Ein Buch geht um die Welt!

Nun ist es ziemlich genau ein Jahr her, dass unser Buch „Grevenbroich – Der Zweite Weltkrieg in Auszügen auf den Schulchroniken“ erschienen ist. Dies möchten wir, die Autoren, zum Anlass nehmen uns bei allen Geschichtsinteressierten, Lesern und Käufern dieses Buches zu bedanken. Denn bereits nach wenigen Monaten war die Gesamtauflage vergriffen.

Was für ein Erfolg! Es zeigt uns aber auch, wie groß das Interesse war bzw. ist, erstmalig die grausamen Geschehnisse während des Zweiten Weltkrieges anhand tatsächlicher Schicksale von Bürgern und Bürgerinnen unserer Heimatstadt Grevenbroich nachvollziehen zu können.

Besonders gefreut hat es uns, dass es ein Exemplar einmal um die ganze Welt „geschafft“ hat. Uns erreichte folgende Nachricht aus Australien, welche auch exemplarisch für die vielen Rückmeldungen Grevenbroicher BürgerInnen steht.

„Als ehemaliger Grevenbroicher, davor Belmener Mitbürger und als Angehöriger der Nachkriegsgeneration (Jahrgang 1947) habe ich mit großem Interesse die Publikation des Geschichtsvereins über die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges in Grevenbroich und in den Nachbargemeinden und Dörfern gelesen. Meine Hochachtung gebührt den Autoren dieser Dokumentation, Stefan Faßbender und Stefan Rosellen, die akribisch in den Schulchroniken, Dokumenten und Fotoquellen geforscht haben und die reale, brutale Situation detailliert dargestellt und beschrieben haben. Diese Publikation sollte in den regionalen Geschichtsklassen der Oberstufen als direkte und wertvolle Quelle genutzt werden. Besonders beeindruckt war ich von den zahlreichen Auszügen aus der Elfgener Schulchronik, da ich im Nachbardorf Belmen bis 1955 aufgewachsen bin und viele der Orte und Namen noch in Erinnerung habe. Den Autor der Elfgener Chronik, Lehrer Braß, habe ich noch persönlich kennengelernt. Die Tragik und Leiden der Bürger in diesen beiden Nachbardörfern Belmen und Elfgen wurde selten diskutiert, die Kriegsgeneration wollte diese schrecklichen Erfahrungen möglichst schnell vergessen und neu beginnen, was zu diesem Zeitpunkt als beste Lösung erschien. Glücklicherweise gibt es eine jüngere Generation, wie die beiden Autoren, die eine Aufgabe darin sehen, Geschichte aufzuarbeiten und sie vor dem Vergessen zu bewahren. Als menschliche Gesellschaft sind wir alle Teil der Geschichte, sei sie positiv oder negativ. Nicht zuletzt möchte ich dem Geschichtsverein Grevenbroich für die Unterstützung dieser lobenswerten Initiative danken. Dieser Dank kommt aus großer Ferne an meine alte Heimat, etwa 18.000 km südlich von meinen Wurzeln, aus Warners Bay, Neusüdwales, Australien. Martin J. Schläger, 7. August 2023“

Stefan Rosellen u. Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Grevenbroich – das Kriegerdenkmal

© Achim Kühnel – Das Kriegerdenkmal im Jahr 2022

Am 8.9.1907 wurde das Kreis-Kriegerdenkmal in Grevenbroich feierlich eingeweiht. Das Denkmal ist es wert, an dieser Stelle einmal vorgestellt zu werden. Das Monument diente lange Zeit primär der Erinnerung an die Toten der drei unter dem Ministerpräsidenten Otto von Bismarck geführten preußischen Einigungskriege in den Jahren 1864 – 1871: Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 (um die Herzogtümer Schleswig und Holstein), dem Deutschen Krieg 1866 (gegen Österreich) und dem Deutsch-Französischen Krieg entstand 1871 das preußisch dominierte Deutsche Kaiserreich.

Viele Städte erbauten danach Erinnerungsstätten. In Grevenbroich gab es über einen langen Zeitraum von 33 Jahren keinerlei Bestrebungen für ein solches Denkmal. Warum nicht? Das lag zum einen daran, dass aus der Altstadt Grevenbroich selbst kein Kriegsteilnehmer den „Heldentod“ gestorben war, andererseits aber auch daran, dass Grevenbroich im 19. Jahrhundert nur ein kleines Kreisstädtchen war und ein hinreichendes Selbstbewusstsein der Bevölkerung noch nicht genügend ausgeprägt war (zumal der Landrat über viele Jahre hinweg seinen Dienstsitz gar nicht in Grevenbroich, sondern in Wevelinghoven hatte).

Die Planung

Erst im Juni 1904 bat der 1. Vorsitzende des Kreiskriegerverbandes, Joseph Klepper, den Grevenbroicher Landrat Robert Brüning, den Bau eines solchen Denkmals zu unterstützen. Brüning stand der Idee sehr aufgeschlossen gegenüber, so dass schon wenige Tage später ein „Comité für die Errichtung eines Kreiskriegerdenkmals“ gegründet wurde. Ehrenvorsitzender wurde Alfred Fürst Salm-Dyck zu Schloss Dyck, Vorsitzender war Landrat Brüning selbst. Die Bürgermeister der Kreisorte wurden eingeladen, diesem Komitee beizutreten.

Optimistisch wurde als Tag der Denkmals-Einweihung der 27.2.1906 festgelegt; dies war das Datum der Silberhochzeit von Kaiser Wilhelm II. und seiner Gattin Auguste Viktoria. In der Grevenbroicher Zeitung wurde ein Spendenaufruf zur Sammlung von Geldern für das Denkmal gestartet. Insgesamt kamen über 8.000 Mark zusammen. Aufgrund dieser erfolgreichen Sammlung beschloss der Kreistag im März 1905, diese Summe großzügig auf 30.000 Mark aufzustocken. 

Im Juli 1905 wurde nach einer Ortsbegehung der neu gebildeten fünfköpfigen Jury um den Düsseldorfer Maler Alfred Graf Brühl und den renommierten Bildhauer Professor Karl Jansen von der Kunstakademie Düsseldorf der leere „Platz am Dreieck“ vor dem damaligen Hotel Borrenkort ausgewählt (an der Stelle dieses Hotels steht heute das ehemalige Finanzamt), „wegen seiner günstigen Lichtverhältnisse, der Zugänglichkeit an allen Seiten, der Größe und der außerordentlich günstig aus der Stadt auf ihn zuführenden Hauptstraße“. Der Platz ist deswegen auch heute noch markant, weil hier drei Straßen aufeinanderstoßen: Die Bahnstraße, die Rheydter Straße und die Erckensstraße.

Schon zu dem Zeitpunkt der Standortwahl war klar, dass der ursprünglich geplante Fertigstellungstermin Februar 1906 nicht gehalten werden konnte. Erst musste noch ein Künstlerwettbewerb ausgeschrieben werden mit Auslobung von vier Preisen zu jeweils 500 Mark; Interessenten wurden aufgefordert, bis zum 31.3.1906 ihre Entwürfe zu präsentieren. Insgesamt beteiligten sich 41 Künstler an diesem Wettbewerb. Anfang April wurden die Entwürfe zwei Tage lang der Öffentlichkeit in der Turnhalle des Progymnasiums (heute Erasmus-Gymnasium) vorgestellt.

Auftragsvergabe und Einweihung

Am 9. April 1906 entschied sich die Jury für den Entwurf „Helden“ des erst 32 Jahre alten Künstlers Joseph Hammerschmidt aus Düsseldorf-Oberkassel, der an der Kunstakademie unter Professor Karl Jansen studiert hatte, eben jenes Mannes, der auch Mitglied in der Jury zur Auswahl des Denkmals war. Joseph Hammerschmidt war damals schon ein namhafter Künstler, er schuf 1909 auch das Neusser Theodor-Schwann-Denkmal an der „Alten Post“.

Der ausgewählte Entwurf passte so gar nicht in die damalige Zeit des vorherrschenden Nationalismus mit seinem „Hurra-Patriotismus“: Es ist sozusagen vollkommen aus der Zeit gefallen und zeigt auf einer ein- bzw. zweistufigen Granit-Plattform zwar eine Bekrönung in Form eines Bronzeadlers, der mit ausgebreiteten Schwingen die Kriegsbeute bewacht, seitlich auf der Plattform steht jedoch ein alter Veteran (auch aus Bronze), der sich – müde und von Gram gezeichnet auf seinen Gehstock stützend – zum Gruß der Gefallenen herunter beugt und einen Lorbeerkranz niederlegt.

Das Denkmal kostete 29.532,32 Reichsmark. Auf der ausladenden Pfeilerbasis aus Granit steht die Inschrift „Unsern gefallenen Kameraden“. Auf der linken, rechten und der Rückseite des Denkmals sind unter der Inschrift „Es starben den Heldentod für König und Vaterland“ auf Tafeln die Namen der 62 Gefallenen der Einigungskriege verzeichnet.

Die Einweihung fand am Sonntag, dem 8. September 1907, statt, dem Sonntag nach dem „Sedantag“ (2. September), der in dieser Zeit an die Kapitulation der französischen Armee 1870 erinnerte. Die Veteranenfigur wurde im Volksmund „dä alde Blank“ genannt, weil er angeblich dem Metzger und Wirt Konrad Blank (1824 – 1906) ähnlich sehen würde. Er hatte am Deutsch-Französischen Krieg teilgenommen, und wusste davon oft in seiner Gaststätte an der Bahnstraße zu erzählen.

© StA Grevenbroich – Das Kriegerdenkmal im Jahr 1907

Das Denkmal im Stadtbild

In der Zeit von 1907 bis 1914 erntete das Denkmal dann auch häufig Kritik, weil es eben nicht die Freude an Kampfes- und Siegestaten und stolze Glorie ausdrückte, sondern Mitleid(en) und Empathie.

Später wurden – als Zugeständnis an den Zeitgeist – rechts und links neben dem Denkmal zwei Kanonen aufgestellt, die aber nach dem 1. Weltkrieg sehr schnell wieder verschwanden.

Überhaupt verstummte nach dem verlorenen 1. Weltkrieg die Kritik; den besonderen Wert und die Aussagekraft des Denkmals erkannte schon der Gymnasialprofessor und Autor des Grevenbroicher Heimatbuches Anton Zumbusch im Jahr 1925, als er schrieb, dass die Bewohner des Kreisstädtchens durch ihr Denkmal zeigten, „wes Geistes Kind“ sie seien, denn aus ihm spreche kein „Hurra-Patriotismus, sondern nur echtes menschliches Fühlen.“

Im 2. Weltkrieg wurde das Denkmal stark beschädigt; die „Wunden“ im Fundament und in den Pfeilern kann man auch heute noch sehen (insbesondere an der Rückseite).

© Sammlung Dr. Friedrich Schmitz – Das Kriegerdenkmal im Jahr 1945

Seit 1984 steht das Kriegerdenkmal unter Denkmalschutz. Am Tag der Wiedervereinigung, dem 3.10.1990, wurde der Platz in „Platz der Deutschen Einheit“ umbenannt; er hieß früher „Siegesplatz“. 1990 wurde auch das Denkmal um eine Bodenplatte ergänzt: In Inschriften wird nun auch an die Opfer der Weltkriege, an die Ermordeten während der NS-Gewaltherrschaft und an das Leid der Kriegsvertriebenen erinnert.

Achim Kühnel für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Die Nottaufe

Jeder, der sich schon einmal auf die Suche nach Spuren seiner Vorfahren gemacht hat, wird irgendwann in alte Kirchenbücher schauen, um seine Ahnenreihe zu vervollständigen. Gelegentlich wird er dabei auch auf Randvermerke, wie z. B. „Nottaufe“ oder „Nottaufe durch Hebamme“ stoßen.

KB Kapellen – Sterbeeintrag vom 30.04.1838 mit dem Vermerk der Nottaufe durch die Hebamme
KB Frimmersdorf – Taufeintrag vom 3.12.1796 mit dem Vermerk der Nottaufe durch die Hebamme
KB Gustorf – Taufeintrag vom Oktober 1917 mit dem Vermerk der Nottaufe durch die Hebamme
KB Bedburdyck – Taufeintrag vom 13.02.1754 mit einer weiteren Anmerkung

Verkürzte Transkription: „[…] in großer Todesgefahr im Haus der Hebamme Clara Wintzen getauft, am 14. des Monats Februar zur Kirche gebracht, wo ich selbst das heilige Sakrament und Gebete angewendet habe […]“

Was haben diese Randvermerke nun zu bedeuten? Die Nottaufe oder auch „Taufe in der Not“ genannt, ist in vielen Religionen und Konfessionen erlaubt. Normalerweise dürfen Taufen nur von einem Geistlichen vorgenommen werden. Besteht jedoch Lebensgefahr für einen Täufling, dürfen diese Nottaufen auch von einem Laien vorgenommen werden. Zwar unterscheiden sich die Regelungen zur Nottaufe in den verschiedenen Konfessionen, aber grundsätzlich ist sie durchzuführen, wenn ein Geistlicher nicht mehr rechtzeitig herbeigeholt werden kann.

Die EKD schreibt hierzu: „Wenn ein Ungetaufter sehr krank ist und zu sterben droht, wird eine Nottaufe vorgenommen. Die Taufe kann jeder Christ und jede Christin ausführen.“ Die katholische Kirche geht sogar noch einen Schritt weiter, indem sie ausführt: „Diese Taufe kann von jedem Katholiken und sogar von jedem Menschen guten Willens, immer, überall und ohne Einschränkung gespendet werden.“

Seit Jahrhunderten übernehmen die Hebammen die Aufgaben eines Taufspenders, wenn Kinder bei der Geburt bereits in Lebensgefahr schweben und kein Geistlicher rechtzeitig hinzugerufen werden kann.

Da es sich bei einer Taufe um ein Sakrament handelt, sind die wesentlichen Bestandteile (Taufformel und Wasser) zu berücksichtigen. Während der Taufe soll dreimal etwas Wasser über die Stirn des Täuflings gegossen werden und dabei die Formel „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“ gesprochen werden. Da diese Taufen seit Jahrhunderten als gültig anerkannt werden, werden sie auch in den Kirchenbüchern erfasst. Oft wurden Nottaufen auch nur im Sterberegister der jeweiligen Kirche vermerkt, wenn der Täufling tatsächlich während der Geburt oder noch im Mutterleib verstarb.

Wie war aber nun zu verfahren, wenn das ungeborene Kind für die taufenden Hände der Hebamme noch nicht sicher erreichbar war? Hierzu entdeckte der Autor im Deutschen Hygiene Museum in Dresden eine sogenannte Taufspritze, die ihm und auch vielen anderen Ahnenforschern bis zu diesem Zeitpunkt gänzlich unbekannt war.

Foto: Stefan Faßbender – © Deutsches Hygiene Museum Dresden
Foto: Stefan Faßbender – © Deutsches Hygiene Museum Dresden

Bereits das Reformkonzil im Jahr 1310 in Trier schrieb den Hebammen vor, dem sterbenden Kind Wasser über den Kopf zu gießen und somit eine Nottaufe vorzunehmen. Die erstmalige Erwähnung einer Taufspritze lässt sich bereits im Jahr 1480 in Brixen/Südtirol finden. Zur Taufe war zwar kein geweihtes Wasser notwendig, allerdings sollte es zumindest von reiner Güte sein. Inwieweit sauberes Wasser zu dieser Zeit überhaupt verfügbar war, lässt sich heute nur noch erahnen. Des Weiteren stellt sich hier die Frage, wie viele Mütter, die eine Nottaufe im Mutterleib über sich ergehen lassen mussten, anschließend wegen nur bedingt sauberen Wassers an möglichen Infektionen starben.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Mord und Selbstmord auf Schloss Dyck

Adjutant des Fürsten erschießt dessen Stieftochter und sich selbst

Was nach einer Schlagzeile eines Boulevardblattes klingt, fand tatsächlich im Jahr 1820 statt. Wie kam es dazu? Werfen wir dazu einen Blick auf die Situation im Schloss Dyck in jenem Jahr.

© Stefan Rosellen

Wir befinden uns einige Jahre nach Ende der Franzosenzeit. Als Franzosenzeit wird die Epoche der französischen Herrschaft über große Teile Europas zwischen 1792 und 1815 bezeichnet.[1] Auf Dyck herrscht Joseph Graf von Salm-Reifferscheidt-Dyck.

Der berühmte Botaniker Graf Joseph, später Fürst Joseph, der unter anderem den Park von Schloss Dyck und die Kastanienallee hatte anlegen lassen, hatte sich während der Franzosenzeit von seiner ersten Frau in deren Abwesenheit auf dem Standesamt in Bedburdyck scheiden lassen.

Seine Ehe mit Marie Therese Gräfin zu Hatzfeld (1776 – 1838) wurde 1801 nach 10-jähriger Ehe geschieden. Zu diesem Zeitpunkt waren die beiden aus der Verbindung hervorgegangenen Kinder bereits verstorben.[2]

1803 heiratet er die 1767 im französischen Nantes geborene französische Dichterin und Schriftstellerin Constance Marie de Théis.[3] Auch sie war zum zweiten Mal verheiratet. In ihrer zweiten Ehe mit Graf Joseph nannte sie sich ab 1803 Gräfin, ab 1816 Konstanze Fürstin zu Salm-Reifferscheidt-Dyck.[4] Das Paar verbrachte die Wintermonate für die kommenden 20 Jahre in Paris.[5]

Portrait von Constance Pipelet (1797), Gemälde von Jean-Baptiste François Desoria[6]

In die Ehe mit Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck brachte Constance de Théis ihre Tochter, Agathe Clémence Pipelet (1790 – 1820) – genannt “Minette” – mit, die aus ihrer ersten Ehe mit dem Chirurgen Jean-Baptiste Pipelet stammte. Der Kontakt zu Minettes leiblichem Vater war nach der Scheidung der Eltern im Jahr 1800 wohl auf Initiative Constances, die einen negativen Einfluss des Vaters befürchtete, abgebrochen worden, sodass Minette im Rheinland in der Person des Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck womöglich eine Art Vaterfigur fand. Das junge Mädchen lernte auf Schloss Dyck Deutsch und empfand die Gegend schon bald als ihre Heimat. Im Jahre 1813 heiratete sie den 1766 geborenen französischen Offizier Louis-Bernard de Francq, “Baron d’Empire” ab 1810. Das Paar wohnte nach der Hochzeit in Paris und auf dem Lande unweit der französischen Hauptstadt. Die Ehe brachte drei Söhne hervor: Constant, Alexandre und Félix.

Minettes Ehemann verstarb jedoch schon im Jahr 1819, vermutlich an Tuberkulose. Die junge Witwe zog daraufhin zu ihrer Mutter und ihrem Stiefvater nach Dyck zurück. Es ist zu vermuten, dass sie dort den jungen Leutnant Althoff, seinerzeit Adjutant Fürst Josephs als Kommandeur des lokalen Landwehrbataillons, kennenlernte, der für sie schon bald „unangemessene“ Gefühle empfand.

Für Fürst Joseph war ein fähiger Adjutant, der stets eine Schlüsselstellung zwischen ihm und den Subalternoffizieren seiner Einheit einnahm, sehr wichtig. Der Adjutant hatte seinen Bataillonschef bei der aufwendigen und zeitraubenden Verwaltung zu entlasten. Ganze Stapel von Stärkemeldungen, Übungs- und Appellberichten, Personal- und Bestandslisten, Abrechnungen und Manöverplänen mussten zumeist vom jeweiligen Adjutanten angefertigt oder vorbereitet werden. Mit Leutnant Althoff, dem Sohn des Krefelder Bürgermeisters[7] Johann Karl Timotheus Althoff (geb. um 1745 in Bielefeld, gest. 1807; 1766 – 1794 Erster Bürgermeister in Krefeld)[8] und seiner Frau Margarethe Bruckhaus, verfügte Fürst Joseph zunächst über eine gerade in den Anfangsjahren seiner Landwehrzeit wichtige Hilfskraft.[9]

Der Name des jungen Leutnants konnte bislang nicht herausgefunden werden. Als Söhne der Eheleute Althoff sind bekannt Johann Friedrich Gerhard (*1790, +um 1790/1), Johann Friedrich Gerhard (*1791), Jacob Heinrich (*1793), Carl August (*1795) und Franz Wilhelm (*1797).[10] Welcher Sohn nun der besagte Leutnant war, ließ sich bislang nicht klären.

Den zeitgenössischen Quellen zufolge muss es sich bei Althoff aber auch um einen psychisch schwer gestörten Menschen gehandelt haben: Am 11. Juni 1820 warnte Landwehr-Major Peter Georg von Prondsinski, der zeitweilige Vorgesetzte Althoffs, den Fürsten vor dem “Wahnsinn” des “räthselhaft(en)” jungen Mannes, von dem ein “Excess” zu befürchten sei.

Drei Tage nach Prondsinskis besorgtem Schreiben trat die befürchtete Katastrophe ein: Am 14. Juni 1820 zog Althoff bei seinem Abschiedsbesuch auf Schloss Dyck plötzlich seine Pistolen aus der Tasche, um erst Minette und dann sich selbst zu töten. Die Katastrophe erschütterte das ganze Haus zutiefst und erregte zugleich öffentliches Aufsehen. Berichte und Zeitungsartikel lieferten ganz unterschiedliche Schilderungen der Tat, die teilweise sogar als doppelter Selbstmord interpretiert wurde, der von den beiden Liebenden als letzter verzweifelter Ausweg aus einer nicht standesgemäßen Liaison – die Constance de Salm verhindern wolle – gesehen worden sei. Darüber hinaus veröffentlichte der Kurator der Gräfin von Hatzfeld, der ersten Frau Josephs zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, ein gewisser Karl Bouton, einen Artikel. In diesem behauptete er, Minette komme getreu den Lehren der katholischen Kirche die ehrenvolle Bezeichnung einer Tochter der Fürstin zu Salm gar nicht zu, da Maria Theresia von Hatzfeld immer noch die rechtmäßige Fürstin sei. Die nach französischem Recht vorgenommene Scheidung war nach Boutons Argumentation ebenso wenig gültig wie die Zivilehe zwischen Joseph und Constance.

Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, 1854 gemalt von Julius Roeting[11]

Constance de Salm stürzte infolge der Ereignisse in eine tiefe Depression. Ihr Gatte war ihr in dieser schweren Zeit ein starker und umsichtiger Partner, der den Kontakt mit ihren Briefpartnern aufrechterhielt, solange Constance nicht in der Lage war, selber zu schreiben und ihre Gedanken zu ordnen. Auch kümmerte er sich um die drei Kinder der Minette, nun Vollwaisen, die er von nun an gemeinsam mit Constance erzog. Die Kinder nannten ihn “cher papa” = „lieber Papa“. Die Familie setzte sich erfolgreich gegen Bouton zur Wehr: Am 29. Juli 1820 wurde auf ihren Wunsch eine Gegendarstellung in der “Gazette officielle” veröffentlicht. Nach einem Prozess, in dem ihm Verleumdung vorgeworfen wurde, wurde Bouton im Juli 1821 zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.[12] Auch der Bedburdycker Bürgermeister [Johann Heinrich[13]] Sartorius ließ zusammen mit dem Friedensrichter im Kanton Elsen[14], [Ferdinand Joseph von[15]] Klein, ein Schreiben zu dem tragischen Vorfall veröffentlichen.[16] Constance de Salm trug sich offenbar mit Plänen, einen eigenen “wahren Bericht” über die Ereignisse auf Dyck in [Charles Louis] Lesurs “Annuaire historique universel” zu verfassen. Im Mai 1821 nahm sie allerdings von diesem Vorhaben Abstand, das die furchtbaren Umstände der Tat nur erneut in Erinnerung gerufen hätten. Letztlich druckte Lesur lediglich eine kurze Notiz über den Vorfall ab, in der die Namen der handelnden Personen anonym blieben. Obwohl Constance de Salm stets beteuert hatte, dass in den ihr vorliegenden Briefen und Tagebüchern Minettes kein Hinweis auf eine Liebesbeziehung zu Leutnant Althoff zu finden sei, wurde noch in der jüngeren Literatur die Theorie eines doppelten Selbstmords vertreten.

Ein Quellenfund aus dem Frühjahr 2013 scheint in diesem Fall nun endlich Klarheit zu schaffen und Constance de Salms Darstellung zu bestätigen. In einem Pariser Antiquariat wurden neben hunderten von bisher unbekannten Briefen Constances auch zahlreiche weitere Dokumente aus dem Familienkreis entdeckt, darunter Briefe und Tagebucheintragungen Minettes aus den Jahren 1819/20, die deren Abneigung gegen Althoff deutlich zum Ausdruck bringen. Diesen Zeugnissen zufolge hatte die junge Witwe den ebenfalls noch jungen Leutnant Althoff auf Schloss Dyck kennengelernt. Althoff war offenbar recht bald davon überzeugt, dass Minette eindeutige Gefühle für ihn hege. Er versuchte sie nicht zuletzt mit allerlei Drohungen zur Einwilligung in eine Eheschließung mit ihm zu zwingen. Sie allerdings blieb ihm gegenüber auf Distanz, wie aus einem an ihn gerichteten Brief vom Dezember 1819 hervorgeht. Aus der gleichen Akte (Tagebucheinträge) geht außerdem hervor, dass Minette ihre Mutter und ihren Stiefvater über den Vorfall nicht informierte, um sie einerseits nicht zu beunruhigen, und andererseits Althoff nicht in Schwierigkeiten zu bringen, da sie dachte, sie könne die Lage alleine meistern. Diese irrtümliche Annahme wurde ihr zum Verhängnis.[17]

Schloss Dyck – zeitgenössische Darstellung (zwischen 1857 und 1883) [18]

Der weitere Verlauf ist bekannt: Als Althoff sich bei ihr für ein “letztes klärendes Gespräch und adieu” am 14. Juni 1820 auf Schloss Dyck einstellte, erschoss er die junge Frau unweit von ihren Kindern. Zwei Tage nach der Tat wurde Minette in der Familiengruft der Salm-Reifferscheidt-Dyck[19] im Nikolauskloster beigesetzt.[20]

Der Adjutant Althoff fand seine Ruhestätte in Gierath. Im katholischen Kirchenbuch von Bedburdyck findet sich hierzu der Eintrag „sicarius jacet in caemeterio parochia Gierath, religionis acit confessionis calviniensis erat“ „Der Mörder liegt auf dem Friedhof der Pfarrei Gierath, er war calvinistischer Konfession“. Im Kirchenbuch der evangelischen Kirchengemeinde Jüchen ist seine Bestattung nicht eingetragen.[21]

Sterbeeintrag von Baronin Clementina geb. Pipelet im Kirchenbuch von Bedburdyck[22]

Die Söhne der Minette betrachtete Fürst Joseph als seine Kinder. Von diesen starb Constant Maria am 9. März 1835 in Aachen. Alexander wurde Oberst eines französischen Kavallerieregimentes in Algier. [23] In Algerien soll er am 21. März 1865 in Miliana in der Provinz Ain Defla gestorben sein.[24] Sein Bruder Felix Adolf trat 1838 bei der Nationalgarde zu Pferde ein, starb 1861 in Pau im Südwesten Frankreichs.[25]

Michael Salmann für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Franzosenzeit (13.8.2023, 19.22 Uhr)

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_zu_Salm-Reifferscheidt-Dyck (13.8.2023, 19.29 Uhr)

[3] Gudrun Gersmann, Von der Bergung und Bewahrung eines kulturhistorischen Schatzes, Die Korrespondenz der Constance de Salm, in: Bibliotheken: Innovation aus Tradition, Berlin 2014, S. 631-640.

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Constance_zu_Salm-Reifferscheidt-Dyck (28.4.2023, 20.04 Uhr)

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_zu_Salm-Reifferscheidt-Dyck (13.8.2023, 19.29 Uhr)

[6] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jean_Baptiste_Fran%C3%A7ois_D%C3%A9soria_-_Portrait_of_Constance_Pipelet_-_1939.533_-_Art_Institute_of_Chicago.jpg (10.7.2023, 16.17 Uhr)

[7] Florian Schönfuß, Offizier der preußischen Landwehr, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Landwehr; auf: https://mapublishing-focus.uni-koeln.de/netzbiographie/preussische-zeit/landwehr (27.8.2023, 00.38 Uhr)

[8] http://genderi.org/album-studiosorum-duisburg.html?page=33 (31.8.2023, 20.40 Uhr)

[9] Florian Schönfuß, Offizier der preußischen Landwehr, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Landwehr; auf: https://mapublishing-focus.uni-koeln.de/netzbiographie/preussische-zeit/landwehr (27.8.2023, 00.38 Uhr)

[10] http://www.leoaretz.de/, Personenstandsreader (31.8.2023, 20.54 Uhr)

[11] Rechte: Familie von Wolff Metternich zur Gracht, auf: https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_zu_Salm-Reifferscheidt-Dyck#/media/Datei:Julius_Amatus_Roeting_-_Portr%C3%A4t_des_F%C3%BCrsten_und_Altgrafen_Joseph_zu_Salm-Reifferscheidt-Dyck.jpg (16.7.2023, 19.57 Uhr)

[12] Florence de Peyronnet-Dryden, Ein Todesfall, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Minette (Datum des letzten Besuchs). https://mapublishing-focus.uni-koeln.de/netzbiographie/preussische-zeit/minette (Abruf 10.7.2023, 19.23 Uhr)

[13] Genius

[14] https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/6245156 (27.8.2023, 00.43 Uhr)

[15] https://www.archivportal-d.de/item/653QZBLSFJKUDNTO4V4CBDOGAWKGXDR6 (31.8.2023, 22.04 Uhr)

[16] https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/6245156 (27.8.2023, 00.43 Uhr)

[17] Florence de Peyronnet-Dryden, Ein Todesfall, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Minette (Datum des letzten Besuchs). https://mapublishing-focus.uni-koeln.de/netzbiographie/preussische-zeit/minette (Abruf 10.7.2023, 19.23 Uhr)

[18] Schloss Dyck – Lithographie aus Alexander Duncker: Die ländlichen Wohnsitze, Schlösser und Residenzen der ritterschaftlichen Grundbesitzer in der preußischen Monarchie nebst den Königlichen Familien-, Haus-Fideikomiss- und Schatullgütern in naturgetreuen, künstlerisch ausgeführten, farbigen Darstellungen nebst begleitendem Text. Berlin: Duncker 1857-1883, auf: https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_zu_Salm-Reifferscheidt-Dyck#/media/Datei:Schloss_dyck_duncker.JPG (16.7.2023, 20.02 Uhr)

[19] Florence de Peyronnet-Dryden, Ein Todesfall, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Minette (Datum des letzten Besuchs). https://mapublishing-focus.uni-koeln.de/netzbiographie/preussische-zeit/minette (Abruf 10.7.2023, 19.23 Uhr)

[20] Bremer, Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck, 1959, S. 199

[21] Mailauskunft des Evangelischen Gemeindeamtes Jüchen vom 31.8.2023

[22] Pfarrei Bedburdyck, Kirchenbuch

[23] Bremer, Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck, 1959, S. 198f.

[24] https://www.ancestry.de/family-tree/person/tree/11749768/person/240010815266/facts (17.7.2023, 18.35 Uhr)

[25] Bremer, Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck, 1959, S. 198f.

1923 – Als 1 Milliarde Mark noch nicht einmal für ein Brot reichte

© Privatsammlung – Notgeld-Gutschein des Landkreis Grevenbroich vom 5. Oktober 1923

Vor genau 100 Jahren, am 19. November 1923, kostete ein Brot 233 Milliarden Mark, für ein Kilogramm Rindfleisch mussten 4,8 Billionen Mark bezahlt werden. Das Porto für einen Brief war gerade erst von 10 Milliarden auf 20 Milliarden Mark erhöht worden. Die Löhne wurden täglich ausgezahlt: Die Frauen standen dann immer jeden Tag am Werkstor und holten sich die Lohntüten ihrer Ehemänner ab, um damit sofort loszulaufen, um einzukaufen – wenn es denn etwas gab: Denn viele Waren wurden zurückgehalten, weil das Geld, das jeden Tag immens wertloser wurde, gar nicht mehr akzeptiert wurde. Der Schwarzmarkt blühte, und häufig konnte sich man sich häufig nur dann noch seinen Hunger stillen, wenn man Sachwerte hatte, die man verkaufen konnte.

Wie war es dazu gekommen? Das Deutsche Reich hatte 1918 den 1. Weltkrieg verloren und die Kosten des Krieges waren überwiegend auf Pump finanziert worden, auch weil insgesamt 9 Kriegsanleihen mit einem Volumen von fast 100 Milliarden Mark nicht mehr vollständig von der Bevölkerung gekauft worden waren, und so die Reichsbank über das Drucken von neuem Geld einspringen musste. Man hatte eigentlich bei Beginn des Krieges 1914 mit einer nur kurzen Dauer gerechnet, aber das Kriegsleid zog sich über 4 lange Jahre hin. Anschließend mussten den Soldatenwitwen Renten gezahlt werden und insbesondere die hohen Reparationsleistungen an das Ausland verschlangen Unsummen von Geld, das man sich auch wieder über die Notenpresse holte. So wuchs in den vier Jahren 1919 bis 1923 die Geldmenge immer weiter an und alles wurde teurer.

© Privatsammlung – Notgeld-Gutschein der Maschinenfabrik Grevenbroich vom 8. September 1922

Da war die Welt fast noch „in Ordnung“: Notgeld-Gutschein über 1.000 Reichsmark im September 1922. Die Rückseite zeigt als Werbung für die Firma das gesamte Werksareal mit der damaligen Bebauung auf der Lindenstraße. Hergestellt bei der Grevenbroicher Druckerei Bochum. Der Schein sollte einige Wochen später gegen Reichsbank-Noten in Grevenbroich beim Schaafhausen’schen Bankverein umgetauscht werden. Die Ausgabe dieses Notgeldes war schon zu dieser Zeit nötig, weil Geldscheine fehlten, denn die Arbeiter in den Druckereien hatten im Sommer 1922 die günstige Gelegenheit genutzt, um für höhere Löhne zu streiken.

© Privatsammlung – Notgeld-Gutschein der Maschinenfabrik Grevenbroich vom 8. September 1922

Anfang 1923 kam die Regierung mit den Reparationsleistungen in Rückstand, was die alliierten Siegermächte sofort mit einer Besetzung des Ruhrgebietes beantworteten. Die Regierung rief daraufhin zum „passiven Widerstand“ auf, dem friedlichen Niederlegen der Arbeit. Aber die Löhne mussten ja weitergezahlt werden, wieder wurden neue Geldscheine gedruckt, mit immer höheren Werten.

Und obwohl dann im Sommer 1923 über 100 Druckereien nur damit beschäftigt waren, neues Geld zu drucken, ganze Güterzüge mit Geldscheinen quer durch Deutschland rollten, und die Summen auf den Geldscheinen immer höher wurden, reichte das Geld dann bei den Firmen nicht mehr aus, um die Löhne zu bezahlen. Und so druckten viele Städte und Firmen ihr eigenes Geld in Form von Notgeld-Gutscheinen, die – so hoffte man – nach einigen Wochen wieder in „richtiges Geld“, nämlich Reichsmarknoten, umgetauscht werden sollten.

Zum Beispiel druckte auch das Erftwerk Grevenbroich im August 1923 Notgeldscheine im Nominalwert zwischen 500.000 Mark und fünf Millionen Mark. Auch die Firma Pfeiffer und Langen konnte sich nicht anders behelfen. Kleingeld gab es schon lange nicht mehr: Gold- und Silbermünzen waren gleich nach Kriegsbeginn in den Schubladen der Bürger verschwunden, und Kupfer und Nickel waren auch während des Krieges zur Produktion von Waffen und Munition eingeschmolzen worden. Aber noch nicht einmal das hatte ausgereicht, und so mussten im Krieg viele Kirchen ihre Kirchenglocken an den Staat abgeben, der aus den Glocken dann auch wieder Rüstungsgüter machte. Schlussendlich ging man ab Sommer 1923 mit großen Taschen voller Geldscheine einkaufen, die fast stündlich an Wert verloren. Konnte man morgens noch mit einer Geldsumme ein Brot kaufen, bekam man am Nachmittag dafür noch nicht einmal mehr ein Brötchen.

© Privatsammlung – Notgeld-Gutschein des Erftwerk Grevenbroich über 2 Millionen Mark vom 23. August 1923

Die Not in der Bevölkerung wuchs, es kam zu Unruhen mit Toten und zu Plünderungen; auch in Noithausen plünderten rund 1.000 Arbeiter insgesamt 10 Morgen Weizen. Dieser Aufruhr konnte nur dadurch friedlich beendet werden, weil die Bauern versprachen, den Arbeitern aus ihrer Ernte den Hunger zu stillen. Auch die Selbstmordrate stieg an, weil zum Beispiel viele Leute sich für ihr Alter Ersparnisse zugelegt hatten, aus denen sie dann ihren Lebensunterhalt bestreiten wollten, was nun nicht mehr möglich war, weil das Geld wertlos geworden war.

Immer rasanter lief die Geldentwertung ab: Aus Millionen wurden Milliarden und aus Milliarden wurden binnen weniger Wochen Billionen. Ende Oktober musste schließlich von den Landkreisen Krefeld, Gladbach, Grevenbroich, Kempen und Neuss ein Notgeld-Gutschein mit der fast unvorstellbaren Summe von 20 Billionen Mark gedruckt werden. Die Nullen auf den Geldscheinen waren da längst von den Geldscheinen verschwunden, es wären zu viele gewesen.

© Privatsammlung – Notgeld-Gutschein über 10 Billionen Reichsmark vom 1. November 1923

Am 20. November 1923 war schließlich der Spuk vorbei: Aus 1 Billion Reichsmark wurde eine Rentenmark, der man wieder Vertrauen entgegenbrachte. 12 Nullen auf den Geldscheinen wurden gestrichen. Alle Sparer hatten ihr Vermögen verloren, und der Staat war auf diese Weise schuldenfrei geworden. Die ganzen Kriegsanleihen aus dem 1. Weltkrieg von rd. 100 Milliarden Reichsmark waren jetzt gerade noch 10 Pfennige wert.

Auch heute noch haben wir Angst vor der Inflation, die sich aktuell wieder in unseren Geldbörsen bemerkbar macht, aber nicht in dem Ausmaß der Hyperinflation von damals: Aber diese Angst ist jetzt eben schon 100 Jahre alt.  

Achim Kühnel für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

(Längst vergessene) „Bahnübergänge“ in Grevenbroich – Teil 3

Im dritten Teil meiner Recherche zu Bahnübergängen in Grevenbroich möchte ich noch über einen längst verschwundenen „Bahnübergang“ einer weiteren Werksbahn in Grevenbroich berichten. Abweichend von den bisherigen Darstellungen enthält dieser Teil auch einen noch vorhandenen Bahnübergang in Gustorf, da rund um diesen einige Besonderheiten entdeckt wurden. Abschließen möchte ich diese Beitragsreihe mit den Werksbahnen des RWE Frimmersdorf und Neurath, ohne auf die vermutlich unendliche Anzahl von „Bahnübergängen“ dieser Bahn einzugehen.

© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 1940, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 1990, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 2023, erstellt mit tim-online.nrw.de
  1. Bahnübergang Werksbahn Metallhütte Kayser/Grönland Elsen – Am Hammerwerk:

Von den oben in türkiser Farbe dargestellten Werksbahnen der Metallhütte C.W. Kayser und der Konservenfabrik Grönland sind heute keine Spuren mehr auf dem Gelände zu finden. Im Zuge der gewaltigen Umgestaltung des „Grönlandgeländes“ sowie des Gebietes „Am Hammerwerk“ sind meines Wissens alle Anlagen beseitigt worden. Daher können nur noch historische Aufnahmen von diesen Werksbahnanlagen berichten. Diese geben aber bei genauer Betrachtung sehr viele kleine Details und Informationen wieder.

Beginnen möchte ich mit einem Bild der Metallhütte C.W. Kayser. Bei der Vergrößerung der Luftaufnahme konnte ich insgesamt fünf Gleise entdecken, die über die Straße führten. Die beiden rechten Gleise kommen aus der Konservenfabrik Grönland, die auf diesem Bild nicht zu sehen ist. Die übrigen Gleise kommen aus den Werkshallen der Metallhütte (heute Fliesen Max) und enden nach der Überquerung der Straße. Ich vermute, dass diese bereits zu dem Zeitpunkt durch die Neugestaltung des gesamten Gebietes beseitigt waren, denn die Trassen der Gleise sind noch gut zu erkennen. Hier gab es weder Schranken noch eine Signalanlage, wenn die Züge die Straße überquerten. Lediglich ein Andreaskreuz (kurz vor dem letzten linken Gleis) machte auf möglichen Schienenverkehr aufmerksam.

© StA Grevenbroich (Ausschnitt Luftbild) – „Bahnübergang“ Am Hammerwerk um 1960

Auf den beiden nachfolgenden Bildern ist die Werksbahn der Konservenfabrik Grönland wunderbar aus verschiedenen Perspektiven um 1960 zu sehen. Auf dem ersten Bild sind die Gleise zu erkennen, die neben der Metallhütte C.W. Kayser die Straße Am Hammerwerk überquerten und dann bis zum Güterbahnhof auf der Rheydter Straße bzw. Merkatorstraße verliefen. Auf beiden Bildern sind die Rheydter Straße sowie die Königsstraße gut zu sehen. Sie dienen als Anhaltspunkt, um zu erkennen, wo sich das Fabrikgelände damals befand, denn das Gelände hat sich auch dort in den letzten Jahrzehnten radikal verändert. Dies ist besonders auf den weiteren Bildern zu erkennen, in denen ich die Gleisstrecken auf einer historischen und einer aktuellen Karte eingezeichnet habe.

© StA Grevenbroich (Ausschnitt Luftbild) – Werksbahn Konservenfabrik Grönland um 1960
© StA Grevenbroich (Ausschnitt Luftbild) – Werksbahn Konservenfabrik Grönland um 1960

Auf den nachfolgenden Abbildungen aus drei unterschiedlichen Jahrzehnten wird dieses Gebiet nochmals dargestellt, um zu zeigen, wie sehr sich das Umfeld dort innerhalb der letzten 80 Jahren verändert hat.

© Stefan Faßbender – Metallhütte/Grönland nach einer Karte um 1940, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Metallhütte/Grönland nach einer Karte um 1990, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Metallhütte/Grönland nach einer Karte um 2023, erstellt mit tim-online.nrw.de
  1. Bahnübergang Provinzstraße in Gustorf:

Nachfolgend möchte ich noch einen Bahnübergang aus Gustorf zeigen, auch wenn er heute noch vorhanden ist. Aber ein Foto, welches mir von Heinz Mindt freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde, enthält neben dem Bahnübergang auch noch einige andere längst in Vergessenheit geratene Details. Direkt am Bahnübergang ist die ehemalige Firma Lüngen (Gießereiprodukte) zu erkennen, die seit den 1920er Jahren zur Herstellung ihrer Produkte Quarzsand direkt von der Welchenberger Sandgrube mit einer Drahtseilbahn bekam. Im Hintergrund ist das RWE Frimmersdorf zu erkennen. Damals noch ohne die in den Jahren 1986 bis 1988 erbaute Rauchgasentschwefelungsanlage, die in einem aktuellen Bild von mir deutlich zu erkennen ist. Da der Bahnhof Gustorf auch als Güterbahnhof genutzt wurde, ist auf dem ersten historischen Bild auch noch ein breiter Streifen zu erkennen, auf welchem eventuell LKWs parken konnten, um Ware zu laden bzw. zu entladen.

© Heinz Mindt – Bahnübergang Provinzstraße in Gustorf um 1980
© Stefan Faßbender – Bahnübergang Provinzstraße in Gustorf im August 2023

Die beiden nachstehenden Luftaufnahmen zeigen den Bahnübergang aus verschiedenen Perspektiven. Auf der zweiten Aufnahme erkennt man sehr gut, wie nah der Tagebau in der Vergangenheit schon an Gustorf rückte.

© StA Grevenbroich (Ausschnitt Luftaufnahme) – Bahnübergang Provinzstraße um 1960
© StA Grevenbroich (Ausschnitt Luftaufnahme) – Bahnübergang Provinzstraße um 1960

Bekanntlich liegt dieser Bahnübergang an der Strecke Neuss – Düren (rote Strichlinie). Dies ist schon mehr als 100 Jahre so. Vielen dürfte jedoch nicht bewusst sein, dass die Bahnlinie, die Erft und die Landstraße nach Morken (heute Bedburg) Mitte der 1970er Jahre wegen des Tagebaus um einige Kilometer nach Osten verlegt wurden. Dies geschah auf einer Länge von fast 10 Kilometern. Die alte Bahnlinie ist in den nachfolgenden Bildern als rote Punktlinie dargestellt und vermittelt in eindrucksvoller Weise den gewaltigen Eingriff in Umwelt und Natur.

© Stefan Faßbender – Bahnlinie Neuss – Düren nach einer Karte um 1940, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Bahnlinie Neuss – Düren nach einer Karte um 1990, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Bahnlinie Neuss – Düren nach einer Karte um 2023, erstellt mit tim-online.nrw.de

Werksbahnen RWE Frimmersdorf und Neurath:

In diesem letzten Absatz des Beitrages verzichte ich auf die Darstellung von „Bahnübergängen“ (daher auch keine weiteren Nummernbezeichnungen) dieser Werksbahnen, da dies wohl ein nicht endendes Unterfangen wäre. Da die Werksbahnen jedoch ein gewaltiges Ausmaß hatten und in den letzten 100 Jahren immer wieder großen Veränderungen unterworfen wurden, ist eine kurze Darstellung meines Erachtens unerlässlich. Die beiden nachfolgenden Luftaufnahmen zeigen die gewaltigen Ausmaße der Werksbahn am RWE Frimmersdorf.

© StA Grevenbroich – RWE Frimmersdorf um 1960
© StA Grevenbroich – RWE Frimmersdorf um 1960

Die Strecken dieser Werksbahnen sind in beiger Farbe dargestellt. Der Bahnübergang in Gustorf an der Provinzstraße wurde in diesen Abbildungen bewusst nicht eingezeichnet, um den Verlauf der Strecken noch besser darzustellen. Die Karte um 1990 muss auf zwei Abbildungen aufgeteilt werden, da der Maßstab es erforderlich macht, den Teil um Gustorf, Frimmersdorf und Neurath separat darzustellen. Die punktierte Linie stellt die Strecke um 1940 dar und ist heute nicht mehr vorhanden. Die gestrichelte Linie stellt den Stand heute dar. Sie wurde jedoch ebenso auf den alten Karten abgebildet, um zu verdeutlichen, welche Veränderungen der Bau für das gesamte Gebiet mit sich brachte.

© Stefan Faßbender – Werksbahnen RWE nach einer Karte um 1940, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Werksbahnen RWE nach einer Karte um 1990, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Werksbahnen RWE nach einer Karte um 1990, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Werksbahnen RWE nach einer Karte um 2023, erstellt mit tim-online.nrw.de

Hiermit endet meine „kleine“ Recherche zu „(Längst) vergessenen Bahnübergängen“. Mir ist bewusst, dass es sich hierbei nur um einen kurzen Abriss handelt, der aber insbesondere den jüngeren Menschen ein Bild der enormen Veränderungen innerhalb der letzten 100 Jahre in unserer Heimatstadt aufzeigt. Ich hoffe, jeder Leser hat genauso viel Spaß wie ich ihn bei meinen Recherchen hatte.

Das Thema „Bahn“ ist hiermit jedoch noch nicht beendet, denn ich konnte Herrn Jürgen Larisch gewinnen, zusammen mit mir das Thema „Bahn“ mit einem anderen Schwerpunkt nochmals zu beleuchten und in naher Zukunft zu veröffentlichen.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

(Längst vergessene) „Bahnübergänge“ in Grevenbroich – Teil 2

Im zweiten Teil meiner Recherche zu Bahnübergängen in Grevenbroich möchte ich über die „Bahnübergänge“ der großen Fabriken berichten, die in der Regel Kleinbahnen besaßen bzw. über Gleisanschlüsse mit den Hauptlinien verbunden waren.

Die nachfolgenden Karten enthalten neben den heute dargestellten „Bahnübergängen“ auch noch die Angaben aus dem Teil 1 dieser Beitragsreihe. Zum besseren Verständnis und zur Übersichtlichkeit daher nochmals eine kurze Erläuterung dazu. 1. bis 4. in blauer Farbe stellen die bisher beschriebenen Bahnübergänge Rheydter Straße, Graf-Kessel-Straße, Auf der Schanze und Lindenstraße dar. Die gelbe Linie stellt die Bahnstrecke Mönchengladbach – Köln dar und die rote Linie die Bahnstrecke Neuss – Düren. Die „Bahnübergänge“ der Werksbahnen werden ebenfalls in blauer Farbe dargestellt und haben die Nummern 5 bis 9. Der zweite Teil beschreibt die Nummern 5 bis 8. Die Nummer 9 und weitere “Überraschungen” folgen im dritten und letzten Teil dieser Beitragsreihe.

© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 1940, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 1990, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 2023, erstellt mit tim-online.nrw.de
  1. Bahnübergang Werksbahn Zuckerfabrik Wevelinghoven – Nordstraße:

Die Werksbahn der Zuckerfabrik Wevelinghoven, welche in grüner Farbe dargestellt wurde, führte vom Werksgelände in südlicher Richtung. Sie endete nach einem Zusammenschluss mit der Werksbahn der Maschinenfabrik Buckau Wolf und Überquerung des „Bahnübergangs“ auf der Zeppelinstraße in Höhe des Erftwerkes auf der Hauptlinie Köln – Mönchengladbach.

© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 1940, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 1990, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 2023, erstellt mit tim-online.nrw.de

Die beiden nachfolgenden Fotos zeigen diesen „Bahnübergang“ und die Gleise auf dem Werksgelände um das Jahr 1960 in eindrucksvoller Weise. Meines Wissens war er aber nie beschrankt, sondern lediglich durch Lichtsignale gesichert.

© StA Grevenbroich (Ausschnitt Luftbild) – „Bahnübergang“ Nordstraße in Richtung Wevelinghoven
© StA Grevenbroich (Ausschnitt Luftbild) – „Bahnübergang“ Nordstraße in Richtung Stadtmitte

Die Schienen der Werksbahn sind heute noch auf der Fahrbahn der Nordstraße erhalten und zu sehen. Allerdings „enden“ sie im „Nirgendwo“, wie auf den Fotos zu erkennen ist. Auf dem heutigen Werksgelände der Firma Intersnack sind die ehemaligen Gleise zum Teil noch zu finden, wenn auch nicht mehr nutzbar. In die Gleisbetten wurden z. B. Pflastersteine verlegt und dienen heute den Angestellten als Fußwege.

© Stefan Faßbender – „Bahnübergang“ Nordstraße in Richtung Erftwerk im August 2023
© Stefan Faßbender – „Bahnübergang“ Nordstraße in Richtung Intersnack im August 2023
  1. Bahnübergang Werksbahn Maschinenfabrik Buckau Wolf – Nordstraße:

Die Werksbahn der Maschinenfabrik Buckau Wolf führte vom Werksgelände in südlicher Richtung. Sie endete nach einem Zusammenschluss mit der Werksbahn der Zuckerfabrik Wevelinghoven und Überquerung des „Bahnübergangs“ auf der Zeppelinstraße Höhe des Erftwerkes auf der Hauptlinie Köln – Mönchengladbach. Zu beachten sind auch die sehr umfangreichen Gleisanlagen auf dem ursprünglichen Firmengelände, die von mir in den Abbildungen unter Nr. 5 in pinker Farbe dargestellt wurden.

Das nachfolgende Bild zeigt zunächst die Gleise auf dem Gelände der ehemaligen Maschinenfabrik Buckau Wolf auf der Nordstraße, welches ich dankenswerterweise für diesen Beitrag fotografieren durfte. Bei genauer Betrachtung sind noch drei ehemalige Gleisstrecken zu erkennen, die aus den einzelnen Hallen in einem Gleis an der Ausfahrt auf der Nordstraße endeten.

© Stefan Faßbender – Ehemalige Gleisanlagen auf dem früheren Buckau Wolf Gelände im August 2023

Der Streckenabschnitt auf der Fahrbahn der Nordstraße ist heute beseitigt. Im gezeigten Grünstreifen verlief das Gleis in Richtung Erftwerk und der Hauptstrecke Köln – Mönchengladbach. Das Gleis ist dort nur noch in Teilabschnitten zu finden. Hinweisen möchte ich auch noch auf die Überbleibsel einer vermutlichen Signalanlage für die Lokomotivführer vor der Hauswand rechts im Bild. Auf der Nordstraße gab es meines Wissens keine Schranken. Ob dort Signalanlagen oder lediglich Andreaskreuze für die Sicherheit des übrigen Straßenverkehrs standen, konnte ich bisher nicht herausfinden.

© Stefan Faßbender – Anschlussgleis Maschinenfabrik Buckau Nordstraße im August 2023

Bis vor wenigen Jahren waren die Schienen noch auf der Straße zu sehen.

© StA Grevenbroich, Fotobestand Nr. 17 – „Bahnübergang“ Nordstraße in den 1990er Jahren
© StA Grevenbroich, Fotobestand Nr. 17 – „Bahnübergang“ Nordstraße in den 1990er Jahren

Auf der unten dargestellten Luftaufnahme erkennt man wunderbar die „geschwungene“ Strecke entlang der Gilbachstraße.

© StA Grevenbroich – „Bahnübergang“ Nordstraße um 1960
  1. Bahnübergang Maschinenfabrik Buckau Wolf und Gasanstalt – Lindenstraße:

An dieser Stelle möchte ich noch auf einen „Bahnübergang“ auf der Lindenstraße hinweisen, den ich durch Zufall bei der Sichtung des Kartenmaterials entdeckt habe. Die Stelle wurde auf der Originalkarte mit einem Pfeil versehen. Diese Gleise führen eindeutig vom Buckau Wolf Gelände über die Lindenstraße auf die gegenüberliegende Seite. Hierzu sind leider keinerlei Informationen oder Fotos im Stadtarchiv zu finden. Auch die hiesigen Heimatforscher konnten mir bisher nicht beantworten, welchen Zweck dieser Streckenteil hatte. Ich selbst vermute, dass es Gleise zu der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gasanstalt auf der heutigen Zedernstraße waren und man so über die Werksgleise der Maschinenfabrik Buckau Wolf auch einen Zugang zu der Hauptstrecke Köln – Mönchengladbach hatte. In der Gasanstalt verwendete man die Technik der Kohledestillation, um aus Steinkohle Gas herzustellen. Die benötigten Kohlevorräte wurden sicherlich nicht per Fuhrwerk oder Lastkraftwagen zu dieser Fabrik gebracht. Sollte jemand Informationen oder sogar Bilder dazu haben, würde ich mich sehr freuen, wenn man Kontakt zu mir oder auch dem Stadtarchiv aufnehmen würde.

© Stefan Faßbender – Teilausschnitt aus einer Karte um 1940, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Teilausschnitt aus einer Karte um 1940, erstellt mit tim-online.nrw.de
  1. Bahnübergang Zeppelinstraße:

Wie oben bereits beschrieben, wurden die Anschlussgleise der Zuckerfabrik Wevelinghoven und der Maschinenfabrik Buckau Wolf kurz vor der früheren Zeppelinstraße zusammengeführt. Bedingt durch die zur Verfügung stehenden Freiflächen wurde zur Beseitigung des Bahnübergangs Lindenstraße (Nr. 4) keine „unterirdische“ Streckenführung für Autos erstellt, sondern man baute eine Art „Hochstraße mit Brücken“. Allerdings kann ich mich nicht daran erinnern, dass nach dem Bau der Brücke dort jemals Züge aus der Maschinenfabrik Buckau Wolf oder Zuckerfabrik Wevelinghoven verkehrt sind. Heute kann man nur noch Reste dieser Bahngleise finden. Auf der heute zugewucherten Fläche wurden die Gleise zusammengeführt.

© Stefan Faßbender – Brücke für die Gleisanlage in Richtung Nord- und Gilbachstraße im August 2023
© Stefan Faßbender – Brücke für die Gleisanlage in Richtung Erftwerk im August 2023

Im weiteren Verlauf führte das zusammengeführte Gleis über den „Bahnübergang“ der alten Zeppelinstraße in Richtung Erftwerk. Dort war sie dann mit der Hauptlinie Köln – Mönchengladbach verbunden. Auch hier gab es keinen richtigen Bahnübergang, sondern lediglich eine Signalanlage (Reste, rechts im ersten Bild), die bei Bedarf den Verkehr stoppte. Zwischen der oben gezeigten und der nachfolgenden Brücke ist die Gleisanlage noch vorhanden. Sie endet jedoch abrupt unter der zweiten Brücke wie man auf den Bildern sehen kann.

© Stefan Faßbender – Reste der Signalanlage auf der rechten Seite im August 2023
© Stefan Faßbender – Das Gleis auf der ehemaligen Zeppelinstraße in Richtung Erftwerk im August 2023
© Stefan Faßbender – Das Gleis auf der ehemaligen Zeppelinstraße in Richtung Nordstraße im August 2023

Der dritte und letzte Teil dieser Beitragsreihe wird in der nächsten Woche veröffentlicht.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

(Längst vergessene) Bahnübergänge in Grevenbroich – Teil 1

Der heutige Beitrag richtet sich vorrangig an die Generation 1990+, die mehr als nur ein verändertes Bild ihrer Heimatstadt vorfinden als jene Generationen, die zuvor aufgewachsen sind. Natürlich dürfen sich aber auch die Älteren an den Bildern und dem Text erfreuen und viele Erinnerungen wachrufen lassen. Früher sagte man: „In Grevenbroich kann man keinen Banküberfall ausführen, da Grevenbroich innerhalb von Minuten durch die Schließung der Bahnübergänge absolut abgeriegelt wäre. Hier kommt niemand mehr rein oder raus!“. Dies galt allerdings nur – eingeschränkt – bis Ende der 1970er Jahre, da es eine „Fluchtmöglichkeit“ über Wevelinghoven gab. Dort allerdings nur, wenn man sich gut auskannte, denn eine Umfahrung von Wevelinghoven über die K 10 (Bau Ende der 1970er Jahre) und L 361 (Bau Ende der 1980er Jahre) war erst nach Fertigstellung dieser Straßen möglich.

Bis zur Mitte der 1990er Jahre mussten sich Autofahrer, Fahrradfahrer und auch Fußgänger in Geduld üben, wenn sie die Innenstadt besuchen bzw. verlassen wollten. Obwohl die Verkehrsbelastung in diesem Jahrzehnt sicherlich nicht so hoch war wie heute, hatte jeder das Gefühl, ständig und immer vor irgendeinem Bahnübergang zu stehen. Gerade zu den Stoßzeiten war jeder der großen Bahnübergänge auf der Lindenstraße, Rheydter Straße und Auf der Schanze eine Geduldsprobe für jeden Grevenbroicher.

Dieter Schlangen schrieb 1997 hierzu: „Nachdem die Todeskurve an der Unterführung Düsseldorfer Straße entschärft und die Brücke im Jahre 1990 durch einen Neubau ersetzt worden war, setzten die Verantwortlichen in Rat und Verwaltung der Stadt Grevenbroich auf die Beseitigung der schienengleichen Übergänge B 59, Rheydter Straße und Auf der Schanze. Am 5. Dezember 1991 z. B. – es war ein normaler Wochentag – musste die Bahnschranke in 24 Stunden 145-mal geschlossen werden. Im Schnitt blieb der Bahnübergang Rheydter Straße pro Stunde für 20 Minuten geschlossen, in der Rush-Hour gar 30 Minuten. Die Folge war zwangsläufig lange Fahrzeugschlangen, wartende und ihren Unmut äußernde Fußgänger und Radfahrer.“ (Dieter Schlangen, Die eiserne Bahn, Grevenbroich-Elsen, 1997, S. 235)

Die nachfolgenden Karten aus den verschiedenen Jahrzehnten zeigen sowohl die Bahnstrecken (gelb = Mönchengladbach – Köln; rot = Neuss – Düren), die vier nicht mehr vorhandenen Bahnübergänge (blaue Punkte) und das Straßenbild rund um die Stadt Grevenbroich. [Hinweis: Die ursprüngliche Strecke Neuss – Düren gibt es heute nicht mehr. Der Personenverkehr auf dem 21 km langen Abschnitt zwischen Düren und Bedburg wurde 1995 eingestellt. In den Jahren 1996 und 1997 wurde dieser Abschnitt stillgelegt und wegen des Tagebaus Hambach abgebaut.] Alle Bilder dieser Beitragsreihe lassen sich in einem separaten Fenster öffnen und entsprechend vergrößern.

© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 1940, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 1990, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 2023, erstellt mit tim-online.nrw.de
  1. Bahnübergang Rheydter Straße:

Beginnen möchte ich mit dem größten und ältesten Bahnübergang auf der Rheydter Straße. Dieser Bahnübergang prägte mehr als 100 Jahre das Leben zwischen Elsen und der Grevenbroicher Innenstadt. Der Bahnübergang und der Bahnhof lagen über Jahrzehnte auf dem Gebiet der damals noch selbstständigen Gemeinde Elsen. Erst mit der Eingemeindung des Bahnhofviertels zum 1. Juli 1898 gelangte Grevenbroich in den Besitz eines Bahnhofes mit dem dazugehörigen Bahnübergang. In der Elsener Schulchronik ist dazu folgender Absatz zu finden: „Mit dem 1. Juli ist endlich die lang schwebende Eingemeindungs-Angelegenheit zum Abschluss gekommen. Darnach gehört fortan zu Grevenbroich: die Elsener Mühle, der Bahnhof, soweit das Eigentum der Eisenbahn reicht, ferner alle Häuser zwischen Grevenbroich und dem Übergang der Eisenbahn. Grevenbroich hat der Gemeinde Elsen dafür eine Entschädigung von 8000 M jährlich zehn Jahre lang zu zahlen, eine Kleinigkeit, wenn man bedenkt, dass Elsen bisher aus dem abgetretenen Gebiet mehr als das Doppelte an Gemeindesteuer bezog.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elsen, Nr. 222, S. 109)

Nachfolgend werden Bilder vom Bahnübergang Rheydter Straße in Richtung Innenstadt aus den unterschiedlichen Jahrzehnten dargestellt. Die Schlange der wartenden Autos zog sich in der Regel mehrere hundert Meter (manchmal bis zur heutigen Esso-Tankstelle) die Straße hinauf. Oft traf einen das „Übel“, auf die Öffnung der Schranken zu warten, auch zweimal, da die Züge aus Mönchengladbach bzw. Köln wegen Verspätung auch noch mit einer unterschiedlichen Taktung fuhren. Ich danke Herrn Nieveler für das einzigartige Bild, welches die Stausituation im zweiten Bild eindrucksvoll darstellt. Zu dieser Zeit war auch der ÖPNV keine Hilfe, wie der wartende Linienbus auf dem gleichen Bild zeigt.

© StA Grevenbroich, Fotobestand Nr. 17, – Postkarte Rheydter Straße in Richtung Stadtmitte um 1906
© Heinz Nieveler, Jüchen – Rheydter Straße in Richtung Stadtmitte um 1990
© Stefan Faßbender – Rheydter Straße in Richtung Stadtmitte im August 2023

Das älteste gefundene Foto des Bahnüberganges aus Grevenbroicher Sicht in Richtung Elsen stammt aus den Jahren des Ersten Weltkrieges und wurde mir dankenswerterweise von Herr Jürgen Larisch zur Verfügung gestellt. Es stellt „Potze Jupp“ dar. Vermutlich war er ein zur Bahnwache abgestellter, auswärtiger Soldat, denn in den zugänglichen Standesamtsregistern ist bisher keine Person mit diesem Namen zu finden. Ein großer Dank geht auch an Herrn Heinz Mindt, der mir ein Foto aus den 1980er Jahren zur Verfügung stellte, das den Bahnübergang aus fast gleicher Perspektive darstellt. Die Luftaufnahme zeigt in beeindruckender Weise den Bahnübergang, die enorme Anzahl von Gleisen des Güterbahnhofes, den Silo der Firma Quäker und die 1877 von Heinrich Uhlhorn errichtete Dampfwalzenmühle. Die Stausituation in Richtung Elsen ist nochmals auf dem Foto von Michael Reuter zu sehen.

© Jürgen Larisch – Bahnübergang Rheydter Straße im Ersten Weltkrieg
© Heinz Mindt – Bahnübergang Rheydter Straße in den 1980er Jahren
© StA Grevenbroich (Ausschnitt Luftbild) – Bahnübergang Rheydter Straße um 1960
© Archiv im Rhein-Kreis Neuss, Fotosammlung Michael Reuter – Stau in Richtung Elsen im Jahr 1993

Wie die Bahnübergänge auf der Lindenstraße und Auf der Schanze wurde dieser Bahnübergang im Rahmen der Neugestaltung der Stadt Grevenbroich zur Landesgartenschau 1995 beseitigt. Nach Eröffnung des Elsbachtunnels im Jahr 1994 wurde der Bahnübergang in den nächsten zwei Jahren durch einen Fußgängertunnel ersetzt. Übrigens war dort bereits in den 1960er Jahren eine sogenannte „Hochstraße“ ähnlich dem mittlerweile abgerissenen „Tausendfüßler“ in Düsseldorf geplant. Dieses Vorhaben stieß jedoch auf breite Ablehnung in der Bevölkerung und bei den Gewerbetreibenden in Grevenbroich.

© StA Grevenbroich, Fotobestand Nr. 17- Bahnübergang Rheydter Straße um 1994
© StA Grevenbroich, Fotobestand Nr. 17 – Bahnübergang Rheydter Straße um 1994

Der heutige Elsbachtunnel ist in den 1990er Jahren entstanden und ermöglicht ein schnelles Erreichen der Innenstadt, wenn er nicht wegen sintflutartiger Regenfälle geschlossen werden muss und man „wieder mal“ vor geschlossener „Schranke“ stehen muss 😉. Die nachfolgenden Abbildungen zeigen den Verlauf (grün) des Elsbachtunnels anhand von zwei Karten aus den 1990er Jahren und dem Jahr 2023. Bis zur Erstellung dieses Beitrages war mir vollkommen entfallen, welche ungeheuerlichen baulichen Maßnahmen vorgenommen werden mussten, um dieses gewaltige Projekt zur Vollendung bringen zu können.

© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 1990, erstellt mit tim-online.nrw.de
© Stefan Faßbender – Gesamtübersicht nach einer Karte um 2023, erstellt mit tim-online.nrw.de
  1. Bahnübergang Graf-Kessel-Straße:

Einen kleinen, aber den meisten Grevenbroichern wohl nicht mehr bekannten und längst beseitigten Bahnübergang, möchte ich nachfolgend zeigen. Obwohl ich mit einigen, auch ehemaligen Anwohnern gesprochen habe, kann mir niemand genau sagen, in welchem Jahr dieser Bahnübergang beseitigt wurde. Die Schätzungen gingen von Ende der 1970er bis in die 1990er Jahre. Er war wohl einfach irgendwann mal weg?! Dieser befand sich am Ende der Graf-Kessel-Straße, wo diese heute mit einem Wendekreis endet.

© Stefan Faßbender – Wendekreis Graf-Kessel-Straße im August 2023

Von dieser Straßenseite sind leider keine historischen Aufnahmen zu finden, aber nachfolgende Bilder zeigen den kleinen und „unbedeutsamen“ Bahnübergang von der anderen Seite in Richtung Graf-Kessel-Straße. Auch hier danke ich Herrn Jürgen Larisch für die Zurverfügungstellung dieser einmaligen Aufnahme, auf der man sogar noch Häuser auf dem Schweidweg sehen kann. Heute ist eine solche Sicht nicht mehr möglich, da zum einen eine Schallschutzmauer die Sicht versperrt als auch jeglicher Baumbestand in den letzten 70 Jahren deutlich in die Höhe gewachsen ist. Ob dieser Weg nur von Fußgängern oder auch von Autos benutzt wurde, ist leider nicht bekannt. Auf dieser Seite befinden sich heute nur wenige Häuser und das Pascal-Gymnasium.

© Jürgen Larisch – Bahnübergang Graf-Kessel-Straße vermutlich in den 1950er Jahren
© Stefan Faßbender – „Bahnübergang“ Graf-Kessel-Straße im August 2023
  1. Bahnübergang Auf der Schanze:

Von dem ehemaligen Bahnübergang Auf der Schanze konnte ich bisher lediglich eine Luftaufnahme und ein Foto in Nahaufnahme ausfindig machen. Die Nahaufnahme wurde mir freundlicherweise von Herrn Christian Nies zur Veröffentlichung überlassen, der sie in den 1960er Jahren fotografiert hatte. Auch wenn am Bahnübergang Rheydter Straße zusätzlich der Zugverkehr zwischen Neuss und Düren verkehrte, dürfte die Anzahl der Schrankenschließungen Auf der Schanze ähnlich hoch gewesen sein, da dort sowie am Bahnübergang Lindenstraße (B 59) der Zugverkehr zwischen Köln und Mönchengladbach verkehrte. Die neue Unterführung wurde im Jahr 1993 feierlich eröffnet.

StA Grevenbroich (Ausschnitt Luftaufnahme) – Bahnübergang Auf der Schanze um 1960
© Christian Nies – Bahnübergang Auf der Schanze in Richtung Innenstadt in den 1960er Jahren
© Stefan Faßbender – Annähernd gleicher Aufnahmepunkt im September 2022
  1. Bahnübergang Lindenstraße:

Der letzte nicht mehr vorhandene Bahnübergang war auf der Lindenstraße (B 59) zu finden. Gerade zu Zeiten des Schichtwechsels beim Aluminiumwerk Erftwerk und Aluminiumwalzwerk Blattmetall bildeten sich dort oft Staus, die manchmal bis zu diesen Betrieben reichten. Umgekehrt reichten die Staus auf der Lindenstraße auch schon mal bis zur Polizeiwache. Auch hier war es ein „Glücksspiel“, ungehindert in die Innenstadt zu fahren oder diese zu verlassen. Im Gegensatz zu Auf der Schanze wurde dort lediglich eine Fußgängerunterführung gebaut. Bedingt durch die zur Verfügung stehenden Freiflächen wurde keine „unterirdische“ Streckenführung wie auf der Rheydter Straße (Elsbachtunnel) für die Autos erstellt, sondern man baute eine Art „Hochstraße mit Brücken“.

Zu diesem Bahnübergang sind Bilder aus drei Jahrzehnten erhalten geblieben und geben einen sehr guten Eindruck zu diesem Bahnübergang. Zu dieser Zeit stand das „Bahnwärterhaus“ (eine Blechhütte) noch auf der anderen Seite bevor es Ende der 1960er Jahre einem Neubau auf der anderen Straßenseite weichen musste.

© Stefan Faßbender – Bahnübergang Lindenstraße in der Mitte der 1960er Jahre
© Stefan Faßbender – Bahnübergang Lindenstraße in der Mitte der 1970er Jahre
© Stefan Faßbender – Bahnübergang Lindenstraße in der Mitte der 1970er Jahre

Mitte der 1980er Jahre hat der Bau der „Hochstraße mit Brücken“ angefangen. Die Baustelle bzw. die Baustellenfahrzeuge sind nachfolgend zu erkennen.

© Stefan Faßbender – Bahnübergang Lindenstraße Ende der 1980er Jahre

Heute findet man ein absolut verändertes Bild in diesem Bereich vor. Vielen Bürgern ist nicht mehr bewusst, dass es hier einen Bahnübergang gab. Lediglich auswärtige Autofahrer, die sehr veraltete Navigationsgeräte benutzen, „verirren“ sich manchmal noch dorthin und suchen vergeblich die Durchfahrt, die ihnen angezeigt wird. Bis vor wenigen Jahren stellten sowohl Papier- als auch Onlinekarten die Straßenführung in diesem Bereich noch falsch dar.

© Stefan Faßbender – Fußgängertunnel Lindenstraße/Erftwerkstraße im August 2023

© Stefan Faßbender – Filmsammlung 1955

© Stefan Faßbender – Filmsammlung um 1960

© Stefan Faßbender – Filmsammlung um 1960

© Stefan Faßbender – Filmsammlung um 1960

Der zweite Teil dieser Beitragsreihe erscheint nächste Woche.


Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Michaelskapelle bei Schloss Dyck

Michaelskapelle? Nein, hiermit ist nicht die sich noch heute im Schloss befindende Schlosskapelle gemeint.

© Michael Salmann – Kreuz von 1809 – hier stand bis etwa 1800 die Michaelskapelle

Die Michaelskapelle gibt es auch gar nicht mehr. Wo sie früher stand, finden wir heute in unmittelbarer Nähe zu Schloss Dyck ein altes steinernes Wegkreuz. An dieser Stelle kreuzen sich heute die Landstraße 32, die von Steinforth/Rubbelrath in Richtung Damm und Nikolauskloster führt, mit dem früheren Weg vom Schloss zum Nikolauskloster. Hier am ehemaligen Eingang zur alten Kastanienallee steht das Wegekreuz. Meist unbeachtet verbergen sich hinter diesem Ort jedoch einige interessante geschichtliche Details.

Betrachtet man das Kreuz genauer, liest man als Inschrift “Constantia, comitissa in Salm-Dyck, hanc crucem posuit anno 1809”. Übersetzt heißt dies „Constantia, Gräfin von Salm-Dyck, errichtet dieses Kreuz im Jahr 1809“.[1]

Constance Marie zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, 1767 als Constance de Théis im französischen Nantes geboren und 1845 in Paris verstorben, war eine französische Dichterin und Schriftstellerin. Während ihrer ersten Ehe (1789-1802) hieß sie Constance de Pipelet, durch ihre zweite Ehe mit Graf Joseph 1803 Gräfin, seit 1816 Fürstin zu Salm-Reifferscheidt-Dyck.[2]

Der Grund für die Errichtung des Kreuzes ist nicht bekannt. Möglicherweise war das Wegekreuz als Ersatz gedacht. Denn bis dahin hatte an dieser Stelle eine Kapelle gestanden, die sogenannte Michaelskapelle.[3]

1645 hatte Ernst Salentin von Salm-Reifferscheidt-Dyck die Herrschaft Dyck übernommen. Unter ihm begann noch in der Endphase des 30-jährigen Krieges eine eifrige Bautätigkeit. So entstanden unter anderem 1647 eine neue Scheune, 1650 eine neue Reitbahn, 1653 ein neuer Reitstall, eine Wachstube und ein Bräuhaus, von 1656 bis 1667 das Herrenhaus und von 1656 bis 1657 die Michaelskapelle.[4] Es wird berichtet, dass Ernst Salentin „frommen Sinnes vor dem Schlosse bei den 7 Bäumen die ansehnliche Michaels-Kapelle errichten ließ“.[5] Erst am 3. Februar 1680 wurde die erste heilige Messe in der Kapelle gefeiert. Die Kapelle erhielt reiche Stiftungen, wie u. a. alle Renten der Sebastianusbruderschaft oder die Renten der „ruinierten“ Kapelle in Neuenhoven. Die in der Herrschaft Dyck ausgestellten Testamente waren ungültig, wenn nicht gleichzeitig eine finanzielle Zuwendung an die Kapelle erfolgte.[6]

Über 140 Jahre wurde die Kapelle durch die Herrschaft Dyck begünstigt. Graf Joseph, später Fürst Joseph, der ein angesehener Botaniker war und den Park von Schloss Dyck und die berühmte Kastanienallee anlegte, beantragte 1795, die Michaelskapelle wegen Baufälligkeit abzubrechen.[7] Nach Angaben des Heimatforschers Jakob Bremer wurde die Kapelle vom 20. bis 22. Februar 1800 niedergelegt. Josephs damalige kritische Einstellung zur Religion war stark durch den Zeitgeist der Aufklärung und die Französische Revolution beeinflusst. Es heißt, dass Fürst Joseph sowohl die Michaelskapelle als auch die Fußfälle (Wegekreuze bzw. Kreuzwegstationen) im Geiste der französischen Säkularisierung zuerst verkommen[8] und 1802 wohl auch die meisten der sieben Fußfälle entfernen ließ. Diese wurden offenbar durch Linden mit angehefteten Kreuzen ersetzt.[9] Warum in Bedburdyck und Stessen jedoch insgesamt drei Fußfälle erhalten blieben, ist nicht bekannt.

Die Kapelle war früher auch Station einer durch das Dycker Ländchen führenden Bittprozession. In der Woche des Festes Christi Himmelfahrt fanden traditionell die meisten Bittprozessionen statt.[10] Eine Prozession führte morgens kurz nach 4 Uhr von Bedburdyck aus, über Stessen am Dycker Hahnerhof vorbei nach Neuenhoven. Dort wurde eine heilige Messe gefeiert. Nach der Einnahme eines kleinen Frühstücks zog man weiter über die Alte Landstraße, die sogenannte Brabanter Heerstraße, bis zum 1667 errichteten Schlicher Fußfall[11] und weiter zur Michaelskapelle. An der Michaelskapelle wurde erneut eine Messe durch einen der Patres des Nikolausklosters zelebriert.[12] Hier erreichte die Prozession, so ein historischer Bericht, ihren Höhepunkt. Die in der Nähe aufgefahrenen 12 Kanonen des Schlosses donnerten durch zwölf Schüsse dem Heiland in der Prozession ihren Salut entgegen, während gleichzeitig die Glocken des Nikolausklosters feierlich läuteten. Nach dem sakramentalen Segen zog die Prozession weiter über Damm, am Fußfall an der Dycker Windmühle vorbei, der vom Pächter des nahegelegenen Becherhofes festlich geschmückt wurde, zurück nach Bedburdyck.

Nach Abriss der Michaelskapelle um 1800 trat im Jahr 1812 der Bedburdycker Katharinenaltar der gleichnamigen Vikarie an die rechtliche Stelle der Kapelle. Dieser Vikarie wurden Eigentum, Pacht oder Abgaben zugeordnet, aus deren Einkünften die Bezahlung des jeweiligen Vikars und der Unterhalt des Altars bestritten wurden. Zwischen dem Kirchenvorstand von Bedburdyck und dem Grafenhaus wurde eine Vereinbarung getroffen, dass die zum Altar gehörigen Erbpächte als Eigentum des altgräflichen Hauses Salm-Reifferscheidt-Dyck anerkannt werden. Faktisch waren die Inhaber der Katharinenvikarie die Schlosskapläne von Dyck, was aber dazu führte, dass die Vikare ihre Tätigkeit in der Pfarrkirche häufig zugunsten der Tätigkeit bei Hofe vernachlässigten. Ab 1878 übernahm dann wieder die Bedburdycker Pfarrgeistlichkeit das Feiern der Gottesdienste in der Schlosskapelle. Später übernahmen die Patres vom Nikolauskloster den Messdienst in der Schlosskapelle.[13]

Michael Salmann für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

[1] https://www.historicum-estudies.net/epublished/netzbiographie/franzoesische-zeit/monumente/ (1.5.2020, 21.00 Uhr)

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Constance_zu_Salm-Reifferscheidt-Dyck (28.4.2023, 20.04 Uhr)

[3] Bremer, Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck, 1959, S. 532

[4] Bremer, Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck, 1959, S. 181

[5] Bremer, Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck, 1959, S. 73

[6] Bremer, Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck, 1959, S. 530

[7] Bremer, Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck, 1959, S. 532

[8] Bremer, Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck, 1959, S. 531f.

[9] https://www.historicum-estudies.net/epublished/netzbiographie/franzoesische-zeit/monumente/ (15.5.2020, 21.43 Uhr)

[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Bittprozession (1.5.2020, 21.04 Uhr)

[11] Archiv im Rhein-Kreis Neuss, S 029 / Vellrather Hof (Hemmerden), Nr. 048; https://www.archive.nrw.de/archivsuche (19.6.2022, 15.21 Uhr)

[12] Bremer, Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck, 1959, S. 181 u. S. 529

[13] Clancett/Funke, Festschrift zum 40-jährigen Bestehen der Heilig-Geist-Kapelle zu Aldenhoven, 1998

Was geschah am 14. Juni 1959 auf dem Grevenbroicher Marktplatz?

© Stefan Faßbender – Grevenbroicher Marktplatz am 14. Juni 1959
© Stefan Faßbender – Grevenbroicher Marktplatz am 14. Juni 1959

Landete dort ein Flieger?

Oder stürzte ein Flieger gar ab?

Fragen, die sich der Autor spontan bei der Sichtung von altem Super-8-Film-Material seines Großvaters stellte. Zum Glück ist dergleichen nicht passiert. Es handelte sich lediglich um eine Segelflieger-Taufe, wie die genaue Betrachtung des Filmausschnittes ergab.

Da in dem Film auch das Datum genannt war, konnten mit Hilfe des „Archiv im Rhein-Kreis Neuss“ in Zons, welches eine hervorragende Zeitungssammlung besitzt, die entsprechenden Veröffentlichungen schnell gefunden werden.

© Archiv im Rhein-Kreis Neuss – Sammlung NGZ vom 15. Juni 1959

Danach wurde ein Segelflugzeug vom Typ „Rhönlerche“ seiner Bestimmung übergeben. Der im Jahr 1957 gegründete Luftsportverein „Erftland“ ehrte damit den bekannten Grevenbroicher Luftsportförderer Theodor Vinken (*1893 in Mönchengladbach, †1935 in Grevenbroich). Mit einer symbolischen Enthüllung durch seine Ehefrau Theresia (geb. Linnartz) erhielt der Segelflieger den Namen „Theo Vinken Grevenbroich I“. Der damalige Luftsportverein „Erftland“ findet sich heute im Aero-Club Grevenbroich e. V. wieder.

© Archiv im Rhein-Kreis Neuss – Sammlung NGZ vom 16. Juni 1959

Auch wenn die NGZ von einer kleinen Feier spricht, dürfte eine Vielzahl von Grevenbroicher Bürgerinnen und Bürgern zu dem Ereignis anwesend gewesen sein, wie in dem Filmausschnitt zu sehen ist. Daneben sind auch das Haus Portz und die Bebauung am heutigen Standort des Bürgerbüros sehr gut zu erkennen. Vielleicht finden sich auch einzelne Personen oder Familien auf dem Film am Ende dieses Beitrages wieder. Auf jeden Fall wünsche ich viel Spaß bei der Zeitreise zurück in das Jahr 1959. Eine vollständige Zuordnung der einzelnen Festredner, konnte bisher nicht vorgenommen werden, da dem Autor vergleichbares Bildmaterial derzeit nicht vorliegt. Das Stadtarchiv Grevenbroich, der Geschichtsverein Grevenbroich und der Autor würden sich aber sehr über Rückmeldungen freuen.

Daher: Wer waren diese Personen?

© Stefan Faßbender – Wer war Redner Nr. 1?
© Stefan Faßbender – Wer war Redner Nr. 2?
© Stefan Faßbender – Wer war Redner Nr. 3?
© Stefan Faßbender – Wer war Redner Nr. 4?
© Stefan Faßbender – Wer war Redner Nr. 5?

Leider ist der Film ohne Ton, aber zumindest in Farbe.

© Stefan Faßbender – Filmsammlung 1959

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023