Die Rathausuhr von Grevenbroich

Waren Rathaus- und Turmuhren früher noch unersetzliche Zeitanzeigen für die breite Bevölkerung, sind sie heute bis auf wenige historisch wertvolle Ausnahmen verschwunden und nahezu in Vergessenheit geraten. Diese Uhren dienten der Bevölkerung zur Einteilung ihres Tages hinsichtlich der Gebetszeiten und auch für weltliche Angelegenheiten wie Beginn und Ende des Arbeitstages. Eigene Uhren waren in der Regel unerschwinglich und wurden auch nicht mitgenommen außer als Taschenuhr zu entsprechender Kleidung. Kirchenglocken dagegen läuteten hauptsächlich zum Gottesdienst oder zum Gedenken.

Die Grevenbroicher Rathausuhr um 1880 kurz nach der Fertigstellung.

Quelle: © Stadtarchiv Grevenbroich, Bildbestand Grevenbroich

Da es sich bei diesen historischen Uhren um mechanische Uhren handelte, mussten sie regelmäßig von Hand aufgezogen werden, um den Antrieb des Uhrwerks zu gewährleisten. Die Aufziehintervalle hingen von der Größe der Uhr und den befestigten Gewichten ab. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts ging man dazu über, die Uhrwerke mit elektrischen Motoren zu versehen. In Grevenbroich dauerte die Umrüstung jedoch noch bis ins Jahr 1938, als man das Rathaus umbaute.

Die neue Grevenbroicher Rathausuhr um 1940 kurz nach dem Umbau.

Quelle: © Stadtarchiv Grevenbroich, Bildbestand Grevenbroich

Und hier beginnt unsere heutige Grevenbroicher Stadtgeschichte, die so heutzutage eigentlich nicht mehr vorstellbar ist. Frau Schulte vom Stadtarchiv Grevenbroich fand nachfolgenden Zeitungsartikel in einer bisher unbearbeiteten Akte des Grevenbroicher Archivbestandes und stellte ihn dem Autor zu weiteren Recherchen zur Verfügung.

Quelle: Stadtarchiv Grevenbroich, GV 001 Nr. 32

„Über 50 Jahre die Rathausuhr aufgezogen/Ein seltener Beruf und ein seltenes Jubiläum für eine Frau / Der Bürgermeister dankte Frl. Maria Kaffill / Noch heute im Beruf tätig

Grevenbroich. Wie wir schon verschiedentlich berichteten, wird das Rathaus in Grevenbroich in diesen Wochen gründlich umgebaut. Dabei muss auch die Rathausuhr verschwinden, die bisher durch Jahrzehnte hindurch treu und brav den Grevenbroichern die genaue Zeit anzeigte. Genau war die Zeit immer, und uns ist kein Tag bekannt geworden, an dem die Uhr einmal gestreikt hat.

Diese Uhr wurde seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von einer Frau betreut. Die Uhrmacherin Maria Kaffill aus Grevenbroich ist täglich, bei gutem und bei schlechtem Wetter, bei Sonnenschein und bei Eis hinauf auf das Dachzimmer des Rathauses gestiegen und hat die Uhr aufgezogen. Nicht einen einzigen Tag hat sie in all den Jahren ausgesetzt. Niemals war sie krank. Und so ist es kein Wunder, wenn die Grevenbroicher sich nie über ihre Rathausuhr beklagen konnten.

Nun, da die Rathausuhr verschwindet, muss Frl. Kaffill auch ihre liebgewordene Beschäftigung aufgeben. Wir sind daher noch einmal zu ihr gegangen, um uns aus den Jahren erzählen zu lassen. Aber wir waren im Irrtum, wenn wir glaubten, die heute 78jährige Frau zu Hause im Stuhl anzutreffen. Wir mussten ihr nachfahren in eine der Grevenbroicher Fabriken, in denen sie noch heute trotz ihres hohen Alters allwöchentlich „die genaue Zeit macht“.

Nun sitzen wir ihr gegenüber und lassen uns in ihrer bescheidenen Art aus ihrem Leben erzählen. Mein Vater, so berichtete sie uns, war Uhrmacher. Als ich aus der Schule kam, hatten wir viel zu tun und so stellte mich mein Vater bei seiner Arbeit an. Über 65 Jahre bin ich so in meinem Berufe tätig. In den siebziger Jahren übertrug uns, so fuhr die alte Dame fort, der damalige Bürgermeister Schmitz die Pflege der Rathausuhr. Zuerst wurde sie von meinem Vater gründlich repariert, dann täglich gepflegt, bis mir eines Tages mein Vater die Pflege der Uhr übertrug. Von diesem Tage an bin ich täglich in die Dachstube geklettert, meistens in der Mittagszeit zwischen 14 und 15 Uhr. Dann habe ich die Uhr gestellt und die Gewichte aufgezogen. Zwar, so berichtete sie uns weiter, lief die Uhr an sich drei Tage, nur das Läutewerk lief genau 24 Stunden. Und darauf musste ich ja besonders Acht geben. Keine Stunde hat die Uhr ausgesetzt, alles ist immer seinen gewohnten Gang gelaufen. Von Besonderheiten kann ich nicht berichten. Nur im Winter habe ich oft mehrere Male am Tage hinauf gemusst. Da waren die Klöppel, die oben im Freien hingen, vereist, und da musste ich eben warten bis die Maschinerie bis mittag wieder aufgetaut war. Aber gegangen, so erklärte sie uns voller Stolz, hat die Uhr immer. Das war mein Ehrgeiz. Es ist, so meinte sie abschließend, nicht immer ganz einfach gewesen. Denn nie konnte ich einen Tag länger von Grevenbroich fortbleiben. Immer wieder musste ich mittags pünktlich zur Stelle sein.

Mit Freude berichtete Frl. Kaffill uns dann zum Abschluss unseres Besuches, dass ihr der Bürgermeister der Stadt Grevenbroich gerade in diesen Tagen ein Anerkennungsschreiben übersandt habe. Er habe ihr darin sogar versprochen, die alte Uhr nicht zum Schrott zu werfen, sondern aufbewahren zu lassen. An Stelle der alten Turmuhr wird jetzt eine elektrische Uhr eingebaut.

Die Heimatzeitung, die „Rheinische Landeszeitung“ übermittelt der betagten Uhrmacherin ihre herzlichsten Glückwünsche zu diesem Jubiläum. Diese Treue und restlose Pflichterfüllung bis zum letzten mögen uns und unseren Lesern immer als Vorbild dienen.“

Das Anerkennungsschreiben der Stadt Grevenbroich durch den damaligen Bürgermeister Lorenz Wilms liegt dem Stadtarchiv Grevenbroich ebenfalls noch vor.

Quelle: Stadtarchiv Grevenbroich, GV 001 Nr. 32

Wo die alte Rathausuhr nach ihrem Ausbau tatsächlich geblieben ist, kann heute nicht mehr festgestellt werden. Ebenso ist nicht bekannt, wo sie nach fast 90 Jahren verblieben ist. Das Grevenbroicher Heimatmuseum befand sich in den 1930er Jahren noch im Torbogen des Alten Schlosses, bevor es in den Jahren 1939 ff. ins eigentliche Schloss umsiedeln sollte.

Quelle: © Jürgen Larisch

Inwieweit der Bürgermeister Lorenz Wilms zu dieser Anerkennung durch die Bevölkerung „gezwungen“ wurde, bleibt derzeit offen, da im Archiv lediglich ein weiteres Schriftstück zu diesem Fall gefunden wurde.

Quelle: Stadtarchiv Grevenbroich, GV 001 Nr. 32

Aber wer war Fräulein Maria Kaffill? Maria Helena Kaffill wurde am 28. April 1860 in Wevelinghoven vermutlich als erstes Kind des Uhrmachermeisters Anton Kaffill und seiner Frau Helena Heusch geboren. Sie starb am 26. Juli 1943 im Grevenbroicher Krankenhaus an einer Lungenentzündung. Laut einem Zeitungsartikel zum 125jährigen Firmenjubiläum vom 30. September 1983 hatte sie 17 weitere Geschwister von denen drei ebenfalls das Uhrmacherhandwerk erlernten. Für diesen Beitrag konnten bisher aber nur 14 Kinder in Grevenbroich und Wevelinghoven nachgewiesen werden.

Zu Anton Kaffill und seiner im Jahr 1858 gegründeten Firma wurden folgende Informationen und Begebenheiten recherchiert. Laut Sterbeurkunde Nr. 29/1903 vom 11. Mai 1903 starb Anton Kaffill als 71jähriger Uhrmacher in Wevelinghoven. Geboren wurde er um 1832 in St. Mauritz einem Stadtteil von Münster in Westfalen. Seine Frau hieß Helena Heusch, geboren in Wesel. Sie überlebte ihn um zwei Jahre.

Ursprünglich bezog Anton Kaffill als Theologiestudent ein Zimmer bei einem Münsteraner Uhrmachermeister zur Untermiete. Bereits nach kurzer Zeit interessierte er sich mehr für dessen Handwerk, brach sein Studium ab und ging bei seinem Vermieter in die Lehre. 1858 legte er seine Meisterprüfung ab, zog ins Rheinland, heiratete und gründete im gleichen Jahr in Wevelinghoven an der Poststraße sein erstes Geschäft.[1]

Aufgrund neuer in diesem Jahr gefundener Zeitungsannoncen vermutet der Autor jedoch die Erstgründung des Uhrmacherfachgeschäfts in Dortmund und nicht in Wevelinghoven. Im März 1859 wurde ein gänzlicher Ausverkauf goldener und silberner Anker-, Zylinder-, Spindel- und Wand-Uhren zu Fabrik-Preisen angeboten. Gemäß dem Dortmunder Adressbuch von 1859 handelte es sich um einen Anton Kaffill, der Uhrmacher unter gleicher Adresse war. In den Dortmunder Adressbüchern vor bzw. nach 1859 war dieser Uhrmacher Anton Kaffill nicht mehr zu finden.

Quelle: Dortmunder allgemeines Kreisblatt Nr. 34 vom 19. März 1859, Seite 4
Quelle: Dortmunder Adressbuch von 1859

Nur einen Monat später annoncierte Anton Kaffill eine Anzeige über die Geschäfts-Eröffnung eines Uhrmachergeschäftes am 1. April 1859 in Wevelinghoven.

Quelle: Grevenbroicher Kreisblatt und Organ für die Gilbach vom 10. April 1859, Seite 4

Wann Anton Kaffill dann ein weiteres Uhrmachergeschäft auf dem Grevenbroicher Marktplatz eröffnete, kann zurzeit nicht abschließend gesagt werden, da es hierfür keine Belege gibt. Allerdings muss dies vor 1879 geschehen sein, da es im Adressbuch des Kreises Grevenbroich aus dem Jahr 1879 zwei Einträge gibt – in Wevelinghoven und in Grevenbroich.

Vor der Erweiterung der Kirche (vor 1900) befand sich das Handelsgeschäft von Anton Kaffill dort, wo später die Firma Foto Jähne über Jahrzehnte ihr Unternehmen betrieb (2. Haus von rechts mit Schild).

Quelle: © Stadtarchiv Grevenbroich, Bildbestand Grevenbroich

Das Grevenbroicher Handelsgeschäft (Pfeil) am Marktplatz um 1900 nach der Erweiterung der Kirche.

Quelle: © Stadtarchiv Grevenbroich, Bildbestand Grevenbroich
Quelle: ©Jürgen Larisch

Das Grevenbroicher Handelsgeschäft (rechts) um 1944 mit dem noch nicht zerstörten Rathaus im Hintergrund.

Quelle: © Stadtarchiv Grevenbroich, Bildbestand Grevenbroich

Laut einem weiteren Zeitungsartikel im Stadtanzeiger Grevenbroich zum 125jährigen Firmenjubiläum wurden fast alle Großuhren von Anton Kaffill selbst gebaut. In dieser Zeit hatte er wohl zwischen 15 und 20 Gehilfen beschäftigt. Zu jener Zeit dürfte Anton Kaffill wohl auch der erste „Optikus“ im Kreisgebiet gewesen sein. Als solcher handelte er neben Brillen auch mit optischen Artikeln.[2]

1950 übernahm Edmund Kaffill, ein Enkel von Anton Kaffill, das Geschäft in Grevenbroich. Dieser baute bereits 1954 ein neues und modernes Geschäftshaus mit zwei getrennten Fachgeschäften für Uhren, Gold- und Silberwaren und Bestecken und ein zweites für Augenoptik und Hörgeräte.[3]

Das Grevenbroicher Handelsgeschäft am Marktplatz um 1970.

Quelle: © Stadtarchiv Grevenbroich, Bildbestand Grevenbroich
Quelle: © Stadtarchiv Grevenbroich, Bildbestand Grevenbroich

Im Jahr 1983 konnte die Firma Kaffill auf ihr 125jähriges Bestehen zurückblicken, welches sich im Laufe dieser Zeit vom reinen Uhrmacherfachgeschäft auch zum Fachgeschäft des Optikerhandwerks und des Verkaufs von Gold- und Silberwaren entwickelt hatte. Und dies seit 1981 auch an verschiedenen Standorten bzw. unterschiedlichen Firmen. So wurde z. B. die Augenoptik in die Räume des neuen Rathauses verlegt.

Seit 2015 befindet sich in dem Gebäude am Marktplatz u. a. ein Modegeschäft. Nachdem es mehr als ein Jahr leer gestanden hatte, wechselte 2014 der Eigentümer, der es umfangreich renovierte und Umbaumaßnahmen durchführte. Bis zum heutigen Zeitpunkt wurden alle Fachgeschäfte der Familie Kaffill in Grevenbroich und Wevelinghoven geschlossen.

Heute (im Oktober 2025) sieht das Gebäude wie folgt aus:

Quelle: © Stefan Faßbender

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2025

[1] Neuss Grevenbroicher Zeitung vom 30. September 1983

[2] Stadtanzeiger Grevenbroich vom 13. Oktober 1983

[3] Stadtanzeiger Grevenbroich vom 13. Oktober 1983

 

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