Neuenhausen heute vor 75 Jahren (11.4.1946): „Das Unglück war geschehen. 4 Knaben lagen zerrissen an der Unglücksstelle. Das Dorf war wie gelähmt von diesem traurigen Ereignis.“ (Schulchronik Neuenhausen)
Foto: © Stefan Rosellen
In der direkten Nachkriegszeit befanden sich Unmengen von Munition und Blindgängern im ganzen Land. Soviel, dass das man sie nicht sofort entsorgen konnte. So sammelte man diese gefährlichen Hinterlassenschaften an einer Stelle, um sie später vernichten zu können.
Zwei dieser Sammelplätze befanden sich nach Kriegsende noch am Welchenberg in Neuenhausen, unweit der ehemaligen „Gauführerschule“ und am Kleinfelder Hof. Das Gelände war zwar durch Warntafeln gesichert, auch gab es Warnungen an die Kinder des Dorfes, aber es gab wohl zumindest keine ausreichende Absicherung durch eine Umzäunung, die für die spielenden Kinder jedoch auch nicht wirklich ein Hindernis darstellten.
Foto: © Stefan Rosellen
Dies sollte sich auf schreckliche Weise rächen. Am 11. April 1946 um 14:05 Uhr schreckte ein lauter Knall die Bewohner von Neuenhausen und Umgebung auf. Bis in das nahegelegene Erftwerk war die Detonation zu hören. Eine dunkle Vorahnung ließ den dort tätigen Vater der Gebrüder Bartz keine Ruhe, er nahm sich den Nachmittag frei und eilte nach Neuenhausen, wo sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sollten.
In der im Stadtarchiv Grevenbroich erhaltenen Schulchronik hielt der Neuenhausener Lehrer dieses Ereignis wie folgt fest: „Das Unglück war geschehen. 4 Knaben, 2 Söhne der Familie Bartz, Heinz und Peter, der einzige Sohn der Familie Kropp, Hans Jakob und der jüngste Sohn des Hauptlehrers, Rudi Braka lagen zerrissen an der Unglücksstelle. Von einem der Knaben, Peter B. war kaum noch was zu finden. Das Dorf war wie gelähmt von diesem traurigen Ereignis. Schuld mit an diesem Geschehen trägt auch die Stadt und Polizei, die wohl von der ungenügenden Sicherung der Munition wussten, aber auch nichts unternommen hatten, die Gefahrenstelle abzuriegeln. In einem feierlichen Begräbnis wurden die Verunglückten in einem gemeinsamen Grab beigesetzt. Auch diese Knaben sind ein Opfer des unsinnigen Krieges geworden.“ Bestätigt wird der Bericht durch die Einträge in den Sterbeurkunden, wonach die Polizei bei drei der Jungs „Schädelzertrümmerung“, bei einem „totale Zerstückelung“ jeweils „infolge Detonation einer Bombe“ feststellte.
Urkunden: © Stadtarchiv Grevenbroich
Wir danken dem Stadtarchiv für die Unterstützung und die Urkunden.
Selbst Berichte in der örtlichen Presse unterstreichen Wucht und zerstörerische Wirkung der Bombendetonation: „Von den meisten Verunglückten wurden nur noch Überreste gefunden, so daß es schwer war, sie zu identifizieren“. Die sterblichen Überreste der vier Jungs wurden auf dem (heute alten) Neuenhausener Friedhof in Kriegsgräbern beigesetzt. Das Küsterbuch aus Neuenhausen vermerkt dazu, dass „unter ungeheurer Beteiligung der Gemeinde und Umgebung ihre wenigen Überreste zu Grabe getragen“ wurden. Da das Unglück kurz nach Ostern geschah und dann zu Pfingsten die Firmung in Anwesenheit von Erzbischof Josef Kardinal Frings stattfinden sollte, wählte die Pfarrgemeinde ganz bewusst die Mutter der beiden verunglückten Jungs, Christine Bartz, ebenso wie den ebenfalls den Verlust seines Sohnes beklagende Hauptlehrer Rudolf Braka als Firmpaten aus.
75 Jahre später will das @„Netzwerk Kriegstote“ (Geschichtsverein Grevenbroich, Luftschutzanlagen im Rhein-Kreis Neuss, Förderverein Neuenhausen Heute und Morgen, St. Sebastianus Schützenbruderschaft sowie weitere Partner) an die Gräuel des Krieges, aber auch an Spätfolgen wie das Neuenhausener Unglück erinnern. Gemeinsam mit dem 1948 nachgeborenen, nach seinen beiden verunglückten Brüdern benannten Heinz-Peter Bartz (wie damals bei Todesfällen von Kindern in den Familien üblich) legten Ulrich Herlitz, Stefan Rosellen und Stefan Faßbender vom Netzwerk Blumen an den Gräbern der verunglückten Jungs nieder.
Foto: © Christian Kandzorra
Heinz-Peter Bartz erinnert sich aus seiner Kindheit und Jugend, dass in der Familie noch lange Zeit regelmäßig zwei Stühle am Mittagstisch freiblieben und zu Festtagen auch zwei Teller zusätzlich eingedeckt wurden. Ebenso wie sein zehn Jahre jüngerer Bruder wuchsen sie jedoch unbeschwert von diesem schrecklichen Unglück auf. Dennoch ist es ihm wichtig, an dieses Unglück zu erinnern. Einige Firmlinge des Jahrganges 1946, deren Paten die Eltern der verstorbenen Jungs waren, erinnern sich noch heute an dieses Ereignis. Und bis heute ist das Unglück im historischen Gedächtnis der Dorfgemeinschaft erhalten geblieben und nicht zuletzt die vier schlichten Kreuze erinnern bis auf den heutigen Tag an die Gräuel des Krieges mit all seinen Folgen…
Das ist gut so, meint Heinz-Peter Bartz zum Abschluss des gemeinsamen Friedhofsbesuchs.
Auch die NGZ berichtete in Ihrer Ausgabe vom 10. April 2021…
Foto: © Ulrich Herlitz
Der Begriff “Kriegstoter” umfasst alle Personen, die direkt oder indirekt durch die Kriegseinwirkungen gestorben sind. Darunter fallen auch unzählige Kinder, die mit Blindgängern und Munition in Kontakt gerieten und dabei ihr Leben verloren. Für die Kriegszeit sind mehrere dieser Vorfälle vor allem in Schulchroniken erwähnt, in der Nachkriegszeit gab es neben dem Unglück in Neuenhausen noch weitere in Noithausen 1945 und Gustorf 1951!
Hallo und danke für den interressanten Bericht,
es ist immer wieder erschreckend so etwas zu lesen. Ich war 1976 (12 Jahre, 31 Jahre nach Kriegsende!) in einer Jugenherberge in Bleialf (Eifel) wir durchstreiften die Wälder fernab der Wege in der Gegend und stießen auf eine Kiste mit Handgranaten und Munition. Wir hätten warscheinlich damit Experimentiert, zum Glück war ein Betreuer da, der uns sofort wegholte und den Fund bei der Polizei gemeldet hat. Wie ich nachher erfahren habe, sollten noch jede Menge Kriegsrückstände in der Eifel um Bleialf gefunden worden sein.
Hallo Stefan,
Es ist zutiefst tragisch, von diesem schrecklichen Ereignis zu lesen. Die Nachkriegszeit war eine Zeit der Unsicherheit und Gefahr und die Hinterlassenschaften des Krieges stellten eine ernsthafte Bedrohung dar. Die Geschichte der vier Knaben, die ihr Leben verloren haben, ist herzzerreißend.
Es ist schwer vorstellbar, wie die Familien der Opfer diesen Verlust ertragen haben.
Es ist wichtig, solche Geschichten zu erzählen, um die Erinnerung an die Vergangenheit wachzuhalten und sicherzustellen, dass solche Tragödien nicht vergessen werden. Möge ihr Andenken in Frieden ruhen.
Beim Lesen deines Textes werden bei mir Erinnerungen wach, die schon eine Ewigkeit zurückliegen. In den 1960er Jahren hatte mein Onkel Hans eine Sandgrube (ich erinnere mich nicht mehr genau, wo sie sich befand), aus der er ständig Sand förderte. Mein Vetter und ich hatten das Privileg, immer mit ihm mitzufahren. Während er den LKW per Hand über ein kleines Förderband belud, erkundeten wir das Gelände in der Nähe der Grube. Bei einem dieser Streifzüge stießen wir auf einen riesigen Haufen altes Eisen, der sicherlich so groß war wie zwei Schubkarrenladungen. Wir nahmen einige Stücke mit und zeigten sie stolz meinen Onkel. Unsere Idee war es, uns aus diesen spitzen Dingern eine Art Wurfspeer zu basteln. Wir mussten ihm sofort zeigen, wo wir diesen Fund gemacht hatten. Von diesem Zeitpunkt an durften wir jedoch keine weiteren Streifzüge mehr unternehmen. Für uns war das Mitfahren darum plötzlich nicht mehr so interessant.