenheiten einzuschreiten, führt der Ministerialerlass vom 28. März 1872 aus, in welchem es heißt, dass die außerhalb der Schule von den Kindern begangenen und straflos gebliebenen Übertretungen von der Schulzucht nicht ausgeschlossen sind; die Schule daher den Beruf hat, derartige Handlungen der Kinder nach der ihr zustehenden Diziplinargewalt in einer den Zwecken der Erziehung entsprechenden Weise zu ahnden.“

Aus heutiger Sicht dürfte auch ein Urteil des BGH vom 23. Oktober 1957 auf uns ziemlich befremdlich wirken, wonach zwar der Tatbestand der Körperverletzung durch die körperliche Züchtigung der Schüler durch den Lehrer erfüllt ist. Aber ihre Strafbarkeit entfällt, wenn der Lehrer zur Züchtigung rechtlich befugt ist und sich innerhalb der Grenzen dieser Befugnis hält. Das Gewohnheitsrecht bestimmt die Grenzen der Züchtigungsbefugnis nach Anlass, Zweck und Maß. Jede quälerische, gesundheitsschädliche, das Anstands- und Sittlichkeitsgefühl verletzende, nicht dem Erziehungszweck dienende Züchtigung ist verboten. Den Umkehrschluss aus dem letzten Satz überlassen wir dem Leser!

Honnefer Volkszeitung Nr. 248 vom Donnerstag, den 24. Oktober 1957
Honnefer Volkszeitung Nr. 248 vom Donnerstag, den 24. Oktober 1957

In Westdeutschland wurden die Züchtigung und Prügelstrafe in den meisten Bundesländern erst im Jahr 1973 untersagt. Ausnahmen bildeten Bayern, welches erst im Jahr 1983 ein Verbot aussprach und Nordrhein-Westfalen, welches bereits durch einen Runderlass vom 22. Juni 1971 das Züchtigungsverbot für unzulässig erklärte. Erst im Jahr 2000 beschloss der Bundestag das „Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung“. Gemäß § 1631 Abs. 2 BGB haben Kinder seit dem 2. November 2000 ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

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