Krimidrama in Bedburdyck, Gierath, Hahnerhof und Stessen aus dem Jahr 1933
„Flüchtender Einbrecher schießt auf seine Verfolger – Nach aufregender Jagd gestellt – Weil er Ladehemmung hatte – In einer Nacht fünf Einbrüche begangen – Ins Untersuchungsgefängnis überführt – Grevenbroich, den 26. April.“
So beginnt die Schlagzeile zu einem Kriminalfall aus dem Jahr 1933. Über die Geschehnisse von damals wurde in der Neusser Zeitung in der Ausgabe vom 26. April ausführlich berichtet. Es folgt der Zeitungsbericht von damals, der weitestgehend für sich spricht und heute schon fast als Vorlage für eine „Tatort“-Folge im Fernsehen dienen könnte:
„Nach aufregender Jagd wurde am Montagmittag ein Verbrecher festgenommen, der in Bedburdyck und Gierath in der vorhergegangenen Nacht fünf Einbrüche verübt hatte. Auf der Flucht vor seinen Verfolgern beschoß er diese aus einer schweren Pistole, ohne aber glücklicherweise jemand zu verletzen.”
“Wir erfahren dazu folgende Einzelheiten. In der Nacht von Sonntag auf Montag wurde in Bedburdyck und Gierath an fünf Stellen eingebrochen, und zwar in das Pastorat und eine Wirtschaft in Bedburdyck und in das Pastorat und in eine Wirtschaft und in ein Kolonialwarengeschäft in Gierath. In welcher Reihenfolge der Täter diese Einbrüche verübt hat, konnte bis jetzt noch nicht festgestellt werden. Jedenfalls wurde man zuerst beim Pastorat in Bedburdyck auf den Einbrecher aufmerksam.“
Pfarrhaus Bedburdyck um 1930[1]
„Als der Pastor in der Nacht durch verdächtige Geräusche geweckt wurde, verständigte er sofort telephonisch den Bürgermeister von Bedburdyck. Dieser begab sich eilends zum Pastorat. Unterwegs an der Kirchentreppe bemerkte er eine dunkle Gestalt, die bei seinem Nahen die Flucht ergriff. Er rief mehrmals Halt und schoß, als die Gestalt keine Anstalten machte, stehen zu bleiben, in die Fluchtrichtung. Kurze Zeit darauf hörte er Rascheln in einer Hecke und schoß noch einmal. Die Schüsse müssen in der Dunkelheit aber fehlgegangen sein. Einige Anwohner sagten dann später aus, sie hätten drei Gestalten vorüberlaufen sehen. Im Pastorat stellte man fest, daß der Einbruch mißlungen war. Der oder die Täter hatten, als sie hörten, daß der Pastor erwacht war, von ihrem Vorhaben abgelassen und sind dann auf der Flucht vom Bürgermeister überrascht worden. Die Suche nach den Tätern – man nahm anfangs an, daß es sich um zwei Einbrecher handelte – führte in der Nacht zu keinem Ergebnis.”
“Im Heustall überrascht
Am Montagmittag nun, gegen zwei Uhr, beobachtete ein Kind in dem Heustall der Gärtnerei S. in Stenen [Stessen] einen schlafenden, anscheinend betrunkenen Mann. Es benachrichtigte hiervon seine Angehörigen, die sogleich in den Heustall stiegen und den Mann herausholten. Da ihnen der Unbekannte irgendwie verdächtig vorkam, forderten sie ihn auf, mit zur Polizei zu gehen.”
“Als man etwa zwanzig Schritte gegangen war, griff der Mann plötzlich in seine Tasche, riß eine Pistole heraus und rief: Hände hoch!
Er gab dann auch sogleich Schüsse ab und nur dem Umstand, daß die Männer sich sofort zu Boden warfen, haben sie es zu verdanken, daß sie nicht getroffen wurden. Auf den Lärm hin eilten nun sofort zahlreiche Leute herbei und nahmen mit den beiden Männern die Verfolgung des Burschen auf.”
“Fortwährend gab dieser Schüsse aus seiner Pistole ab und wäre wahrscheinlich entkommen, wenn er nicht kurz hinter dem Hahner Hof eine Ladehemmung bekommen hätte. Die Verfolger, die vorher wegen des dauernden Schießens nicht recht an ihn herankommen konnten, hatten nun leichtes Spiel und stellten ihn. Nachdem sie zunächst ihrer Wut Luft gemacht und dem Burschen eine Tracht Prügel verabreicht hatten, brachten sie ihn nach Bedburdyck. Gegen drei Uhr wurde er von etwa zweihundert Leuten in die Polizeiverwaltung eingeliefert.”
Karte zur Orientierung: Einbrüche in Gierath und Bedburdyck, der Heustall in Stessen und Verhaftung hinter dem Hahnerhof[2]
„Das Verhör
Man begann hier sofort mit dem Verhör, in dessen Verlauf es sich als sicher herausstellte, daß die fünf Einbrüche auf das Konto des Festgenommenen kommen. Eine ganze Reihe Indizien sprachen dafür. Man fand nicht nur 250 Zigaretten bei ihm, die aus dem Geschäft in Gierath gestohlen worden waren, sondern auch eine Frankfurter Zeitung, deren abgerissene Ecken man am Pastorat gefunden hatte. Die abgebrochene Spitze eines Messers, das er bei sich trug, steckte im Fensterrahmen des Pastorats. Er gab denn auch schließlich zu, die Einbrüche begangen zu haben. Er heiße Paul Wagner, sei 1901 geboren und stammt aus Köln. Papiere führte er nicht bei sich, so daß die Angaben nicht sofort auf ihre Richtigkeit hin nachgeprüft werden konnten. Wahrscheinlich wird man ihnen aber mit Vorsicht begegnen müssen. Bei der Schußwaffe, die man bei ihm fand, handelt es sich um eine 7,65-Dreise-Pistole. Nach dem Verhör wurde der Einbrecher nach Grevenbroich gebracht und dem vernehmenden Richter vorgeführt. Am Dienstagnachmittag wurde er in das Untersuchungsgefängnis in Gladbach-Rheydt eingeliefert.“
Eine Dreyse-Pistole 1907, Kaliber 7,65mm – ein Stapelmagazin nahm 7 Patronen auf. [3]
Die erwähnte 7,65-Dreise-Pistole war eine automatische Pistole, die nach der Entwicklerfirma benannt im sächsischen Sömmerda entwickelt worden war. Ursprünglich von Johann Nikolaus von Dreyse (1787–1867) gegründet, wurde die Firma Dreyse 1901 an Rheinmetall verkauft. Der thüringische Ingenieur Heinrich Ehrhardt (1840–1928), der vorher u. a. bei Dreyse gearbeitet hatte, leitete den Bau des Rheinmetall-Werks in Düsseldorf und führte dieses bis 1920.[4]
Schließlich wird noch berichtet, dass der gefasste Einbrecher von rund 200 Leuten zur Polizei gebracht wurde. Bedenkt man, dass Bedburdyck im Jahr 1932 eine Einwohnerzahl von 592 Personen und Stessen 401 Personen umfasste[5], so war rund ein Fünftel der Bevölkerung der beiden Dörfer auf den Beinen.
Michael Salmann für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2024
[1] Sammlung Michael Salmann
[2] https://www.bezreg-koeln.nrw.de/geobasis-nrw/tim-online (24.2.2024, 23.50 Uhr)
[3] Dreyse M1907 pistol with Prestoff Holster, https://de.wikipedia.org/wiki/Dreyse_Modell_1907 (24.2.2024, 23.17 Uhr)
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Rheinmetall (24.2.2024, 22.56 Uhr)
[5] Einwohneradressbuch für den Kreis Grevenbroich-Neuß, 1932