Eigentlich wollte der Geschichtsverein Grevenbroich an dieser Stelle einen Bericht über die vielen Grevenbroicher Auswanderer schreiben und deren Leben – soweit möglich – in ihrer neuen Heimat darstellen. Bei den Recherchen zu diesem Thema ist der Geschichtsverein jedoch auf eine sehr interessante und außergewöhnliche Person aufmerksam geworden, deren Biographie wir im Folgenden beschreiben möchten.
Wer war Richard Aretz?
Richard Aretz wurde am 14. Oktober 1860 als jüngstes Kind von insgesamt neun Kindern des Gerbers Heinrich Aretz (*1812, +1883) und der Johanna Ingelbach (*1816, +1881) in deren Behausung in Wevelinghoven geboren.
Nur wenige Tage nach seinem 21. Geburtstag machte sich Richard in Richtung Hamburg auf und bestieg am 16. November 1881 das Dampfschiff „Buenos Aires“ der Hamburg-Südamerikanischen-Dampfschifffahrts-Gesellschaft mit dem Ziel La Plata. Im Deutschen Reich wurde die Volljährigkeit mit Wirkung vom 1. Januar 1876 einheitlich auf 21 Jahre festgesetzt, so dass dies der früheste Zeitpunkt einer Auswanderung ohne Eltern gewesen sein dürfte. Die Passagierliste enthält leider keine Angabe zur Unterbringung. Da weder er noch seine Familie über große Vermögen verfügt haben dürften, ist er vermutlich in einer der unteren Klassen gereist. Die bis in die 1870er Jahre verwendeten Segelschiffe benötigten für die Überfahrt nach Argentinien ungefähr 2 – 3 Monate. Mit Einführung von Dampfschiffen verringerte sich die Reise zwar erheblich, aber dennoch war Richard Aretz bei seiner ersten Überfahrt sicherlich noch vier Wochen unterwegs.
Über das Leben von Richard Aretz in den nächsten Jahren ist leider nichts zu finden. Ob er in dieser Zeit bereits in Argentinien Fuß fassen konnte oder sehr um das Überleben kämpfen musste, ist leider auch nicht bekannt. In dieser Zeit wird er seine Frau Emilia Fehling kennengelernt und geheiratet haben, da am 27. August 1888 ihre Tochter Enriqueta Juana geboren wurde. Emilia Fehling und ihre Eltern waren am 2. Oktober 1885 mit einem Dampfschiff von Hamburg nach Buenos Aires abgereist. In der Passagierliste wird Emilia Fehling noch als ledig aufgeführt. Die Heirat wird zwischen dieser Zeit und der Geburt der Tochter Enriqueta Juana geschlossen worden sein. Emilia Fehling wurde 25. Juni 1867 in Buenos Aires geboren. Die Eltern Felix und Enriqueta Fehling waren ebenfalls deutsche Auswanderer. Laut einem Protokoll zur Volkszählung 1869 war Felix Fehling Kutschenbauer (Fabricante de Carruajes) in Buenos Aires. Ob sich Felix Fehling bereits eine erfolgreiche Existenz in Argentinien aufgebaut hatte, von der Richard Aretz wohlmöglich durch seine Heirat mit der Tochter Emilia Fehling „profitieren“ konnte, kann nicht belegt werden.
In den nächsten Jahren reiste Richard Aretz in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen immer wieder nach Deutschland, um vermutlich auch seiner Heimatstadt Wevelinghoven einen Besuch abzustatten. Inwieweit er auch geschäftliche Reisen nach Deutschland unternahm, kann hier nicht beurteilt werden, da keine Belege hierzu gefunden wurden. Die Stationen seines Lebens und sein Wirken insbesondere in Wevelinghoven werden nachfolgend chronologisch dargestellt. Hierbei ist zu beachten, dass die Reisedaten unvollständig sein können, da zurzeit im Wesentlichen nur die Passagierlisten der Abreisenden ausgehend von Hamburg oder Bremen in die weite Welt online recherchierbar sind.
Das Jahr 1893:
Am 21. Juni 1893 kam Richard Aretz in Liverpool an. Die dokumentierte Reise führte ihn von New York über Queenstown in Irland nach England. Und dann vermutlich weiter bis nach Deutschland. Hierzu benutzte er das Schiff „Majestic“ der White Star Dominion Line. Die Dominion Line wurde 1902 durch J. P. Morgan aufgekauft und 1904 dem IMMC-Schifffahrtstrust angeschlossen, zu der auch die White Star Line (spätere Erbauerin der Titanic) gehörte.
Das Jahr 1904:
Am 7. September 1904 verließ Richard Aretz (43) mit seiner Frau Emilia (36) und seiner Tochter Henriette (Deutsche Form von „Enriqueta“) (15) auf dem Dampfschiff „Cap Blanco“ Hamburg, um über Boulogne-sur-Mer, Southampton, Coruna, Vigo und Teneriffa nach La Plata in der Provinz Buenos Aires zu gelangen. In den Aufzeichnungen der Hamburger Passagierlisten wird Richard Aretz als Kaufmann bezeichnet. Ein wirtschaftlicher Erfolg und ein gesellschaftlicher Aufstieg müssen in dieser Zeit schon erfolgt sein, da er und seine Familie per 1. Klasse reiste.
Das Jahr 1909:
Am 20. September 1909 verließ Richard Aretz (48) mit seiner Frau Emilia (41) und seiner Tochter Henriette (20) auf dem Dampfschiff „König Wilhelm II.“ Hamburg, um über Boulogne, Southampton, Vigo, Leixoes, Lissabon und Rio de Janeiro nach La Plata zu gelangen. In dieser Passagierliste wird er als Fabrikant bezeichnet. Die Unterbringung erfolgte ebenfalls in der 1. Klasse.
Das Jahr 1914:
Am 6. Januar 1914 verließ Richard Aretz (53) mit seiner Frau Emilia (44) auf dem Dampfschiff „Cap Vilano“ wieder einmal Hamburg, um über Boulogne, Southampton, Vigo, Rio de Janeiro, Santos und Montevideo nach Buenos Aires überzusetzen. In den Aufzeichnungen wird er wieder als Kaufmann bezeichnet. Die Unterbringung erfolgte ebenfalls in der 1. Klasse.
Zu dieser Zeit wird er vermutlich auch in Wevelinghoven gewesen sein und mit Mitgliedern der evangelischen Kirchengemeinde über den Neubau einer Kirchenorgel gesprochen haben, denn am 9. Mai 1914 veröffentlicht die Westdeutsche Landeszeitung folgenden Artikel:
„- Herr Richard Aretz aus Buenos-Aires, ein früherer Mitbürger, hat für den Neubau einer Kirchenorgel in seiner alten Heimat ein Geschenk von mehreren Tausend Mark gesandt. Durch die Stiftung des Herrn Robert Floeren ist der Baufond um 1000 Mk. erhöht worden. Durch eine Sammlung freiwilliger Beiträge gingen 2700 Mk. ein. Aus diesen Geldern soll nun ein neues, modernes Instrument beschafft werden.“
Das Jahr 1921:
Die nächste Reise kann nicht durch eine Passagierliste belegt werden. Jedoch muss sich der mittlerweile als Rentner bezeichnete Richard Aretz im Juni 1921 in Wevelinghoven aufgehalten haben.
„Wevelinghoven, 24. Juni. Der Rentner Richard Aretz zu Buenos-Aires in Argentinien, der zur Zeit in Deutschland weilt, machte der hiesigen evangelischen Kirchengemeinde eine Stiftung im vorläufigen Betrage von 200.000 Mark, um seiner Heimatgemeinde die Erhaltung der durch die Zeitverhältnisse gefährdeten Pfarrstelle auch für die Zukunft zu ermöglichen. In einer aus diesem Anlaß am vergangenen Sonntag einberufenen zahlreich besuchten Versammlung wurde dem Geschenkgeber durch den Präses des Presbyteriums Herrn Pastor Dehnert und dem derzeitigen Kirchmeister L. Sinner namens der Gemeinde herzlichster Dank für seine hochherzige Tat ausgesprochen. In der Versammlung konnte sodann von dem Vorsitzenden noch bekanntgegeben werden, daß auch die zur Zeit für den gleichen Zweck in der Gemeinde stattfindende Sammlung bisher den Betrag von über 100.000 Mark ergeben hat.“ [Hinweis: Im Jahr 1921 war schon eine steigende Inflation zu verzeichnen, die dann 1923 in einer Hyperinflation endete.]
„Wevelinghoven, 22. Juni. (Hochherzige Stiftung.) Der Rentner Richard Aretz aus Buenos Aires machte der evangelischen Kirchengemeinde eine Stiftung im vorläufigen Betrage von 200.000 Mark, um seiner Heimatgemeinde die Erhaltung der durch die Zeitverhältnisse gefährdeten Pfarrstelle auch für die Zukunft zu ermöglichen. Eine Sammlung für den gleichen Zweck ergab bisher den Beitrag von über 100.000 Mark.“
Im Stadtarchiv Grevenbroich ist ein Schriftstück erhalten geblieben, welches eine detaillierte Aufstellung aller Spender und den Spendengrund aufführt. Ob der in der Liste aufgeführte Wilhelm Aretz in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu Richard Aretz stand, kann nicht beurteilt werden, da keine weiteren Informationen zu finden sind.
Das Jahr 1922:
Richard Aretz unterstützte die Stadt Wevelinghoven vermutlich nicht nur in Form von Spenden etc., sondern auch in Form von Darlehen wie nachfolgender Beleg zeigt. Die Stadt Wevelinghoven war im März 1922 an dem an der Poststraße gelegenen Wohnhaus nebst Garten und Feld mit einer Größe von einem Kölner Morgen (ca. 3.000 m²) interessiert. Der Kaufpreis in Höhe von 200.000 M sollte nicht sofort ausgezahlt werden, sondern bis zur endgültigen Auszahlung mit 4% verzinst werden. Ob der Kauf zustande kam bzw. wie lange das Darlehen bestand, ist aus den Akten nicht zu ersehen.
Das Jahr 1923:
Ob Richard Aretz im Jahr 1923 seine Heimatstadt Wevelinghoven bereiste, ist zurzeit unklar, denn es wurde weder ein Ein- bzw. Ausreisebeleg noch ein sonstiger Beleg hierzu gefunden. Jedoch wurde am 4. Juni 1923 durch den Stadtrat Wevelinghoven beschlossen, Herrn Richard Aretz das Ehrenbürgerrecht zu verleihen. Leider wurde der Beschluss nur relativ nüchtern in das Ratsprotokoll aufgenommen und keinerlei weitere Details erwähnt. Auch wurde nicht erwähnt, wann und in welcher Art und Weise die Verleihung der Ehrenbürgerschaft durch die Stadt Wevelinghoven vollzogen werden sollte. Gab es eine öffentliche Feier? Wurde ihm persönlich eine Urkunde übergeben? Dies bleibt zurzeit alles offen.
„Außer der Tagesordnung beschließt Stadtverordneten-Versammlung einstimmig dem Herrn Richard Aretz mit Rücksicht auf seine in der Stadt Wevelinghoven geübte Wohltätigkeit das Ehrenbürgerrecht zu verleihen.“
Herr Richard Aretz dürfte die einzige Person sein, der jemals auf dem Gebiet der heutigen Stadt Grevenbroich die Ehrenbürgerrechte verliehen wurden. Weder im Stadtarchiv Grevenbroich wurden Belege zu weiteren Personen gefunden noch konnten Mitglieder des derzeitigen Stadtrats bestätigen, dass in den letzten Jahrzehnten eine weitere Ehrenbürgerschaft verliehen wurde. [Anmerkung: Einige Wochen nach Erstellung dieses Beitrages wurde im Stadtarchiv Grevenbroich ein Beleg zu einem weiteren Ehrenbürger gefunden, über den der Geschichtsverein Grevenbroich in den nächsten Monaten auch berichten wird.] Dies dürfte an den sehr hohen Anforderungen als Voraussetzung liegen, was der Autor auch befürwortet. Regelungen hierzu sind in der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) zu finden:
„§ 34 (Fn 49) Ehrenbürgerrecht und Ehrenbezeichnung
(1) Die Gemeinde kann Persönlichkeiten, die sich um sie besonders verdient gemacht haben, das Ehrenbürgerrecht verleihen. Sie kann langjährigen Ratsmitgliedern, Bürgermeisterinnen oder Bürgermeistern und Ehrenbeamten nach ihrem Ausscheiden eine Ehrenbezeichnung verleihen.
(2) Beschlüsse über die Verleihung oder die Entziehung des Ehrenbürgerrechts und über die Entziehung einer Ehrenbezeichnung fasst der Rat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Mitglieder.“
Was „besonders verdient gemacht haben“ bedeutet, kann an dieser Stelle sicherlich offen bleiben und auch unterschiedlich gewertet werden, aber die vor einigen Jahren stattgefundene Diskussion um eine berühmte fiktive Person („Horst Schlämmer“) des öffentlichen Lebens, die den Namen Grevenbroich sicherlich in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz bekannt gemacht hat, dürfte als solches nicht ausreichen. Für eine so hohe Auszeichnung dürfen weder der Bekanntheitsgrad einer Person noch Parteiinteressen im Vordergrund stehen.
An dieser Stelle soll noch ein kurzer Überblick über die Zeit zwischen 1933 und 1946 dargestellt werden, um zu zeigen, wie man in der Nachkriegszeit mit während der NS-Zeit vergebenen Ehrenbürgertiteln umging.
Da im Jahr nach der Machtergreifung die Verleihung von Ehrenbürgerrechten an einzelne Personen überhand nahm, bedurfte es ab Oktober 1933 der ausdrücklichen vorherigen Genehmigung durch den Preußischen Minister des Innern. Lediglich der Reichspräsident, der Führer und Reichskanzler sowie der Ministerpräsident waren von dieser Regelung ausgenommen.
Die Verleihung von Ehrenbürgerrechten an verdiente Offiziere und Soldaten erfolgte nur in ganz besonderen Ausnahmefällen und bedurfte einer persönlichen Genehmigung durch Adolf Hitler.
Im Jahr 1946 wurden die Städte durch das Hauptquartier der Militärregierung im Landkreis Grevenbroich-Neuss ersucht, die verliehenen Ehrenbürgerrechte an Nazis wieder zu entziehen. Sehr interessant ist der Vermerk, dass eine amtliche Entfernung der Namen aus den Ratsakten erfolgen soll. In welcher Weise dies zu erfolgen hat, ist leider nicht erläutert. Hat man nur einen Vermerk in die Akten geschrieben? Oder hat man die Akten tatsächlich vernichtet? Ist dies der Grund, warum man heute häufig vergeblich nach Hinweisen auf Ehrenbürgerrechte während der NS-Zeit sucht? Für Wevelinghoven wurde eine Fehlanzeige erstattet, so dass davon ausgegangen werden kann, dass keine Verleihung einer Ehrenbürgerschaft in dieser Zeit erfolgte.
Das Jahr 1924:
In diesem Jahr muss es den Wevelinghovenern vermutlich an allem gemangelt haben, denn wie die Neusser Zeitung im Februar berichtet, hat Richard Aretz eine Spende von 60 Zentnern Rinderfett für die Stadt Wevelinghoven überwiesen.
Das Jahr 1927:
Am 1. Oktober 1927 verließ der – nun als – Ricardo Aretz (66) bezeichnete ehemalige Wevelinghovener Deutschland über den Hafen in Bremen. Er überquerte den Atlantik auf dem Schiff „Sierra Cordoba“ in der 1. Klasse. Eine Begleitperson wurde in der Passagierliste nicht gefunden. Die „Sierra Cordoba“ gehörte zur Norddeutschen Lloyd in Bremen. Als Berufsbezeichnung wurde Großgrundbesitzer aufgezeichnet.
Das Jahr 1928:
Nicht einmal ein Jahr später, am 8. September 1928, verließ Ricardo Aretz (67) wiederrum Bremen mit dem Ziel Buenos Aires. Er belegte eine Kabine der 1. Klasse auf dem Schiff „Sierra Morena“ der Norddeutschen Lloyd. Die Bezeichnungen Farmer und Besitzer wurden als Beruf aufgeführt.
Das Jahr 1929:
Auch im August 1929 war Richard Aretz in Wevelinghoven. Ob er Deutschland nochmals verlassen hat, kann zurzeit nicht belegt werden, da kein Eintrag in einer Passagierliste gefunden wurde. Im Stadtarchiv Grevenbroich wurde lediglich ein Antrag zur Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung um einen Monat gefunden.
„Sehr geehrter Herr Efferts, die Aufenthaltserlaubniß im Deutschen Reich möchte ich um einen Monat verlängert haben, da ich bei Prof. Dr. Oertel in Düsseldorf wegen Nasen-Operation in Behandlung bin & sich noch auf den ganzen Monat September ausdehnen dürfte. Prof. Oertel ist momentan auf Reisen & kommt vor dem 15. Sept. nicht zurück, er hat mich letzte Woche im Städt. Krankenhaus in Düsseldorf operiert. […]“
Das Jahr 1930:
Seine letzte Reise nach Deutschland – sofern er überhaupt nach September 1929 noch einmal ausgereiste – muss er spätestens im Herbst 1930 vorgenommen haben, wie nachfolgendes Fundstück aus dem Stadtarchiv Grevenbroich belegt. Die Stadt Wevelinghoven sendete ihm am 14. Oktober 1930 mit einem Telegramm die herzlichsten Glückwünsche zum 70. Geburtstag und zur baldigen Genesung in das Städtische Krankenhaus nach Frankfurt am Main.
Das Jahr 1931:
Richard Aretz kehrte nie wieder in seine neue Wahlheimat Argentinien zurück, denn er starb am 16. Januar 1931 um 4 Uhr morgens in Wevelinghoven. Angezeigt wurde der Todesfall von dem Praktischen Arzt Dr. Carlos Heuser, der sein Schwiegersohn war.
Wie sehr Richard Aretz in seiner Geburtsstadt geschätzt wurde, lässt sich an den vielen und auch großen Sterbeanzeigen in der Grevenbroicher Zeitung nachvollziehen.
Sein Grab befindet sich heute noch immer auf dem alten evangelischen Friedhof an der Zehntstraße in Wevelinghoven. Dieser Friedhof wurde im Jahr 2006 von den Mitgliedern der evangelischen Gemeinde in einen parkähnlichen Zustand versetzt, nachdem dort seit Anfang der 1990er Jahre niemand mehr beerdigt wurde. Das Grabmal wurde im Sommer 1932 von dem Steinbildhauer Julius Göbel aus Düsseldorf entworfen und errichtet. Die Pläne hierzu können im Stadtarchiv Grevenbroich eingesehen werden.
Nur wenige Wochen nach seinem Tod wurde endlich die neue Orgel der evangelischen Kirchengemeinde eingeweiht. Es hat also nahezu 17 Jahre von der ersten Spende im Jahr 1914 bis zur Umsetzung im Jahr 1931 gedauert. Die Gründe hierfür dürften sehr vielfältig gewesen sein: 1. Weltkrieg (1914 – 1918), Besetzung des Rheinlandes (1919 – 1926), Hyperinflation (1923) und Weltwirtschaftskrise (ab 1929). Durch diese Krisen gingen die Gelder vermutlich jedes Mal „verloren“.
Die Grevenbroicher Zeitung schrieb hierzu: „Orgelweihe in Wevelinghoven. Wevelinghoven, 25. März. Der lang gehegte Wunsch der evangelischen Gemeinde nach einer neuen Orgel ist nun Wirklichkeit geworden. In hochherziger Weise hat der kürzlich in Wevelinghoven verstorbene Ehrenbürger der Stadt, Herr Richard Aretz, der evang. Kirche eine neue Orgel geschenkt. […].“
Die Einweihung erfolgte am Palmsonntag unter freudiger Anteilnahme der ganzen Gemeinde. Wie nachstehender Zeitungsbericht zeigt, wurde Richard Aretz besonders geehrt.
„[…] Nach dem Festgottesdienst, in dem auch die Konfirmation der Kinder erfolgte, wurde seitens des Presbyteriums am Grabe des Stifters Herrn Richard Aretz ein Kranz niedergelegt. […] Während derselben wurde auch eine Gedenktafel für den Stifter an der Orgel angebracht. […].“
An der Einweihung der neuen Orgel hat die Familie von Richard Aretz nicht mehr teilgenommen. Dr. Carlos Heuser (Schwiegersohn), Henny Heuser geb. Aretz (Tochter) und Emilia Aretz geb. Fehling (Ehefrau) verließen Deutschland am 24. Februar 1931. Die Reise erfolgte per 1. Klasse auf dem Dampfschiff „Cap Arcona“ von Hamburg über Rio de Janeiro, Santos und Montevideo nach Buenos Aires.
Ob Emilia Aretz geb. Fehling jemals nach Deutschland und insbesondere nach Wevelinghoven zurückkehrte, bleibt zurzeit offen. Sie ist in keiner weiteren Passagierliste nach 1931 zu finden. Ein Sterbeort bzw. -datum konnte bisher nicht – zumindest mit einer Quelle belegbar – recherchiert werden. Mehrere im Internet gefundene Stammbäume weisen zwar den 29. Mai 1954 als Sterbedatum und Buenos Aires als Sterbeort aus, wirken jedoch auf einen erfahrenen Ahnen- und Familienforscher als hätte man von einander abgeschrieben bzw. die Daten einfach kopiert.
Über den Verbleib der übrigen Familienmitglieder konnten jedoch noch folgende Informationen zusammengetragen werden.
Sein Schwiegersohn Dr. Carlos Heuser wurde am 8. Februar 1878 in Buenos Aires geboren. Die UNC Health Sciences Library[1] schreibt über ihn: „1902 promovierte er an der Universidad Nacional de Buenos Aires und erhielt eine Goldmedaille für seine Diplomarbeit Radiologa. Seine Arbeit war die erste in Argentinien zum Thema Radiologie (Röntgenstrahlen wurde erst 1895 entdeckt). Nach seinem Medizinstudium reiste Heuser nach England, Frankreich, Holland und Deutschland, um Krankenhauspraktiken zu beobachten, wobei er sich insbesondere auf die Radiologie konzentrierte. Er war für viele Entwicklungen auf dem Gebiet der Radiologie verantwortlich. 1919 war er der erste, der ein Kontrastmittel (mit Wasser verdünntes Kaliumiodid) in den menschlichen Kreislauf einbrachte, damit es auf einer Röntgenaufnahme sichtbar war. Im Jahr 1921 war er der erste, der Lipidol einsetzte, um eine Röntgenaufnahme der Gebärmutterhöhle anzufertigen, die er zur Diagnose von Frühschwangerschaft und Unfruchtbarkeit verwendete. Er stellte auch eine Schutzmaske für Röntgenexperimente vor. Heuser war Autor mehrerer Bücher und Artikel zum Thema Radiologie. Für seine Leistungen erhielt er 1931 eine Goldmedaille der Radiological Society of North America und war Ehrenmitglied des American College of Radiology.“
Dr. Carlos Heuser starb am 28. März 1934 im Alter von 56 Jahren in Buenos Aires, wie nachfolgende nach Wevelinghoven gesendete Trauerkarte zeigt.
Seine Tochter Henny Heuser geb. Aretz besuchte Deutschland zumindest im Jahr 1933 noch einmal. Gemäß der Passagierliste der „S.S. Bremen“ reisten sie und ihr Ehemann am 9. September 1933 von Bremen nach New York. Als endgültiges Reiseziel wurde dort wieder Buenos Aires angegeben.
Wann Henny Aretz starb konnte bisher nicht herausgefunden werden. Die letzten beiden Belege zu ihr stammen aus den Jahren 1947 und 1957. Danach reisten sie und ihr neuer Ehemann Bernard Eduard Schleich (*1894 in Wien) jeweils in Brasilien ein. Aufgrund der ausgestellten Einreisepapiere handelte es sich vermutlich lediglich um die Erfassung bei einer Durchreise in einem brasilianischen Hafen. Eine Wohnsitzverlegung konnte nicht recherchiert werden.
Henny war beim Tod von Carlos Heuser bereits 45 Jahre alt. Hatten sie Kinder oder keine Nachkommen? In ihrer zweiten Ehe wird sie wahrscheinlich keine Kinder mehr bekommen haben. Da bisher keine weiteren Nachkommen ermittelt werden konnten, endet die Geschichte der Familie von Richard Aretz „vorläufig“ mit ihr.
Neben der Orgel dürfte das heute noch auf der Oberstraße stehende Haus als Zeugnis vom Wirken des Richard Aretz in Wevelinghoven dienen. Obwohl Richard Aretz in Buenos Aires lebte, hatte er wohl bis zu seinem Tod noch einen „Zweitwohnsitz“ in Wevelinghoven, wie das Wevelinghovener Adressbuch zeigt. Da keine Unterlagen über Änderungen der Hausnummern gefunden wurden, ist zunächst davon auszugehen, dass es sich um das richtige Haus handelt.
Ein herzliches Dankeschön an Jürgen Larisch für das historische Foto der Oberstraße in Wevelinghoven.
Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2024
[1] https://hsl.lib.unc.edu/specialcollections/bios/heuser, Abruf am 1. Februar 2024
Super recherchiert, vielen Dank für den tollen Beitrag!