Die Geschichte von Ignaz und seiner Familie aus Elfgen. Ignaz wurde am 17.09.1905 in Elfgen geboren und starb am 25.11.1944 im Alter von nur 39 Jahren am Südostrand des Matragebirges in Ungarn. Er hinterließ seine Frau Theresia und drei Kinder im Alter von 4, 8 und 14 Jahren.
Am „Südostrand des Matragebirges“. Dieser Begriff brannte sich über fast 80 Jahre bei unserer Zeitzeugin ein. Da sie bei dem Tod ihres Vaters erst vier Jahre alt war und sich nicht mehr an ihn erinnern kann, verfolgte diese Ortsangabe und das fehlende „Wissen“ über ihren Vater, sie ein Leben lang. Für das Netzwerk „Grevenbroicher Kriegstote“ öffnete sie aber ihre „Schatzkiste“, welche sich seit Jahrzehnten im Familienbesitz befindet.
Bei der Durchsicht der Unterlagen fielen die vielen sorgfältig gefalteten Feldpostbriefe, die Ignaz an seine Frau schickte, auf. Feldpostbriefe wurden oft so gefaltet, dass sie gleichzeitig den Umschlag bildeten.
Während unseres Gespräches erzählte uns die Zeitzeugin, dass sie eigentlich nichts über ihren Vater weiß und sie gerne wüsste, ob er sie auch „lieb“ gehabt hatte und wie er über die Familie empfunden hatte. Über ihn wurde in der Familie nur sehr wenig bis gar nicht gesprochen. Vermutlich nicht, weil er ein schlechter Mensch war, sondern weil es in der Nachkriegszeit vielfach einfach so üblich war, die Toten „ruhen“ zu lassen. Außerdem waren viel drängendere Probleme wie Arbeitssuche, Nahrungsbeschaffung und Wohnungssuche als alleinerziehende Mutter zu bewältigen.
Traurigerweise stellte sich heraus, dass unsere Zeitzeugin über viele Jahre versucht hat, diese vielen Briefe ihres Vaters zu entziffern, um etwas über ihn und seine Beziehung zur Familie zu erfahren. Die Mischung aus Sütterlin und Deutscher Volksschrift machten es ihr aber unmöglich. Hierbei konnten wir der Dame jedoch helfen. Die Feldpostbriefe wurden fotografiert und danach Zeile für Zeile transkribiert. Nur wenige Tage später konnte unserer Zeitzeugin eine Mappe mit den Fotos und der Transkription übergeben werden, die sie mit einem weinendem und einem lächelnden Auge entgegennahm. An dieser Stelle möchten wir uns für das entgegengebrachte Vertrauen, uns private Post ihres verstorbenen Vaters zur Verfügung zu stellen, zutiefst bedanken. Eine Stelle aus diesen Briefen dürfen wir veröffentlichen, da sich mit ihr, eine jahrzehntelange Last vom Herzen unserer Zeitzeugin löste. Sie wurde im letzten Brief des Vaters vom 15.11.1944 – also 10 Tage vor seinem Tod – gefunden:
„Und dann habe ich die Karte von meinem kleinen Liebling erhalten, welches mich am meisten gefreut hat und wenn ich mal wieder nach Hause komme, kriegt es auch von mir ein schönes Namenstaggeschenk, jetzt kann ich ja nichts schicken, ich habe noch etwas Bonbons, aber ich kann die nicht schicken.“
Hierzu ist es leider nie gekommen, da Ignaz am 25. November, dem Tag an dem unsere Zeitzeugin ihren Namenstag feiert, gestorben ist. Für sie war es aber sehr wichtig zu erfahren, als kleiner Liebling bezeichnet zu werden und dass er an sie gedacht hat. Die Zuneigung zur Ehefrau Theresia und den beiden Söhnen war – trotz der schwierigen Verhältnisse und Geschehnissen im Kriegseinsatz – in allen Briefen zu lesen.
Mit diesem Wissen, welche Last viele Menschen in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit oder auch ein ganzes Leben mit sich tragen mussten, wirkt das offizielle Schreiben der Wehrmacht über den Tod wie der blanke Hohn.
“Stabsveterinär Vogel Im Felde, 14.12.44
– 43 988 –
Sehr geehrte Frau xxxxxxxxxxxx,
bei den Abwehrkämpfen am Südostrand des Matragebirges in Ungarn wurde Ihr Ehemann – der Gefreite Ignatz xxxxxxxxxxx – am 24.11.44 schwer verwundet und erlag am 25.11. auf einem Hauptverbandplatz seinen Verwundungen.
Im Kampf um die Freiheit Großdeutschlands in soldatischer Pflichterfüllung, getreu seinem Fahneneid für Führer, Volk und Vaterland starb er den Heldentod.
Zugleich im Namen seiner Kameraden spreche ich Ihnen meine wärmste Anteilnahme aus. Die Kompanie wird Ihren Mann stets ein ehrendes Andenken bewahren und in ihm ein Vorbild sehen.
Die Gewissheit, dass Ihr Mann für die Größe und Zukunft unseres ewigen deutschen Volkes sein Leben hingab, möge Ihnen ein Trost sein in dem schweren Leid, dass Sie betroffen hat, und Ihnen Kraft geben.
Ihr Mann erhielt einen Kopfschuss und hat das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Er wurde mit militärischen Ehren auf dem Heldenfriedhof Salgotarjan (Ungarn) beigesetzt. (Grabanlage: Feld A, 5. Reihe, 3. Grab.)
In allen Fürsorge- und Versorgungsfragen wird Ihnen das zuständige Versorgungsamt, dessen Standort bei jeder militärischen Dienststelle zu erfragen ist, bereitwilligst Auskunft erteilen. Auch ich stehe Ihnen weiterhin gern zur Verfügung.
In aufrichtigem Mitgefühl grüße ich Sie mit
Heil Hitler!
Wilfried Vogel
Stabsveterinär u. Komp. Fhef”
Diese Nachricht muss die Familie vermutlich Anfang Januar 1945 erreicht haben. Die Zeitzeugin erzählte von der Begebenheit wie die Nachricht übergeben wurde, die sich wie der Begriff „am Südostrand des Matragebirges“ in ihre Erinnerungen „eingebrannt“ hat. „Ich stand mit meiner Mutter im Garten. Wir beide sahen einen Mann schweren Schrittes die Straße hinaufkommen. Da wusste meine Mutter, dass ihr Mann, mein Vater gestorben war.“ Wie schwer auch die Übermittlung solcher schlimmen Nachrichten war, ist der Schulchronik Elfgen zu entnehmen, wo der Lehrer Brass genau den Tag davor beschreibt:
„2.1.45 Hubert xxxxxx und Ignaz xxxxxx gefallen.
Zellenleiter Franz xxxxxx zeigte mir soeben die Nachricht vom Heldentode des Bauers Hubert xxxxxx und des Straßenwärters Ignaz xxxxxx. Beide sind verheiratet und hinterlassen je 2 bzw. 3 Kinder. Ich bin erschüttert. Zellenleiter xxxxxx, der die Nachricht überbringen muss, will bis morgen warten. Auch er scheut den schweren Weg zu den Angehörigen. Hubert xxxxxx fiel in Kurland. Er starb am 9.12.44 im Feldlazarett an den Folgen der am 7.12. erlittenen schweren Verwundung. Ignaz xxxxxxx ist in Ungarn gefallen.“ Quelle: Schulchronik Elfgen, Stadtarchiv Grevenbroich.
Mit ein wenig Recherche konnten wir die Friedhofsanlage ausfindig machen und unserer Zeitzeugin sogar Bilder vom Grab ihres Vaters und der Gesamtanlage überreichen. Das Grab von Ignaz befindet sich heute in der Nähe von Budapest auf dem größten Soldatenfriedhof in Ungarn, der sowohl deutschen als auch ungarischen Soldaten als letzte Ruhestätte dient.
Wir danken der Zeitzeugin für das entgegengebrachte Vertrauen gegenüber dem Netzwerk „Kriegstote Grevenbroich“. Ebenso danken wir besonders für die Unterlagen, Informationen und den „Mut“ uns an einem Teil ihrer Familiengeschichte teilnehmen zu lassen. Auf Wunsch der Zeitzeugin wurde der Nachname der Familie in den Bildern entfernt, was wir uneingeschränkt respektieren.
Wir hoffen, mit diesem kleinen Beitrag viele Grevenbroicher zu erreichen, die uns bei dem Netzwerk „Kriegstote Grevenbroich“ unterstützen möchten und uns ebenfalls Bilder, Informationen und Geschichten zur Verfügung stellen.
Wirklich ein bewegender Beitrag zur lokalen Geschichte. Unsere Generation sollte dankbar sein, dass wir keine unmittelbaren Kriegseinwirkungen in unserem Land erleben mussten.