Der Kartoffelkäfer

Ein kleines Tier mit einer sehr interessanten und bedeutungsvollen Geschichte…

Eigentlich wollten der Geschichtsverein Grevenbroich und das Stadtarchiv Grevenbroich nur kurz zwei Fundstücke aus dem Wevelinghovener Archivbestand zeigen, aber „Geschichte“ kann so interessant und spannend sein, dass es nun doch wieder ein etwas längerer Beitrag zur Stadtgeschichte geworden ist.

Ursprünglich sollte nur dargestellt werden, dass Kinder auch in den großen Ferien zum „Zwangsdienst“ verpflichtet wurden und dies sogar von der Polizeiverwaltung angeordnet wurde.

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1945

Hierzu stand den „Kartoffelkäfersuchenden“ sogar ein Flugblatt bzw. eine Kartoffelkäfer-Fibel zur Verfügung, welche in Abbildungen den Unterschied zu den nützlichen Marienkäfern darstellte.

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1945

Noch interessanter wird diese „Kartoffelkäfer-Geschichte“ aber, wenn man sich den Verlauf der letzten Jahrhunderte näher anschaut. Die Kartoffel hatte ihren Ursprung in Lateinamerika und gelangte im 16. Jahrhundert nach Europa. Durch neue Forschungsergebnisse wurde mittlerweile belegt, dass in Deutschland bereits 1647 Kartoffeln auf großen Feldern in Pilgramsreuth in Bayern erstmalig angebaut wurden. Bisher galt der 24. März 1756 mit dem Erlass des „Kartoffelbefehls“ durch Friedrich II. als Beginn des Kartoffelanbaus in Deutschland. Angeblich ließ der „Alte Fritz“ die Kartoffeläcker von Soldaten bewachen, um die Landbevölkerung neugierig auf die noch sehr unbekannte Feldfrucht zu machen, da man ja nur etwas „Wertvolles“ durch Soldaten bewachen lassen würde. Erst mit dem intensiven Anbau konnten die größten Hungersnöte in Deutschland eingedämmt werden.

Da die Grevenbroicher Schulchroniken erst in den 1870er Jahren beginnen, ist über den Beginn des Kartoffelanbaus in Grevenbroich selbst nichts zu finden. Der erste Eintrag findet sich am 29. Januar 1875 in der Schulchronik Elfgen und dies mit einer erschreckenden Vorahnung, was uns auch heute mehr als 150 Jahre später noch immer beschäftigt.

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 1, Sig. 214, Seite 56

„Im Reichstage zu Berlin wird das von Dr. Buhl vorgelegte Gesetz, betreffend Maßregeln gegen die Reblaus Krankheit (Phylloxera vastatrix), genehmigt. Man befürchtet allgemein die Einschleppung des Coloradokäfers aus Nordamerika (Doryphora decemlineata) desgl. der Motten Peronosfrera infestans und Bryotropha solanella.“

Tatsächlich dauerte es keine drei Jahre, bis der erste Coloradokäfer in Deutschland nachgewiesen werden konnte, der nun den Nahrungsmittelbedarf sowohl auf dem Land als auch in den Städten gefährden würde.

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 1, Sig. 214, Seite 91

„Juni 21. In Mülheim a. Rhein, auf dem Kartoffelacker eines Metzgers, der amerikanisches Fleisch verkauft, zeigt sich der Kartoffelkäfer (Doryptroca Decemlineata) wohl der erste Fall auf europäischem Boden. Kartoffelbau sehr gefährdet.“

Da vor 100 Jahren noch keine Chemie zur Bekämpfung der Käfer eingesetzt werden konnte, versuchte man durch gezieltes Aufsammeln der Käfer dieser Plage Herr zu werden. In vielen der verschiedenen Ortsschulchroniken lassen sich Einträge finden, in denen insbesondere Schüler und Schülerinnen für diese Arbeit herangezogen wurden. Exemplarisch werden hierzu vier Einträge wiedergegeben.

14.5.1936. Tagung der Schulleiter im Saale Breuer – Grevenbroich unter Leitung von Herrn Kreisschulrat Scheuten, der seine Lehrer „Kameraden“ anredete. Er konnte von frohem, verantwortungsbewussten Schaffen in den Schulen seines Bezirks, des Schulaufsichtsbezirks Grevenbroich – Neuss I berichten und weckte durch seine aufmunternden, arbeitsbegeisternden Worte neuen Eifer. […]. Landwirtschaftsrat Hömberg sprach über den Kartoffelkäfer, der vor unseren Grenzen stehe. (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, Sig. 217, Seite 115f.)

Am erschreckendsten dürfte hierbei der Eintrag aus der Schulchronik Kapellen vom Mai/Juni 1944 sein, da die Kinder trotz großer Gefahr noch immer auf die Felder geschickt wurden.

StA Grevenbroich, Schulchronik Kapellen, Sig. 366

„Die Angriffe der Feinde mehren sich in den Monaten Mai u. Juni. Feindliche Tiefflieger zeigen sich und greifen die Bevölkerung auf den Feldern mit ihren Bordwaffen an. Es ist deshalb das Verbot ergangen, daß bei Arbeiten auf den Feldern durch die Schulkinder, klassenweise nicht mehr erfolgen darf. Bei der Kartoffelkäfersuche sollen nicht mehr als 6 Kinder herangezogen werden.“

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs löste die Sichtung von Kartoffelkäfern wohl Panik aus, wie nachfolgender Eintrag zeigt: „Die Schanzer hatten unsere Felder und Gärten durchwühlt. Mädchen und Frauen hatten sie zuwerfen müssen. […]. Jetzt sollen die Schulkinder der oberen Jahrgänge den Rest der Gräben einebnen. Täglich lassen wir seit dem 23. Mai 45 die größeren Kinder zur Schule kommen. Die Mädchen suchen Frühkartoffelfelder nach dem Kartoffelkäfer ab, die Jungen räumen an der Schule auf. Zu allem Überfluss tritt der Kartoffelkäfer sehr zahlreich auf. Am 13. Mai 1945 brachte der Schüler Hans Müller einen Käfer zu mir. Ich alarmierte den Ortsbürgermeister Wolff, und als ich zurückkam, brachten Schuljungen, die ich unterwegs angetroffen hatte, 28 Stück. Seitdem ist Elfgen im Alarmzustand. Das hat uns gerade noch gefehlt!“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 5, Sig. 218, Seite 248)

„Juni 1945. Die Schulen unseres Kreises waren noch immer geschlossen. Vom Herrn Schulrat Sasse aus Grevenbroich kam nun das erste Rundschreiben an die Schulen. – Die Lehrer wurden aufgefordert, die Kinder zu sammeln und sie mehrmals wöchentlich zu Heilkräutersammeln und Kartoffelkäfersuchen auf die Felder zu führen. (StA Grevenbroich, Schulchronik Hülchrath, Sig. 360)

Sehr interessant ist die Sicht auf den Kartoffelkäfer während der beiden Weltkriege sowie während des Kalten Krieges. Der Kartoffelkäfer als „biologische“ Waffe?! Im Ersten Weltkrieg dachten die Deutschen, dass die Franzosen mit einer gezielten Vermehrung des Schädlings die Lebensmittelversorgung im Deutschen Reich gefährden wollten. Im Zweiten Weltkrieg beschuldigten sich England und Deutschland gegenseitig über dem jeweiligen Gebiet Kartoffelkäfer abzuwerfen, was jedoch bisher nicht belegt werden konnte. Allerdings kann belegt werden, dass die deutsche Wehrmacht 1943 rund 14.000 Kartoffelkäfer bei Speyer in der Pfalz aus einer Höhe von 8.000 Metern abwarf, um zu überprüfen, ob sie überleben würden. Der Versuch war „erfolgreich“! Während des Kalten Krieges wurde in der DDR gezielt das Gerücht verbreitet, dass die Westmächte Kartoffelkäfer über der DDR abwerfen würden, um die Landwirtschaft zu schwächen und die Lebensmittelversorgung zu gefährden. Belege hierzu sind jedoch in Archiven bisher nicht zu finden. (Quelle: https://www.iva.de/iva-magazin/schule-wissen/kartoffelkaefer-ein-schaedling-mit-geschichte; Abruf am 10.04.2023 um 12.41 Uhr)

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Vor 375 Jahren: Die Schlacht bei Wevelinghoven

Vielen Einwohnern des Rhein-Kreises Neuss dürfte kaum bekannt sein, dass die letzte Schlacht des Dreißigjährigen Krieges hier im Kreis stattfand. In der sogenannten „Schlacht bei Wevelinghoven“ oder auch „Schlacht bei Grevenbroich“ unterlagen die Katholisch-Kaiserlichen am 14. Juni 1648 den protestantischen Truppen aus Hessen-Kassel. Die Hessen unter General Johann von Geyso waren als Besatzungsmacht in Neuss stationiert gewesen. Südlich davon im kurkölnischen Gebiet hatten die Kaiserlichen unter Feldmarschall Guillaume de Lamboy gestanden. Das Herzogtum Jülich-Berg war neutral. Als hessische Truppen mit 3.500 Mann und 5 Kanonen in Richtung Grevenbroich, das zu Jülich gehörte, zogen, fürchtete Herzog Wolfgang Wilhelm von Jülich, dass eine Besetzung Grevenbroichs durch die Hessen von den Kaiserlichen zum Anlass genommen würde, die Neutralität Jülich-Bergs für nichtig zu erklären.

Abb. 1: Schlachtfeld der Schlacht bei Wevelinghoven

Der Herzog von Jülich erbat von Geyso eine Erklärung, dass Grevenbroich geschont werde. Die Hessen verzichteten daraufhin auf eine Besetzung Grevenbroichs. Lamboy aber zog mit 7.000 Mann und elf Kanonen heran und stand am 13. Juni vor dem Lager der Hessen. Diese stellten sich jedoch nicht zur Schlacht, sondern zogen sich in ein bereits zuvor eingerichtetes Lager zwischen Grevenbroich und Wevelinghoven zurück, um dort die Erft in Richtung Neuss zu überschreiten. Die Kaiserlichen zogen hinterher, um ihnen den Rückzug und den Nachschub abzuschneiden. Diese Absicht wurde jedoch von Geyso vorausgesehen  und er erwartete die Kaiserlichen in Schlachtaufstellung.

Abb. 2: Ausschnitt mit (v. l.) Grevenbroich und Wevelinghoven

Am 14. Juni 1648 um fünf Uhr morgens stießen die beiden Armeen aufeinander. Trotz fast doppelter Überlegenheit mussten sich die Kaiserlichen nach fünfstündigem Gefecht vernichtend geschlagen zurückziehen. 1.500 Mann gerieten in Gefangenschaft, 1.000 starben. Die Kaiserlichen wurden bis nach Zons verfolgt. Sechs der elf Kanonen wurden erobert. Die Verluste der Hessen werden mit 168 Soldaten angegeben. Auf einer erhalten gebliebenen Karte mit einer Schlachtbeschreibung ist zu sehen, dass der kaiserliche Obrist von Plettenberg mit 200 Mann Kavallerie versucht hatte, das Lager der Hessen durch das Dorf Wevelinghoven von der Erft her seitlich anzugreifen. Die Hessen schossen jedoch mit 200 Arkebusen, Vorläufern der späteren Musketen, auf die Angreifer und trieben sie in die Flucht. Offensichtlich wurden bei den Kämpfen auch Teile von Wevelinghoven, vermutlich Häuser an der Straße „An der Obermühle“ beschossen, wobei Häuser in Flammen aufgingen.

Das Schlachtfeld befand sich südlich von Wevelinghoven, zwischen Wevelinghoven und Haus Busch entlang der heutigen Landstraße 142/L361, die von der Grevenbroicher Südstadt nach Langwaden führt. Vermutlich dürften daher auch südwestliche Teile des heutigen Wevelinghovens auf Bereichen des ehemaligen Schlachtfeldes erbaut worden sein.

Berichtet wird weiter und ist auch auf der Karte eingezeichnet, dass bei diesem Gefecht die kaiserlichen Reiter in die Erft getrieben wurden, wo zahlreiche Soldaten ertranken; die restlichen Reiter flüchteten über die Erft in nordwestliche Richtung auf „dem Weg nach Wickrath und Erkelenz“.[1] Diese Strecke führte geradewegs über Noithausen, Bedburdyck, Gierath und Stessen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass man dort und in den umliegenden Dörfern den Kanonendonner hörte und die Truppen unter anderem durch die genannten Dörfern zogen.

Die verlorene Schlacht veranlasste Kaiser Ferdinand III. zu weiteren Zugeständnissen bei den zu diesem Zeitpunkt bereits laufenden Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück.[2] Wenige Monate später wurde am 24. Oktober 1648 in Münster und Osnabrück der Westfälische Frieden unterzeichnet, dessen 375. Jubiläum in diesem Jahr in beiden Städten gefeiert wird.

Abb. 3: Kartenansicht des Geländes auf dem Preußischen Urkataster von 1836/51[3]
Abb. 4: Gleiches Gelände – Luftaufnahme heute[4]

Zur Vertiefung und Ergänzung dieses Themas empfehlen wir den neuesten Band Nr. 26 “Wevelinghoven und die Marianische Bruderschaft”, der seit einigen Tagen in der Mayerschen Buchhandlung, im Stadtarchiv Grevenbroich, im Museum Grevenbroich, in der Genussfaktur Andreas Lang und beim Geschichtsverein erhältlich ist. Auf den Seiten 117 und 118 werden die Ereignisse rund um den 30-jährigen Krieg von Achim Kühnel noch detaillierter dargestellt.

Michael Salmann für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_bei_Wevelinghoven (15.11.2022, 19.20 Uhr)

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_bei_Wevelinghoven (13.4.2020, 6.54 Uhr)

[3] https://www.tim-online.nrw.de/tim-online2/ (7.4.2023, 10.39 Uhr)

[4] https://www.tim-online.nrw.de/tim-online2/ (7.4.2023, 10.39 Uhr)

Wusstet ihr eigentlich, dass Impfungen früher vielfach in den Schulen vorgenommen wurden?

In allen Grevenbroicher Schulchroniken sind dazu mehr oder auch weniger umfangreiche Informationen zu finden. Der Grund dafür dürfte an den zahlreichen seit dem 19. Jahrhundert eingeführten Gesetzen liegen, die auch als „Impfzwang und -pflicht“ angesehen werden konnten bzw. mussten.

Anmerkung: Bei diesem Beitrag geht es weder um das Pro und Kontra von Impfungen noch um eine Bewertung eines „Impfzwangs“. Diskussionen darüber werden umgehend unterbunden!

Nachdem ein Appell des Bayerischen Königs im Jahr 1807 sich gegen Pocken impfen zu lassen, auf wenig Resonanz in der Bevölkerung stieß, wurde kurzerhand ein Gesetz erlassen, dass sich alle über 3-Jährigen bis zum 1. Juli 1808 impfen lassen mussten. Die Pockenimpfpflicht sowie alle gesetzlichen Zwangsimpfungen wurden erst im Jahr 1983 aufgehoben.

Nachfolgend Beispiele aus Noithausen und Elfgen:

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, S. 188, Nr. 203
StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, S. 191, Nr. 203

„Die Impfung fand am 20.1. und am 24.2.1939 durch Herrn Medizinalrat Dr. Peretti in unserer Schule statt. Mit ganz geringen Ausnahmen – 2 Familien weigerten sich – wurden die Kinder vom 2. – 14. Lebensjahr geimpft.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Noithausen, Nr. 513

„Schutzimpfung. Am 8.10.47 wurde in der Schule die Schutzimpfung gegen Pocken von Herrn Dr. Massia vorgenommen.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Noithausen, Nr. 513

„Die Schulkinder wurden durch den Herrn Amtsarzt Ober-Medizinalrat Dr. Peretti am 15.5.47 gegen Scharlach und Diphtherie schutzgeimpft. Nach Feststellung eines Falles von schwerer ansteckender Tuberkulose wurde bei allen Kindern eine Voruntersuchung auf bazillentragende Kinder in die Wege geleitet, die 14 Kinder als verdächtigt feststellte und deren anschließende Röntgendurchleuchtung in allen Fällen positiv beurteilt wurde. Das sind bei 113 Schulkindern rund 12,4%. Diese erschreckende hohe Zahl liegt wohl in den Ernährungsverhältnissen begründet, denn von den 113 die Schule in Noithausen besuchenden Kindern stammen nur 5 Kinder aus 3 Vollselbstversorger Familien. Wegen Tuberkulose wurde ein weiteres Kind durch den Amtsarzt vom Schulbesuch entbunden und die gesamten Kinder der Schule unter dauernde ärztliche Kontrolle gestellt.“

Dass Schutzimpfungen wohl nötig waren, zeigt ein Beispiel aus Noithausen aus dem Jahr 1909 als es zu einer Masern-Epidemie kam und die Schule für ganze sechs Wochen geschlossen wurde.

StA Grevenbroich, Schulchronik Noithausen, Nr. 513

„Wegen einer im Orte heftig aufgetretenen Masern-Epidemie war die hiesige Schule vom 19. Mai bis 29. Juni geschlossen. Am 30. Juni wurde der Unterricht wieder aufgenommen.“

Zum Schluss aber auch noch etwas zum „Schmunzeln“, denn in früherer Zeit gab es auch „Verhaltungsvorschriften für die Angehörigen der Erstimpflinge“. Hier sollte das Augenmerk vor allem auf die §§ 3 bis 5 gelegt werden.

StA Grevenbroich, Best. Wevelinghoven, Nr. 1656, um 1900

„§ 3. Die Kinder müssen zum Impftermin mit reingewaschenem Körper und mit reinen Kleidern gebracht werden.

§ 4. Auch nach dem Impfen ist möglichst große Reinhaltung des Impflings die wichtigste Pflicht.

§ 5. Man versäume eine tägliche sorgfältige Waschung nicht.“

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Napoleonischer Soldat gründet Familie in Gustorf

Mein Vorfahre Peter Spindler

Bei der Suche nach seinen Vorfahren stößt man immer wieder an seine Grenzen. Im Allgemeinen bezeichnet der Genealoge – Forscher auf dem Gebiet der Genealogie, gemeinhin auch als Ahnen- oder Familienforscher bezeichnet – diese Grenzen als „tote Punkte“.

In Wikipedia werden „tote Punkte“ so definiert: „Als Toter Punkt wird in der Genealogie der Endpunkt einer Ahnenlinie bezeichnet, ab dem weitere Ahnen mit naheliegenden Methoden nicht ohne weiteres zu finden sind, aber begründete Hoffnung besteht, weitere Zusammenhänge aufzuklären.“

Vor vielen Jahren hatte ich einen solchen Punkt erreicht, als ich die Herkunft von Peter Spindler, den Vater meiner Vorfahrin Maria Magdalena Spindler aus Gindorf, nicht ermitteln konnte. Dies blieb viele Jahre so, bis ich mich im Arbeitskreis Familienforschung im Geschichtsverein Grevenbroich an der Verkartung von Kirchenbüchern aus Grevenbroich, Jüchen und Umgebung beteiligte. In zahlreichen Stunden erfassen Verkarter seit Jahren standesamtliche und Kirchenbucheinträge. Dadurch erhielt ich über das vom Arbeitskreismitglied Thomas Froitzheim entwickelte Programm Genius, welches alle Verkartungen der erfassten Orte aufnimmt, nun auf einmal Hinweise, die auf eine mögliche Herkunft von Peter Spindler hindeuteten.

Der Dom von Gustorf (erbaut 1872) im Jahr 1970.

© StA Grevenbroich, Nr. 17-GuKir-022

Verschiedene Informationen zum gesuchten Vorfahren, zu Ehepartnern, Kindern und auch Eltern erschlossen sich plötzlich. Der tote Punkt war überwunden.

Peter Spindler verstarb am 16.11.1840 in Gindorf 80-jährig und wurde am 20.11.1840 auf dem Friedhof in Gustorf beigesetzt. Er war dem Eintrag nach Witwer von Maria Magdalena Müller und stammte lt. Verkartung aus Rinzlingen. Einen Ort mit diesem Namen konnte ich jedoch nicht finden. Weitere Urkunden gaben hier weitere Hinweise, dass es sich möglicherweise um Rimlingen handeln könnte.

Mit Maria Magdalena hatte er – soweit ermittelbar – zwei Söhne und zwei Töchter, von denen jedoch drei entweder kurz nach der Geburt oder innerhalb des ersten Lebensjahres verstarben. Vorher war er mit Magdalena Schiffers verheiratet, mit der ebenfalls zwei Söhne und zwei Töchter hatte, von denen nach dem derzeitigen Forschungsstand nur die beiden Töchter das Erwachsenenalter erreichten. Eine der beiden war meine Urururgroßmutter Maria Magdalena Spindler. Die Taufurkunde des ersten Sohnes der noch unehelich geboren und am 24.2.1797 in Gustorf getauft wurde, weist den Vater Peter Spendeler als französischen Soldaten aus.

Taufe von Johann Anton Schiffers, illegitimer Sohn von Magdalena Schiffers und Peter Spendeler einem “milite gallico” = französischen Soldat am 24. Februar 1797 im Kirchenbuch von Gustorf (zum vergrößern Bild anklicken)

Er gehörte also offensichtlich der Armee Napoleons an. Truppen Napoleons hatten am 2. Oktober 1794 bei Jülich über die Österreicher in der zweiten Schlacht von Aldenhoven, der sogenannten Schlacht an der Rur[1], gesiegt und am 4. Oktober 1794 marschierten napoleonische Revolutionstruppen hier ein und besetzten das Dycker Land[2], Grevenbroich sowie das ganze Erzbistum Köln auf der linksrheinischen Seite. Als Hauptquartier wurde das nahe Dyck gelegene Kloster St. Nikolaus ausgewählt.

Die Heiratsurkunde mit seiner zweiten Frau Maria Magdalena Müller vom 12.7.1814 in Gustorf gab als Geburtsort Rimling an, der kirchliche Heiratseintrag vom 11.11.1797 in Gustorf mit seiner ersten Frau Magdalena Schiffers bestätigte die Herkunftsangabe.

Heiratseintrag von Peter Spendeler und Magdalena Schiffers vom 11. November 1797 im Kirchenbuch von Gustorf (zum vergrößern Bild anklicken)

Auch die Eltern Josef Spendeler und Anna Maria Cremer, letztere mit Wohnort in Rimling im Territorium Lothringen in der Diözese Metensis (Metz) werden genannt. Der Vater Josef Spendeler war zwei Jahre zuvor gestorben, wie sich bei weiterer Forschung herausstellen sollte. Weiterhin wird in der Urkunde geschrieben „facta prius a Satrapa in Liedberg figendi hic Domicilii venia“, was wohl frei übersetzt so viel bedeutet wie „vorher war er Verwalter auf der Festung Liedberg gewesen und hat dann hier Wohnsitz genommen“. Satrapa hat hier die Bedeutung von Statthalter, Amtmann oder Verwalter. Gustorf, Gindorf, die Güter Nanderath, Ingenfeld und Neuhöfchen sowie Gürath hatten bis zum Einmarsch der Franzosen zusammen mit Frimmersdorf den Dingstuhl Frimmersdorf im Amt Liedberg gebildet, welches zum Kurfürstentum Köln gehört hatte. Diese Verwaltung hielten die Franzosen noch bis 1798 bei. Daher könnte Peter Spendeler für die Verwaltung dieses räumlich von Liedberg getrennten Territoriums bis zur Neuordnung der Verwaltung und der Einrichtung von Bürgermeistereien um 1798 verantwortlich gewesen sein und dabei Magdalena Schiffers kennengelernt haben.

Auffällig war, wie sich im Laufe der Forschung herausstellen sollte, dass er zum Zeitpunkt der Heirat bereits fast 37 Jahre alt und Magdalena 34 Jahre alt war. Seine Lebenserfahrung könnte daher für eine höhere Funktion in der französischen Armee sprechen, denn einem jungen einfachen Soldaten würde man wohl kaum die Verwaltung eines so großen Verwaltungsbezirks anvertrauen.

Der Hinweis auf den Geburtsort Rimling in Lothringen ergab, dass es sich um das heutige rund 650 Einwohner zählende Dorf Rimling im Departement Moselle in der Region Grand Est in der Grenznähe zum heutigen Saarland, etwa 28 Kilometer südöstlich von Saarbrücken gelegen, handelte.

Eine wunderschöne Postkarte, die die Dorfstraße in Rimling darstellt, ist unter nachfolgendem Link zu finden. Aus rechtlichen Gründen darf diese hier nicht direkt abgebildet werden.

https://de.wikipedia.org/wiki/Rimling#/media/Datei:Rimling.jpg

Da für Rimling bereits Urkunden digital vorlagen, war eine Forschung deutlich leichter und es ließ sich feststellen, dass Peter Spendeler am 19.2.1761 in der dortigen Pfarrkirche als Sohn von Joseph Spindler und Regina Cremer getauft wurde.

Eine deutschsprachige Postkarte von Rimlingen in Lothringen mit Kirche, Dorfstraße und Pfarrhaus ist unter nachfolgendem Link zu finden. Aus rechtlichen Gründen darf auch diese hier nicht direkt abgebildet werden.

http://www.bitscherland.fr/Canton-de-Volmunster/Rimling/Images/Anciennes/rimling-vues-1905-1910.JPG

Weitere Tauf-, Heirats- und Sterbeeintragungen in Kirchenbüchern wurden gefunden und da diese wie die hiesigen in lateinischer Sprache verfasst wurden, waren sie leicht zu lesen.

Taufeintrag von Joseph Spindeler, Vater des französischen Soldaten in Gustorf, im Kirchenbuch Rimling (zum vergrößern Bild anklicken)

Zahlreiche Tauf-, Heirats- und Sterbeeintragungen wurden auf verschiedenen französischen genealogischen Seiten gefunden, so dass sich die Ahnenfolge bis zu den Urgroßeltern, in einem Fall sogar bis zu den Urururgroßeltern von Peter Spindeler bzw. Spendeler, also 6-fachen Urgroßeltern von mir, zurückverfolgen ließ. Die meisten Vorfahren ließen sich in der Nähe von Rimling sowohl auf französischer als auch auf deutscher Seite finden, so dass sich mein Stammbaum bei diesen Vorfahren teils bis um 1600 zurückverfolgen ließ. Die Spindler-Vorfahren stammten im Übrigen sogar ursprünglich aus Allmannsdorf bei Konstanz.

Michael Salmann für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

[1] Rixen, Otzenrath – Ein Heimatbuch, 1969

[2] Janssen/Kirchhoff/Wiegelmann, Elfgen und Belmen – Zwei Dörfer im Grevenbroicher Braunkohlengebiet

„Ablasshandel“ oder nur „Ein Funken Hoffnung“?

Heute möchte euch das „Netzwerk Kriegstote“ ein kleines, aber eher seltenes Kärtchen zeigen.

© Sammlung Stefan Faßbender
© Sammlung Stefan Faßbender

Mit Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg nahmen Luftangriffe auf deutsche Städte und Ortschaften ab Anfang 1943 immer mehr zu. Die deutsche Bevölkerung war im Grunde 24 Stunden der Gefahr eines Luftangriffes ausgesetzt, da die amerikanische Luftwaffe ihre Einsätze am Tage flog und die britische Royal Air Force (RAF) diese in der Nacht fortsetzte. In vielen Schulchroniken ist daher über die immer größer werdende Angst bei Überflügen zu lesen. Dies spiegelt sich auch in Zeitzeugeninterviews wider, in denen die Menschen zum Teil auch noch nach 80 Jahren mit sehr viel Unbehagen über diese Zeit sprechen.

In dieser Zeit erließ Papst Pius XII. ein Dekret, das den Gläubigen, die der ständigen Gefahr ausgesetzt waren, Opfer von Luftangriffen zu werden, den vollkommenen Ablass ihrer Sünden ermöglichte.

Leider ist über dieses Dekret oder das gezeigte Ablasskärtchen nichts in den uns zugänglichen Archiven zu finden, so dass wir nicht sagen können, ob dies Kärtchen in ganz Europa oder nur in Deutschland und Italien gedruckt wurde. Weiterhin ist auch nichts über dessen Verteilung bekannt. Wurde es z. B. während der Gottesdienste verteilt oder mussten die Gläubigen dieses sogar käuflich erwerben? Aber vielleicht können die vielen Geschichtsinteressierten in dieser Runde etwas zur Lösung des Rätsels beitragen, so dass evtl. eine bessere Einordnung stattfinden kann.

 

 

 

Die „Geschichte“ der Litfaßsäule in Grevenbroich

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Sig. 2018

Die klassische, heute in Vergessenheit geratene Litfaßsäule wurde von dem Berliner Drucker Ernst Litfaß (*1816 in Berlin, +1874 in Wiesbaden) erfunden. Definiert wurde sie als eine auf dem Gehweg von Straßen aufgestellte Anschlagsäule, an die Plakate geklebt wurden. Nicht nur heute, sondern auch schon damals gab es das Problem der Wildplakatierung. Um diesem Umstand entgegenzuwirken, genehmigte die Stadt Berlin Ende 1854 die Aufstellung einer sogenannten Annoncier Säule. Neben Werbung mussten auch die neuesten Nachrichten an den Säulen veröffentlicht werden. Leider wurden die Säulen auch zu Propagandazwecken in den Kriegen von 1870/71 und 1914/1918 sowie vom NS-Regime zwischen 1933 und 1945 intensiv genutzt. Da es sich bei Litfaß um einen Eigennamen handelt, wird sie auch weiterhin nach den neuen Rechtschreibregeln mit „ß“ geschrieben, obwohl diesem Buchstaben ein kurzer Vokal vorausgeht.

StA Grevenbroich, Grevenbroicher Zeitung 1922 – Werbeanzeige für eine Plakatsäule

Anfang der 2000er Jahre gab es in Deutschland vermutlich noch mehr als 50.000 Stück solcher klassischen und für uns „kultigen“ Säulen aus Beton und Blech. Im Laufe der letzten 20 Jahre sind sie jedoch fast aus unseren Stadtbildern verschwunden oder durch Moderne mit LED-Lichtern etc. ersetzt worden. Teilweise enthalten diese neuen Säulen auch ein „Innenleben“, um z. B. Stromverteiler zu verstecken, wie das nachfolgende Beispiel aus Amsterdam zeigt. In Karlsruhe wurde sogar ein öffentliches WC in einer Säule installiert.

© Horst Hübertz – Amsterdam

Leider sind keine verlässlichen Zahlen für einzelne Städte zu recherchieren bzw. schwanken so sehr, dass sie nicht dargestellt werden können. So gab es z. B. in Mönchengladbach im Jahr 2022 noch 187 Säulen, rund 50 weniger als im Jahr 2020. In der Großstadt Hamburg gab es im Jahr 2016 noch 525 Säulen, wovon acht Stück unter Denkmalschutz stehen, aber auch noch für Werbezwecke genutzt werden. Im Jahr 2008 wurden dort innerhalb von 50 Tagen rund 1.300 Säulen demontiert. In Köln beschloss man im Jahr 2019 200 Säulen abzureißen. Durch eine Petition von Bürgen konnten 25 Säulen als „Kunst an Kölner Litfaßsäulen“ gerettet werden. Dieses Projekt läuft noch bis 2029. In Berlin standen einst wohl die meisten Säulen in Deutschland. Heute genießen davon 24 Säulen Denkmalschutz.

Wann die erste Errichtung einer Annoncier Säule in Grevenbroich stattfand, konnte bisher nicht herausgefunden werden. Allerdings sind im Stadtarchiv Grevenbroich Unterlagen vorhanden, die belegen, dass es 1908 „bereits“ drei Plakatsäulen in Grevenbroich gab. Die genauen Standorte werden leider nicht genannt. In der damals noch eigenständigen Nachbargemeinde Wevelinghoven gab es 1909 vier Säulen. Auffallend in Wevelinghoven ist dabei der etwas höhere Preis der Anschlaggebühren gegenüber den Grevenbroicher Säulen. In Grevenbroich betrug die Gebühr für jeden Tag des Aushanges als 1/1 Bogen (63 cm Breite x 86 cm Höhe) nur 0,30 M (M = Reichsmark). In Wevelinghoven bereits 0,40 M. Vermutlich lag der höhere Preis in Wevelinghoven an der Anzahl der Säulen, die zum Bekleben zur Verfügung standen.

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Sig. 2018

Nachfolgend einige historische Aufnahmen aus dem Stadtarchiv Grevenbroich, auf denen Litfaßsäulen zu sehen sind und vermutlich nur beiläufig fotografiert wurden. Wer hat noch weitere Aufnahmen aus der Vergangenheit und würde sie dem Geschichtsverein Grevenbroich bzw. dem Stadtarchiv als Scan zur Verfügung stellen? Personen können ohne Probleme unkenntlich gemacht oder abgeschnitten werden, wenn eine Veröffentlichung dieser nicht gewollt sein sollte!

© StA Grevenbroich, Sig. 17-GVBrstr-0040 – Stadtmitte, Breite Straße – um 1910
© StA Grevenbroich, Sig. 17-GVBrstr-0010 – Stadtmitte, Breite Straße – um 1935
© StA Grevenbroich, Sig. 17-Gv.AdSch.0001 – Stadtmitte, Auf der Schanze – Jahr unbekannt
© AiRKN, Sig. 17-GP-0205 – Stadtmitte, Lindenstraße – in den 1930er Jahren
© Private Grevenbroicher Sammlung – Stadtmitte, Bahnhofsvorplatz – um 1960
© Christian Nies – Südstadt – Wöhlerstraße 1968
© StA Grevenbroich, Sig. 17-Weve-0046 – Wevelinghoven, Haus Burg – in den 1930er Jahren

Heute werden die verbliebenen Litfaßsäulen sehr unterschiedlich genutzt. Während es in anderen Städten auch noch sehr schöne Säulen gibt, die intensiv genutzt werden, zeichnet sich in Grevenbroich eher ein „trauriges“ Bild dieser Kultobjekte ab.

© Horst Hübertz – Amsterdam
© Heinz Herwagen – Bamberg

Im Stadtgebiet von Grevenbroich konnten bisher 18 Litfaßsäulen ausfindig gemacht werden. Wie oben bereits beschrieben, fristen diese aber eher ein tristes Dasein. Sie sind kaum plakatiert. Des Weiteren ist auf jeder Säule die gleiche Werbung zu sehen. Gibt es in Grevenbroich noch weitere?

Allrath:

© Rolf Esser – Allrather Platz

Barrenstein:

© Stefan Faßbender – Wevelinghovener Straße

Elsen:

© Stefan Faßbender – Rheydter Straße

Frimmersdorf:

© Heinz Otto Schnier – An St. Martin
© Heinz Otto Schnier – Erftstraße

Kapellen:

© Stefan Faßbender – Am Gather Hof
© Stefan Faßbender – Kurze Straße
© Stefan Faßbender – Stadionstraße

Neurath:

© Heinz Otto Schnier – Auf dem Goldacker
© Heinz Otto Schnier – Gürather Straße

Noithausen:

© Stefan Faßbender – Fröbelstraße
© Stefan Faßbender – Am Alten Hof

Orken:

© Stefan Rosellen – Noithausener Straße

Südstadt:

© Stefan Faßbender – Gustav-Lück-Straße
© Stefan Faßbender – Kolpingstraße
© Stefan Faßbender – Kolpingstraße
© Stefan Faßbender – Kolpingstraße

Wevelinghoven:

© Stefan Faßbender – Am Wehr

Der Geschichtsverein Grevenbroich dankt allen Beteiligten, die sich auf die Suche nach vorhandenen Litfaßsäulen gemacht haben bzw. uns auch Bilder zur Verfügung gestellt haben.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein, 2023

1931 – Das Jahr der Einbrüche in Grevenbroich

Nachdem wir vor einigen Wochen bereits über den „Ruchlosen Kirchenraub in Kapellen“ berichteten, möchten wir heute einen Einbruch in die Elsener Volksschule darstellen.

StA Grevenbroich, Schulchronik Elsen, Sig. 222

Bevor über den eigentlichen Diebstahl berichtet wird, soll zunächst die o. g. Steinfeier kurz erläutert werden, da eine solche Feier in Elsen sowohl dem Geschichtsverein als auch dem Stadtarchiv Grevenbroich bisher gänzlich unbekannt war. Mit dem Spürsinn von Cornelia Schulte, Vorstandsmitglied im Geschichtsverein und Mitarbeiterin im Stadtarchiv, konnten wir dieses Rätsel jedoch schnell lösen.

Bei der Feier „muss“ es sich um eine der reichsweiten Feiern anlässlich des 100. Todestages von Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein (*25.10.1757 in Nassau, +29.06.1831 in Cappenberg) gehandelt haben. Freiherr vom und zum Stein war preußischer Minister für Wirtschaft und Finanzen in Berlin und gilt auch heute noch als einer der bedeutendsten Staatsreformer in der deutschen Geschichte.

Ein in der Elsener Schulchronik abgelegter Artikel einer unbekannten Zeitung titelt in großen Buchstaben: „Einbruch in die Elsener Volksschule. Die Diebe erbeuteten die Instrumente des Schülerorchesters. Die Diebesbeute wieder herbeigeschafft.“

                „Grevenbroich-Elsen. In die Elsener Volksschule wurde in der Nacht von Freitag auf Samstag ein Einbruch verübt. Den Dieben fielen fast sämtliche Instrumente des Schülerorchesters, darunter auch die Geige des Lehrers, im ganzen vier Geigen und zwei Cellos, in die Hände. Der Diebstahl wurde erst Samstag morgen bemerkt, da das Orchester bei einer Feier spielen sollte. Die Diebe wurden am Samstagvormittag bei Poulheim [Pulheim b. Köln] gestellt. Die gestohlenen Instrumente konnten wieder herbeigeschafft werden.

                Zu der Ermittelung der Elsener Instrumentenräuber erfahren wir noch folgende Einzelheiten: Als ein Landjäger Samstag vormittag eine Streife durch die Feldmark bei Poulheim unternahm, sah er mit dem Feldstecher von ferne zwei schwer bepackte Radfahrer sich nähern. Da es erst 5.30 Uhr war, so vermutete der Beamte, daß es sich um Felddiebe handelte. Er fuhr daher mit seinem Fahrrad auf die […]“

[Anmerkung: Wer sich näher für das Thema Felddiebe und -hüter interessiert, dem empfehlen wir einen Beitrag unseres Arbeitskreises Familienforschung, der im Jahr 2020 hierzu einen Kurzbeitrag veröffentlicht hat. Der Beitrag ist unter: http://s139425345.online.de/der-beruf-des-feldhueters zu finden.]

[…] beiden Leute zu. Diese schlugen sofort eine andere Richtung ein, als sie bemerkten, daß der Beamte sich näherte. Sie benutzten einen schlechten Feldweg, auf dem sie kaum mit den Fahrrädern vorwärts kommen konnten. Ein Radfahrer verlor die Kette. Blitzschnell hatte der Mann den Schaden wieder behoben. Dann ging die tolle Jagd weiter. Als der Beamte sich den beiden etwas genähert hatte und diese auf seinen Halteruf nicht hörten, gab er einen Schreckschuß ab. Aber die Radfahrer hielten nicht. Nun wußte der Beamte, daß die beiden Leute kein reines Gewissen hatten. Einer von beiden hatte wieder eine „Kettenpanne“. Inzwischen war der Beamte bedeutend näher gekommen, da die beiden Radfahrer durch das lästige Gepäck sehr an ihrer Fahrt behindert wurden. Da entschlossen sich beide zu einer verzweifelten Maßnahme. Sie ließen ihre beiden Fahrräder samt dem Gepäck im Stich und flohen querfeldein. In einem Haferfeld konnte der Beamte ihnen noch folgen. Dagegen verlor er sie aus den Augen, als sie in ein Weizenfeld flüchteten.

                Da der Beamte vermutete, die Flüchtlinge würden sich bei einer weiteren Verfolgung wieder an ihre Räder heranmachen und ihn selber seines Fahrzeuges, das er am Weg zurückließ, berauben, ging er zum Wege zurück. Bei der Durchsuchung der Gepäckstücke fand er vier Geigen, die Cellos sowie größere Mengen Nahrungsmittel. Er brachte sämtliche […]“

[…] Fundstücke zum Bürgermeisteramt Poulheim. Gegen Mittag stellte sich heraus, daß es sich bei der Diebesbeute um die Instrumente des Elsener Schulorchesters handelte, die über die Nacht aus der Schule gestohlen wurden. Die Instrumente konnten der Schule wieder ausgehändigt werden. Die Fahrräder wurden sichergestellt. Es wird angenommen, daß die Einbrecher aus Köln stammen und die gestohlenen Sachen nach Köln schafen und dort bei einem Hehler absetzen wollten. Eine Beschreibung der Täter konnte gegeben werden, so daß Aussicht auf ihre Ermittelung besteht.“

Leider ergaben sich bisher keine weiteren Hinweise, ob die Täter jemals ermittelt wurden bzw. die Instrumente wieder rechtzeitig in Elsen waren, um den Schülern des Schulorchesters die Möglichkeit zu eröffnen, bei der Steinfeier mitzuwirken.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Bewegende Einweihungsfeier der Kasematte S76

 

© Netzwerk Kriegstote

Dank einer Einladung des Kessel-Komitees zum Zweiten Weltkrieg, durfte das „Netzwerk Kriegstote“, Luftschutzanlagen Rhein Kreis Neuss e.V. und Geschichtsverein Grevenbroich , an einer bewegenden Einweihungsfeier der Kasematte S76 und einer Gedenktafel in der idyllischen niederländischen Partnergemeinde der Stadt Grevenbroich in Kessel (Peel en Maas) teilnehmen.

© Netzwerk Kriegstote

Mit dieser Feier und Segnung des Denkmals wurde das Projekt „Kasematte S76 wieder sichtbar machen“ nach drei Jahren ehrenamtlicher Arbeit zum Abschluss gebracht. Schüler und Schülerinnen aus Kessel und dem Pascal Gymnasium enthüllten die Gedenktafel und legten Blumen zum Gedenken der acht niederländischen und sechs deutschen Soldaten, die in Kessel und Umgebung Opfer des Zweiten Weltkrieges wurden, nieder.

© Netzwerk Kriegstote

Die Kasematte wurde im Jahr 1939 als Teil der Maas-Linie zur niederländischen Landesverteidigung gebaut. Gleich am ersten Tag des Westfeldzugs, am 10. Mai 1940 geriet die Kasematte gegen 11:00 Uhr unter Beschuss von deutschen Granaten. Dabei schlug eine Granate durch eine Schießscharte in die Kasematte ein und explodierte im Inneren. Dadurch wurden zwei der drei niederländischen Soldaten schwer verletzt.

© Netzwerk Kriegstote

Anfang der 1950er Jahre versuchte man die Kasematte durch Sprengung zu beseitigen. Da dies nur unzureichend gelang, beschloss man sie lediglich mit Sand zu bedecken. Deshalb war sie in den nachfolgenden Jahrzehnten nur in wenigen Fragmenten sichtbar. Erst während der letzten drei Jahre wurden sie in mehr als 500 Stunden ehrenamtlicher Arbeit wieder freigelegt.

© Netzwerk Kriegstote

Wir vom „Netzwerk Kriegstote“ bedanken uns für die Einladung, den freundschaftlichen Austausch und die bewegende Feier zum Gedenken aller Opfer des Zweiten Weltkrieges. Um die Ängste und das Leid der jeweiligen anderen Nation besser zu verstehen, wurde das Kessel-Komitee zum Zweiten Weltkrieg zu einem Gegenbesuch nach Grevenbroich und Zons eingeladen. Gemeinsam möchten wir die Relikte in unserer Heimat, wie den Luftschutzbunker am Feldtor und den Mörser Topf an der Rosenstraße, besichtigen.

© Netzwerk Kriegstote

Wir freuen uns schon jetzt auf den kommenden Austausch! 😃

© Netzwerk Kriegstote

Grevenbroich ist schuldenfrei!

Dank einer großzügigen Spende eines Grevenbroicher Bürgers in Höhe von 50.000.000.000 Mark könnte die Stadt Grevenbroich nun auch Düsseldorf oder Köln kaufen. Nicht ganz, aber dennoch sollte es mal wert sein, auf die Geldentwicklung in den 1920er Jahren zu schauen.

StA Grevenbroich, Sammlung Stadtarchiv Grevenbroich

Grund für die Hyperinflation 1923 in der Weimarer Republik waren die Spätfolgen des Ersten Weltkriegs. Der Staat war bankrott und druckte, um dennoch seine Schulden bezahlen zu können, immer mehr Geld. Wegen verspäteter Reparationszahlungen besetzten die Franzosen das Ruhrgebiet, was die Lage noch mehr verschärfte, da durch passiven Widerstand und Streik, keine Waren etc. mehr hergestellt wurden, die Löhne an die Streikenden aber weitergezahlt wurden.

Der Elfgener Schulchronist schreibt hierzu am 1. Oktober 1923 sehr kritisch: „Seit Januar ds. J. sind die alliierten Truppen (Frankreich und Belgien), die auf Grund des Friedensvertrags von Versailles das Rheinland besetzt halten, auch in das Ruhrgebiet einmarschiert. Das deutsche Volk hat dieses neue Attentat auf seine Freiheit auf Wunsch und Befehl der deutschen Regierung nur mit dem passiven Widerstand beantwortet. Die Folge der außerordentlichen Maßregel ist eine ungeheure Stockung im wirtschaftlichen Leben des Rheinlandes gewesen, so daß der sonst so lebhafte Verkehr auf den Eisenbahnen völlig lahmgelegt ist. Die Fabriken und alle anderen großen Betriebe sind vielfach wegen Mangel an Kohlen und Rohstoffen zur Stilllegung gekommen, infolgedessen die Zahl der Arbeits- resp. Erwerbslosen in den besetzten Gebieten zu einem gewaltigen Heere angewachsen ist. Für diese arbeitslosen Scharen ist seitens der deutschen Regierung die sogenannte „Ruhrhilfe“ eingerichtet worden, die einem jeden Arbeiter die Möglichkeit gebracht hat, daß er mit seiner Familie einigermaßen das Leben fristen kann. Was aber der Allgemeinheit diese Ruhrhilfe unsympathisch gemacht hat, ist der Umstand, daß wenig oder fast gar nicht mehr gearbeitet wird, daß die Arbeiter systematisch zu Faulenzern und Tagedieben gemacht worden sind. Durch die lange bis jetzt neun Monate andauernde Außerdienststellung der Arbeiterschaft, die staatlicherseits hohe Unterstützung bekommt für ihr Nichtstun, ist dem deutschen Volksgeiste unberechenbarer Schaden zugefügt worden, der in vielen Jahren kaum zu heilen sein wird. Nun wird, da man eingesehen hat, daß er nicht zum Ziele führt, der passive Widerstand eingestellt. Die geldliche Unterstützung der Arbeiter soll aufhören, alle sollen zur Arbeitsstätte zurückkehren oder neue Arbeitsgelegenheit suchen. Was wird das in der Zukunft geben, da die Preise für die Lebensbedürfnisse zu fabelhafter Höhe emporgestiegen sind. So kosten gegenwärtig ein Herrenanzug 10 Milliarden Mark, ein Paar Schuhe 5 Milliarden, ein Pfund ausländischer Speck 130 Millionen, hiesiger Speck 200 Millionen, ein Pfund Rindfleisch 100 Millionen, ein Pfund Tabak 200 Millionen, eine Zigarre bis 30 Millionen, ein Glas Bier 10 Millionen und so ähnlich ist es mit allen Waren. Für ein Liter Milch zahle ich 25 Millionen Mark und für ein Pfund Butter 150 Millionen. Das sind Preise, die vom gewöhnlichen Manne nicht zu erschwingen sind, und darum ist die Stimmung unter dem Volke eine gedrückte und teilweise eine erregte, die sich besonders gegen die deutsche Regierung richtet, weil sie es nicht verstanden hat, die Verhältnisse erträglich zu gestalten. Aber auch unter den Beamten, zu denen ja auch die Lehrer gehören, herrscht vielfach Unstimmigkeit. Zwar sind in den letzten Monaten die Gehälter kolossal gestiegen. Sie rechneten in der letzten Zeit nach Millionen; jetzt gibt’s für mich schon ein Monatsgehalt von 10 Milliarden Mark. Aber man empfängt sie ohne Befriedigung und Freude; die Knappheit der Waren und der unerschwingliche Preis derselben bedingen es, daß man für sein Geld wenig oder gar nichts bekommen kann. Wo und wie wird das enden?! (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 2, Sig. 215)

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 2, Sig. 215

Ob man nun von einer „Überbezahlung“ von Lehrern sprechen kann, sei jedem Leser selbst überlassen. Allerdings war der Schulchronist Anfang 1924 froh darüber, nun wieder ein festes Gehalt von 200 Goldmark oder 200 Billionen Papiermark zu erhalten: „Endlich ist es unter den aufeinanderfolgenden Reichskanzlern Stresemann und Marx gelungen, unsere Papiermark einigermaßen zu stabilisieren, so daß jetzt eine Billion Papiermark gleich einer Goldmark gilt. Seit Januar 1924 erhalte ich an Monatsgehalt in runder Summe etwa 200 Goldmark oder 200 Billionen Papiermark.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 2, Sig. 215)

Nachfolgend noch einige Abbildungen Grevenbroicher Firmen und der Gemeinde Hemmerden, die mangels Geldscheinen, die Löhne nicht mehr zahlen konnten und daher Gutscheine als Zahlungsmittel drucken ließen.

Aus einer Grevenbroicher Sammlung.
Aus einer Grevenbroicher Sammlung.
Aus einer Grevenbroicher Sammlung.
Aus einer Grevenbroicher Sammlung.

Zur Vertiefung dieses Themas empfehlen wir den Band Nr. 20 des Geschichtsvereins, welcher auf den Seiten 107 bis 114 den Beitrag von Dr. Friedrich Schmitz „Das Notgeld in Grevenbroich in den Jahren 1917 – 1924“ mit weiteren Abbildungen und Informationen darstellt.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Der Kindesmord von Neuenhoven

1834 entzündete sich an dem ungeklärten „Neuenhovener Kindesmord“ ein Judenpogrom, wie es seit dem 14. Jahrhundert in der Region nicht mehr vorgekommen war. Seit dem 13. Juli 1834 vermissten die Eltern des fünfjährigen Peter Wilhelm Hoenen aus Neuenhoven ihren Sohn. Sie hatten ihn zum sonntäglichen Markt ins benachbarte Bedburdyck geschickt. Zwei Tage später wurde das Kind erstochen in einem Roggenfeld gefunden. Im amtlichen Obduktionsprotokoll gingen die Ärzte auch von sexuellem Missbrauch aus, ein Verdacht, von dem die Öffentlichkeit allerdings nichts erfuhr.

Sterberegister Kirchenbuch Bedburdyck, 1804-1847

Sterbeeintrag des 5-jährigen Peter Wilhelm Hoenen[1]

Da der Mord nicht aufgeklärt wurde, brachten Antisemiten das Gerücht in Umlauf, die Juden hätten das Kind getötet. Sie behaupteten, mit dem Blut des Jungen würden die jüdischen Gemeinden geheimnisvolle Opferriten zelebrieren. Dieses Ritualmord-Märchen stammte bereits aus dem Mittelalter. Ein Grund für seine Verbreitung mag auch noch im 19. Jahrhundert der Neid auf den wirtschaftlichen Erfolg der jüdischen Händler gewesen sein. Dieser Mord wurde zu einem Signal für ein Pogrom gegen Juden. Wie groß die Erregung war, zeigte sich an dem Auflauf in dem kleinen Neuenhoven, welches damals nur 235 Einwohner zählte, in dem aber 4.500 Menschen zusammengeströmt waren. Als aus dem benachbarten Odenkirchen herbeigerufene, dort zufällig untergebrachte Husaren, gegen 11 Uhr abends notdürftig für Ruhe gesorgt hatten, zog ein Haufen des Mobs nach Bedburdyck, wo sie in die Synagoge eindrangen, Fenster und Einrichtung zertrümmerten und die Thorarolle an der Dorfhecke verbrannten.[2] Dazu muss man wissen, dass die Thora – die fünf Bücher Moses aus dem alten Testament – eine handgeschriebene Rolle aus Pergament ist, aus der in jüdischen Gottesdiensten vorgelesen wird. Sie gehört zur Grundausstattung jeder Synagoge und wird nach dem Gebrauch im Thoraschrein aufbewahrt. Da eine solche Rolle den Gottesnamen enthält, wird sie vor allen fremden Blicken geschützt.[3]

Damit wird klar, dass die Thorarolle einen hohen religiösen Wert für Menschen jüdischen Glaubens hat. So kann man sich vielleicht vorstellen, wie schrecklich die Vernichtung der Thorarolle für die Bedburdycker Juden gewesen sein muss. Wie ein Flächenbrand breitete sich nun die Pogromstimmung aus. In vielen Nachbarorten von Neuenhoven wie auch in (Mönchen-) Gladbach kam es zu Menschenaufläufen. Nur rasch gebildete Bürgerwachen und Husarenpatrouillen konnten schlimmere Übergriffe verhindern. “Hep! Hep!“ rief der Mob vor den Häusern jüdischer Mitbürger. Das Schimpfwort stand für die lateinische Abkürzung „Hierosolyma est perdita“ („Jerusalem ist verloren“).[4]

Im Kreis Grevenbroich ließ der damalige Landrat Paul Joseph von Pröpper noch am 21. Juli in allen Orten, in denen Juden wohnten, Sicherheitswachen bilden. Der Düsseldorfer Regierungspräsident, der am darauffolgenden Tag selbst nach Neuenhoven kam, sah die Lage jedoch für so bedrohlich an, dass er weitere berittene Truppen anforderte, die noch am gleichen Tag eintrafen. Wie berechtigt die Befürchtung des Regierungspräsidenten war, zeigte sich am späten Abend, als einrückende Soldaten in Grevenbroich die Straßen säubern mussten, weil eine hundertköpfige Menge, die mit Gewehren und Heugabeln bewaffnet war, in den Straßen randalierte und die Juden bedrohte. In Wevelinghoven herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände.

Auch in Neuss kam es zu schweren Unruhen, die durch eine militärische Besetzung der Stadt unterdrückt werden mussten. In Garzweiler grölten am 10. August 1834 Unbekannte nachts „Die Juden müssen zum Dorf hinaus“ und bewarfen das Haus des Juden Kaufmann mit Steinen.

Der Regierungspräsident fand schließlich auf eine sehr bemerkenswerte Weise eine politische Lösung. Die Bürgermeister des Kreises beriefen in den letzten Augusttagen die gehobene Bürgerschicht oder auch alle Bürger zu Versammlungen ein, auf denen diese sich schriftlich zum Schutz der Juden verpflichten mussten. Die Wirkung dieser Selbstverpflichtung war verblüffend. Als in Hemmerden am 7. September und in Bedburdyck einige Tage später erneut Tätlichkeiten gegen Juden vorkamen, konnten in diesen Orten erstmalig die Täter durch die Einwohner dingfest gemacht werden. Professor Kirchhoff vermerkt hierzu, dass es auffällig sei, wie plötzlich die Dorfgemeinschaften, die bislang eher stummfeindselig der preußisch-fremden Ordnungsmacht gegenübergestanden hatten, nun dem Spuk ein Ende bereiten konnten, sobald sie in eine gleichsam notariell beurkundete Pflicht genommen wurden. Es bestehe kaum ein Zweifel, dass sich das 1834 von Neuenhoven ausgehende Pogrom zu einer gewaltigen Judenverfolgung entwickelt hätte, wenn die preußischen Behörden nicht so schnell und entschlossen gehandelt hätten.[5] Bedburdyck und Stessen wurden vom 25. August bis 10. September mit 100 Mann Soldaten belegt. Nach deren Abzug mussten noch längere Zeit Sicherheitswachen die Juden schützen.[6]

Michael Salmann für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

[1] Salmann, Auszug aus dem Sterberegister des Kirchenbuchs von Bedburdyck 1804-1847

[2] Kirchhoff, Geschichte der ehemaligen Gemeinde Garzweiler, 1989, S. 97

[3] Wikipedia, Thora

[4] von Leszczynski, Am Rand der großen Industrie: Die Bürgermeisterei Jüchen 1845 bis 1914, Band 5 der Geschichte der Gemeinde Jüchen, 1999, S. 91

[5] Kirchhoff, Geschichte der ehemaligen Gemeinde Garzweiler, 1989, S. 101

[6] Giersberg, Die Geschichte der Pfarreien im Dekanat Grevenbroich, 1883