…so feierten die Grevenbroicher Weihnachten 1926!
Natürlich wurde Weihnachten auch in Grevenbroich zu Hause, im Kreis der Familie, gefeiert. Ein Hauch der Goldenen Zwanziger lag in der Luft, das hoffnungsvolle Gesicht der Weimarer Republik war ein wenig aus dem Schatten der Nachkriegszeit getreten. Auch wenn der Erste Weltkrieg und seine Folgen immer noch nachwirkten: Oft herrschte noch Wohnungsnot in der Stadt, Heizen war immer noch ein Problem und manch eine Familie war darum bemüht, Ihren Kindern in diesen Tagen eine wenn auch noch so kleine Freude zu bereiten. Da das Weihnachtsfest oft die einzige Gelegenheit war, wo sich die gesamte Familie traf, boten die Festtage vielen Paaren die Möglichkeit, ihre Verlobung im Kreis ihrer Lieben bekannt zu geben…
Ein Blick in die Grevenbroicher Zeitung aus dem Jahr 1926 und vor allem den Dezemberausgaben zeigt uns dies.
Viele Kinder und Eltern drückten sich die Scheiben am jüdischen Kaufhaus Bachrach platt und bestaunten die angebotenen Kinderspielsachen wie Kindereisenbahn, Schaukelpferd, Puppen oder Trommel.
Das Traditionshaus Friedrich Hömberg am Marktplatz bot seine Weihnachtsangebote ebenfalls in großflächigen Anzeigen an.
Es herrschte das Bedürfnis einer ganzen Generation, die den Krieg erlebt hatte, jahrelange Entbehrungen der Nachkriegszeit, harte Jahre der Inflation in fröhlicher, sorglos stimmender Gemeinsamkeit ein bisschen vergessen zu machen und befreit das Weihnachtsfest zu feiern. Jahrtausendfeier der Rheinlande und Befreiung von der belgischen Besatzung waren DIE Themen des Jahres gewesen.
Die Grevenbroicher konnten sich jedenfalls wieder einen Weihnachtsbaum auf dem Tisch leisten. Christbaumschmuck gab es bei W. Sommer Nachfahren zu kaufen. Kuchen und Torten gab es natürlich besonders zu Weihnachten in den Cafés wie Deden, Schall, der Dampfbäckerei Bremer oder Poser.
Natürlich wurde auch zuhause eifrig gebacken, da Butter noch teuer und rar war, sorgte in vielen Haushalten die gute Margarine von „Rama“ dafür, dass Kuchen am Gabentisch genossen werden konnte. Vor den Festtagen gab es zwei verkaufsoffene Sonntage, die aber nicht ganz so rege besucht wurden wie erhofft, spielte doch das Wetter nicht mit und war erst Anfang Dezember eine überaus erfolgreiche „Werbewoche“ des Grevenbroicher Handels zu Ende gegangen.
Solidarität im Verein
Vereine spielten im Alltag der Grevenbroicher vor allem als Ort zwischenmenschlicher Solidarität eine wichtige Rolle. Besonders beliebt war die Weihnachtsfeier des BSV Grevenbroich. Hier fand man gesellschaftlichen Anschluss und Anerkennung. Auf der Weihnachtsfeier des 1920 von vielen Vereinen und ehemaligen Schützen neugegründeten Bürger-Schützenvereins stellte der Vereinspräsident Jean Plum ein weihnachtliches Programm zusammen.
Sie fand im Saal des Vereinslokals „Hotel Lersch“, auch genannt „Zur Traube“, statt. Plum hatte seine Töchter gewinnen können, in einem „Melodram“ das deutsche Weihnachtslied „Stille Nacht“ vorzutragen, es folgte ein von Kindern der Vereinsmitglieder vorgetragenes Weihnachtsspiel „Am Eigelstein“. Höhepunkt und heiß ersehnt war zum Abschluss des offiziellen Teils vor allem die große Weihnachtsverlosung. Je nach Los sorgte sie für „hochbeglückte“, oder aber „zerknitterte“ Mienen. Den Abschluss bildeten frohe Stunden der Geselligkeit und Tanz „nach neuesten oder veralterten Tanzmoden“, musikalisch gestaltet durch die Kreisfeuerwehrkapelle Skibba.
Traditionelle Formen
In den Vereinen wurde Weihnachten meist in herkömmlicher Weise gefeiert. In den großen Sälen der zahlreichen Gaststätten der Stadt wurde oft und gerne gefeiert. Alleine in der Innenstadt gab es sage und schreibe 15 Gaststätten. In Zeiten, in denen noch Wohnungsnot herrschte, Wohnungen oft klein und selbst die guten Stuben manchesmal nicht geheizt waren, sorgten die Lokale mit ihren Sälen für Abwechslung, Unterhaltung und Zerstreuung vom harten Alltag. Allerdings hatte sich die Wirtevereinigung in diesem Jahr abgesprochen, zu Weihnachten und am ersten Feiertag geschlossen zu bleiben, ihr Motto: „Auch wir wollen Weihnachten in unseren Familien feiern!“
Drei nicht der Vereinigung angehörende Wirte öffneten allerdings ihre Türen, unter anderem auch das Gasthaus von Joseph Portz. Sie wollten Weihnachten „wie üblich mit ihren Gästen“ feiern…
Es gab in Zeiten, in denen es außer der Zeitung und wenigen Radios kein Fernsehen, kaum Fernsprecher, sprich Telefone, gab, eine rege Vereinslandschaft. Neben dem Bürgerschützenverein gab es auch den Fußballclub von 1911, aus dem der TUS hervorging, außerdem den Männergesangverein, die freiwillige Feuerwehr, das DRK oder den Schwimmverein, der die Badeanstalt an der Erft im Sommer rege nutzte. Auch ein Motorsportclub hatte sich gegründet. Aber auch das Vereinswesen stand immer noch zu einem großen Teil unter den Vorzeichen der Nachkriegszeit. Es gab mit Marineverein, Artillerieverein, Gardeverein, Kriegerverein und dem Bund der Kriegsbeschädigten zahlreiche Kameraden- und Ehemaligenvereine, hatte der Versailler Friedensvertrag doch das Reichsheer drastisch auf 100.000 Mann reduziert.
Im Sommer hatte sich auch eine Ortsgruppe des Frontkämpferbundes „Stahlhelm“ gegründet. Dies stieß jedoch auf Widerstand, lehnte dieser doch die Weimarer Republik ebenso wie jüdische Mitglieder ab. So gründete sich bald darauf in Grevenbroich die Ortsgruppe des republikanischen „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ und die zahlreichen jüdischen Frontkämpfer aus Grevenbroich protestierten und wurden im „Bund Jüdischer Frontsoldaten“ Mitglied! Noch spielten die Nationalsozialisten vor Ort keine Rolle, aber der Kampf um die Republik wurde mit unnachgiebiger Härte auch in Grevenbroich geführt. In den Dezembertagen des Jahres 1926 herrschte jedoch ein gewisser „Weihnachtsfrieden“. Da gab es bei den Weihnachtsfeiern keine Unterschiede zwischen militärisch ausgerichteten, anti-demokratischen, bürgerlichen oder sozialistischen Vereinen. Aber es gab auch Vereine, die Nichtmitgliedern den Zutritt zur Weihnachtsfeier ausdrücklich verwehrten. Die Lustbarkeitssteuer, die auf jede Eintrittskarte erhoben wurde, ärgerte jedoch ohne Unterschied die Kassenwarte, denn sie schmälerte Einnahmen, die zur Finanzierung des Vereinsjahres dringend gebraucht wurden.
An den Weihnachtsfeiertagen selbst gab es eine Fülle von Freizeitangeboten: vor allem die beiden Grevenbroicher Kinos, das „Lichtspielhaus“ auf der Breitestraße 21 und die „Lichtspiele“ im Rheinischen Hof boten Vergnügen. Kassenschlager waren zum Beispiel der neue „Blockbuster“ von Buster Keaton, Regina Ralli oder Reginald Deny. Die Veranstaltungen wurden vielfach als „Amerikanisierung“ des Alltags kritisiert, hatte sich doch nicht nur in den Gaststätten mit der Jazz-Musik neue Unterhaltungsangebote etabliert. Sie waren aber auch geeignet, immer noch stark ausgeprägte Klassengegensätze zu überwinden, denn ihre Besucher sangen dieselben Schlager, die sie in den neuen Medien Kino und Radio kennenlernten. Ein wichtiges Argument für den Besuch des Silvesterballs waren deshalb auch „garantiert erstklassige Schlager“.
Die Kirchen
Für die überwiegend christliche Bevölkerung waren die Weihnachtsgottesdienste natürlich der Höhepunkt des Festes. In der evangelischen Kirche ebenso wie der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul wurden Gottesdienste abgehalten. Die Christmette in St. Peter und Paul wurde durch den Pfarrchor „Cäcilia“ mit seinem neuen Knabenchor „in prächtiger Weise mit wirkungsvoller Orgelbegleitung“ gestaltet und trug so dazu bei, „die Weihnachtsstimmung zu mehren und die Herzen empfänglich zu machen für der Weihnacht Gnade und Zauber“, wie die Zeitung berichtete. In der Synagoge Grevenbroichs auf der Kölnerstraße 26 wurde natürlich kein Weihnachten gefeiert, aber am 8. Dezember war das Lichterfest Chanukka zu Ende gegangen…
Im Alltag zurück
Ein Bericht im Lokalteil holte die Leser des „Grevenbroicher Zeitung“ aber wieder in den harten Alltag zurück:
das Wohlfahrtsamt Grevenbroichs hatte mit der städtischen Wohlfahrtskommission „mit einer Reihe Damen der Stadt“ zu Spenden für arme Mitbürger aufgerufen und die „Armen und Hilfsbedürftigen“ dank des „in unserer Stadt herrschenden Opfersinns aller Schichten“ „praktische und schöne Gegenstände“ sowie Briketts, Braunkohlen und Koks ausgegeben. Ebenfalls Geldgeschenke für diejenigen, die sich ein Weihnachtsfest aus eigenen Mitteln nicht leisten konnten…
Ulrich Herlitz/Vorsitzender Geschichtsverein
Eine einzigartige Quelle bieten digital zugängliche Geschichtsquellen. Darunter auch die Online-Ausgabe der Grevenbroicher Zeitung aus dem Jahr 1926, die in diesem Jahr online gegangen ist. Der Geschichtsverein Grevenbroich hat das Online-Portal zeit.punkt NRW und das dazugehörige Zeitungs-Projekt vorgestellt, aus dem auch die hier abgebildeten Anzeigen stammen!
Das Titelbild ist eine mittels KI kolorierte Anzeige aus der Weihnachtsausgabe der Grevenbroicher Zeitung vom 24. Dezember 1926.