Die Adventszeit im Jahr 1944

Auch wenn die Adventszeit 2024 von vielen Konflikten in der Welt geprägt war, nutzten viele Menschen diese Zeit, um sich auf das Wesentliche zu besinnen. Im Vordergrund stand Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen und sich auf die Feiertrage vorzubereiten. Ein Teil dieser besonderen Zeit der Vorfreude und Besinnung waren auch die damit verbundenen Bräuche, wie das Singen von Weihnachtsliedern und das Backen von Plätzchen, insbesondere dann, wenn noch kleine Kinder zum Haushalt gehörten.

Im Gegensatz dazu war die Adventszeit im Jahr 1944 eine besonders schwierige und belastende Zeit, geprägt von den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs. In vielen Teilen Europas litten die Menschen unter den Folgen von Krieg, Hunger und Zerstörung. In Deutschland und anderen von den Nationalsozialisten besetzten Gebieten war die Stimmung oft von Angst und Unsicherheit geprägt.

Trotz der widrigen Umstände versuchten viele Menschen, die Traditionen der Adventszeit aufrechtzuerhalten, um ein wenig Hoffnung und Licht in ihren Alltag zu bringen. Adventskränze, Kerzen und Weihnachtsmärkte waren in vielen Städten zu finden, auch wenn sie oft von den Schrecken des Krieges überschattet wurden. Die Adventszeit 1944 war also eine Zeit des Wartens und der Besinnung, aber auch eine Zeit, in der der Wunsch nach Frieden und Normalität besonders stark ausgeprägt war.

Wie mag es wohl Josef Kratz in der Adventszeit 1944 ergangen sein? Er hatte am 21.11.1935 Cilly (Cäcilia Margarete) Schmitz aus Grevenbroich geheiratet. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder, Hanns Joachim und Marlene, hervor.

© Anne Kiefer: Cilly Schmitz und Josef Kratz vermutlich bei ihrer Verlobung im Jahr 1934.

Obwohl in allen Urkunden der Wohnsitz mit Zeppelinstraße (heute Orkener Straße) in Grevenbroich angegeben wurde, lebte er mit seiner Familie zu dieser Zeit in Friedberg/Hessen. Er arbeitete in einem städtischen Wehrmachtsdepot (Wartturm Kaserne) von Friedberg.

Wartturm Kaserne (Ray Barracks) im Jahr 1950 – gemeinfreies Bild

Friedberg war wie Grevenbroich und viele andere Städte in Deutschland, von den verheerenden Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs betroffen. Zu dieser Zeit fanden in vielen Regionen Luftangriffe statt, die Zerstörung und Leid mit sich brachten. Friedberg erlebte während des Krieges mehrere Bombenangriffe, die sowohl zivile als auch militärische Ziele ins Visier nahmen.

Friedberg in Hessen erlebte bis März 1945 insgesamt drei schwere Luftangriffe, der zweite fand am 4. Dezember 1944 statt. Auf den Stadtteil Fauerbach und das Bahngelände fielen vier Bombenteppiche, bei denen 90 Friedberger starben. Da die Bomben aus 9.000 Meter Höhe abgeworfen wurden und dadurch tief ins Erdreich eindrangen, schützte kein Kellerraum vor dem Unheil. 119 Bomber der USAAF griffen den strategisch wichtigen Rangierbahnhof in Friedberg an. Die abgeworfene Bombenlast von rund 330 Tonnen richtete enorme Schäden an.

Luftaufnahme während des Bombenabwurfes am 4. Dezember 1944 – gemeinfreies Bild
Zerstörungen am Rangierbahnhof im Frühjahr 1945 – gemeinfreies Bild

Die Ereignisse dieses und der nachfolgenden Tage wurden in mehreren Briefen von Josef Kratz an seine Familie festgehalten und geben uns heute einen seltenen und dramatischen Einblick in jene Zeit. Für uns stellen sie aber auch ein Mahnmal dar, warum Kriege verachtet und unterbunden werden müssen.

Ein Brief vom 11. Dezember 1944 von Josef Kratz an die Großeltern von Hanns Joachim und Marlene:

© Anne Kiefer: Brief vom 11. Dezember 1944 – Seite 1
© Anne Kiefer: Brief vom 11. Dezember 1944 – Seite 2
© Anne Kiefer: Cilly Kratz mit Hanns Joachim (8 Jahre) im rechten Arm und Marlene (4 Jahre) im linken Arm.
© Anne Kiefer: Brief vom 11. Dezember 1944 – Seite 3

Cilly Kratz starb im Alter von nur 32 Jahren durch den Fliegerangriff wie aus dem nachfolgenden Auszug der Sterbeurkunde ersichtlich ist.

Quelle: Auszug Sterberegister Friedberg, Nr. 61/1945

„Die Cäcilia Margarete Kratz, geborene Schmitz, katholisch, wohnhaft in Grevenbroich, Zeppelinstraße 86, ist am 4. Dezember 1944 zwischen 13 – 14 Uhr in Friedberg durch feindlichen Fliegerangriff gefallen. Die Verstorbene war geboren am 22. Dezember 1911 in Grevenbroich.“

© Anne Kiefer: Cilly Kratz, geb. Schmitz in jüngeren Jahren.

Hanns Joachim Kratz, geboren am 18. November 1936, wurde nur acht Jahre alt. Seine Schwester Marlene, geb. am 28. Februar 1940, wurde noch keine fünf Jahre alt.

© Anne Kiefer: Hanns Joachim Kratz
© Anne Kiefer: Marlene Kratz
© Anne Kiefer: Marlene und Hanns Joachim Kratz

Wie den weiteren Unterlagen zu entnehmen ist, ließ sich Josef Kratz in der Zeit danach nicht beurlauben, sondern ging seinem Dienst pflichtgemäß nach. „[…] Ich weiss, dass ich Euch vieles zu sagen habe, was man brieflich nicht kann, [Anmerkung: Vermutlich auch der allgemeinen Zensur geschuldet.] aber dennoch habe ich bis heute noch keinen Urlaub beantragt, weil ich mit bestem Willen noch nicht kann. Ich bin seelisch so krank, dass ich es nicht übers Herz bringe, heute schon zu Euch zu kommen, denn ich muss ja ohne Cilly und meine lieben Kinder kommen. Ich hoffe, dass Du mich als Mutter verstehst. Ich kann im Augenblick noch keinen Tag vergehen lassen, ohne meine Liebsten auf dem Friedhof zu besuchen. Es hat mir eine Wunde geschlagen, die nie zuheilen kann, ich bin auch heute noch nicht soweit, dass ich das alles fassen kann. […]“

Obwohl Josef Kratz den Kessel von Stalingrad überlebte, war er nicht davor geschützt, weiteres Unheil von sich und seiner Familie abzuwenden. Eine „Geschichte“, die viele Familien in der NS-Diktatur erleiden mussten.

Josef Kratz überlebte zwar den Zweiten Weltkrieg, starb aber am 4. Oktober 1945 in Sore in französischer Gefangenschaft an einer Krankheit. Sein Grab befindet sich heute auf der Kriegsgräberstätte Berneuil, etwa 100 km nördlich von Bordeaux. Auf dem 1967 eingeweihten Friedhof ruhen die Überreste von mehr als 8.300 deutschen Soldaten. Seine Grabanlage befindet sich in Block 6, Reihe 10, Grab 441.

© Anne Kiefer: Josef Kratz (Passfoto für seinen Wehrmachtsführerschein)
© Anne Kiefer: Totenzettel von Josef Kratz

Die Bilder, Briefe und sonstigen Dokumente wurden zur Verfügung gestellt von Anne Kiefer geb. Cames, Tochter von Margarete Cames geb. Schmitz, Schwester von Cilly Kratz geb. Schmitz, sofern nichts anderes angegeben ist. Die vorliegenden Informationen wurden durch eigene Recherchen des „Netzwerkes Grevenbroicher Kriegstote“ ergänzt und vervollständigt.

Das Netzwerk Grevenbroicher Kriegstote möchte mit dem Schicksal dieser Grevenbroicher Familie an die Schrecken des Krieges erinnern und deutlich machen, wie wertvoll eine friedliche Adventszeit und ein friedliches Weihnachtsfest im Kreise der Familie ist.

Wir wünschen allen Menschen friedliche und besinnliche Festtage.

Ein Gedanke zu „Die Adventszeit im Jahr 1944“

  1. Danke für diesen ausgezeichnet recherchierten und ergreifenden Bericht. Es erinnert mich, 1940 in Neuss geboren, an meine Kindheit und die vielen Bombenangriffe auf Neuss in den Jahren 1944-45, die wir zum Glück unbeschadet überstanden haben. Aber 4 meiner älteren Cousins sind im Krieg gefallen.

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