„Großbrände“ bei Familie Faßbender und Fa. Walraf

StA Grevenbroich, Brandunfälle, Sig. 461, Seite 268

Heute möchte euch der Geschichtsverein Grevenbroich zwei Zufallsfunde vorstellen, die bei Recherchen zu einem ganz anderen Unglücksfall gefunden wurden. Auch als langjähriger Familien- und Heimatforscher stößt man immer wieder auf Überraschungen, die man niemals erwartet hätte. Ob beide Brände tatsächlich durch besondere Umstände oder durch Personen verursacht wurden, kann nach mehr als 100 Jahren nicht mehr beurteilt werden.

Fall 1 im Jahr 1917 bei Familie Faßbender:

„Grevenbroich, 3. August 1917. Es erscheint die Ehefrau Johann Faßbender von hier – Lindenstr. 87 – und erklärt: Am 26. Juni ds. Js. sind mir 2 Feder-Kissen, 1 Feder-Unterbett, 2 Matratzen und 2 Betttücher, sowie eine Kinderhose verbrannt bzw. beschädigt. Der Schaden beträgt etwa 170 M. Über die Entstehungsursache des Brandes kann ich nichts angeben. Streichhölzer waren vorher nicht angezündet worden, auch kein Feuer im Ofen. Mein Sohn Wilhelm – 5 Jahre – lag bereits im Bett, im Schlafzimmer waren Streichhölzer nicht vorhanden. Möglich ist, daß von einem vorbeifahrenden Zuge glühende Asche in das Zimmer geflogen ist, wir wohnen nämlich gleich an der Bahnstrecke.“

StA Grevenbroich, Brandunfälle, Sig. 461, Seite 229

Erst nach mehrmaligem Lesen fielen mir die besonderen Betonungen auf, dass

  • vorher keine Streichhölzer angezündet worden waren,
  • auch kein Feuer im Ofen,
  • der 5-jährige Wilhelm bereits im Bett lag,
  • keine Streichhölzer im Schlafzimmer lagen,
  • glühende Asche durch einen vorbeifahrenden Zug in das Zimmer geflogen ist.

Hierzu sollte man wissen, dass die kürzeste Entfernung von der Bahnstrecke zu dem Haus mindestens 60 Meter beträgt. Des Weiteren dürfte man wohl davon ausgehen, dass die Fensterläden mit Sicherheit geschlossen waren, wenn der 5-jährige Wilhelm bereits im Bett war. Für mich als Familienforscher stellt sich damit die Frage, ob der damals Fünfjährige vielleicht mit Streichhölzern gezündelt und dabei den Brand verursacht hat. Für die Familie war der Verlust der Schlafzimmereinrichtung gerade im Jahr 1917 sicherlich ein sehr großer Verlust, da ja noch der 1. Weltkrieg in Europa „tobte“ und Waren jeglicher Art nur schwer zu beschaffen waren. Von der Versicherung erhielt die Familie eine Entschädigung in Höhe von 90 M.

StA Grevenbroich, Brandunfälle, Sig. 461, Seite 231

Fall 2 im Jahr 1920 bei der Fa. Walraf:

Am 22. Juni 1920 bedankte sich Anton Walraf über das Bürgermeisteramt bei den Kräften der Schutzmannschaften (direkter Vorläufer der heutigen Schutzpolizei), die die Ordnung aufrechthielten und eine sachgemäße Absperrung durchführten.

StA Grevenbroich, Brandunfälle, Sig. 461, Seite 268

Innerhalb von zwei Tagen ereigneten sich zwei Großbrände in der Baumwollspinnerei, die in den nachfolgenden Berichten ausführlich beschrieben wurden und einen Schaden zwischen 500.000 und 1.000.000 M. verursachten.

StA Grevenbroich, Brandunfälle, Sig. 461, Seite 271_a
StA Grevenbroich, Brandunfälle, Sig. 461, Seite 271_b
StA Grevenbroich, Brandunfälle, Sig. 461, Seite 272

Wie man sieht, können Besuche im Stadtarchiv Grevenbroich durchaus interessant und aufregend sein. Das Archiv birgt eine unzählige Menge an „Schätzen“, die sowohl für die eigene Familien- als auch für die Heimatforschung bedeutsam sein können. Daher können wir nur empfehlen, die Möglichkeiten unseres hervorragenden Stadtarchivs Grevenbroich oder des Archives im Rhein-Kreis Neuss in Zons zu nutzen.

Informationen über die beiden Archive sowie deren Bestände sind unter folgenden Links zu finden:

https://www.archive.nrw.de/stadtarchiv-grevenbroich

https://archiv-im-rhein-kreis-neuss.de/

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Die „Marie-Juchacz-Straße“ in Grevenbroich

Seid ihr auch schon mal durch euer Viertel gelaufen und habt überlegt, wer wohl der Namensgeber der ein oder anderen Straßenbezeichnung war? So ging es mir über Monate hinweg, bis ich den Namen einmal recherchierte und feststellte, dass hinter dem Namen eine sehr bewundernswerte Persönlichkeit steht.

Sammlung Stefan Faßbender

Bei der Marie-Juchacz-Straße handelt es sich um eine kurze Stichstraße, die sich am äußeren Ende der Lindenstraße in der Grevenbroicher Stadtmitte befindet.

Quelle: https://www.tim-online.nrw.de/tim-online2/
© Stefan Faßbender – Blick in die Marie-Juchacz-Straße im August 2023

Marie Louise wurde am 15. März 1879 als Kind des Zimmermeisters Friedrich Theodor Gohlke und der Wilhelmine Henriette Heinrich in Landsberg an der Warthe geboren. Am 6. April 1901 heiratete sie den Schneider Bernhard Juchacz, von dem sie jedoch am 27. Mai 1911 durch das Landgericht Magdeburg geschieden wurde.

Quelle: www.ancestry.de; Heiratsregister Landsberg a. d. Warthe, Abruf 11. April 2023 um 16.13 Uhr

Schon Anfang der 1900er Jahre engagierte sich Marie Juchacz in sogenannten Bildungsvereinen, die den Sozialdemokratinnen als Tarnung ihrer politischen Organisationen dienten. Für Frauen war die Teilnahme an politischen Vereinen durch das Preußische Vereinsgesetz bis 1908 verboten. Erst mit dessen Aufhebung lösten sich die Frauenvereine auf und die Mehrheit der Frauen trat in die Sozialdemokratische Partei ein. Schon kurze Zeit danach entwickelte sich für Marie Juchacz eine „Bilderbuchkarriere“ in der Politik, welche sie im Jahr 1913 zusammen mit ihrer Schwester nach Köln führte. Während des Ersten Weltkriegs wurde dort die Nationale Frauengemeinschaft für Köln gegründet, die sich den Problemen von Frauen in der Kriegssituation widmete. Marie Juchacz wurde u. a. in einen Ernährungsausschuss gewählt, der für die Verteilung der rationierten Lebensmittel zuständig war. 1917 übernahm sie die Stelle der zentralen Frauensekretärin der SPD in Berlin und wurde nach einer Abspaltung als einzige Frau in den Vorstand der MSPD (Mehrheitssozialdemokratie) gewählt. Im Januar 1919 wurden sie und ihre Schwester in die Verfassungsgebende Versammlung der Weimarer Republik gewählt.[1]

Am 19. Februar 1919 hielt sie – als erste Frau überhaupt – eine Parlamentsrede in Deutschland.

General-Anzeiger f. Dortmund u. die Provinz Westfalen Nr. 46 vom 20.02.1919

„[…] Sie begann mit der Anrede: Meine Herren und Damen! – ein Akt der Höflichkeit, den das Parlament mit Heiterkeit quittierte. […]“ Auch wenn die Anrede bzw. die Vertauschung von „Herren“ und „Damen“ Heiterkeit auslöste, handelte es sich wohl um eine ganz bewusste Entscheidung von ihr. Sie wollte damit deutlich machen, dass es auch in der Anrede eine Gleichberechtigung gibt. Peinlich – zumindest für die Männerwelt damaliger Zeit.[2]

Dürener Zeitung vom 20.02.1919

1919 setzte sie ihre Idee um, eine sozialdemokratische Wohlfahrtspflege zu gründen. Am 13.12.1919 rief sie den „Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt“ beim Parteivorstand der SPD ins Leben und übernahm den Vorsitz in der Arbeiterwohlfahrt. Damit wurde sie zur Begründerin der heutigen AWO. In den 1920er Jahren rückte ihre Tätigkeit bei der Arbeiterwohlfahrt zunehmend in den Vordergrund.

Um einer Vereinnahmung durch die NSDAP zu entgehen, löste sich die Arbeiterwohlfahrt mit Hitlers Machtübernahme 1933 selbst auf. Juchacz ging daraufhin in das Saarland und floh mit der Wiedereingliederung des Saarlandes ins Deutsche Reich weiter in das Elsass, wo sie im Widerstand und später bei der AWO ins Paris mitarbeitete. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs setzte sie ihre Flucht über Südfrankreich und Martinique in die USA fort. Dort baute sie die „Arbeiterwohlfahrt – Opfer des Nationalsozialismus New York“ auf. Erst Anfang 1949 kehrte sie wieder nach Deutschland zurück. Im veränderten Nachkriegsdeutschland war sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1956 Ehrenvorsitzende in der AWO.[3]

Der Beschluss zur Straßenbenennung erfolgte mit Sitzung am 13. September 2018 durch den Rat der Stadt Grevenbroich. In der öffentlichen Bekanntmachung der Stadt Grevenbroich ist leider keine Begründung zur Namensvergabe enthalten, wenn auch die Biografie von Marie Juchacz für sich spricht.

In gleicher Sitzung wurde noch ein weiterer Beschluss über eine Straßenbenennung in Grevenbroich gefasst, über die wir in den nächsten Wochen auch noch berichten werden. Auch wenn es sich dabei ebenfalls um eine faszinierende Frau der deutschen Geschichte handelt, darf hier noch kurz angemerkt und gefragt werden, warum bisher keine Straßen nach Grevenbroicher Frauen benannt wurden. Lediglich der neu geschaffene „Dr.-Elfriede-Cohnen-Weg“ bildet hierbei eine Ausnahme und leitet nun hoffentlich eine Wende im Grevenbroicher Straßenwesen ein.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

[1] https://awo.org/index.php/ueber-uns/awo-historie/personen/marie-juchacz; Abruf 11. April 2023 um 16.18 Uhr

[2] https://www.koeln-lotse.de/2019/05/25/marie-juchacz-powerfrau-und-gruenderin-der-awo/; Abruf 11. April 2023 um 22.12 Uhr

[3] https://awo.org/index.php/ueber-uns/awo-historie/personen/marie-juchacz; Abruf 11. April 2023 um 16.18 Uhr

Schausteller auf der Wevelinghovener Kirmes in den Jahren 1926 bis 1928

Heute geht der Geschichtsverein fast 100 Jahre in der Zeit zurück, um zu zeigen, mit welchen Attraktionen die Wevelinghovener zu ihrem Schützenfest zu begeistern waren. Übrigens fand die Wevelinghovener Spätkirmes damals erst am dritten Wochenende im September statt, also gut vier Wochen später als heute.

1926

Im August 1926 bewarb sich ein Herr Friese aus Lemgo, um seine „Brasilianische Urwaldschau“ darzubieten. Auf einer Fläche von 16 x 7 Metern zeigte er Eisbären, Zebras, Tiger, Lamas, Schlangen und Affen. Ob auch Urwaldbewohner aus Brasilien „ausgestellt“ wurden, ist aus dem Schriftwechsel mit dem Veranstalter nicht zu entnehmen. Anzumerken ist jedoch, dass es seit Anfang des 19. Jahrhunderts bis weit ins 20. Jahrhundert zu sogenannten „Freak-Shows“ kam, in denen ungewöhnliche Menschen, wie z. B. der „Löwenmensch“, „Zwerge“, „Frauen mit Bärten“ oder der „Elefantenmensch“, auf menschenverachtendste Weise vorgeführt wurden.

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 2103
© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 2103

Der auch noch heute im Kirmesgewerbe tätigen Grevenbroicher Schaustellerfamilie Deden wurde u. a. der Speiseeisverkauf erlaubt. Allerdings erstreckte sich die Erlaubnis nicht auf den Verkauf im Festzelt. Außerdem wurde darauf aufmerksam gemacht, dass der Wevelinghovener Eisverkäufer Kames ebenfalls eine Erlaubnis zum Verkauf erhalten hatte.

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 2103

Insgesamt hatte man der Familie Deden drei Plätze zugewiesen, darunter auch einen Platz für einen Pony-Wagen. Auch wenn früher die meisten Haushalte eigene Haustiere hatten, dürfte es – wie auch heute noch – ein „Highlight“ für die Kinder gewesen sein, auf einem kleinen Pony im Kreis zu reiten.

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 2103

1927

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 2103 – Komet am 20.08.1927

Oben dargestellt ist der Aufruf der Stadt Wevelinghoven zur Vergabe von Standplätzen auf der Herbstkirmes 1927. Im Jahr 1927 waren Geld- und Würfelspiele nicht zugelassen. Welche Beliebtheit das Wevelinghovener Schützenfest bereits vor fast 100 Jahren genoss, ist der Anzeige ebenfalls zu entnehmen: „An den Festlichkeiten nehmen die Einwohner der benachbarten Stadt Grevenbroich und der umliegenden Landgemeinden sehr regen Anteil.“ Laut der Anzeige mussten die Schausteller ihre Anträge unter Beifügung einer Fotografie einreichen. Leider sind diese Fotografien nur noch zum Teil im Archiv vorhanden und können uns heute nur noch einen kleinen optischen Eindruck jener Zeit vermitteln.

Allerdings dürfte Hans Mockens „Rheinische Verlosungshalle“ sowohl bei Jung als auch bei Alt für glänzende Augen gesorgt haben, wenn man die dortige Auslage näher betrachtet. Neben Puppen und Teddybären ist auch eine große Anzahl von Kochtöpfen und Wasserkesseln zu erkennen. Leider ist der ursprüngliche Antrag, aus dem man eventuell noch den Lospreis oder gar weitere Gewinne hätte entnehmen können, nicht mehr vorhanden.

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Fotobestand zu Nr. 2103

Im Jahr 1927 dürften jedoch „Die Todesverächter“ für Aufsehen und das Tagesgespräch gesorgt haben, denn nicht nur zwei Herren sondern auch eine Dame begaben sich mit Fahr- und Motorrädern in eine Steilwand. In seinem Bewerbungsbogen schreibt der Schausteller: „Es ist dies eine Höchstleistung artistischen Könnens.“

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 2103

1928

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 2103

Aufgrund der oben dargestellten Anzeige meldete sich bereits am 14.08.1928 die Schaustellerfamilie Franz Graf & Sohn, um einen Platz zum Kirmes- und Schützenfest in Wevelinghoven zu erhalten. Eine durchaus nette und ansprechende Anfrage zu einem sehr aussergewöhnlichen „Fahrgeschäft“, welches der Geschichtsverein eher in die NS-Zeit eingeordnet hätte. Zu beachten ist aber auch der Preis bei Gewinn des Spieles.

„An die Polizei-Verwaltung Wevelinghoven. Bezugnehmend auf Ihre Anzeige im Komet, erlaube ich mir die Anfrage, ob ich zur Kirmes u. Schützenfest Platz erhalten kann, für mein Fliegerbomben-Abwurfspiel 3 m Ø Rundgeschäft, zum Ausspielen von Schokolade. Es ist dieses ein modernes einwandfreies und sauberes Geschäft, welches bei den Behörden auf allen Plätzen, welche ich bisher besucht habe, größten Anklang gefunden hat. Photografie und Gutachten füge ich anbei. In der Hoffnung auf zusagenden Bescheid zeichnet,                           Hochachtungsvoll!

Rich. Graf

1 Photo

1 Gutachten

1 Freiumschlag

N.B.       Bei Zusage bitte ich um Mitteilung, welches die nächste Güterstation ist.“

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 2103

Die beigefügte Fotografie und das Gutachten zum „Fliegerbomben-Abwurfspiel“ sind im Archiv ebenfalls erhalten geblieben und werden nachfolgend abgebildet. Bei genauer Betrachtung des Fotos sind auch noch die Flugzeuge zu erkennen. Das Gutachten beschreibt in detaillierter Weise sowohl das Spiel selbst als auch die Chancen, bei diesem Spiel einen Preis zu gewinnen.

© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Fotobestand zu Nr. 2103
© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 2103
© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 2103
© StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 2103

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Andreas Koll aus Stessen – 5 Wochen vermisst

Eine Vermisstenanzeige im Mitteilungsblatt der Regierung zu Düsseldorf

Im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Düsseldorf aus dem Jahr 1827 fand ich vor einigen Jahren eine Mitteilung zu einem Andreas Koll aus Stessen in der damaligen Bürgermeisterei Bedburdyck, der als vermisst gemeldet wurde.

Andreas Koll wurde am 24. Januar 1807 unter dem Namen Johannes Andreas Koll als Sohn der Eheleute Werner Koll und Sophia Lemm(en) in der Pfarrkirche von Bedburdyck getauft. Er hatte mehrere Geschwister. Der Vater Werner war bereits 1815 im Alter von 53 Jahren, die Mutter bereits drei Jahre vorher im Alter von nur 44 Jahren verstorben.

Andreas hatte wohl am 22. Januar bei einem verschneiten Abendhimmel das Haus seiner Schwester in Stessen verlassen und wurde seitdem vermisst.

Vermisstenanzeige von Andreas Koll 1827 im Mitteilungsblatt der Regierung zu Düsseldorf

Amtsblatt für den Regierungsbezirk Düsseldorf Jahrgang 1827, S. 58; http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/periodical/pageview/5612257?query=Amtsblatt%20regierungsbezirk%20d%C3%BCsseldorf (21.5.2023, 17.57 Uhr)

“(Den vermißten Andreas Koll aus Stessen betr.)

                Am 22. vorigen Monats hat sich der wahnsinnige Andreas Koll, Weber seine Gewerbes, von seinem Wohnorte Stessen in der Bürgermeisterei Bedburdick entfernt, ohne daß bisher, ungeachtet aller Nachforschungen sich etwas über sein Verbleiben hat ermitteln lassen, weshalb die Vermuthung entstanden, daß er durch Erfrieren zum Tode gekommen, welches dadurch bestärkt wird, daß am 24. einer seiner Holzschuhe zwischen Herberath und Jüchen im Schnee gefunden wurde.

                Indem ich dessen Signalement und Bekleidungs-Beschreibung hier folgen lasse, ersuche ich Jeden, der über das Schicksal des Vermißten Näheres erfahren möchte, davon hierher Anzeige zu machen.

                Düsseldorf, den 12. Februar 1827

                                                                                              Der Erste Prokurator: Hoffmann

                Der Andreas Koll war 19 Jahre alt, hatte braune Haare und Augenbraunen, flache Stirne, graue etwas röthlich triefende Augen, spitze Nase, mittelmäßiger Mund, ovales Gesicht und war etwas pockennarbigt. Seine Bekleidung bestand in einer wollenen gestrickten Unterweste mit Aermeln, worüber er eine andere Weste trug, in einer blau manschesternen Hose, dunkelgrau wollenen Strümpfen und Holzschuhen, übrigens ohne Rock und Kopfbedeckung.”

Der 19jährige Andreas Koll wird in der Vermisstenanzeige als Wahnsinniger bezeichnet. Die genaue Bedeutung in diesem Zusammenhang ist nicht ganz klar, da es mehrere Deutungsmöglichkeiten gibt.

Der Begriff des „Wahnsinns“ wurde historisch einerseits in unterschiedlichen Kontexten mit verschiedenen Bedeutungen verwendet und andererseits rückblickend auf verschiedene Phänomene angewendet. In Wikipedia finden wir unter dem Begriff „Wahnsinn“ die Beschreibung, dass als solcher bis etwa zum Ende des 19. Jahrhunderts bestimmte Verhaltens- oder Denkmuster bezeichnet wurden, die nicht der akzeptierten sozialen Norm entsprachen. Meist bestimmten gesellschaftliche Konventionen, was unter „Wahnsinn“ verstanden wurde: Der Begriff konnte für bloße Abweichungen von den Konventionen stehen. Er konnte aber auch für psychische Störungen verwendet werden, bei denen ein Mensch bei vergleichsweise normaler Verstandesfunktion an krankhaften Einbildungen litt, bis hin zur Kennzeichnung völlig bizarrer und (selbst-) zerstörerischer Handlungen. Auch Krankheitssymptome wie etwa Epilepsie oder ein Schädel-Hirn-Trauma wurden zeitweilig als Wahnsinn bezeichnet. Welche Normabweichungen noch als „Verschrobenheit“ akzeptiert wurden und welche bereits als „verrückt“ galten, konnte sich abhängig von Region, Zeit und sozialen Gegebenheiten erheblich unterscheiden. Daher lassen sich moderne Krankheitskriterien und -bezeichnungen in der Regel nicht auf die historischen Ausprägungen von Wahnsinn anwenden. Am ehesten würde heute die Diagnose Schizophrenie dem Wahnsinn entsprechen. (Quelle: https://de.wikepedia.org/wiki/Wahnsinn, 18.6.2023, 14.22 Uhr)

Klar ist zumindest, dass es mit Sicherheit Wahnsinn war, bei winterlichem Wetter das Haus zu verlassen. Was Andreas Koll dazu trieb, wird wohl immer sein Geheimnis bleiben. Die Vermisstenanzeige und der Sterbeeintrag im Kirchenbuch geben uns hier jedoch einen interessanten Einblick in das Wetter jener Zeit, welches wir uns heute kaum noch vorstellen können.

An Winter mit mehr als 10 cm Schnee hier bei uns im Rheinland dürften sich Jüngere kaum erinnern. Mein Vater, Hans Peter Salmann, der 1942 in Jüchen geboren wurde und als Kind in einem kleinen Häuschen in Jüchen an der Köttelwesch wohnte (damals Weg entlang eines Baches, heute Verbindungsweg zwischen Leerser Straße und Kelzenberger Straße) hatte mir einmal erzählt, dass er als Vierjähriger beinahe im am Haus vorbeifließenden Bach ertrunken wäre. Der Bach hatte sich aufgrund von Schneeschmelze bereits 400 bis 500 Meter unterhalb der Quelle in ein reißendes Fließgewässer verwandelt. Mehr als einmal stand das Erdgeschoss des kleinen Hauses bis zu einem Meter unter Wasser. Hühner und Ziege mussten auf einem Treppenabsatz ausharren, während sich die Bewohner ins Dachgeschoss flüchteten.

Im Januar 1827, als Andreas Koll verschwand, müssen ebenfalls außergewöhnliche Wetterverhältnisse geherrscht haben, denn in den Mitteilungen der Regierung zu Düsseldorf vom 20. März 1827 heißt es, dass seit dem 17. Januar dauerhafte und weiter ansteigende Kälte geherrscht habe. Die kleineren Gewässer waren ganz zugefroren, die größeren Gewässer waren zum größten Teil mit einer dicken Eisschicht bedeckt, sodass die Flüsse Lippe, Ruhr und Wupper mit schwer beladenen Fuhrwerken ohne Gefahr überquert werden konnten. Der Rhein führte so viel Grundeis mit sich, dass es sich in den Niederlanden staute. „Es war in derselben Zeit eine nicht gewöhnliche Menge Schnee gefallen“ heißt es weiter im amtlichen Bericht.

http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/periodical/pageview/5612297?query=Amtsblatt%20 regierungsbezirk%20d%C3%BCsseldorf (18.6.2023, 15.37 Uhr)

Nachdem man bereits am 24. Januar einen seiner Holzschuhe zwischen Herberath und Jüchen gefunden hatte, wurde im März desgleichen Jahres Andreas Koll schließlich in einem Graben bei Jüchen erfroren aufgefunden, „nachdem die Schneemassen nach 5 Wochen abgezogen waren“. Am 3. März wurde er in Bedburdyck beigesetzt. Sein Sterbedatum wurde auf den 23. Januar festgesetzt, auf den Tag nach seinem Verschwinden. Im Sterbeeintrag des Kirchenbuchs wird er als „adolescens dilirans“ (verrückter junger Mann) bezeichnet.

Kirchenbuch Bedburdyck, Sterbeeintrag von Andreas Coll

Michael Salmann für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Wir fordern Toilettenpapier für alle!

Heute möchte euch der Geschichtsverein zusammen mit dem Stadtarchiv Grevenbroich einige kuriose Fundstücke aus der NS-Zeit zeigen. Für uns heutige Leser dürften diese Schriftstücke wohl nur Kopfschütteln und ein herzhaftes Lachen hervorrufen, während es damals sicherlich absolut ernst gemeint war, da sich sonst nicht führende „Köpfe“ der Verwaltung und des Gesundheitsamtes mit dieser Angelegenheit beschäftigt hätten.

Gab es die Gleichberechtigung bei der Toilettenpapiernutzung für Beamte und Angestellte? Wurde die tägliche Anzahl der zur Verfügung stehenden Blätter nach Dienstalter, Geschlecht, Rang etc. bestimmt? Welches Papier war den Nutzern zuträglich? Für das Publikum empfahl Dr. Peretti zumindest mittelgroße Strohwische!

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven
StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven

Wie kostbar das Toilettenpapier in den 1930er Jahren war, ist den beiden nachfolgenden Bildern zu entnehmen. Herr Bürgermeister Dr. Widmann „musste“ wohl genauestens Buch darüber führen und Meldung abgeben, wie viele Papierrollen er aus dem Gesamtbestand der Verwaltung für sich bzw. seine Büros entnommen hat.

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven
StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven

Abschließend möchten wir die heutige Verwaltung noch fragen, ob bei der Papiersorte noch immer nach Beamten und Angestellten (4-lagig, weiches Papier mit Blümchen) und dem Publikumsverkehr (1-lagig, hartes Recyclingpapier) unterschieden wird? Des Weiteren würde uns auch interessieren, ob heute noch eine Statistik über den Toilettenpapierverbrauch der einzelnen Verwaltungsbereiche geführt wird. Dies natürlich mit einem großen Augenzwinkern 😉, weil Geschichte auch mal zum Lachen anregen darf!

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Der 25. Juli 1917 –

Ein Unglückstag im Grevenbroicher Erftwerk oder

Wie ein Teil eines alten Fotobestandes im Stadtarchiv historisch neu eingeordnet werden kann.

© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 4, Nr. 021 – Umformerhaus nach Fertigstellung

Manchmal führen auch Sterbeurkunden aus dem Stadtarchiv zu einer interessanten aber auch gleichzeitig traurigen „Stadtgeschichte“, die heute vorgestellt wird.

Viele Grevenbroicher Bürger kennen das Erftwerk oder haben sogar über Generationen hinweg dort gearbeitet. Es wurde aufgrund der Aluminiumknappheit im Ersten Weltkrieg gebaut. Im Spätsommer 1916 schlossen sich daher das RWE, die Firma Gebrüder Giulini und das Deutsche Reich zu einem Syndikat zusammen, um in Allrath (das Gelände gehört zur Gemarkung Allrath) zwischen der B 59 und der Bahnlinie Köln – Mönchengladbach auf dem Grundstück einer damals noch vorhandenen Ziegelei eine Produktionsstätte für Aluminium zu errichten. Die Grundsteinlegung erfolgte unmittelbar danach.

In bisherigen Veröffentlichungen über das Erftwerk wurde der Bau in der Regel als ein sehr geheimes Ereignis eingestuft und auch dargestellt. Durch die Geheimhaltung sollte den Kriegsgegnern ein mögliches Angriffsziel nicht offengelegt werden. Umso verwunderlich ist, dass bei den Recherchen zu diesem Beitrag eine Vielzahl von Stellenanzeigen für den Bau des Erftwerkes und später auch für die Produktion von Aluminiumerzeugnissen sowie den Bereich der Verwaltung gefunden wurden.

„Tüchtige Maurer und Bauhilfsarbeiter werden eingestellt für längere Beschäftigung für die Baustelle Erftwerk in Grevenbroich. Bauunternehmung Heinr. Stöcker, Köln-Mühlheim.“

Westdeutsche Landeszeitung Nr. 210 vom 9.9.1916

Bei der nächsten Stellenanzeige sind besonders die Vergütungsbestandteile hervorzuheben:

1) Reichliche gute Verpflegung vorhanden.

2) Reise und Fahrgeld wird vergütet.

Rhein- und Ruhrzeitung Nr. 535 vom 18.10.1916
© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 1, Nr. 020 – Baustand vom 15. Juni 1917

Nachfolgend ein Foto des Umformerhauses vom 5. Juli 1917, also nur 20 Tage vor dem Unglückstag. Hierbei sollte das Augenmerk auf die Konstruktion der Halle und insbesondere die obere „freischwebende“ Wand rechts im Bild gelegt werden. Anscheinend wurde zunächst eine Eisenkonstruktion erstellt und anschließend die Wände ausgemauert. Dies alles in einer rasanten Zeit wie der Vergleich der Fotos vom 15. Juni 1917 (Bild oben) und 5. Juli 1917 (Bild unten) zeigt.

© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 1, Nr. 036 – Baustand vom 5. Juli 1917

Aufgrund einer Anfrage eines auswärtigen Ahnenforschers, warum Ende Juli 1917 in den Sterberegistern von Grevenbroich acht Sterbefälle zeitgleich vermerkt wurden, die alle von der Polizeibehörde Grevenbroich gemeldet wurden, wandte sich das Stadtarchiv Grevenbroich an den Arbeitskreis Familienforschung im Geschichtsverein Grevenbroich, um diesem Rätsel auf die Spur zu kommen. Die Urkunden selbst boten dabei keine große Hilfe, da als Sterbeorte lediglich Allrath bzw. Grevenbroich angegeben wurden. Da alle Opfer von Beruf Maurer oder Hilfsarbeiter waren, wurde vermutet, dass es sich wohl um eine Baustelle rund um Allrath handeln musste. Aber weder die Schulchronik Allrath noch sonstige Unterlagen im Stadtarchiv gaben einen Hinweis auf einen möglichen Unglücksfall. Daher drängte sich schnell der Verdacht auf, dass es sich evtl. um einen Luftangriff während des Ersten Weltkrieges handeln musste und dieser Angriff einfach nicht dokumentiert wurde.

[Hinweis: Viele Bürger wissen nicht, dass es bereits im Ersten Weltkrieg zu Luftangriffen auf Grevenbroich kam und diese zum Teil auch erhebliche Schäden anrichteten. Zu diesem Thema wird der Geschichtsverein Grevenbroich im Herbst/Winter 2023 einen umfangreichen Beitrag veröffentlichen, der diese Ereignisse dann in den einzelnen Stadtteilen und den Luftkrieg im Ersten Weltkrieg im Allgemeinen beschreibt. Material in Form von Feldpostbriefen oder Fotos wird gerne noch entgegengenommen.]

Zur Klärung der großen Anzahl an Toten wurden die Opferlisten des Ersten Weltkrieges auf mögliche Namensgleichheit hin überprüft. Die Recherchen blieben jedoch erfolglos und konnten keinen Bezug zu möglichen Kriegseinflüssen herstellen. Als letzte Möglichkeit blieben nur noch die Sterbeeinträge (in lateinischer Sprache) in den Kirchenbüchern als Quelle übrig, da einige Opfer aus Grevenbroich und seiner Umgebung kamen. Letztendlich gaben zwei Einträge in der Genius Datenbank des Arbeitskreises Familienforschung den entscheidenden Hinweis:

Quelle: Genius – Arbeitskreis Familienforschung
Quelle: Kirchenbuch Bedburdyck – St. Martinus
Quelle: Kirchenbuch Jüchen – St. Jacobus der Ältere

Durch den entscheidenden Hinweis „durch ein schwankendes Gebäude in der Fabrik Erftwerk getötet“ konnte nun gezielt der Aktenbestand zum Erftwerk im Stadtarchiv Grevenbroich durchsucht werden. Dort fand sich aber lediglich ein Schriftstück zu dem Unglücksfall, welches nachfolgend abgebildet ist. Zumindest wurde damit klar, dass die acht Personen Opfer eines Unglücks im Erftwerk wurden. Weder Unfallhergang noch -ursache wurde aber irgendwo vermerkt, so dass an dieser Stelle nur spekuliert werden kann.

StA Grevenbroich, Bestand Erftwerk, Nr. 382

In den Unterlagen konnte allerdings eine Bauzeichnung des Umformerhauses gefunden werden. Ursprünglich wurde diese Zeichnung im Dezember 1916 erstellt und dann handschriftlich auf den 3. März 1917 geändert. Warum die Zeichnung am 3. März 1921 nochmals mit einem Stempel der Erftwerk Aktien-Gesellschaft und zwei Unterschriften versehen wurde, erschließt sich zurzeit nicht.

Vielleicht wurde das Erftwerk wirklich sehr kurzfristig und schnell während der Kriegszeit geplant bzw. gebaut, und dies alles ohne umfangreiche Baupläne und Genehmigungsverfahren. Unter Umständen könnte dies auch der Grund dafür sein, warum die Wände des Umformerhauses im Juli 1917 einstürzten und acht Bauarbeiter unter sich begruben. Vielleicht wurden die Genehmigungen auch erst im Jahr 1921 rückwirkend gewährt, da die Produktion von Aluminium nach Kriegsende zunächst (unter Umständen auch zwangsweise wegen der Besatzungsmächte) für einige Jahre stillgelegt wurde.

© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 1, Nr. 038

Nachfolgend noch eine Beschreibung, in der sehr gut dargestellt wurde, worum es sich bei diesen Gebäuden handelte:

StA Grevenbroich, Bestand Erftwerk, Nr. 801

Gesichert ist, dass folgende Personen beim Einsturz der Wände des Umformerhauses erschlagen bzw. begraben und zum Teil erst Tage später gefunden wurden:

1) Maurer Peter Josef Lennartz, 46 Jahre alt, wohnhaft in Hetzerath wurde am 25.7.1917 um 19.15 Uhr tot aufgefunden.

2) Hilfsarbeiter Michael Coenen, 18 Jahre alt, wohnhaft in Gustorf wurde am 25.7.1917 um 19.30 Uhr tot aufgefunden.

3) Maurer Heinrich Creutz, 49 Jahre alt, wohnhaft in Gubberath starb am 27.7.1917 um 19.00 Uhr im Krankenhaus Grevenbroich.

4) Hilfsarbeiter Wilhelm Heister, 27 Jahre alt, wohnhaft in Stessen wurde am 27.7.1917 um 8.00 Uhr tot aufgefunden.

5) Hilfsarbeiter Theodor Görtz, 17 Jahre alt, wohnhaft in Jüchen wurde am 27.7.1917 um 17.00 Uhr tot aufgefunden.

6) Maurer Josef Nießen, 39 Jahre alt, wohnhaft in Düren wurde am 26.7.1917 um 3.00 Uhr tot aufgefunden.

7) Maurer Josef Herold, 39 Jahre alt, wohnhaft in Oberfell wurde am 27.7.1917 um 11.00 Uhr tot aufgefunden.

8) Hilfsarbeiter Hermann Nüchter, 23 Jahre alt, wohnhaft zu Gustorf wurde am 28.7.1917 um 10.00 Uhr tot aufgefunden.

Laut den Sterbeurkunden sind alle Opfer „am fünf und zwanzigsten Juli dieses Jahres nachmittags sieben Uhr zuletzt lebend gesehen worden“.

Warum es bis zu drei Tage dauerte, alle Leichen unter den Trümmern der eingestürzten Wände zu finden, veranschaulichen auf sehr erschreckende Weise die nachfolgenden Fotos. Diese wurden in einem bisher nicht beschrifteten und zuordnungsbaren Fotobestand zum Erftwerk gefunden. Niemand konnte diese Fotos bisher auf das Ereignis bezogen einordnen, da bis auf das oben beschriebene einzige Schriftstück keinerlei Informationen zu einem schweren Unglücksfall im Gesamtbestand des Stadtarchives Grevenbroich jemals gesichtet wurde. Bei den beiden folgenden Fotos sollte unbedingt auf die Höhe der Türöffnung zum Boden hin geachtet werden. Dies lässt die Vermutung zu, dass die Trümmer bis zu 5 – 6 Meter hoch lagen.

© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 4, Nr. 034
© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 4, Nr. 026
© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 4, Nr. 030
© StA Grevenbroich, Fotobestand Erftwerk, Band 4, Nr. 033

Auch wenn bisher nicht alle Geschehnisse rund um diesen Unglücksfall geklärt werden konnten, freuen wir uns zusammen mit dem Stadtarchiv Grevenbroich zumindest die Ursache für den Tod von acht, zum Teil sehr jungen Männern und die Einordnung des Ereignisses auf den Fotos herausgefunden zu haben. Außerdem wird hierdurch auch die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen Heimatforschern, dem Geschichtsverein Grevenbroich und dem Stadtarchiv Grevenbroich deutlich. Manche Rätsel lassen sich eben nur interinstitutionell oder gemeinsam lösen.

Ein großer Dank gebührt Frau Cornelia Schulte vom Stadtarchiv Grevenbroich, die unermüdlich schwere Kartons aus dem Keller geholt und zur Verfügung gestellt hat, um irgendeinen Hinweis zu dem Unglücksfall finden zu können. Ebenso für die Hilfe, die historischen Fotos mit den noch vorhandenen Bauplänen aus jener Zeit bis ins kleinste Detail zu vergleichen, damit sichergestellt ist, dass hier die dargestellten Bilder mit dem Ereignis übereinstimmen.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Hochwasser und Überschwemmungen in Grevenbroich im Laufe der letzten 100 Jahre

© StA Grevenbroich, Fotobestand RWE/Grube Walter

Zwei Jahre nach der verheerenden Flutkatastrophe an der Ahr und in der Eifel möchte der Geschichtsverein Grevenbroich einen Blick auf vergangene Unwetterereignisse in Grevenbroich werfen, die zwar in ihrer Tragweite bei weitem nicht so extrem wie an der Ahr und in der Eifel waren, jedoch ihre Schatten sowohl auf die heutige Stadt Grevenbroich als auch ihre Bevölkerung warfen.

Hochwasser im Mai 1926:
Beginnen möchten wir mit der Nacht vom 20. auf den 21. Mai 1926 in Frimmersdorf. Nachdem bereits Anfang 1926 heftige Regenfälle und Schmelzwasser weite Gebiete entlang des Rheins in eine Sumpf- und Überflutungslandschaft verwandelt hatten, kam es im Mai 1926 zu nicht mehr aufhörenden Regenfällen entlang der Erftniederungen. Die ungeheuren Wassermengen in der Erft unterspülten dabei in der Nacht auf den 21. Mai 1926 eine Böschung entlang der Grube Walter und verwandelten sie in einen großen See. Die Erft war an insgesamt sieben Stellen über die Ufer getreten und hatte dabei nicht nur weite Landstriche unter Wasser gesetzt, sondern auch die Wege zwischen Morken, Harff und Frimmersdorf vernichtet. In Wevelinghoven wurden Gärten und Wiesen überflutet. Die darauf befindlichen Kulturen wurden restlos vernichtet.

© StA Grevenbroich, Fotobestand RWE/Grube Walter

Die beiden nachfolgenden Zeitungsartikel beschreiben in eindrucksvoller Weise die Geschehnisse im Mai 1926.

Düsseldorfer Stadt-Anzeiger Nr. 16 vom 23.05.1926
Kölnische Zeitung Nr. 378 vom 22.05.1926

Exkurs: Interessant ist ebenfalls die Sicht der Rheydter Bevölkerung auf die Schäden an der Grube Walter und am Großkraftwerk Frimmersdorf. Da die Niederrheinischen Licht- und Kraftwerke (N.L.K.) zu etwa 2/3 an beiden Unternehmen beteiligt waren, hätten die Schäden eben auch Auswirkungen auf die Stadt Rheydt gehabt, da sie wiederum an den N.L.K. beteiligt war. Es wurde unerbittlich über die N.L.K., die politischen Entscheidungsträger etc. geschimpft, sich an einem solchen Großprojekt an so gefährdeter Stelle überhaupt beteiligt zu haben und nun sowohl die Stadt Rheydt als auch die N.L.K. in eine finanzielle Schieflage gebracht zu haben. Eine Rücknahme dieser Vorwürfe erfolgte dann aber bereits drei Tage später in gleicher Zeitung.

Westdeutsche Landeszeitung Nr. 120 vom 26.05.1926
Westdeutsche Landeszeitung Nr. 123 vom 29.05.1926
© StA Grevenbroich, Fotobestand RWE/Grube Walter

Hochwasser im August 1938:
Am Sonntag, den 14. August 1938 tobte in Allrath ein Unwetter, welches schwere Schäden anrichtete. Innerhalb kurzer Zeit waren die tiefer gelegenen Straßen ein einziger See. Bis zu einem Meter stand das Wasser an verschiedenen Stellen im Ort und überschwemmte nicht nur Keller, sondern auch Wohnungen.

StA Grevenbroich, Schulchronik Allrath, Nr. 195, Seite 65

Hochwasser im Januar 1939:
Das nächste Unwetter ereignete sich am Neujahrstag 1939. Dokumentiert wurde es für Grevenbroich, Allrath, Barrenstein und Gustorf. Ursache für die Überschwemmungen waren an Silvester einsetzende Regenfälle und Schneeschmelze. Da im Dezember 1938 Kälterekorde herrschten, konnte der noch überall gefrorene Boden diese Wassermassen nicht aufnehmen.

StA Grevenbroich, Schulchronik Allrath, Nr. 195, Seite 67 – Rheinische Landeszeitung
StA Grevenbroich, Schulchronik Allrath, Nr. 195, Seite 67 – Rheinische Landeszeitung

Der nachfolgende Zeitungsartikel beschreibt die sehr großen und umfangreichen Feuerwehreinsätze auf dem Gut Herkenbusch in Grevenbroich sowie die Geschehnisse in Allrath und Barrenstein.

StA Grevenbroich, Schulchronik Allrath, Nr. 195, Seite 68 – Rheinische Landeszeitung
StA Grevenbroich, Schulchronik Allrath, Nr. 195, Seite 68 – Rheinische Landeszeitung

Der Schreiber der Schulchronik Allrath schreibt hierzu: „Das Jahr 1939 fing hier nicht sehr verheißungsvoll an, wie vorstehender Bericht beweist. Ein Hochwasser von solch gewaltigem Ausmaß, hat unser Ort noch nie gesehen. Der Schaden, der angerichtet wurde, ist sehr beträchtlich. Als Beauftragter des WHW [= Winterhilfswerk] besuchte ich sämtliche Hochwassergeschädigten und konnte mich von den verheerenden Auswirkungen des Wassers überzeugen. Am schlimmsten sind die Og. [?] Esser, Neugasse, Falke, Maarstr. und Bales, Maarstr. betroffen. Besonders die Häuser waren sehr mitgenommen und wiesen zahlreiche Risse auf. Die Familie Esser musste die Wohnung räumen und fand Unterkunft in der z. Zt. leerstehenden Lehrerwohnung in der Münkerstr. Etwa 600 Zentner Kartoffeln wurden durch das Wasser für die menschliche Ernährung unbrauchbar. Sie wurden mit Lastautos nach Neuss gefahren, um hier im E.H.W. [= Ernährungshilfswerk] als Schweinefutter noch Verwendung zu finden. Den Volksgenossen sollen die Kartoffeln vom W.H.W. restlos ersetzt werden. Der Schaden, der durch Verderben von Eingemachten-Gemüse-Obst usw. entstanden ist, ist ebenfalls ziemlich hoch anzusetzen. Hoffen wir, dass der vorgesehene Umleitungsgraben bald in Angriff genommen wird, damit wir für die Zukunft von einer ähnlichen Katastrophe verschont werden.” StA Grevenbroich, Schulchronik Allrath, Nr. 195, Seite 68f.

Relativ nüchtern beschreibt der Barrensteiner Schulchronist dieses Ereignis: „Infolge Schneeschmelze mit Regen war das ganze Unterdorf überschwemmt.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Barrenstein, Nr. 209

In der Gustorfer Schulchronik ist dazu folgender Eintrag zu finden.

StA Grevenbroich, Schulchronik Gustorf, Nr. 330, Seite 120

„Nach Eintritt des Tauwetters sah man sehr große Höfe im Orte unter Wasser stehen. In der Nähe des Gustorfer Heiligenhauses (Busebach) stand eine Fläche von 1 Morgen blank wie ein Weiher. Der Frost war noch nicht aus der Erde, das Wasser konnte nicht sinken. Die Feuerwehr war an manchen Orten (Gindorf, Leonardstr.) in Wassernöten eingesetzt.“

Hochwasser im Februar 1940:
Bereits ein Jahr später hatten viele Ortsteile von Grevenbroich wieder mit Hochwasser in Dörfern zu kämpfen. Anfang 1940 berichtet der Allrather Schulchronist: „1940. Die Schneeschmelze bringt wiederum Hochwasser für Allrath wie die eingeklebten Bilder zeigen. Diesmal sind es Soldaten, die überall helfend einspringen.“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Allrath, Nr. 195, Seite 84)

© StA Grevenbroich, Schulchronik Allrath, Nr. 195, Seite 84
© StA Grevenbroich, Schulchronik Allrath, Nr. 195, Seite 84
© StA Grevenbroich, Schulchronik Allrath, Nr. 195, Seite 84
© StA Grevenbroich, Schulchronik Allrath, Nr. 195, Seite 85
© StA Grevenbroich, Schulchronik Allrath, Nr. 195, Seite 85
© StA Grevenbroich, Schulchronik Allrath, Nr. 195, Seite 85

In der Gustorfer Schulchronik ist dazu lediglich folgender Eintrag zu finden: „31.1. Glatteis. 4.2. – 8.2. Tauwetter, Hochwasser.“ StA Grevenbroich, Schulchronik Gustorf, Nr. 330, Seite 126

StA Grevenbroich, Schulchronik Barrenstein, Nr. 209:
„1940. Der strenge Winter hält an. Die Eisblumen Winter verschwinden nicht von den Fenstern. Am 17. Januar herrschte eisiger Schneesturm. 20. Januar. Neuschnee. Alle Hohlwege sind zugeschneit. Soldaten bahnten einen Weg. Bis 2 m hoch lag der Schnee zu beiden Seiten des Weges. Kälte bis 17º. 4.2.1940 – Tauwetter. Auf den Feldern bildeten sich große Seen. Die Jahnstr. stand unter Wasser.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Barrenstein, Nr. 209:
„9.2.1940. Eine zweite Frostwelle! Kälte bis 20º. Dazu Neuschnee. Wieder war das Dorf ringsum eingeschneit. Alte Leute konnten sich an solche Bilder nicht erinnern. Soldaten mussten wieder einen Weg zur Chaussee bahnen. […] Neuer Schneefall am 14. Februar 1940, dann wieder am 19. Februar. Ein zweites Mal türmten sich 3 m hohe Schneemauern zu beiden Seiten des Weges auf. 22.2.1940. Tauwetter! Schnell füllte sich der Bach. Das Wasser drängte in die Häuser des Unterdorfes. Im Tunnel stand das Wasser 1 m hoch. Wer nach Allrath wollte, musste über die Bahn klettern.“

Hochwasser im Januar 1941:
StA Grevenbroich, Schulchronik Barrenstein, Nr. 209:
„1941. Neujahr war Tauwetter. Am Bach war Überschwemmung. Neuer Frost. Auf den Feldern sah man große Eisflächen. Der starke Frost hielt bis zum 19. Januar an. Wieder Tauwetter u. Überschwemmung wie noch in keinem Jahre. Am Tunnel musste man über den Bahndamm. Viele Kinder konnten an 2 Tagen nicht zur Schule kommen. An der Bahn blieb ein Lastwagen im Wasser stehen u. musste von Pferden herausgezogen werden. […] 7.2.1941. Tauwetter und dritte Überschwemmung.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Gustorf, Nr. 330, Seite 142:
„19.1.1941. Es tritt Tauwetter ein und hat Hochwasser im Gefolge, wie es die Lebenden nicht gekannt haben. Am 20.1. um 5 Uhr nachmittags war der Höhepunkt erreicht. Die Schneeschmelze (es war in den vergangenen Wochen ziemlich Schnee gefallen) ging zu rasch vor sich. Das Gehöft Breuer in Gindorf stand vollkommen im Wasser. Die Feuerwehr musste das Vieh, bis an den Bauch im Wasser stehend, retten. Die Post in Gindorf war nicht zu erreichen, weil die untere Hindenburgstr. fußhoch unter Wasser stand, das durch den Graben zum Broich strebte. Vom Felde kam ein reißender Bach. Der Graben zwischen Hitlerallee und Bahnstraße hatte zum Teil eine Breite von 20 m. Die Häuser an der Bahnstraße zwischen Krankenhausgasse und Sinstedenstr. waren nicht zu erreichen und standen in einem See. Noch nach Tagen hörte man das Gebrumme der Motorpumpe, die die Keller leerte. Durch Gustorf floss reißendes Wasser, die ganze Breite der Göbbelsstraße einnehmend. Die Felder standen an tiefen Stellen morgen      weise unter Wasser. Tiefe Rinnen hatte das Wasser gegraben. Die Winterfrucht war vielfach unter Schlamm vergraben.”

StA Grevenbroich, Schulchronik Gustorf, Nr. 330, Seite 144:
„10.5.1941. Im Felde steht am Gustorfer Heiligenhause (Busebach) noch Wasser von der Überschwemmung am 20.1.1941. Das Wetter ist kalt. Es friert Nacht für Nacht. Die armen Blüten! Im Felde zeigen sich reichlich spät die ersten Ähren.“

Hochwasser im März 1942:
StA Grevenbroich, Schulchronik Barrenstein, Nr. 209:
„Am 9. März 1942 setzte Tauwetter ein. Das Wasser floss in Strömen. Da es aber nachts immer wieder fror, konnte das Wasser nicht gut abfließen. Vom 14. März an herrschte großes Tauwetter u. am 20. März war der Schnee ganz verschwunden. Das Hochwasser war nicht zur Geltung gekommen u. hatte wenig Schaden angerichtet. Ende März konnte der Bauer bereits auf dem Felde arbeiten. Wir haben den härtesten Winter seit 140 Jahren mit Dank gegen Gott überstanden.“

Da die Schulchronik Allrath durch die Kriegswirren „abhanden“ gekommen ist, kann das Hochwasser 1942 in Allrath nur durch Bilder der Familie Esser belegt werden:

© Sammlung Rolf Esser – Theodor-Körner-Straße
© Sammlung Rolf Esser – Theodor-Körner-Straße
© Sammlung Rolf Esser – Theodor-Körner-Straße
© Sammlung Rolf Esser – Theodor-Körner-Straße
© Sammlung Rolf Esser – Neusser Straße

Hochwasser im August 1959:
Im August 1959 sorgte ein Gewitterregen für verheerende Folgen. In Allrath wurden fast alle Straßen bis zur B 59 überflutet. Demzufolge auch die Mehrzahl der Keller in den Wohnhäusern. Rund um Allrath bildeten sich dabei große Seen. Grund für diese völlig überraschend hereinbrechende und in der Stadt Grevenbroich beispiellose Katastrophe, waren die Wasserströme, die sich von der Vollrather Höhe auf das Allrather Gebiet ergossen. Die Regengüsse, die vom Allrather „Hausberg“ als Sturzbäche herunterkamen, haben Kies und Sand mitgerissen. Dabei wurde auch die Straße von Allrath nach Neurath mit diesem Gemisch aus Kies, Sand und Wasser überdeckt. Die Freiwillige Feuerwehr Grevenbroich rückte zwar sofort zu einem Großeinsatz aus, um mit Motorpumpen der Lage Herr zu werden, musste jedoch auf weitere Pumpen und einen Hilfstrupp der Roddergrube zurückgreifen. (Quelle: NGZ vom 22. August 1959)

Hochwasser im März 1963:
Im März 1963 trafen sowohl Regengüsse als auch Schmelzwässer die Stadt Grevenbroich. Zu einem Einsatzschwerpunkt wurde das Gebiet rund um Allrath und Barrenstein, wo sich Wassermassen zu stauen begannen. Allerdings flossen auch mehrmals Schmelzwässer von den höhergelegenen Feldern in die Tunnelsenke der „Todeskurve“ der B 1. Nachdem die Freiwillige Feuerwehr Grevenbroich diese Katastrophe innerhalb von wenigen Tagen bändigen konnte, kündigte sich nun das nächste Unheil an, als alarmierende Nachrichten eintrafen. Es drohte eine gefährliche Hochwasserwelle aus der Eifel. Innerhalb von einem Tag näherte sich auf der Erft eine gefährliche Flutwelle mit bis zu einem Meter Höhe. Die Bevölkerung der hochwassergefährdeten Ortschaften wie Gustorf, Gindorf, Grevenbroich und Wevelinghoven wurden durch Lautsprecher auf die nahende Flutwelle aufmerksam gemacht. Die beängstigenden Fluten wurden sogar in der Grevenbroicher Innenstadt sichtbar. Das Hochwasser der Erft überflutete den gesamten Bereich zwischen der „Alten Molkerei“ (Bergheimer Straße) und dem „Platz der Republik“. (Quelle: NGZ vom 7. März 1963)

Sowohl der Geschichtsverein Grevenbroich als auch das Stadtarchiv Grevenbroich würden sich freuen, wenn sich Personen melden würden, die Fotos von den beiden Naturkatastrophen 1959 und 1963 zur Verfügung stellen könnten.

Das nachfolgende Bild zeigt in der Bildmitte die höhergelegenen Felder am Ortsausgang von Noithausen. Verständlicherweise suchten sich die Wassermassen immer den Weg sowohl in die Tunnelsenke der Todeskurve als auch in die Ortschaft Noithausen. Bei entsprechenden Wassermengen besteht diese Gefahr wohl auch heute noch in abgeschwächter Form, da im Laufe der letzten Jahrzehnte entsprechende Barrieren errichtet wurden.

Sammlung Brünglinghaus – Noithausen um 1940

Wie eingangs bereits beschrieben, stehen die Grevenbroicher „Naturkatastrophen“ sicherlich in keinem Verhältnis zu den Flutereignissen im Sommer 2021. Zumal in Grevenbroich bisher nie ein Todesopfer nach einem solchen Ereignis zu beklagen war. Allerdings dürften die vermutlich jährlichen Überschwemmungen in der Kriegszeit zu erheblichen Einbußen in der Feldbewirtschaftung der Bauern und somit auch auf die Ernährungssituation der Grevenbroicher Bevölkerung geführt haben. Leider sind in den Schulchroniken keinerlei Informationen über mögliche Schutzmaßnahmen für die zumindest alljährlichen Überschwemmungen durch Schmelzwasser zu finden. Ebenso fehlen Hinweise, ob lediglich im Jahr 1939 große Erntebestände (Kartoffeln) vernichtet wurden.

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Der Kartoffelkäfer

Ein kleines Tier mit einer sehr interessanten und bedeutungsvollen Geschichte…

Eigentlich wollten der Geschichtsverein Grevenbroich und das Stadtarchiv Grevenbroich nur kurz zwei Fundstücke aus dem Wevelinghovener Archivbestand zeigen, aber „Geschichte“ kann so interessant und spannend sein, dass es nun doch wieder ein etwas längerer Beitrag zur Stadtgeschichte geworden ist.

Ursprünglich sollte nur dargestellt werden, dass Kinder auch in den großen Ferien zum „Zwangsdienst“ verpflichtet wurden und dies sogar von der Polizeiverwaltung angeordnet wurde.

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1945

Hierzu stand den „Kartoffelkäfersuchenden“ sogar ein Flugblatt bzw. eine Kartoffelkäfer-Fibel zur Verfügung, welche in Abbildungen den Unterschied zu den nützlichen Marienkäfern darstellte.

StA Grevenbroich, Bestand Wevelinghoven, Nr. 1945

Noch interessanter wird diese „Kartoffelkäfer-Geschichte“ aber, wenn man sich den Verlauf der letzten Jahrhunderte näher anschaut. Die Kartoffel hatte ihren Ursprung in Lateinamerika und gelangte im 16. Jahrhundert nach Europa. Durch neue Forschungsergebnisse wurde mittlerweile belegt, dass in Deutschland bereits 1647 Kartoffeln auf großen Feldern in Pilgramsreuth in Bayern erstmalig angebaut wurden. Bisher galt der 24. März 1756 mit dem Erlass des „Kartoffelbefehls“ durch Friedrich II. als Beginn des Kartoffelanbaus in Deutschland. Angeblich ließ der „Alte Fritz“ die Kartoffeläcker von Soldaten bewachen, um die Landbevölkerung neugierig auf die noch sehr unbekannte Feldfrucht zu machen, da man ja nur etwas „Wertvolles“ durch Soldaten bewachen lassen würde. Erst mit dem intensiven Anbau konnten die größten Hungersnöte in Deutschland eingedämmt werden.

Da die Grevenbroicher Schulchroniken erst in den 1870er Jahren beginnen, ist über den Beginn des Kartoffelanbaus in Grevenbroich selbst nichts zu finden. Der erste Eintrag findet sich am 29. Januar 1875 in der Schulchronik Elfgen und dies mit einer erschreckenden Vorahnung, was uns auch heute mehr als 150 Jahre später noch immer beschäftigt.

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 1, Sig. 214, Seite 56

„Im Reichstage zu Berlin wird das von Dr. Buhl vorgelegte Gesetz, betreffend Maßregeln gegen die Reblaus Krankheit (Phylloxera vastatrix), genehmigt. Man befürchtet allgemein die Einschleppung des Coloradokäfers aus Nordamerika (Doryphora decemlineata) desgl. der Motten Peronosfrera infestans und Bryotropha solanella.“

Tatsächlich dauerte es keine drei Jahre, bis der erste Coloradokäfer in Deutschland nachgewiesen werden konnte, der nun den Nahrungsmittelbedarf sowohl auf dem Land als auch in den Städten gefährden würde.

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 1, Sig. 214, Seite 91

„Juni 21. In Mülheim a. Rhein, auf dem Kartoffelacker eines Metzgers, der amerikanisches Fleisch verkauft, zeigt sich der Kartoffelkäfer (Doryptroca Decemlineata) wohl der erste Fall auf europäischem Boden. Kartoffelbau sehr gefährdet.“

Da vor 100 Jahren noch keine Chemie zur Bekämpfung der Käfer eingesetzt werden konnte, versuchte man durch gezieltes Aufsammeln der Käfer dieser Plage Herr zu werden. In vielen der verschiedenen Ortsschulchroniken lassen sich Einträge finden, in denen insbesondere Schüler und Schülerinnen für diese Arbeit herangezogen wurden. Exemplarisch werden hierzu vier Einträge wiedergegeben.

14.5.1936. Tagung der Schulleiter im Saale Breuer – Grevenbroich unter Leitung von Herrn Kreisschulrat Scheuten, der seine Lehrer „Kameraden“ anredete. Er konnte von frohem, verantwortungsbewussten Schaffen in den Schulen seines Bezirks, des Schulaufsichtsbezirks Grevenbroich – Neuss I berichten und weckte durch seine aufmunternden, arbeitsbegeisternden Worte neuen Eifer. […]. Landwirtschaftsrat Hömberg sprach über den Kartoffelkäfer, der vor unseren Grenzen stehe. (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, Sig. 217, Seite 115f.)

Am erschreckendsten dürfte hierbei der Eintrag aus der Schulchronik Kapellen vom Mai/Juni 1944 sein, da die Kinder trotz großer Gefahr noch immer auf die Felder geschickt wurden.

StA Grevenbroich, Schulchronik Kapellen, Sig. 366

„Die Angriffe der Feinde mehren sich in den Monaten Mai u. Juni. Feindliche Tiefflieger zeigen sich und greifen die Bevölkerung auf den Feldern mit ihren Bordwaffen an. Es ist deshalb das Verbot ergangen, daß bei Arbeiten auf den Feldern durch die Schulkinder, klassenweise nicht mehr erfolgen darf. Bei der Kartoffelkäfersuche sollen nicht mehr als 6 Kinder herangezogen werden.“

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs löste die Sichtung von Kartoffelkäfern wohl Panik aus, wie nachfolgender Eintrag zeigt: „Die Schanzer hatten unsere Felder und Gärten durchwühlt. Mädchen und Frauen hatten sie zuwerfen müssen. […]. Jetzt sollen die Schulkinder der oberen Jahrgänge den Rest der Gräben einebnen. Täglich lassen wir seit dem 23. Mai 45 die größeren Kinder zur Schule kommen. Die Mädchen suchen Frühkartoffelfelder nach dem Kartoffelkäfer ab, die Jungen räumen an der Schule auf. Zu allem Überfluss tritt der Kartoffelkäfer sehr zahlreich auf. Am 13. Mai 1945 brachte der Schüler Hans Müller einen Käfer zu mir. Ich alarmierte den Ortsbürgermeister Wolff, und als ich zurückkam, brachten Schuljungen, die ich unterwegs angetroffen hatte, 28 Stück. Seitdem ist Elfgen im Alarmzustand. Das hat uns gerade noch gefehlt!“ (StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 5, Sig. 218, Seite 248)

„Juni 1945. Die Schulen unseres Kreises waren noch immer geschlossen. Vom Herrn Schulrat Sasse aus Grevenbroich kam nun das erste Rundschreiben an die Schulen. – Die Lehrer wurden aufgefordert, die Kinder zu sammeln und sie mehrmals wöchentlich zu Heilkräutersammeln und Kartoffelkäfersuchen auf die Felder zu führen. (StA Grevenbroich, Schulchronik Hülchrath, Sig. 360)

Sehr interessant ist die Sicht auf den Kartoffelkäfer während der beiden Weltkriege sowie während des Kalten Krieges. Der Kartoffelkäfer als „biologische“ Waffe?! Im Ersten Weltkrieg dachten die Deutschen, dass die Franzosen mit einer gezielten Vermehrung des Schädlings die Lebensmittelversorgung im Deutschen Reich gefährden wollten. Im Zweiten Weltkrieg beschuldigten sich England und Deutschland gegenseitig über dem jeweiligen Gebiet Kartoffelkäfer abzuwerfen, was jedoch bisher nicht belegt werden konnte. Allerdings kann belegt werden, dass die deutsche Wehrmacht 1943 rund 14.000 Kartoffelkäfer bei Speyer in der Pfalz aus einer Höhe von 8.000 Metern abwarf, um zu überprüfen, ob sie überleben würden. Der Versuch war „erfolgreich“! Während des Kalten Krieges wurde in der DDR gezielt das Gerücht verbreitet, dass die Westmächte Kartoffelkäfer über der DDR abwerfen würden, um die Landwirtschaft zu schwächen und die Lebensmittelversorgung zu gefährden. Belege hierzu sind jedoch in Archiven bisher nicht zu finden. (Quelle: https://www.iva.de/iva-magazin/schule-wissen/kartoffelkaefer-ein-schaedling-mit-geschichte; Abruf am 10.04.2023 um 12.41 Uhr)

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

Vor 375 Jahren: Die Schlacht bei Wevelinghoven

Vielen Einwohnern des Rhein-Kreises Neuss dürfte kaum bekannt sein, dass die letzte Schlacht des Dreißigjährigen Krieges hier im Kreis stattfand. In der sogenannten „Schlacht bei Wevelinghoven“ oder auch „Schlacht bei Grevenbroich“ unterlagen die Katholisch-Kaiserlichen am 14. Juni 1648 den protestantischen Truppen aus Hessen-Kassel. Die Hessen unter General Johann von Geyso waren als Besatzungsmacht in Neuss stationiert gewesen. Südlich davon im kurkölnischen Gebiet hatten die Kaiserlichen unter Feldmarschall Guillaume de Lamboy gestanden. Das Herzogtum Jülich-Berg war neutral. Als hessische Truppen mit 3.500 Mann und 5 Kanonen in Richtung Grevenbroich, das zu Jülich gehörte, zogen, fürchtete Herzog Wolfgang Wilhelm von Jülich, dass eine Besetzung Grevenbroichs durch die Hessen von den Kaiserlichen zum Anlass genommen würde, die Neutralität Jülich-Bergs für nichtig zu erklären.

Abb. 1: Schlachtfeld der Schlacht bei Wevelinghoven

Der Herzog von Jülich erbat von Geyso eine Erklärung, dass Grevenbroich geschont werde. Die Hessen verzichteten daraufhin auf eine Besetzung Grevenbroichs. Lamboy aber zog mit 7.000 Mann und elf Kanonen heran und stand am 13. Juni vor dem Lager der Hessen. Diese stellten sich jedoch nicht zur Schlacht, sondern zogen sich in ein bereits zuvor eingerichtetes Lager zwischen Grevenbroich und Wevelinghoven zurück, um dort die Erft in Richtung Neuss zu überschreiten. Die Kaiserlichen zogen hinterher, um ihnen den Rückzug und den Nachschub abzuschneiden. Diese Absicht wurde jedoch von Geyso vorausgesehen  und er erwartete die Kaiserlichen in Schlachtaufstellung.

Abb. 2: Ausschnitt mit (v. l.) Grevenbroich und Wevelinghoven

Am 14. Juni 1648 um fünf Uhr morgens stießen die beiden Armeen aufeinander. Trotz fast doppelter Überlegenheit mussten sich die Kaiserlichen nach fünfstündigem Gefecht vernichtend geschlagen zurückziehen. 1.500 Mann gerieten in Gefangenschaft, 1.000 starben. Die Kaiserlichen wurden bis nach Zons verfolgt. Sechs der elf Kanonen wurden erobert. Die Verluste der Hessen werden mit 168 Soldaten angegeben. Auf einer erhalten gebliebenen Karte mit einer Schlachtbeschreibung ist zu sehen, dass der kaiserliche Obrist von Plettenberg mit 200 Mann Kavallerie versucht hatte, das Lager der Hessen durch das Dorf Wevelinghoven von der Erft her seitlich anzugreifen. Die Hessen schossen jedoch mit 200 Arkebusen, Vorläufern der späteren Musketen, auf die Angreifer und trieben sie in die Flucht. Offensichtlich wurden bei den Kämpfen auch Teile von Wevelinghoven, vermutlich Häuser an der Straße „An der Obermühle“ beschossen, wobei Häuser in Flammen aufgingen.

Das Schlachtfeld befand sich südlich von Wevelinghoven, zwischen Wevelinghoven und Haus Busch entlang der heutigen Landstraße 142/L361, die von der Grevenbroicher Südstadt nach Langwaden führt. Vermutlich dürften daher auch südwestliche Teile des heutigen Wevelinghovens auf Bereichen des ehemaligen Schlachtfeldes erbaut worden sein.

Berichtet wird weiter und ist auch auf der Karte eingezeichnet, dass bei diesem Gefecht die kaiserlichen Reiter in die Erft getrieben wurden, wo zahlreiche Soldaten ertranken; die restlichen Reiter flüchteten über die Erft in nordwestliche Richtung auf „dem Weg nach Wickrath und Erkelenz“.[1] Diese Strecke führte geradewegs über Noithausen, Bedburdyck, Gierath und Stessen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass man dort und in den umliegenden Dörfern den Kanonendonner hörte und die Truppen unter anderem durch die genannten Dörfern zogen.

Die verlorene Schlacht veranlasste Kaiser Ferdinand III. zu weiteren Zugeständnissen bei den zu diesem Zeitpunkt bereits laufenden Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück.[2] Wenige Monate später wurde am 24. Oktober 1648 in Münster und Osnabrück der Westfälische Frieden unterzeichnet, dessen 375. Jubiläum in diesem Jahr in beiden Städten gefeiert wird.

Abb. 3: Kartenansicht des Geländes auf dem Preußischen Urkataster von 1836/51[3]
Abb. 4: Gleiches Gelände – Luftaufnahme heute[4]

Zur Vertiefung und Ergänzung dieses Themas empfehlen wir den neuesten Band Nr. 26 “Wevelinghoven und die Marianische Bruderschaft”, der seit einigen Tagen in der Mayerschen Buchhandlung, im Stadtarchiv Grevenbroich, im Museum Grevenbroich, in der Genussfaktur Andreas Lang und beim Geschichtsverein erhältlich ist. Auf den Seiten 117 und 118 werden die Ereignisse rund um den 30-jährigen Krieg von Achim Kühnel noch detaillierter dargestellt.

Michael Salmann für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_bei_Wevelinghoven (15.11.2022, 19.20 Uhr)

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_bei_Wevelinghoven (13.4.2020, 6.54 Uhr)

[3] https://www.tim-online.nrw.de/tim-online2/ (7.4.2023, 10.39 Uhr)

[4] https://www.tim-online.nrw.de/tim-online2/ (7.4.2023, 10.39 Uhr)

Wusstet ihr eigentlich, dass Impfungen früher vielfach in den Schulen vorgenommen wurden?

In allen Grevenbroicher Schulchroniken sind dazu mehr oder auch weniger umfangreiche Informationen zu finden. Der Grund dafür dürfte an den zahlreichen seit dem 19. Jahrhundert eingeführten Gesetzen liegen, die auch als „Impfzwang und -pflicht“ angesehen werden konnten bzw. mussten.

Anmerkung: Bei diesem Beitrag geht es weder um das Pro und Kontra von Impfungen noch um eine Bewertung eines „Impfzwangs“. Diskussionen darüber werden umgehend unterbunden!

Nachdem ein Appell des Bayerischen Königs im Jahr 1807 sich gegen Pocken impfen zu lassen, auf wenig Resonanz in der Bevölkerung stieß, wurde kurzerhand ein Gesetz erlassen, dass sich alle über 3-Jährigen bis zum 1. Juli 1808 impfen lassen mussten. Die Pockenimpfpflicht sowie alle gesetzlichen Zwangsimpfungen wurden erst im Jahr 1983 aufgehoben.

Nachfolgend Beispiele aus Noithausen und Elfgen:

StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, S. 188, Nr. 203
StA Grevenbroich, Schulchronik Elfgen, Band 4, S. 191, Nr. 203

„Die Impfung fand am 20.1. und am 24.2.1939 durch Herrn Medizinalrat Dr. Peretti in unserer Schule statt. Mit ganz geringen Ausnahmen – 2 Familien weigerten sich – wurden die Kinder vom 2. – 14. Lebensjahr geimpft.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Noithausen, Nr. 513

„Schutzimpfung. Am 8.10.47 wurde in der Schule die Schutzimpfung gegen Pocken von Herrn Dr. Massia vorgenommen.“

StA Grevenbroich, Schulchronik Noithausen, Nr. 513

„Die Schulkinder wurden durch den Herrn Amtsarzt Ober-Medizinalrat Dr. Peretti am 15.5.47 gegen Scharlach und Diphtherie schutzgeimpft. Nach Feststellung eines Falles von schwerer ansteckender Tuberkulose wurde bei allen Kindern eine Voruntersuchung auf bazillentragende Kinder in die Wege geleitet, die 14 Kinder als verdächtigt feststellte und deren anschließende Röntgendurchleuchtung in allen Fällen positiv beurteilt wurde. Das sind bei 113 Schulkindern rund 12,4%. Diese erschreckende hohe Zahl liegt wohl in den Ernährungsverhältnissen begründet, denn von den 113 die Schule in Noithausen besuchenden Kindern stammen nur 5 Kinder aus 3 Vollselbstversorger Familien. Wegen Tuberkulose wurde ein weiteres Kind durch den Amtsarzt vom Schulbesuch entbunden und die gesamten Kinder der Schule unter dauernde ärztliche Kontrolle gestellt.“

Dass Schutzimpfungen wohl nötig waren, zeigt ein Beispiel aus Noithausen aus dem Jahr 1909 als es zu einer Masern-Epidemie kam und die Schule für ganze sechs Wochen geschlossen wurde.

StA Grevenbroich, Schulchronik Noithausen, Nr. 513

„Wegen einer im Orte heftig aufgetretenen Masern-Epidemie war die hiesige Schule vom 19. Mai bis 29. Juni geschlossen. Am 30. Juni wurde der Unterricht wieder aufgenommen.“

Zum Schluss aber auch noch etwas zum „Schmunzeln“, denn in früherer Zeit gab es auch „Verhaltungsvorschriften für die Angehörigen der Erstimpflinge“. Hier sollte das Augenmerk vor allem auf die §§ 3 bis 5 gelegt werden.

StA Grevenbroich, Best. Wevelinghoven, Nr. 1656, um 1900

„§ 3. Die Kinder müssen zum Impftermin mit reingewaschenem Körper und mit reinen Kleidern gebracht werden.

§ 4. Auch nach dem Impfen ist möglichst große Reinhaltung des Impflings die wichtigste Pflicht.

§ 5. Man versäume eine tägliche sorgfältige Waschung nicht.“

Stefan Faßbender für den Geschichtsverein Grevenbroich, 2023